Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Handwerk hat blutigen Boden: Kriminalgeschichten
Handwerk hat blutigen Boden: Kriminalgeschichten
Handwerk hat blutigen Boden: Kriminalgeschichten
eBook307 Seiten3 Stunden

Handwerk hat blutigen Boden: Kriminalgeschichten

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Ein guter Mörder versteht sein Handwerk

Kriminalgeschichten über Maurer, Schreiner und Tapezierer für Architekten, Schlosser und für Häuslebauer, die selbst vielleicht nicht nur den Schwamm im Keller haben.
Ob Rohrzange, Kreissäge, Vorschlaghammer, oder Spannungsprüfer – die Mordwerkzeuge werden in diesen mörderisch-munteren Geschichten so vielfältig wie raffiniert eingesetzt.

Da fährt der Bauunternehmer in die Grube, den Elektriker trifft der Schlag, und der Dachdecker wird ein Fall für den Abdecker. Meister, Gesellen, Lehrlinge und Kunden morden in der Tischlerei, im Malerbetrieb, im Architekturbüro und überall sonst, wo man noch auf solides Handwerk bauen kann.
Deutschlands fantasievollste Krimiautorinnen und -autoren haben sich, angeleitet von Mirjam Phillips und Toby Martins, alt-ehrwürdiger Handwerksberufe angenommen und eine blutige Spur zwischen Hobelspänen, Zementsäcken und Kabelsalat hinterlassen. Mit dabei sind unter anderem Reinhard Jahn, Manfred C. Schmidt, Regine Kölpin, Jürgen und Marita Alberts, Tatjana Kruse, Jürgen Ehlers, Sandra Lüpkes, Ralf Kramp, Nadine Buranaseda, Gunter Gerlach und Peter Godazgar.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Nov. 2016
ISBN9783954413416
Handwerk hat blutigen Boden: Kriminalgeschichten

Ähnlich wie Handwerk hat blutigen Boden

Ähnliche E-Books

Krimi-Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Handwerk hat blutigen Boden

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Handwerk hat blutigen Boden - KBV Verlags- & Medien GmbH

    Martins

    Der Panikraum

    von Karr & Wehner

    Freitag, 5. August

    Mein Gott, was für ein Auftrag! Den muss ich haben! So leicht habe ich mein Geld noch nie verdient. Was für ein schräger Typ. Wenn das klappt, wird das die ganz große Nummer.

    Der Reihe nach: Er habe von mir gehört, sagt er am Telefon. Woher und vom wem habe ich noch nicht rausgekriegt. Er ist jedenfalls der festen Überzeugung, dass ich, Maximilian M., Architekt – Bauplanung und Bauausführung – sein Mann bin.

    Für sein Bauprojekt.

    Der Anruf war um halb zehn gekommen, um zwölf saß er schon bei mir, erst mal das Vorhaben vorstellen. Susanne, meine Praktikantin, war in der Mittagspause. Wir waren allein im Büro.

    Arno Holland, Privatier, vorher ein hohes Tier im Justizwesen. Mitte 60, stahlgraues Haar, schlank, Typ Marathonläufer, braungebrannt, fit wie zwei Turnschuhe. Er hat sich ein Grundstück gekauft, draußen am Hönneufer. 2000 qm, mit einer alten Villa aus den 30er Jahren drauf. Leerstand seit fünf Jahren.

    Zuerst dachte ich, dass er nur die Villa sanieren will, so ein Killefitt-Auftrag, Altbau-Scheiß, an dem man wochenlang sitzt und kaum etwas verdient, selbst wenn man die Bauleitung macht und mit den Handwerkern das eine oder andere zur Seite schieben kann.

    Aber nach einem Viertelstündchen kam er mit dem wirklichen Job um die Ecke. Und ich sag nur: Mann-o-Mann. Das ist fast der weiße Wal für einen wie mich, also gerade mal 34, und mit seinem Büro neu auf der Szene.

    Jackpot. Bingo.

