Ich bin auch treu, nur nicht so regelmäßig!
Von Klaus Ansorg
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Über dieses E-Book
Klaus Ansorg
Klaus Ansorg, geboren 1955, studierte Neuere Geschichte, Politikwissenschaft und Pädagogik. Nach Studienabschluss und unterschiedlichen Beschäftigungen absolvierte er eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann und war als Vertriebsassistent und Verkaufssachbearbeiter tätig. Danach ließ er sich zum Altenpfleger ausbilden und war für viele Jahre in der ambulanten Krankenpflege aktiv. 1984 veröffentlicht er die wissenschaftliche Studie "Johann Plenges Sozialismusvorstellungen", 1986 den kleinen Prosaband "Lasst die Jossa leben!" und 1996 die Studie "Licht, Empfängnis und Tradition. Ein Beitrag zum Religionsverständnis". Er lebt als engagierter Veganer, verheiratet mit Anja, in Darmstadt.
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Buchvorschau
Ich bin auch treu, nur nicht so regelmäßig! - Klaus Ansorg
Klaus Ansorg, geboren 1955, studierte Neuere Geschichte, Politikwissenschaft und Pädagogik. Nach Studienabschluss und unterschiedlichen Beschäftigungen absolvierte er eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann und war als Vertriebsassistent und Verkaufssachbearbeiter tätig. Danach ließ er sich zum Altenpfleger ausbilden und war für viele Jahre in der ambulanten Krankenpflege aktiv. 1984 veröffentlichte er die wissenschaftliche Studie „Johann Plenges Sozialismusvorstellungen, 1986 den kleinen Prosaband „Lasst die Jossa leben!
und 1996 die Studie „Licht, Empfängnis und Tradition. Ein Beitrag zum Religionsverständnis". Er lebt als engagierter Veganer, verheiratet mit Anja, in Darmstadt.
Inhaltsverzeichnis
Es muss ja nicht jeder alles wissen!
Mario und die Menschlichkeit
Lebenswandel
Das Haus auf dem Paulusberg
Befreiung am Melibokus
Es muss ja nicht jeder alles wissen!
1.
Nahezu täglich stritten sie miteinander über alles nur Erdenkliche und mit jedem bösen Wort verloren sie mehr und mehr an Achtung voreinander. Wen hätte es bei einem Blick auf ihr Ehebett da noch gewundert, dass sie offensichtlich schon länger nicht mehr kuschelig miteinander, sondern nur noch, durch unterschiedliche Zudecken voneinander getrennt, in deutlichem Abstand nebeneinander her schliefen!
In diesem Bett nun kreisten seine Gedanken und Gefühle um junge, attraktive Frauen im Alter zwischen fünfzehn und zwanzig Jahren, die im Frühjahr und Sommer in den Einkaufsstraßen der belebten Altstadt ihre Wirkung auf Männer testeten und ihm, wenn er selbst in der Altstadt unterwegs war (und er war es oft unter dem Vorwand, dies oder das noch besorgen zu müssen), regelrecht den Kopf verdrehten. Selbst knapp 50 Jahre alt, war sein Benehmen dabei alles andere als schmierig oder schleimig, im Gegenteil: Attraktiv und mit reichlich Charme ausgestattet, zeigte er echten Stil – und „das gewisse Etwas". Sein unwillkürlich unter die Haut gehendes, sympathisches Lächeln trieb dabei des Öfteren eine auffällige Schamröte in die Gesichter der wechselnden, jungen und hübschen Verkäuferinnen an den Kassen der Gemischtwaren-, Tabak-, Feinkost- und Kolonialwarenläden der Stadt. Der Mann kam nicht, weil daheim ein Pfund Kaffee fehlte, nein, er kam wegen etwas anderem!
