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Grenzland: Narrenschiff: Logbucheinträge
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eBook266 Seiten3 Stunden

Grenzland: Narrenschiff: Logbucheinträge

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Über dieses E-Book

Die Früchte meines Denkens sind vier Jahre an der Wirkung der "Zonengrenze" gereift. Ihr unberührbarer Charme und die tiefe, verzweifelnde Einsamkeit, die sie oft gleichzeitig zu erzeugen vermag, wenn man dort Jahre seines Lebens verbringt, sind das Substrat für diese frisch andere und frech respektvolle Auseinandersetzung mit unserer Welt.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum20. Sept. 2016
ISBN9783741262494
Grenzland: Narrenschiff: Logbucheinträge
Autor

Robert Atzmüller

Geboren bin ich 1961 als siebtes Kind einer zwölf-köpfigen Familie, in einem Wachturm des Schlosses Hirschberg. Nach einer umfassenden humanistischen Ausbildung im Gymnasium St. Josef in Fockenfeld mit den leistungsfächern Altgriechisch und Katholische Religionslehre beschloss ich mich intensiver mit dem zu befassen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Also folgte das Studium der Physik an der modernen Universität in Regensburg und an der altehrwürdigen Julius-Maximilians Universität in Würzburg. Meine Diplomarbeit befasst sich mit flachen Akzeptoren in GaAs, meine Dissertation mit quantenmechanischen Phänomenen am Rande der Brillouin Zone von HgTe/HgCdTe- Heterostrukturen.

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    Buchvorschau

    Grenzland - Robert Atzmüller

    .

    1. Selbstmord: Zahlen und Fakten

    In Deutschland sterben jährlich im Straßenverkehr weniger als 5000 Menschen. Das ist gut so und sicherlich ein Erfolg vieler Bemühungen um Sicherheit. Demgegenüber sterben aber etwa 10 000 Menschen an Selbstmord, davon 7500 Männer und 2500 Frauen. Das bedeutet „alle 4 Minuten gibt es in Deutschland einen Selbstmordversuch; alle 45 Minuten nimmt sich in Deutschland ein Mensch das Leben." – nach vorangegangenen unvorstellbaren Qualen der Verlassenheit und Existenzangst (Quelle: http://www.theologische-links.de/downloads/tabellen/selbstmorde_deutschland.h tml)

    Weiter erzählen uns die nüchternen Zahlen: Von diesen 10000 Menschen sterben durch Erhängen etwa 4700 Menschen, durch Sturz in die Tiefe etwa 1000 Menschen und durch Arzneimittel etwa 800 Menschen. Selbstmord durch ‚Überfahren lassen‘ trifft auf 600 Menschen zu. Alle anderen Arten sind wesentlich geringer beteiligt.

    Mein Nachbar erhängte sich hinter seiner Garage, als seine Familie, er hatte eine Frau und zwei Kindern im mittleren Alter, im Gottesdienst war. Er war arbeitslos und damit war er allein in Deutschland – allein mit vielen Millionen Menschen gleichen Schicksals. Für die Einen, die ihn nicht kannten, galt er als Drückeberger, für die Anderen als zu lang schon vom Beruf weg, für seine engsten Menschen vielleicht als immer stärker depressiv wirkend und für sich selbst irgendwann als untragbar. Ohne Würde kann man nicht mehr weiter leben! (Quelle: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/585/umfrage/ selbstmordmethoden-in-deutschland-2006/).

    Wir haben uns in unserer Gesellschaft daran gewöhnt auch das größte Leid mit nüchterner Zahlenakrobatik zu verwalten. So kann man also im Intranet weiterlesen: Auf die geringste Suizidrate in Europa treffen wir in Griechenland. Während in Deutschland die Rate für 10000 Menschen zwischen 10 und 20 Selbstmordtote liegt und stark von Alter und Geschlecht abhängt, waren es laut Wikipedia in Griechenland im Jahre 2008 ‚nur‘ 2,8 von 10000, davon 4,8 Männer und 1,0 Frauen und wenig abhängig vom Alter. Insgesamt misst man in Europa die geringsten Raten in den südlichen Ländern Portugal, Italien und eben Griechenland.