    Dienstag, 16. August

    Holland ist ein Arsch, aber ein Arsch voll Geld, und er hat diesen Auftrag. Und er weiß, dass er ihn hat, deshalb verhandelt er knallhart. Und entweder hat er schon Erfahrung oder jemanden, der ihn berät. Also Beauftragung LP 1 und 2, Grundlagenermittlung und Vorplanung und dann sehen wir weiter, so wie man es normalerweise macht – da lächelt er nur sein schmales Lächeln und sagt, wie er es sich vorstellt. Und so wird’s dann wohl auch gemacht, bis hin zu LP 9, Gewährleistung, was kein Architekt gerne macht.

    Über seine Finanzierung verliert er kein Wort. Ich habe mir seine Schufa und die Creditreform geholt, alles sauber, und ich habe den Verdacht, dass er das Projekt aus seinem Privatvermögen bezahlt. Anyway – jetzt liegt der Vertragsentwurf beim Anwalt und in zwei Wochen ist Unterzeichnung.

    Donnerstag, 18. August

    Schlecht geschlafen. Geträumt, wieder am Fluss, die Kälte gespürt, das Wasser bis zur Brust und dann schweißgebadet hochgeschreckt. Konnte nicht wieder einschlafen, bin joggen gegangen. Morgens um halb sieben, in die aufgehende Sonne. Im Büro fragt mich Susanne, ob sie nicht auch mal bei einem Auftrag etwas eigenverantwortlich machen kann. Sie trägt ein halbes Dutzend Armketten mit glitzernden Glaswürfeln, die wie Rubine und Saphire leuchten. Ich verspreche, es mir zu überlegen.

    Sie hat den Vertragsentwurf von Holland in der Post und gegen Mittag machen wir den Termin zur Unterzeichnung klar.

    Montag, 29. August

    Alles klar. Auftragsunterzeichnung, mit erster Planungsbesprechung. Der Scheck mit der Anzahlung ist so fett, dass er mir die Jackentasche ausbeult.

    Es geht um einen Komplex von gut 100 umbauten Kubikmetern im Garten seiner Villa am Hönneufer, mit Zugang zum Kellergeschoss des Gebäudes. Eine Art Rettungsraum. Außerdem noch die Sanierung der Villa und des Gartens, aber das sind nur Peanuts im Vergleich zum real thing.

    Ein Hochsicherheitsraum als Stahlbeton-Bauwerk. Zu 90 Prozent unterirdisch. Decken und Wandstärken von bis zu zwei Meter Beton. Je nach Tiefe und Bodenbeschaffenheit brauchen wir einen Verbau für die Baugrube.

    Als Zeitrahmen habe ich grob mindestens ein Jahr kalkuliert. Geht ja nicht als Fertigteil. Alles kein Problem für Mister Money.

    »Waren Sie das, da am Fluss?«, fragt er mittendrin auf einmal.

    »Bitte?«

    »Ich dachte, ich hätte Sie gesehen, beim Joggen, vor ein paar Wochen. Unten am Fluss.«

    »Möglich.«

    »Ich laufe da auch manchmal. Angenehmer Platz, nicht wahr?«

    Egal wo und wann er joggt. Ich kalkuliere schon mal. Die Preise für Stahl sind gerade günstig. Die Wege für den Betonmischer in den Garten müssen abgeklärt werden.

    Dann die ganze Routine: Brandschutz-Sachverständigen kontaktieren. Bauvoranfrage bei der Stadt stellen. Wasser- und Abwasserplanung, Elektro- und Sicherheitstechnik, die Lüftungsanlage mit dem haustechnischen Büro klären und so weiter und so fort …

    Abends will ich den Auftrag mit Susanne feiern. So kühl, wie sie sich immer gibt, scheint sie gar nicht zu sein. Holland hat das sofort gemerkt, als er sie bei mir im Büro gesehen hat. Der kennt sich da wohl aus. Mir ist sein Blick aufgefallen, als sie reinkam, mit den Verträgen und dem Papierkram. Dem Glitzerkram an den Handgelenken. So ein Blick, unter halb gesenkten Lidern. Und nachdem sie wieder gegangen war, dieses kleine Lächeln zu mir rüber. Mit diesem Blick.

