Meine Lebenserinnerungen
Von Hugo Heermann und Günther Emig
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Buchvorschau
Meine Lebenserinnerungen - Hugo Heermann
Hugo Heermann
Meine Lebenserinnerungen
Mit einem Nachwort
herausgegeben von Günther Emig
Impressum
ISBN 978-3-921249-86-4
© 2014 by Günther Emig (gemig[at]gmx.net)
Alle Rechte vorbehalten!
Inhaltsverzeichnis
Heilbronn
Brüssel
Paris und Baden-Baden
Frankfurt
Weite Welt – Lebensabend
Zur Neuausgabe
Heilbronn
Am 3. März 1844 erblickte ich in Heilbronn das Licht der Welt. Ob der strahlende Idealismus des wegen seiner selbstlosen Hingebung berühmten Käthchens von Heilbronn in der dortigen Frauenwelt noch nachwirkte und zu schönem, edlem Tun anfeuerte, vermag ich nicht zu entscheiden.
Jedenfalls scheint meine Mutter, die aus dem alten Geschlecht der Rümelin stammte, von der unwiderstehlichen Neigung beherrscht gewesen zu sein, in Tönen auszudrücken, was ihr Innerstes bewegte. Für Gesang und Harfenspiel besonders begabt, würde sie sich am liebsten ganz der Musik gewidmet haben; daran hinderte sie aber ihre frühzeitige Verheiratung mit dem Heilbronner Kaufmann Ferdinand Heermann. Obgleich der Verzicht auf die Künstlerlaufbahn ihr nicht leicht gefallen sein mag, fand sie in der Aufgabe als Gattin und Mutter in einem behaglichen Heim ein reiches Feld der Betätigung. Um sie baute sich ein äußerst glückliches Familienleben auf.
Ihre ganze Hoffnung setzte sie aber auf die musikalische Begabung ihrer Kinder, denn ihre Musikfreudigkeit war auf sie übergegangen. Meine um zwei Jahre jüngere Schwester Helene und ich zeigten früh Neigung, ein Instrument zu erlernen. Sie wählte die Harfe, ich die Geige; als die mit dem Unterricht betrauten Lehrer nach kurzer Zeit ausgesprochene Anlagen feststellten, konnte es die Mutter kaum erwarten, uns in der Öffentlichkeit wirken zu sehen. Sie mußte ihre Ungeduld aber noch etwas zügeln. Erst nach zweijährigem, gewissenhaftem Studium war unser Können so weit gediehen, daß wir den bedeutenden Schritt wagen durften. Ein Konzert in Wildbad sollte uns dazu die erwünschte Gelegenheit geben.
Glückstrahlend betraten wir das Podium. Alles ging vortrefflich – der rauschende Beifall des Publikums und die warmen anerkennenden Besprechungen in der Presse bewiesen, daß wir uns einen vollen Erfolg erspielt hatten. So war es kein Wunder, daß von Baden-Baden alsbald die Aufforderung kam, uns auch dort hören zu lassen, was wir freudig annahmen. Der einstige sehnliche Wunsch der Mutter, selbst die Künstlerlaufbahn zu beschreiten, schien sich nun zu ihrer großen Freude in den Kindern erfüllen zu wollen.
Ohne Zweifel stand unser erstes Auftreten unter einem glücklichen Stern. Unter den Zuhörern befand sich Rossini – der berühmte Maestro weilte damals gerade in Wildbad zur Kur und besuchte unser Konzert. Dieses Vorkommnis sollte für mich ganz besondere Bedeutung gewinnen. Heute nach langen Jahren staune ich noch über meine damalige Unverfrorenheit, die man dem Elfjährigen wohl verzeihen kann. Ich spielte zusammen mit der gleichaltrigen Pianistin Marie Trautmann (späteren Frau Jaell) dem großen Meister ein Duo für Geige und Klavier von de Bériot und Osborne über Motive aus seiner Oper »Wilhelm Tell« ganz unbefangen vor. Rossini folgte mit sichtlicher Anteilnahme unsern Darbietungen und belohnte uns nicht nur mit anfeuerndem Beifall, sondern eilte nach dem Konzert zu meinem Vater ins Künstlerzimmer mit den Worten »Il a de l’âme – il a de l’âme!« Dringend riet er, mich ausbilden zu lassen, und versprach mir eine Empfehlung an seinen Freund Fétis, den damaligen Direktor des Brüsseler Konservatoriums. Diese wertvolle Einführung wurde natürlich mit Dank angenommen und verschaffte mir drei Jahre hindurch unentgeltlichen Unterricht in der Geigenklasse Meerts, die uns von Vieuxtemps als die beste gerühmt wurde.