    Wir sprechen hier über Selbsttötungen! Was hier wie die Lottozahlen rüberkommt ist jeweils und immer Schicksal. Da steht ein Mensch an einem für ihn unüberwindbaren Abgrund seines Lebens. Es ist nie Ziel eines Lebens und seines Handelns sondern immer Hinterhof. Eine scheinbar unüberwindliche Sackgasse. Hier stößt der Geist in seinem Letzten Starken Aufbäumen jenes Gefährt ab und schleudert es in den gewaltsamen Sog seiner Verwesung und Absurdität. Jede Heiligkeit in diesem Körper erblasst am Strick, liegt vergiftet am Totenlager oder zerfetzt auf Straßen und Schienen. Dieses schreckliche Ende ist immer der Anfang einer nie endenden Odyssee von Schuldgedanken bei den Hinterbliebenen. Solch ein schreckliches Ende markiert schrecklich den schrecklichsten Anfang.

    Dieses unermessliche Leiden macht den Suizid so unaussprechlich und hebt ihn ab vom üblichen Tod, dem keiner entgehen wird. Dieser ist in seiner biologischen Funktion unausweichlich und ist sicherlich, pauschal betrachtet, ein Kunstgriff für Fortschritt und Innovation in der Natur: In Deutschland sterben jedes Jahr etwa 850000 Menschen. Die meisten davon, an die 40%, an Herz- und Kreislaufleiden, an Krebs immerhin noch 26%, am Atmungssytem 7%, am Verdauungssystem 5%.

    Welchen Anteil hat demgegenüber die Suizidrate? Sie wird zu den „Äußeren Umständen" gerechnet. An diesen sterben knapp 4% der Bundesdeutschen. In dieser Zahl sind die Suizide mit 1,2% am Häufigsten, gefolgt von 1,1% Stürzen und nur 0,5% Verkehrsunfällen!

    Was heißt dies nun für unsere Moral? Von den Sterbeumständen, für die wir als Gesellschaft eine ganz besondere Verantwortung tragen müssten, da sie als besonders vermeidbar und tragisch einzustufen sind, tragen die Selbstmorde mehr als doppelt so häufig bei als Stürze oder Verkehrsunfälle! Im Jahr 2011 starben 4009 Menschen im Straßenverkehr, während 10144 Menschen sich ihr Leben durch Freitod nahmen!

    Das betrifft auch die Jüngsten in unserer Gesellschaft. Nach dem Statistischen Bundesamt hatte sich 2008 mehr als jeder siebte gestorbene Jugendliche in Deutschland selbst das Leben genommen. Im Alter zwischen 15 und 19 Jahren töteten sich 210 Jungen und Mädchen und unter 15 Jahren waren es noch 17 Kinder! (Quelle: FT, 7.Dezember 2012).

    Bedenkt man, dass nur jeder 10te Versuch der Selbsttötung gelingt, müssen wir von 100000 Suizidversuchen ausgehen. Was muss sich ändern, damit wir menschlich werden? Wir stecken viel in die Sicherheit von Fahrzeugen und andern technischen Geräten, wir stecken viel in die Medizin, aber wir überlassen die Selbstmörder ihrem Schicksal und behandeln die Angehörigen mit Scheu und Makelbehaftet.

    Seit der Finanzkrise in Griechenland ist die Selbstmordrate im Land der einst geringsten Rate in Europa sprunghaft innerhalb von etwa drei Jahren um über 40% gestiegen. Wieviel Tote darf ein kapitalistischer Überfall kosten? Im Vergleich zu 2009 töten sich 2011 etwa 300 Menschen mehr.