Unter all diesen Umständen kam ihm der Tod seiner Ehefrau - sie erlag einem Krebsleiden - durchaus nicht ungelegen, zumal er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in eine fast Achtzehnjährige aus der freikirchlichen, christlichen Gemeinschaft, in die er erst wenige Monate zuvor unter dem Protest seiner Frau eingetreten war, verguckt hatte. Sie kam vom Lande und versprach sich - wie auch er - mit dieser Gemeinschaft eine bessere Zukunft für das eigene Leben.
Die Eltern der jungen Frau konnten zwar die Begeisterung ihres Sprösslings für diese christliche Freikirche nicht ganz nachvollziehen, tolerierten aber die Entscheidung ihrer Tochter, sich zu dieser Gemeinschaft zu bekehren.
Und so trafen sie sich: Er, der knapp Fünfzigjährige und sie, die fast Achtzehnjährige, regelmäßig samstags zum wöchentlichen Gottesdienst in dem engen Gemeinschaftsraum dieser gerademal zwei Dutzend Mitglieder zählenden Glaubensgemeinschaft. Ein Highlight für beide, die sich, obwohl sie es mit ihren geistlichen Glaubensüberzeugungen wirklich ernst meinten, hier doch stets sehr weltlich-leidenschaftlich auf den jeweils anderen freuten. Sie arrangierten es, dass sie nebeneinander im Gottesdienst sitzen konnten und je mehr dieser Gottesdienst sich seinem Ende neigte, desto heißer entbrannte in ihnen das gegenseitige Begehren. Für Fritz war es schließlich nur noch die Sehnsucht nach dieser für ihn greifbaren, neuen Frau, was ihn dazu antrieb, in die Gemeinde zu gehen, und mehr als einmal ging ihm während des Gottesdienstes dabei regelrecht das Messer in der Tasche auf!
Die anderen Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft bemerkten das alles nicht, wie sollten sie auch! Eine gute Figur machen und nach dem Anderen schauen, ihn grüßen, ein Schwätzchen halten - alles war üblich und normal, ja sogar erwünscht!
Anders als bei seinen christlichen Glaubensgeschwistern sah es bei Fritz‘ ehemaligen Stammtisch- und Schützenvereinsbrüdern aus. Hier machte man sich recht lustig über die Allüren des alten Bocks und dessen neu zur Schau gestellten Religiosität mit angeblich strenger Abstinenz von Alkohol und Schweinefleisch. Das alles kam bei ihnen in Anbetracht des hübschen Mädels (der Unschuld vom Lande, für die Fritz so schwärmte) wenig überzeugend rüber. Hatte er denn nicht wie oft mit ihnen bis spät in die Nacht hinein getrunken und gefeiert und war er dabei nicht mit seinen frivolen Sprüchen immer bei denen gewesen, die am tiefsten ins Glas geschaut hatten und als Letzte nachhause gegangen waren? Und dieser Mann sollte gerade jetzt ein ganz anderer geworden sein?
Fritz blieb schließlich, nach einigen von ihm in den Wirtshäusern vergeblich unternommenen Missionierungsversuchen, den wöchentlichen Treffen seiner alten Stammtisch- und Schützenvereinsbrüder fern. Ihr Hohn und Spott waren für ihn unerträglich geworden. Aus Angst davor, dass ihm dieser Hohn und Spott auch aus den Reihen seiner ehemaligen Dienstkollegen aus der Reichswehr entgegen schlagen könnte - er war gerade vor ein paar Monaten mit einer guten Abfindung aus der Armee, die sich um eine Truppenreduzierung bemühen musste, freiwillig ausgeschieden - verhielt er sich auch ihnen gegenüber fortan kühl und abweisend. „Der Alte ist durchgeknallt, das junge Ding hat ihm den Kopf verdreht. In dieser Sekte muss es ja ganz schön irre zugehen! Na, wenn er glücklich damit ist - jedem Tierchen sein Pläsierchen!" kommentierten sie lachend sein so plötzlich verändertes Auftreten.