    Als er dann endlich weg ist, gehe ich nach vorn und lege Susanne den Scheck hin. Ob sie den verbuchen kann. Und wir was trinken und essen gehen können, zur Feier des Tages.

    »Klar«, sagt sie.

    Na Doppel-Bingo!, denk ich. Aber als ich sie nach dem Essen abschleppen will, sagt sie, lieber nicht, sie hätte ihre Tage und lässt sich am Bahnhof absetzen.

    Donnerstag, 8. September

    Lauter Kleinkram: Bodengutachter eingeschaltet und Vermesser angerufen. Ich bespreche mit Holland, dass wir das ganze Ding am besten als »weiße Wanne« ausbilden. Und er soll abklären, ob er steuerlich und baurechtlich günstiger wegkommt, wenn er seinen Panikraum als Bunker deklariert. Dann brauchen wir allerdings Filteranlagen oder Sauerstofftanks. Oder doch Zuluft und Abluftkanal, per Sondergenehmigung für Kamine, die aber blöde aus der Erde ragen und immer von dem Elsternpack mit ihren Nestern verstopft werden.

    Ohne Datum

    Aufgewacht, hochgeschreckt, schweißnass. Herzklopfen. Panik. Erst langsam begriffen, dass das nur wieder der Traum war und nicht wirklich passiert ist. Oder doch? Weil ich weiß, dass ich nicht wieder einschlafen kann, gehe ich joggen. Im Morgengrauen, die Sonne geht erst auf, als ich schon auf dem Rückweg bin. Hat Holland nicht gesagt, dass er auch manchmal hier unten am Fluss läuft? Das wäre zehn Kilometer von seinem Haus entfernt. Ernsthaft? Ich werde nicht schlau aus ihm. Er lebt allein, da draußen in seinem Haus in Iserlohn, am Siedlerweg. Eins von diesen Siedlungshäusern, die sie sich im letzten Jahrhundert in Nachbarschaftshilfe gebaut haben. Wenn die Villa und der Panikraum fertig sind, will er da hinziehen, hat er angedeutet. Ich könnte ihn mal fragen, was dann mit dem Haus im Siedlerweg wird. Das könnte man nett sanieren, wäre dazu noch eine gute Kapitalanlage.

    Freitag, 28. Oktober.

    Es läuft. Perfekt. Ausschreibung Erdarbeiten, Rohbau mit den Abdichtungsarbeiten, Beton und Mauerwerk, die Haustechnik, Metallbauarbeiten, und viel später dann Trockenbau und Estrich laufen. Susanne hat wieder gefragt, ob sie sich nicht um das andere kümmern kann – Ausschreibung Putzarbeiten, Innentüren, Fliesen, Maler- und Lackierarbeiten und so weiter. Warum nicht?

    Entlastet mich. Und das andere wird sich auch noch entwickeln.

    Wie das mit der Haustechnik wird, müssen wir noch sehen, die Typen machen nur Ärger, sind nie pünktlich und wollen eine Menge Kohle fürs Nixtun. Ich schlage Mister Money vor, dass er das selber beauftragt, dann hat er den Ärger. Außerdem hat er ja den einen oder anderen Sonderwunsch. Was genau, will er noch nicht sagen. Ich habe das Gefühl, der will in seinem Panikraum später irgendwelche Partys feiern, Schwarze Messen oder Gruppensex oder weiß der Teufel was.

    Er hat ein Auge auf mich, das spüre ich, auch wenn er es eher kumpelhaft anlegt. Kontrolliert alles, was ich mache, rennt auf dem Bauplatz herum und fotografiert.

    Fragt nach den Angeboten zu den Gewerken, die reinkommen. Angebote sehen gut aus. Läuft.