    Das heißt konkret und nüchtern betrachtet:

    300 Menschen pro Jahr kostet die sogenannte „Griechenlandrettung" jährlich!

    (Zahlenquelle: http://www.n-tv.de/ticker/Deutlicher-Anstieg-der-Selbstmordrate-article7838846.html)

    2. Artensterben: Zahlen und Fakten

    „Neueste Erhebungen gehen davon aus, dass die derzeitige Aussterberate von 3 bis 130 Arten pro Tag um den Faktor 100 bis 1000 über dem natürlichen Wert liegt. Nach einer Studie des Stockholm Resilience Centre von 2009 ist der ermittelte Grenzwert für das verkraftbare Aussterben von Arten bereits um über 1.000 % überschritten und ist damit noch vor dem Klimawandel das größte ökologische Problem. (Quelle: Wikipedia „Artensterben)

    Wir schaffen es nicht das große Artensterben zu stoppen. Alle Abkommen scheitern am Willen der Konferenzteilnehmer. Das Ziel, das Artensterben bis 2010 zu stoppen, wurde weit verfehlt und ist wieder einmal in weite Ferne, bis ins Jahr 2020 vertagt worden. Wie lange wollen und können wir noch ungestraft zusehen, wie unwiederbringlich die Schätze, Geheimnisse und Innovationen der letzten 3,5 Milliarden Jahre biologischer Evolution leichtfertig in unserem Wirtschaftssystem vergeudet werden. Es kostet dieser modernen Wirtschaft keinen Cent etwas zu vernichten, allein der Schutz wird in Zahlen berechnet und die Ausgaben bejammert.

    Die gewichtigsten Ursachen seien der rasante Flächenverbrauch, die Waldvernichtung, die Art der Landnutzung, die Chemisierung derselben, die eingeschleppten invasiven Arten und vor allem auch der sich bereits andeutende Klimawandel.

    Schon die bislang anvisierten 2 Grad Erderwärmung bis Mitte dieses Jahrhunderts wären bei weitem für die meisten Ökosysteme schon zu krass. Viele Wissenschaftler sehen heute bereits die Vorboten des 6. Großen Massensterbens, vergleichbar dem vor 65 Millionen Jahren.

    Unser Wirtschaften hat unsere Ökosysteme an den Rand ihrer Belastbarkeit gedrängt. Der Genpool der einzelnen Arten ist stark eingeschränkt. Eine fortschreitende Verinselung fördert die Wahrscheinlichkeit des endgültigen Verschwindens.

    Der Klimawandel zerstört die eingespielten Interaktionen zwischen den Tieren und zwischen Tieren und Pflanzen. Damit finden die Tiere zeitlich nicht mehr zueinander oder es verschwinden spezielle Umweltbedingungen in Gänze, z.B. bestimmte Biotope auf Berggipfeln, in die nicht mehr weiter ausgewichen werden kann. Plötzliche, unvorhersehbare Situationen können in angeschlagenen Systemen schnell zu einem rasanten Artensterbens ungeahnten Ausmaßes führen. Dies hätte nicht nur fatale und langfristige Folgen für die Natur sondern gefährdete auch unmittelbar die Überlebenschancen der Menschheit als Ganzes. Wir stehen faktisch am Ende unseres gemütlichen menschlichen Entwicklungspfades. Was nun folgt ist nicht mehr heiter.

    Nach dem gigantischen Artenschwund wird es viele Millionen Jahre dauern bis sich die Ökosysteme wieder stabilisieren und die Wunden verheilt sein werden. Ob es allerdings noch Menschen darin geben wird, ist mehr als zweifelhaft.

    Nur ein radikales und sofortiges Umdenken, könnte uns vielleicht noch aus der gegenwärtigen Abwärtsspirale retten. Jedoch gibt es dafür auf den internationalen Konferenzen keine Anzeichen. Der globale Kapitalismus will sich nicht an die Kandare legen lassen. Uns treibt es mit aller Gewalt an das Ende unseres Pfades.

    3. Menschheit: Zahlen und Fakten

    Wir zählen auf dieser Welt derzeit (Juli 2012) über 7 Milliarden Menschen. Die durchschnittliche Dichte dabei ist über 47 Menschen auf einen Quadratkilometer. In Deutschland leben 233 Menschen auf einen Quadratkilometer.

    Indien ist mit 1,2 Milliarden Einwohnern bereits fast doppelt so dicht besiedelt als Deutschland.

    Bangladesch als weiteres Beispiel hat doppelt so viele Einwohner als Deutschland, also etwa 160 Millionen, und ist über 5 mal so dicht besiedelt! In vielen Ländern dieser Welt wird der Lebensraum auch für Menschen stetig enger. Zum Raum selbst wird die Versorgung mit den natürlichen Gütern, wie Wasser und Nahrung, ein immer schwierigeres Problem.