Seine schmale Pension und die Abfindung waren - man schrieb die Jahreswende von 1923 auf 1924 - wegen der Inflation kaum etwas wert. Und so registrierte er es mit Genugtuung und Freude, als die hübsche Achtzehnjährige aus seiner christlichen Gemeinde, die von einem Bauernhof ganz in der Nähe der Stadt kam, auf ihn zuging und Hilfe im Haushalt anbot. Außerdem könne sie ihm ja auch Butter und Brot mitbringen, was er sich in diesen Inflationszeiten in der Stadt ja nur schwer besorgen konnte.
Beide vereinbarten, sich zu gemeinsamen Gebetszeiten bei ihm zu Hause zu treffen, und zwar sonntags; denn sonntags war es für sie kein Problem, den ganzen Tag in der Stadt zu bleiben. An den anderen Tagen wurde sie auf dem elterlichen Bauernhof dringend gebraucht und samstags war ja der Gottesdienst in ihrer Gemeinde angesagt, nach dem man besser wieder getrennte Wege ging.
So trafen sich beide also regelmäßig wöchentlich sonntags bei ihm zur Gebetsstunde - einer Stunde, die diese Bezeichnung jedoch sehr schnell nicht mehr verdiente; denn schon beim zweiten Treffen ging Fritz, nach ein paar rituell herunter gestammelten Gebetsworten, zu ihr auf Tuchfühlung und streichelte, griff und packte sie dort, wo sie sich am stärksten als Frau fühlte.
Fritz‘ Tochter aus der Ehe seiner erst kürzlich verstorbenen Frau, selbst schon fast siebenundzwanzig Jahre alt, ahnte davon nichts. Sie interessierte sich wenig oder gar nicht für ihres Vaters Leidenschaften - dem Schützenverein damals und dieser neuen, christlichen Glaubensgemeinschaft heute. Und überhaupt lebte sie ja schon seit fast acht Jahren bei einer ihrer Tanten; denn von den vielen Streitereien zwischen ihren Eltern hatte sie schon recht früh die Nase gestrichen voll gehabt und sich dann wie ein kleines Kind gefreut, bei eben dieser Tante - ihrer Lieblingstante, die in einer thüringischen Kleinstadt (an dem Ort, wo schon der junge Johann Sebastian Bach sein Notenpapier gekauft hatte) einen Schreibwarenladen betrieb - leben und eine Ausbildung als Verkäuferin beginnen zu können. Diese Tante, eine jüngere Schwester ihres Vaters, war selbst sehr froh über dieses Arrangement; denn sie war Kriegerwitwe und hatte noch einen kleinen Sohn zu versorgen, der sich zudem später mehr für Bücher, Sport und Studium interessierte als für das Schreibwarengeschäft.
Das Liebesspiel des Fritz Schäfer mit Luise, der jungen Unschuld vom Lande, wurde von Woche zu Woche intensiver. Sie kam, wie immer, sonntagvormittags, putzte und kochte und aß mit Fritz zu Mittag. Ihre „Gebetstunde" hatten sie längst ins Schlafzimmer verlegt, wo er ihr in Missionarsstellung schon bald eindringlich spüren ließ, wo der Hammer hängt und wofür er gut ist. Luise kam dazu schnell in Fahrt und begann regelmäßig wellenartig auf Wolke sieben zu schweben. Beide erlebten damit unvergessliche Höhepunkte.
Wenn sie am späten Nachmittag wieder nachhause aufbrechen musste, holte sie unterwegs auf dem Fahrrad dieses Wolke-sieben-Schwebegefühl stets aufs Neue wieder ein. Ja, sie war wirklich glücklich! Nicht zuletzt deshalb erhoben ihre Eltern keine Einwände gegen die sonntäglichen Aktivitäten ihrer zweitjüngsten Tochter.
