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Altai
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eBook439 Seiten5 Stunden

Altai

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Über dieses E-Book

Venedig 1569. Eine gewaltige Detonation erschüttert die Nacht, der Himmel lastet rot auf der Lagune. Das Arsenal, die Werft der Serenissima, steht in Flammen, die Jagd auf die Schuldigen wird eröffnet. Ein Agent des Consigliere wird zu Unrecht verdächtigt und flieht nach Istanbul. Hier trifft er Joseph Nasi, der von einer Heimstätte für die verfolgten Juden träumt. "Altai" ist ein Roman über Macht, Verfolgung, religiöse Toleranz und das Verhältnis von Mitteln und Zwecken.
Dem italienischen Autorenkollektiv Wu Ming ist mit "Altai" ein spannender Folgeband für den Roman "Q" gelungen.
SpracheDeutsch
HerausgeberAssoziation A
Erscheinungsdatum26. Aug. 2016
ISBN9783862416202
Altai
Autor

Wu Ming

Wu Ming es el seudónimo de un grupo de narradores italianos que trabajan de forma colectiva desde hace años. En 1999, con el nombre de Luther Blissett, publicaron la novela Q. En 2003, ya con su nuevo nombre, publicaron 54, a la que han seguido Manituana, Altai  y El Ejército de los Sonámbulos, esta última publicada por Anagrama, además de las colecciones de relatos Anatra all’arancia meccanica y L’invisibile ovunque y de algunos ensayos, así como de algunos «objetos narrativos no identificados» (Asce di guerra) y de los libros para niños de la serie Cantalamappa. También han escrito con el cineasta Guido Chiesa el guión de la película Lavorare con lentezza. Además, varios miembros del colectivo han publicado diversas obras de manera individual.

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    Buchvorschau

    Altai - Wu Ming

    WU MING

    ALTAI

    Altai: © 2009, 2011 and 2014 Wu Ming

    Published by arrangement with Agenzia Letteraria Santachiara

    © 2009, 2011 and 2014 Giulio Einaudi editore s.p.a., Torino

    The partial or total reproduction of the work and its diffusion by telematic means is permitted, provided that this is not done for commercial purposes and that the following wording is reproduced: The authors defend the right to free library lending and are opposed to norms or directives which limit access to culture by monetizing this service. The authors and the publisher renounce any claim to royalties deriving from library lending of this work.

    © der deutschsprachigen Ausgabe: Berlin, Hamburg 2016

    Assoziation A, Gneisenaustraße 2a, 10961 Berlin

    www.assoziation-a.de, hamburg@assoziation-a.de, berlin@assoziation-a.de

    Gestaltung: Andreas Homann

    ISBN Print: 978-3-86241-452-9

    ISBN EPub: 978-3-86241-620-2

    WU MING

    Seit 1994 trat unter dem Phantomnamen Luther Blissett u.a. eine Gruppe subkultureller Aktivisten aus Bologna auf, die nach zahlreichen spektakulären Aktionen im Stile der Kommunikationsguerilla ihr Tätigkeitsfeld auf die Literatur verlegten. Mit ihrem Reformationsepos »Q« (dt. Neuausgabe bei Assoziation A, Februar 2016) gelang ihnen ein Überraschungserfolg. Der historische Thriller wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und avancierte zum internationalen Bestseller.

    Anschließend setzten die Autoren ihre Arbeit unter dem Namen »Wu Ming« fort. Seitdem hat das Kollektiv mehrere Romane veröffentlicht, denen gemein ist, die offizielle Geschichte gegen den Strich zu bürsten, um gegen das Kontinuum der Herrschaft Räume der Utopie zu öffnen. Im Februar 2015 erschien ihr Roman »54« in deutscher Erstausgabe bei Assoziation A und schaffte es auf Anhieb auf die KrimiZEIT-Bestenliste.

    »Altai« ist der Folgeband zu »Q« und schließt historisch und personell an ihn an. Er liegt hiermit in deutscher Erstausgabe vor. Weitere Übersetzungen von Titeln des Autorenkollektivs (u. a. der Partisanenroman »Kriegsbeile«, 2017) sind in Vorbereitung.

    Für Valerio Marchi

    ALTAI

    Übers Meer jagen die Schiffe in schneller Fahrt.

    Reffen wir die Segel, gut so, die Taue gelöst.

    Bändige den Wind und rette die Freunde,

    Damit dein Name erinnert wird.