    Bei einer Bevölkerungszuwachsrate von durchschnittlich 1.1% sind wir jedes Jahr fast 80 Millionen Menschen mehr auf der Erde. Das entspricht in etwa der derzeitigen Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland.

    Der Weltausstoß von Kohlendioxid pro Jahr aus fossilen Quellen liegt bei knapp 32 Milliarden Tonnen. Das sind im Durchschnitt 4,65 Tonnen pro Erdenbewohner. Ein Deutscher verbraucht gut doppelt so viel, ein US-Amerikaner knapp das 4-fache, ein Chinese das 1,4 fache und ein Inder erst das 0,3-fache des derzeitigen menschlichen Durchschnitts. Würden nur die Inder so viel verbrauchen wollen wie ein durchschnittlicher Deutscher, also das fast 7-fache ihres jetzigen Standes, stiege der Weltausstoß um 9,6 Milliarden Tonnen, d.h. um das 1,7-fache des derzeitigen Gesamtausstoßes der USA oder um das 1,2-fache des aktuellen Ausstoßes Chinas! Alleine dieses kleine Rechenbeispiel verdeutlicht die extreme Situation, in die wir uns manövriert haben, wenn wir in Zukunft den Kohlendioxid-Ausstoß global in den Griff bekommen wollten.

    Die Ölproduktion pro Tag beläuft sich auf gut 86 Millionen Barrel [Jahr 2010]. Mit einer geschätzten Reserve von 1,468 Millionen* Millionen Barrel reichte das für knapp 50 weitere Jahre mit dem derzeitigen Verbrauch! (Quelle: http://world.bymap.org). Die Gasvorkommen dürften wohl in ähnlicher Weise zu beurteilen sein.

    Wollen wir, als Menschheit, das? Was würde mit unserem Klima passieren, wenn wir nur das verbrauchten, was wir also jetzt schon kennen? Sind Bohrungen nach weiteren Ölquellen noch sinnvoll, wenn wir uns mit den bekannten Quellen bereits an den Rand der Existenz der ganzen Menschheit manövrieren werden?

    „Der Weltenergiebedarf ist die Menge an Primärenergie, die weltweit im Jahr benötigt wird. Zurzeit liegt der Wert bei 505 Exajoule (EJ) oder 140.168 Mrd. kWh pro Jahr (2010). Der Weltbedarf an elektrischer Energie macht rund 17 % davon aus.

    In Deutschland wurden 2010 etwa 14 EJ (etwa 3.900 Mrd. kWh) Primärenergie benötigt. Davon entfielen etwa 580 Mrd. kWh auf elektrische Energie.

    Der Weltenergiebedarf steigt derzeit stark an…. bis 2060 [wird] in etwa eine weitere Verdoppelung auf 321.000 Mrd. kWh prognostiziert….Derzeit werden rund 85 % des globalen Energiebedarfs durch fossile Energieträger gedeckt….

    Durch die begrenzten fossilen Ressourcen kann der wachsende Energiebedarf nicht annähernd gedeckt werden. Weltweit werden deshalb Fördermaßnahmen aufgelegt, um neue Energien zu erschließen; dennoch können erneuerbare Energien selbst bei Fortsetzung der bisherigen Wachstumsraten nicht gleichzeitig die Abnahme fossiler Energieträger ersetzen und die weitere Steigerung der verfügbaren Energiemenge bewirken. Daher werden Szenarien wie oben genannt auch zunehmend kritisch gesehen…." (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Weltenergiebedarf). Ist es vorstellbar unsere bisherige Entwicklung fortzusetzen? Was müsste passieren und was würde passieren?

    Angesichts des Ölfördermaximums müsste man ein breit angelegtes Umdenken in den Industriegesellschaften vermuten. Es gibt Worst-case Szenarien, deren kritische Relevanz allerdings ergebnislos verhallt. Solange sich noch ein Rad dreht, scheinen wir als Gesellschaft nicht bereit uns auf neue Denkmuster einzulassen. Die Werbung preist uns weiterhin die energiefressenden Geländewagen an und wir streiten wie immer um jeden Cent Steuererhöhung an den Zapfsäulen. Die Autobahnen werden ausgebaut und um immer mehr Fluggäste geworben. Drastische Zunahmen von Autoverkäufen in China und Indien preisen wir als tollen Erfolg.