Der lebenserfahrene Fritz setzte dabei alles auf eine Karte: Jetzt oder nie sollte ihm der Neuanfang gelingen! Und neuer Nachwuchs war ihm dabei durchaus recht, wünschte er sich in seinem Leben doch fast nichts sehnlicher, als einen Sohn als Nachkommen präsentieren zu können. Und: Ist der Ruf erst mal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert! Dieser Satz ging ihm wie oft durch den Kopf, wenn er das hämische Grinsen seiner Nachbarschaft zu Gesicht bekam, die natürlich schon sehr früh wusste, was hinter seiner Wohnungstür sonntags gespielt wurde.
Nach zwei Monaten war Luise schwanger und sie beschlossen zu heiraten. Am Hochzeitstag selbst war sie schon im sechsten Monat und hielt sich den Brautstrauß vor den Bauch, damit es auf dem Foto auch keiner sehen möge. Ihre Mutter war empört und weigerte sich, an der Hochzeitsfeier teilzunehmen. Luises Vater aber, ein Jahr jünger als ihr frisch gebackener Göttergatte, zuckte nur mit den Schultern und hoffte, dass seine Tochter trotz alledem wenigstens eine halbwegs gute Partie gemacht hatte; denn Fritz strahlte, so natürlich wie selbstverständlich, weiterhin jene gute Bürgerlichkeit, formale Disziplin und Seriosität aus, die jedem erfolgreichen, ehemaligen Beamten in damaliger Zeit anhaftete. Mehr Gedanken darüber wollte er sich nicht machen. Immerhin war der frisch gebackene Schwiegersohn in seiner Gesinnung eindeutig kaiserdeutschnational ausgerichtet, und damit erklärtermaßen kein Anhänger der Nationalsozialisten um Adolf Hitler, von denen er sich ausdrücklich distanzierte; aber er war damit auch kein Sozialdemokrat oder gar Kommunist. So war sich der neue Schwiegervater sicher, dass Fritz ihn nicht mit irgendeiner allzu komplizierten, ungemütlichen Weltanschauung belästigen würde. Das reichte ihm; denn er wollte auf seinem beschaulichen Bauernhof weiterhin einfach nur seine Ruhe haben.
2.
Es kamen noch vier weitere Kinder auf die Welt und alle sollten sie von den Eltern nach den Grundsätzen ihrer kleinen, freikirchlich-christlichen Gemeinschaft erzogen werden. Fritz und Luise erfüllten diese Aufgabe mit Disziplin und Strenge. Sich dabei ihren Anordnungen, insbesondere denen des Vaters, zu widersetzen war für die Kinder dabei ziemlich zwecklos; denn trotz der unter ihnen gelegentlich aufkeimenden Proteste, blieben die Eltern meist unerbittlich hart und für Einwände, welcher Art auch immer, unzugänglich. Ein „Für und Wider gab es nicht und jeder auch noch so kleine Ansatz von irgendeiner Diskussion wurde sofort im Keim erstickt. „Wo kämen wir denn hin, wenn immer über alles diskutiert wird?
brüllte der Vater in solchen Situationen jeden Widerstand gegenüber seinen Anordnungen nieder.
Unter diesen Rahmenbedingungen legten Fritz und Luise fest, wann jedes Kind welches Musikinstrument zu erlernen hatte. Dazu stellte Fritz für jeden einzelnen seiner Sprösslinge einen Übungsplan auf, dessen Einhaltung er mit äußerster Strenge überwachte. Ob die Kinder nun musikalisch begabt waren oder nicht, ob sie gegenüber einem bestimmten Musikinstrument Zuneigung oder Abneigung empfanden: Alle hatten sie das zu lernen, was Fritz und Luise vorgaben.
Da musste der älteste Sohn Geige spielen lernen, obwohl das überhaupt nicht sein Ding war. Unter Tränen schluchzend hatte er, wer weiß wie oft, immer wieder von neuem die gleiche Etüde zu spielen, wenn unter den strengen Augen und Ohren des Vaters