    Erwehr dich der Furcht, weck sie nicht in andern.

    Wie hoch auch immer die Wellen sich türmen.

    Von dir hängt alles jetzt ab.

    Archilochos, 7. Jh. v.Chr.

    PROLOG

    Konstantinopel, 23. Juni 1569

    (8. Muharram 977)

    Kein Laut dringt aus den Räumen des Palastes. Der Atem des Bosporus und der Gesang des Muezzins begleiten die Lebenden durch einen Abend äußerlicher Stille. In den geöffneten Fenstern leuchtet golden und purpurfarben der Himmel. Fischerboote haben vom asiatischen Ufer abgelegt und schaukeln in der honiggelben Strömung.

    Gracia hebt die Hand mit der Feder nachdenklich vom Blatt. Auch der geschickteste Künstler der Welt – und sie hatte einige kennengelernt, als sie in Europa lebte – kann all die Schönheit nur nachahmen, die Gott uns geschenkt hat, erreichen wird er sie nie.

    Sie schließt die Augen und lauscht dem Gesang. Als die letzte Note verklungen ist, unterschreibt und versiegelt sie den Brief und lässt sich gegen die Lehne fallen.

    Dana schaut sie an und wirft dann einen Blick auf den Schreibtisch, auf die bereits versiegelten und die noch unbeantworteten Briefe. Es gibt noch viel zu tun, aber seit einiger Zeit lassen die Kräfte nach, die Senyora ist zu erschöpft, um den Abend mit Schreiben zu verbringen. Alle wollen ihren Rat, von überall aus Europa und rund ums Mittelmeer kommen Briefe von Vertriebenen, von verfolgten Juden, sephardischen Händlern und aschkenasischen Rabbinern.

    »Hilf mir, ich will aufstehen«, sagt Gracia.

    »Ihr solltet nicht stehen, Senyora, ihr solltet nicht einmal am Schreibtisch sitzen, ihr solltet euch hinlegen«, ermahnt sie Dana.

    Die Rollen der abendlichen Komödie sind fest verteilt. Donna Gracia wird den Befehl wiederholen, Dana wird gehorchen, die Senyora wird ihr einen Arm um die Schulter legen, ein paar Schritte durch den Raum machen und gleichgültig dem Knacken der Gelenke lauschen.

    Der Wandspiegel ist mit einem grünen Tuch verhängt. Gracia verzichtet schon lange auf Prunk und Pracht und deren Zurschaustellung, aber heute Abend schiebt sie das Tuch zur Seite und betrachtet ihr Spiegelbild. Sie hat sich in den letzten Jahren vernachlässigt, aber jetzt kümmert sich Dana um ihren Körper und widmet ihm jeden Morgen größte Aufmerksamkeit.

    Sie ist neunundfünfzig, und im Spiegel sieht sie das Gesicht einer alten Frau, mit Falten um Augen und Mund, schlaffer Haut am Hals, spitzer Nase und stumpfem, silbergrauem Haar. Sie erforscht die Falten dieses Gesichts, hinter denen sich das Kind verbirgt, das eines Nachts heimlich einen neuen Namen erhielt und am nächsten Tag christlich getauft wurde, um es vor der Inquisition zu schützen. Beatriz de Luna Miquez.

    In ihren Augen sucht Gracia nach Licht und Schatten der Gassen Lissabons, sie sucht das Haus ihrer Kindheit und frühen Jugend, den kleinen Joseph, der sie »Tante« nannte. Erinnerungen, die Stimme ihrer Mutter, Erzählungen von der Flucht der Miquez aus Spanien.

    Unter den Schichten der Zeit, in den Bögen der Augenbrauen ist noch immer das junge Mädchen zu erkennen, das Francisco Mendes heiratete, el Gran Judío, den sie bald darauf begrub und der sie mit einer kleinen Tochter zurückließ und mit dem immensen Vermögen der Familie, das in Sicherheit gebracht werden musste.

    Für einen langen Abschnitt ihres Lebens war sie die reiche jüdische Witwe gewesen, die mit Fürsten, Königen und Kaisern Geschäfte machte und Kämpfe mit ihnen ausfocht, zunächst in den Niederlanden, dann in Venedig und schließlich in Konstantinopel.