    Weihnachten/Neujahr, 2. Januar

    Holland ist überall. Also – Arno. Wir sind jetzt per Du, denn wir haben zwischen den Jahren einen draufgemacht, in einem der Clubs, in denen die Kollegen aus den Großbüros feiern, wenn sie einen dicken Fisch an Land gezogen haben oder was mit den Herren vom Bauamt zu klären ist. TONIO. In der Altstadt, verstecktes, altes Gründerzeithaus, sagenhaft gut saniert. Überall Kameras, am Tor und vor der Tür.

    Arno muss nur sein Gesicht hinhalten und schon geht alles auf. Er hat mir seine Hand auf den Rücken gelegt und schiebt mich rein, als würde er spüren, wie ich zögere. Drinnen ist alles geschmackvoller als ich gedacht habe. Marmorböden, Seidentapeten, klare Formen, offene Räume. Weiche Polster. Die Mädchen in Lack und Latex, High Heels. Stilettos klacken über die Bodenfliesen, die garantiert einen Tausender pro Quadratmeter kosten.

    »Der Abend geht auf mich«, sagt Arno. »Hab Spaß!«

    Er zieht mit einer androgynen Blondine ab, die nicht mehr trägt als zwei Straußenfedern.

    Später tauchen die beiden unten beim Whirlpool auf, wo ich mit Ellen … nun ja. Es ist dämmrig und ich bin nicht ganz nüchtern und Ellen ist scharf. Arno und Blondie machen es sich uns gegenüber auf einer Liege gemütlich. Es geht rund.

    Später, tief in der Nacht, als wir an der Bar noch einen Absacker nehmen, in Bademänteln und angenehm ausgepowert, sagt Arno, dass mich irgendjemand als Architekten für sein »Basement« empfohlen hat. So nennt er seinen Sicherheitsraum.

    Erst denke ich, es ist dieser Bordellbesitzer aus Dortmund gewesen. Aber dann erzählt Arno irgendwas von Kollegen aus dem Justizministerium, und da fällt mir die Grauhaarige mit ihrem Porsche Turbo S ein. Schwarzes Cabrio, rote Ledersitze. Und diesem ausgefallenen Nummernschild NRW 5-5555.

    Für den hatte ich diesen Schwarzbau ins Naturschutzgebiet geplant, als Subsubunternehmer für diesen Typen aus Düsseldorf, der seinen Namen nicht auf den Bauplänen sehen wollte. Der könnte gut aus dem Justizministerium gewesen sein.

    Aber egal, Hauptsache Arno ist mit mir zufrieden.

    »Du machst das ganz prima, Max!«, sagt er und legt mir die Hand auf die Schulter. Er lächelt, aber irgendwie ist da keine Wärme in seinem Blick.

    Später hat mich dann noch ein anderes Mädel abgeschleppt, unten in den Keller des Clubs, wo sie einen Darkroom haben und die speziellen Zimmer. Ich begreife erst, wie gefährlich das werden kann, als wir schon mittendrin sind, in diesem Zimmer mit der Streckbank, dem Bock und dem Andreaskreuz. Das Mädel zuckt unter mir und schnappt nach Luft, ich habe meine Hände an ihrem Hals, und ich spüre die Ohrmuschel zwischen den Zähnen und will beißen, als mich einer von den Türstehern von hinten wegreißt. Natürlich haben die auch da unten Kameras. Zum Glück für das Mädel. Oder für mich? Ich hab keine Ahnung.

    »Alles in Ordnung?«, fragt Arno, als mich der Türsteher an die Bar zurückschleppt.

    Alles in Ordnung, versichere ich ihm, und er nickt dem Türsteher zu, dass er mich loslassen kann.

    12. April

    Alles läuft nach Plan. Susanne entwickelt sich. Nimmt mir den ganzen Kleinkram ab. Ich hab ihr eine neue von diesen Glasketten geschenkt: »Wegen der Überstunden.« Aber sie ist nicht darauf eingegangen, hat sich nur bedankt und gefragt: »Was baut sich der Holland denn da eigentlich genau?«, als sie die ganzen Pläne sieht, die vom Zeichner zurückkamen.