    Um diesem Wahn solange als möglich zu dienen sind wir zu immer größeren Opfern und zu immer weiteren Wahnsinnstaten bereit. Hierfür ist uns kein Nationalpark zu heilig, keine Vernichtung von Primärwäldern zu kostbar. Flächen in der Größe von England werden in Kanada umgebaggert zur Ausbeutung der Ölschlämmen und damit auch verseucht, riesige Wälder in Amazonien überflutet usw. usw. Diese Schäden an den Ökosystemen werden unsere Nachkommen in Menschengedenken nicht wieder gut machen können.

    (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Globales_%C3%96lf%C3%B6rdermaximum).

    4. Armut und Reichtum: Zahlen und Fakten

    „Während im Jahr 2003 die „unteren 50% aller Haushalte [Deutschland] zusammen 3,8% des Gesamtvermögens besaßen, verfügten die „oberen 10% der Haushalte über 46,8% des privaten Vermögens in Deutschland. 1998 lag dieses Verhältnis noch bei 3,9% zu 44,4%"

    (Quelle: Wikipedia Reichtum).

    5. Die Geschichte von 08/15 oder Heute wird ein schöner Tag

    Wieder einmal kam ich total abgearbeitet von der Arbeit heim. Gedankenversunken hing ich noch meinem Kollegen nach, der sich heute verabschiedet hatte. Es war ein Lächeln in seinem Gesicht gestanden, aber es war keine ausgelassene Freude darin zu lesen. Hatte er es jetzt nicht geschafft? War er nun nicht endlich frei, frei das zu tun, was er eigentlich schon immer tun wollte: reisen, ausschlafen, Freunde besuchen, Kaffee gemütlich auf seiner Terrasse zu trinken?

    Aber jetzt schiene ihm plötzlich alles anders, sagte er zu mir. Schlafen sei nur dann schön, wenn man aufstehen muss und überhaupt könne er sowieso nicht mehr so gut schlafen. Die Glieder schmerzten auch im Bett. „Wegen dieser Altersbeschwerden, sagte ich noch, „wird dir das Reisen auch nicht leicht fallen. Aber nach Süden ging’s doch, dort kann man die alten Glieder in der Sonne aufwärmen. „Weißt du, sagte er, „Zuhause, am Ofen, dort ist der schönste Platz der Welt. Hier kennt man mich und hier kommen auch Menschen vorbei, die mich kennen und obwohl und gerade weil sie mich kennen.

    „Dann aber, entgegnete ich, „kannst du in aller Ruhe Kaffee trinken und aus dem Fenster schauen. „Ja, um was zu sehen? „Die Menschen auf den Straßen und Gassen. Die Leute, die zur Arbeit hetzen, die Schulkinder, die in die Schule gehen müssen. Dann wär ich am liebsten dabei, stell mir vor, wie der Schulranzen drückte, wie der Weg aussah. Ich sehe mich noch über die Bordsteine hüpfen und in die Wasserpfützen springen. Aber jetzt bin ich reif, mein Körper ist zu alt für solche Scherze, meine Freunde werden täglich weniger. Nun kenn ich wohl schon bald mehr auf dem Friedhof als sonst wo. Nein, mein Freund, das Alter, von dem man träumt, das gibt es so nicht. Es ist wie der blauschimmernde Wald in der Ferne. Wenn du näher kommst, erhält er Konturen und die Farben werden mächtiger, ebenso wie die Bäume darin. Keinen kannst du mehr erklimmen und dein Weg führt weiter in das Dämmerlicht.

    Langes Schweigen.

    „Ja, findest du kein gutes Haar an deiner Lage? „Doch. Ich habe im Leben viele gute Erinnerungen gesammelt: meine Kinder, die bunten Blumenwiesen meiner Jugend, die ersten Liebschaften, meine Frau. Manche davon habe ich nicht vergessen. Von denen werde ich zehren. Sie werden in meinen Gedanken wachsen und mehr werden. Sie werden aufblühen zur Guten Alten Zeit. Sie werden sich verändern, durch ihr Wiedererleben und diese Änderung wird wieder meine neue Wahrheit werden, die ich einsam für mich durch die Welt trage, die aber mit all den Gestalten in meinem Herzen wohnen werden. Dort wird Festmahl sein und ich Gastgeber.