    Dana sieht im Gesicht der Senyora das Antlitz einer alternden Königin, deren Untertanen in aller Welt verstreut leben, und die die letzten fünfzehn Jahre dafür geopfert hat, sie nach und nach in den sicheren Grenzen des Osmanischen Reichs um sich zu sammeln. Gleichwie ein Hirte dem Löwen zwei Kniee oder ein Ohrläpplein aus dem Maul reißt, also sollen die Kinder Israel herausgerissen werden, Amos 3, 12. Und dies ist nur der erste Schritt eines ehrgeizigen Vorhabens, das unter tausend Schwierigkeiten schließlich dort unten, in Tiberias, vollendet werden soll, an dem Ort, an dem die Senyora sterben will.

    Dana blickt hinaus auf den Meeresarm vor dem Palast. Sie fragt sich, ob der Brief je ankommen wird. Sie weiß, dass er an einen Mann gerichtet ist, der in weiter Ferne lebt und von dem die Senyora hin und wieder voller Liebe und Leidenschaft spricht, in Sätzen, die von einer intimen Vergangenheit zeugen.

    Gracia lässt erschöpft das Tuch zurück über den Spiegel fallen. Dana führt sie zum Bett, rückt ihr die Kissen im Rücken zurecht und öffnet ihre Bluse. Gemeinsam beobachten sie die Wellen und die Schiffe auf dem Meer.

    »Es wird Zeit, dass ich endlich gehe«, murmelt Gracia mit halb geschlossenen Augen.

    »Nehmt mich mit, Senyora«, bettelt Dana.

    Aber die Senyora streicht ihr übers Gesicht, nimmt eine Hand in die ihre und sagt:

    »Nein, meine Kleine, du bleibst bei Reyna, du sollst leben.«

    Sie reckt das Kinn in Richtung Schreibtisch:

    »Übergib den Brief, du weißt, an wen.«

    ERSTER TEIL

    Mi star (Der bin ich)

    13. September – 10. Dezember 1569

    1.

    Als es krachte, war ich noch wach. Ich saß bei Kerzenlicht am Tisch, blätterte in Anzeigen und Anschuldigungen und lernte Namen und Adressen von Spionen auswendig. Meine Trommelfelle schienen zu platzen, der Fußboden bebte und ein Hagel aus Glassplittern und Putz ging auf mich nieder, wovon ich noch Tage später Reste in meinen Haaren fand.

    Im Zimmer war es jetzt dunkel. Nur in der Fensteröffnung war ein heller Lichtschein wie beim Sonnenaufgang zu sehen, obwohl es tiefe Nacht war. Der Wind trug den Geruch von Pulver und Kanonen herein.

    Ich beugte mich aus dem Fenster und sah eine riesige Feuerfackel hinter der Turmspitze von San Francesco bis zu den Sternen hinauflodern.

    Das müssen die Tezoni, die Hallen für die Salpetergewinnung, sein, fuhr es mir durch den Kopf, die Docks, das Gebäude des Arsenals. Das Herz der Serenissima stand in Flammen.

    Hals über Kopf stürzte ich die Treppe hinunter. Das Eingangstor war aus den Angeln gebrochen, wurde aber von einem Trümmerhaufen aufrecht gehalten. Durch einen schmalen Spalt schlüpfte ich ins Freie. Auf der Straße herrschte bedrohliche Stille, entsetzte Gesichter schauten sich fragend an. Besonders Mutige flüsterten etwas von Erdbeben oder Apokalypse, Familien verließen ihre Häuser, ein paar Menschen sprangen von Balkonen wie von der Bordwand eines untergehenden Schiffes.

    Die zweite Explosion trieb die Menge in einer Wolke aus Asche und Geschrei wieder auseinander. Ich sprang mitten auf die Straße, um einer Lawine aus Dachziegeln auszuweichen. Als ich nach oben blickte, sah ich sie: Zwei Gondeln taumelten wie verletzte Vögel mit brennenden Flügeln in einer unregelmäßigen Kurve über den Himmel Venedigs. Die erste zerschellte am Glockenturm, der unentwegt Feueralarm läutete, die zweite verschwand hinter den Dächern aus meinem Blickfeld.

    In den folgenden Stunden und Tagen hörte ich unzählige Geschichten aus jener Nacht, in denen stets andere Dinge vom Himmel fielen: Eichenstämme, Salpetermahlsteine, Säcke voller Pech, verbrannte Kadaver von Menschen und Pferden stürzten herab, Sterne explodierten, Drachen, Kometen, die Heilige Jungfrau, Luzifer und wahlweise der gekreuzigte oder der auferstandene Christus rasten über den roten Himmel.