    »Sicherheitsraum«, sag ich.

    »Sicherheitsraum?«

    »Ja. Paranoia, wahrscheinlich.«

    »Paranoia?«

    »Manche haben Paranoia wegen Überfällen, Krieg, Erdbeben, Meteoriten, der Klimakatastrophe oder der Pest. Solche Sachen. Dann wollen sie vorbereitet sein.«

    »Krank«, sagt sie.

    25. Juni

    Sie wehrt sich, will schreien, aber ich habe die Hand auf ihrem Mund. Sie beißt, ich drücke zu, schlage mit der andere Hand zu. Fest, in den Bauch, wieder und wieder, sie stöhnt und kämpft und ich sehe die Schmerztränen in ihren Augen, diesen Blick voller Panik, und spüre die Zähne in meiner Hand.

    Zugleich spüre ich da noch etwas, etwas Erregendes, Geiles, wenn sie sich unter mir windet, um freizukommen. Aber ich lasse sie nicht frei. Beuge mich hinunter, lecke über ihre Ohrmuschel, sie schreit, es schießt mir ins Blut, ich … Und dann drücke ich fester … fester, fester. Bis das Rauschen in meinen Ohren abreißt, sie sich nicht mehr bewegt, mir der Schweiß von der Stirn läuft und ich spüre, dass ich gekommen bin. Caroline. Sie rührt sich nicht. Caroline. Sie atmet nicht mehr. Caroline. Sie lebt nicht mehr.

    Caroline ist tot.

    Ich schrecke auf, schweißgebadet. Zitternd. Bin noch so weit im Traum, dass ich denke, alles sei eben erst geschehen.

    Und nicht vor 10 Jahren. Mit Caroline.

    Sie war 19, ich war 24. Sie ist tot. Und ich lebe.

    Ich brauche wieder fast eine halbe Stunde, bis ich mich beruhigt habe. Weil ich weiß, dass ich nicht wieder einschlafen kann, gehe ich laufen. Es wird Sommer, die Sonne steigt schon früh am Morgen über dem Fluss auf. Hat Arno nicht gesagt, dass er auch manchmal diese Strecke läuft, obwohl er fast am anderen Ende der Stadt lebt?

    Das Laufen beruhigt mich. Ein wenig wenigstens. Am Fluss entlang, an der Stelle vorbei, an der es passiert ist.

    Mit Caroline. Wir waren nicht wirklich zusammen, nur Praktikantenkollegen in einem Architekturbüro in Dortmund, eine dieser Planungsfabriken, in denen man einen Auftrag nach dem anderen runterreißt. Bürohäuser, Geschäftspassagen, irgendwelche Sanierungen von Siebzigerjahre-Abschreibungsruinen.

    Wir waren ein paar Mal ausgegangen, in Kneipen, getanzt, geknutscht, mehr nicht. Aber irgendwie hatte ich gewusst, dass da mehr ist.

    An diesem Wochenende zum Beispiel. Wir hatten am Nachmittag im Reinoldipark in der Sonne gelegen, unsere Hände aufeinander, dann auf Wanderschaft auf unseren Körpern. Heiße Küsse und heftiges Gefummel, bis die Rentner, die ihre Hunde ausführten, losmeckerten, wir sollten uns ein Zimmer nehmen.

    Wir lachten.

    Später, nachdem es passiert war, am Fluss, kauerte ich zitternd neben Caroline. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich brauchte, um klarzukommen. Sie war tot. Tot, tot, tot.

    Dafür gehe ich in den Knast.

    Sie muss weg. Ich zerre ihr die Kleider vom Leib, die Jacke, das Shirt, die Jeans, den Slip, alles, bis sie nackt ist. Dann zerre ich sie zum Wasser, ziehe sie hinein, weiter und tiefer, bis ich bis zum Hals im Wasser stehe und sie endlich von der Strömung erfasst und abgetrieben wird.