Die Empfehlung überbrachte uns Rossini selbst anläßlich eines Heilbronner Aufenthaltes auf der Durchreise nach Bad Kissingen, wobei er sich eines in Heilbronn nicht wenig angestaunten eigenen Reisewagens bediente – aus Widerwillen gegen Eisenbahnfahren. Als die Eltern sich über diese Abneigung wunderten, wandte er sich als galanter Italiener zu meiner Mutter mit den Worten: »Meine Abneigung gegen Eisenbahnfahrten würde ich nur bezwingen, wenn ich der Freude teilhaftig werden könnte, sie in Ihrer Gesellschaft zu unternehmen.« Als man ihn zu der großen Annehmlichkeit eines so wohl ausgestatteten Reisewagens beglückwünschte, erklärte er ganz aufrichtig, daß er sich solchen Luxus nur durch das Zutun seines Freundes Baron James von Rothschild in Paris gestatten könne, der ihn vielfach an gewinnbringenden Geldgeschäften beteilige. Rossinis Einnahmen aus seinen Tantiemen reichten bei weitem nicht aus, um sich solche Sonderausgaben zu erlauben. Möglicherweise würde er ohne Baron Rothschilds freundliche Hilfe mehr komponiert haben, setzte er lächelnd hinzu. Übrigens sei die Laufbahn der Opernkomponisten zuweilen mit Lebensgefahr verbunden, meinte er unter Hinweis auf die steife Haltung seines Kopfes, die jedem auffiel. Nach der erfolgreichen Premiere seiner Oper »Der Barbier von Sevilla« in Rom sei er am Ausgang des Theaters von einem eifersüchtigen Kollegen angehalten und gewürgt worden. Dieses Attentat habe ihm dauernden Schaden zugefügt, es sei ihm von diesem kritischen Augenblick an nie mehr möglich gewesen, den Kopf frei zu wenden.
Eine heitere Episode aus Rossinis Leben, die mir später von Augenzeugen übermittelt wurde, möchte ich hier einfügen. An den schon erwähnten Aufenthalt in Wildbad schloß Rossini damals eine Kur in Kissingen an. Der Weg führte ihn über Frankfurt, wo er sich ein bis zwei Tage aufzuhalten beschloß. Als man dort von dem bevorstehenden Eintreffen des berühmten Komponisten Kenntnis erhielt, ließen kunstsinnige Verehrer es sich nicht nehmen, zu Ehren des italienischen Meisters ein abendliches Gartenfest in der »Mainlust« zu veranstalten. Ein biederer Frankfurter Patrizier namens Seifferheld war gerade im Begriff, seinen wohlvorbereiteten Toast während des Nachtmahles abzulesen, als das Schriftstück infolge eines unerwarteten plötzlichen Luftzuges dem Licht zu nahe kam und im Nu von der Flamme verzehrt wurde. Der bestürzte Redner konnte nur ziemlich verzweifelt schließen: »Mesdames et Messieurs! Buvez à la santé du grand homme que voici!«
Die Wildbad-Kissinger Kur muß dem »grand homme« gut bekommen sein, denn Paris sah ihn bald darauf in bester Gesundheit und vollem Humor bei der Wiedereröffnung der Italienischen Oper. Als