    Ich musste sofort zum Arsenal und meine Männer zusammentrommeln, um so viele Menschen wie möglich zu befragen. Meine Beine rannten los und mit den Ellenbogen bahnte ich mir einen Weg durch die Menge. Graue Schleier legten sich auf Stadt und Menschen, auf Verletzte, die wie umgestürzte Statuen aussahen, auf die Kanäle von Castello, die voller Asche und Trümmer waren und deren Wasser aussah, als wäre es Stein. Sie legten sich auf Träger, die Weinfässer in Sicherheit brachten, auf Alte, die stumm auf die Skelette ihrer Häuser starrten, auf am Boden ausgestreckte Körper, die nur aussahen wie Leichen, aber keineswegs tot waren. Es hatte etwa zwanzig Tote gegeben, aber viele Menschen waren aus Angst, der Himmel stürze auf sie herab, unfähig sich zu erheben.

    Ich überquerte den Campo San Francesco und stieg über Männer und Frauen hinweg, die auf Knien Psalmen sangen und das Jüngste Gericht erwarteten. Ich weiß nicht, ob es meine staubverklebten müden Augen, die rauchgeschwängerte Luft oder einfach nur Einbildung war, aber ich weiß noch, dass ich den Kirchturm anschaute und mir einen kurzen Moment sicher war, dass er sich vom Boden löste und in die Luft erhob. Ich war kurz davor, mich ebenfalls auf die Knie zu werfen, von Wundern zu faseln und meine Pflichten zu vergessen.

    Schließlich erreichte ich die Porta da Terra. Die kalte Eleganz des Marmors rahmte ein wirres Durcheinander aus Stoßen, Schieben, Rennen und Geschrei ein. Von oben betrachtete der Löwe von San Marco das Gewühl mit halb geöffnetem Rachen und der Pranke auf dem Evangelium.

    Ich durchquerte das Atrium und verschaffte mir mit den Armen Platz. Das Feuer breitete sich auf der gegenüberliegenden Seite aus, dort wo das Pulverlager war.

    Ich rannte an Kalfaterern und Freiwilligen vorbei, die sich in einer Reihe aufgestellt hatten und Eimer und Lederschläuche weiterreichten. Überall verstreut lagen Balken und Metallteile, aber die Hauptgebäude waren anscheinend unbeschädigt geblieben. Der Wind hatte die Flammen über die Begrenzungsmauer hinaus in Richtung der Wohnhäuser und des Celestia-Klosters getrieben.

    Ich wurde von den Flammen angezogen wie die Motte vom Licht, obwohl die Hitze auf meinem Gesicht brannte und mein Körper kochte und schweißgebadet war. Rußgeschwärzte Zimmerleute trugen große Bretter aus einer vom Feuer bedrohten Werkstatt.

    In diesem Augenblick hörte ich zum ersten Mal, dass jemand den Namen Giuseppe Nasi rief, und bald sollte er überall zu hören sein. Er war es gewesen! Das Judenschwein, der Speichellecker des Sultans und Erzfeind der Serenissima. Sein teuflisches Hirn sollte diese Katastrophe ausgebrütet haben.

    Ich erreichte das Becken der Galeassen. Das Feuer verzehrte zwei weitere Tezoni, und die von der Explosion aufgepeitschten Wellen hatten eine Galeere aus der Werft herausgespült. Sie dümpelte jetzt brennend auf dem Wasser des Beckens, aber man kam nicht nahe genug an sie heran, um den Brand zu löschen.

    Als die Kaimauer einstürzte, loderten die Flammen hoch auf, und das jetzt rasch eindringende Wasser der Lagune lud die Galeere zu einer Reise ein. Der brennende Schiffskörper schwebte langsam davon; die Flammen schienen aus dem Meer zu steigen und züngelten an Masten, Tauwerk und Segeln empor und bewegten sich wie Standarten im Wind.

    Sie war ein Sinnbild für das, was die kommenden Tage bringen sollten.

    2.

    Wir trieben über ein regloses, trübes Meer. Ein Blatt Papier trieb auf uns zu, ein Ruderschlag brachte es näher heran. Ich beugte mich aus dem Boot und nahm es an mich. Es war die Seite eines Buches, dessen verbrannte Ränder Tintenschlieren umrahmten; nur ein Satz war noch lesbar.