    Ich brauche endlos lange auf den glitschigen Steinen zum Ufer zurück. Greife mir ihre Klamotten und schleppe mich zum Wagen.

    Ich bebte vor Kälte und Angst, als ich losfuhr.

    Es dauerte ein paar Tage, bis man Caroline vermisste. Keiner machte sich große Gedanken. In ihrer WG nahm man an, dass sie mit einem Typen nach Indien oder Thailand abgehauen war. Erst als nach vierzehn Tagen die Leiche am Wehr in Dahlhausen angetrieben wurde, kam die Polizei ins Spiel. Aber das Wasser hatte wie erwartet fast alle Spuren vernichtet. Und wenn da noch etwas gewesen war, dann konnte man es bei den Ermittlungen niemandem zuordnen. Wie etwa die Bissspuren an ihrem Ohr. Oder gab es doch noch etwas, was mich hätte verraten können?

    Die Kripo kam mit drei Leuten ins Büro und befragte jeden. Wie sie so gewesen wäre, mit wem sie Umgang gehabt hätte, ob sie von Freunden gesprochen oder sich bedroht gefühlt habe. Doch keiner konnte was Genaues sagen. Wer war sie schon – eine Praktikantin, die sie hier durchschleusten und an deren Namen man sich nicht mehr erinnerte, wenn sie die Tür hinter sich zugemacht hatte. Keiner wusste das besser als ich. Ich war schließlich auch nur Praktikant.

    Ein paar Wochen war ich nervös. Zwei Kripobeamte kamen noch mal, fragten die Chefs und dann auch mich, weil man uns ein paar Mal hatte zusammen herumstehen sehen. Danach passierte nichts. Erst fünf Jahre später gab es einen Bericht in der Zeitung: Wer tötete Caroline K.? Es ging um den leitenden Ermittler, der in den Ruhestand ging und sich an seine bemerkenswertesten Fälle erinnerte. »… seltsam waren die auffälligen Bissspuren am Ohr der Toten. So etwas hatte ich bisher noch nie gesehen.«

    23. September

    Arnos Panikraum ist fertig. Oder fast. Es gibt noch einige Arbeiten, die er selbst beauftragt hat. Keine Ahnung, was das sein soll. Jedenfalls hat er mich gebeten, mit der Schlussrechnung noch ein paar Wochen zu warten. Nicht dass ich Sorgen habe, dass er mir was schuldig bleibt…

    Er hat mich eingeladen, um eine Schlussbegehung zu machen.

    Zwei Tage später

    Nichts. Totenstille. Der kühle Strom der Belüftung trocknet mir den Schweiß.

    Ruhig.

    Was ist passiert …

    Ich bin pünktlich zur Schlussbegehung gekommen, er wartete auf mich im Garten der alten Villa.

    »Schön, dass du es einrichten konntest!« Arno gab sich jovial. Hatte Gin Tonic gemacht, nahm sich auch einen. »Gehen wir mal runter.« Es ging über die Treppe in den Gang, der den Keller der Villa mit dem Panikraum verbindet. Es roch nach frischer Farbe, die Luft war kühl, die Klimaanlage lief schon.

    Die erste Stahltür, die zweite, und die Schleuse nach unten. Auf die er bestanden hatte. Er ließ mich vorgehen. Ich merkte zu spät, dass er nicht nachkam. Und dann spürte ich auch schon die Schwäche in den Beinen, den Schwindel von dem Zeug, das er mir in den Drink getan haben muss.

    Und es wurde schwarz …

    Als ich wieder zu mir kam, dröhnte mir der Kopf. Ich lag auf einer Pritsche, die Wände waren aus Beton. Langsam wurde das Bild deutlicher, und ich begriff, dass ich in Hollands Panikraum lag, in dem zweiten kleinen Raum, den ich als Raum B eingezeichnet hatte.