    Mit einem Lächeln in seinem Gesicht hörte er zu reden auf, umschloss meine Hand mit den seinen, drückte sie noch einmal ganz fest, schaute mir kurz in den Augen, mit einem Lebewohl in seinem Blick, ließ meine Hand wieder sanft entgleiten und wandte sich den anderen Abschiedsgästen zu.

    Vielleicht war es ja das Letzte Mal, dass ich ihn sah, sinnierte ich noch gedankenversunken, ihm nachschauend. Wie viele Menschen kenne ich, die nicht mehr sind und viele sind nicht mehr, von denen ich das gar nicht weiß. Wie viele Menschen gab es auf diesem Planeten, die lebten in Zeiten, lang vor mir. Wie viele existieren jetzt, die leben, lieben, lachen, weinen, essen und hungern, von denen ich nichts weiß, die mich bislang nicht interessierten? Wie viele Chancen vergeben wir täglich, stündlich, in jedem Moment, sich zu erkennen, durch ein Gespräch, eine bewusste Begegnung mit anderen? Musste nicht erst mein Kollege mir meine Augen öffnen, über einen wichtigen Teil des Wesens des Lebens, auch meines Lebens? Ich trank mein Glas aus und betrachtete noch lange die gemütliche Runde. Jetzt fiel mir auf, wie laut es war durch das Stimmengemurmel und heftiges Lachen und reges Diskutieren. Das Zimmer war übervoll von all den Gesten, Grimassen, Deuten und Umherlaufen. Ein Essensschnitzchen, ein Gläschen, ein Schlendern, Stehen und Plaudern. Das Licht fiel matt durch die großen Fensterscheiben. Draußen kündigte sich schon der Frühling an. Obwohl die Blätter noch fehlten und ich noch im trüben Licht einzelne Schneereste in verstohlenen Ecken erkennen konnte. Am Ende des Winters bleiben von dem vielen reinen, weißen Schnee nur mehr unansehnliche Dreckhaufen übrig. Die dreistesten hat die Sonne schon lange mitgenommen, andere standen einfach im Weg und wurden entfernt, ordnungsgemäß oder nicht, wieder andere fanden gedankenlos unter Salz ihr Ende. Es kommt mir jetzt ein bisschen wie eine Metapher auf das Menschleben vor. Erst ein Neuschnee kann die alten Haufen wieder attraktiver machen und gibt ihnen für einen kurzen Moment das Kleid ihrer Jugend zurück. Aber ein Viertel Jahr später wird von alle dem nichts mehr übrig sein und die Welt wird sich in einem ganz neuen, unendlich oft erprobten Lebenszustand zeigen. Meine Augen und Gedanken sammeln sich wieder im Raum. Hier sind wohl die Jüngsten knapp über 20 Jahre. Wenn ich in 100 Jahren wieder hier stünde, wären alle diese Gäste schon gestorben und begraben. Von vielen gäbe es wahrscheinlich nicht einmal mehr Grabsteine, während andere unter verwitterten Grabsteinen in feuchter Erde oder kalten Gruften ihre Gebeine ruhen lassen müssten. Was am Ende vom menschlichen Bemühen bleibt ist Ruhe, lange und stille Ruhe.

    Ein weiterer Versuch folgt von mir, mich wieder auf die Verabschiedung meines Kollegen zu konzentrieren. Mir kommt ein „bin ich froh, dass ich nicht schon in die Rente muss" als kleiner Seufzer über die Lippen. So etwas Ungehörtes und Unerhörtes kann nicht verborgen bleiben. Ein Bekannter schaut mich verstört an. Ich nehme meinen Gesprächsfaden auf. „Weißt du, wenn jetzt ein kleines Zaubermännchen zu mir käme und fragte: willst du gleich in die Rente und dort noch 8 Jahre verbringen oder lieber noch 7 Jahre arbeiten und dann deine 8 Jahre Rente bekommen?

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