    Was zum Teufel …

    Als ich mich aufrichtete, entdeckte ich meinen Laptop auf dem kleinen Tisch, davor ein Stuhl.

    Außerdem eine Flasche Mineralwasser. Ich trank durstig, wollte sofort raus … aber die Tür war verschlossen. Zufall? Nein, sicher nicht. Der Schweiß brach mir aus. Obwohl ich wusste, dass es keinen Sinn hatte zu klopfen oder zu rufen, schrie ich und hämmerte gegen die Tür.

    Nichts. Totenstille. Der kühle Strom der Belüftung trocknete mir den Schweiß.

    Ruhig.

    Ganz ruhig.

    Ich klappe den Laptop auf und schon nach einer Sekunde startet ein Video.

    Ich sehe Arno. Sein Gesicht ist unbewegt, sein Blick von einer Kälte, die mich frieren lässt.

    »Hallo«, sagt er und hält ein Foto in die Kamera. Eine Frau, blond, Jeansjacke, buntes Top … ich friere, Caroline.

    »Meine Nichte«, sagt Arno. »Du hast sie gekannt. Und ich weiß, dass du sie umgebracht hast, damals am Fluss. Ich habe mir die Ermittlungsakten angesehen, in meiner Position ist das nicht schwer, wenn man die richtigen Leute kennt. Und ich kenne sie.

    Der leitende Ermittler hat hinter deinem Namen viele Fragezeichen gemacht. Grund genug, mich näher mit dir zu befassen. Und je länger ich das tat, desto klarer wurde mir, dass du Caroline umgebracht hast. Und ich dich dafür bestrafen würde.«

    Arno macht eine Pause, trinkt einen Schluck aus einem Glas, das ihm jemand reicht. Ein Handgelenk mit Glitzerarmbändern taucht kurz im Bild auf. Verschwindet.

    »Die letzte Sicherheit gab mir das Mädel aus dem Club. Sie war nicht zufällig da. Ich habe mit den Sicherheitsleuten an der Videoüberwachung gesessen, als du sie dir in dem Spezialraum vorgenommen hast. Als du die Beherrschung verloren hast. Als du ihr ins Ohr gebissen hast und deine Hände um ihren Hals lagen, genau wie bei Caroline.«

    Wieder eine Pause.

    »Deshalb ergeht jetzt das Urteil. Ich verurteile dich zu lebenslänglich. Hier, in diesem Gefängnis, das du dir selbst gebaut hast. Eine interessantes Konzept nicht wahr? Lebenslänglich Einzelhaft. Und ich kümmere mich um dich; solange ich am Leben bin, bleibst du am Leben. Für den Fall, dass mir etwas passiert, habe ich keine Vorsorge getroffen. Ich finde, diese Ungewissheit gibt der Sache einen ganz besonderen Reiz. Du kannst nie sicher sein, ob die nächste Versorgungslieferung auch wirklich kommt …«

    Arno spricht weiter, aber ich bekomme es nicht mehr mit. Das Blut rauscht in meinen Ohren. Ich spüre einen Druck auf der Brust, der mir den Atem nimmt. Ich schnappe nach Luft, spüre das Herz rasen, will raus – und stoße nur auf meterdicken Beton. Auf mein Gefängnis …

    Drei Wochen ist das jetzt her, seit drei Wochen bin ich sein Gefangener. Drei Wochen, in denen ich zusammengebrochen bin, mit Panikattacken, Herzschmerzen, Atemnot. Um Hilfe geschrien, gebettelt habe, weil ich sicher bin, dass er mich mit Kameras überwacht, die er hinter meinem Rücken eingebaut hat.

    Alle zwei Tage liefert er Essen in der Schleuse. Billiges Zeug, Fast Food, in Papiertüten. Ich vegetiere nur noch. Das Toilettenpapier ist alle und ich benutze die Papiertüten. Er muss die Dusche geregelt haben, es gibt nur alle vier Tage für ein paar Minuten kaltes Wasser. Gestern habe ich den letzten Rest aus der Zahncremetube

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1