    Et tulerunt Ionam et miserunt in mare; et stetit mare a fervore suo.

    (Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer; da stand das Meer still von seinem Wüten. Jonas 1, 15.)

    Die Bibel, das Buch Jonas. Jonas‘ Schiff gerät in einen Seesturm. Er wendet sich an die Mannschaft und verlangt, ins Meer geworfen zu werden. Er allein trage die Schuld an dem Sturm, weil er dem Herrn ungehorsam gewesen sei. Sie tun, wie er befohlen hat, und das Meer beruhigt sich sofort.

    Vielleicht konnte mir dieses Orakel helfen. Auch ich musste einen Sturm besänftigen, dem Consigliere einen Schuldigen präsentieren, Venedig von der Angst befreien.

    Ich musste nach Bruchstücken suchen, nach Bausteinen, aus denen sich das Mosaik der Katastrophe zusammensetzen ließ.

    Der Kanal der Galeassen war ein einziges Trümmerfeld: Eichenstämme, Balken, zerbrochene Kisten, zerfetzte Segel, Leinwände, Schiffszwieback, Tauwerk, verkohlte und zerfetzte Kadaver von Maultieren und Pferden und die Leiche eines Mannes, der mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb.

    Die Szene ließ an eine Seeschlacht denken, wenn die letzten Schiffe mit Ruderkraft oder vom Wind getrieben den Ort des Grauens verlassen haben und nur noch Überbleibsel, Fragmente und Körper als Erinnerung an vergangene Grausamkeiten zurückbleiben.

    An Land dagegen herrschte große Aufregung. Überall waren Werftarbeiter und Neugierige zu sehen, Leute, die schimpften und sich beschwerten und denen im Weg standen, die Arbeiten zu erledigen hatten. Deshalb waren wir im Boot unterwegs. Vom Wasser aus konnte ich mir einen besseren Überblick verschaffen, nachdenken und mit meinen Männern reden, die mich durch die Trümmer ruderten.

    Stille. Die vom Ufer herüberdringenden Geräusche erstarben im Klatschen der Wellen an der Bordwand. Man hörte nur das heftige Atmen Tavosanis‘, des Mannes aus Friaul. Ich atmete mit offenem Mund im selben Rhythmus, als ruderten wir gemeinsam.

    »Was für ein Chaos!«, murmelte Rizzi, der Mann aus Rovigo, und ließ seinen Blick übers Wasser schweifen, auf dem es aussah, als sei die Apokalypse angebrochen. Ein Blick nach oben jedoch genügte, um festzustellen, dass es so tragisch auch wieder nicht war. Das Feuer hatte drei Lagerhallen vernichtet, über deren Trümmern schwarze Rauchsäulen standen, aber die anderen Gebäude am Hafenbecken waren zum größten Teil unbeschädigt geblieben. Geplatzte Fensterscheiben, aus den Angeln gehobene Eingangstore, wenig mehr.

    Vielleicht hatte das Wasser verhindert, dass sich das Feuer stärker ausbreitete. Ich musste penibel genau ermitteln und Schritt für Schritt versuchen, das Unglück zu verstehen. Ich musste den eigentlichen Ort der Explosion genau unter die Lupe nehmen.

    Dort war die Mauer, die den Bereich der Schwarzpulverherstellung in diesem abgelegenen Bereich des Arsenals umschloss.

    Auf Höhe der drei niedergebrannten Lagerhallen sprang ich an Land. Auf dem Weg zum Pulvermagazin mussten wir eine von ihnen komplett durchqueren. Sie war noch leer gewesen, wie alle Gebäude in diesem neuerbauten Flügel, weil die Arbeiten an den Galeassen noch nicht begonnen hatten. Die großen Handelsschiffe, die hier ausgebessert und kriegstauglich gemacht werden sollten, lagen unbeschädigt in einer Ecke des Hafenbeckens.

    Rizzi packte mich an der Jacke und zog mich an die Reste einer Wand. Vom schwarzen Dachgerippe regnete es Trümmerteile. Hastig gingen wir weiter.

    Die Arbeiter aus der Pulverherstellung waren in heller Aufregung. Tavosanis warf ihnen finstere Blicke zu und bahnte uns einen Weg zum Rand eines schwarzen Kraters, bis zu der Stelle, an der das Pulverdepot gestanden hatte. Weit und breit waren keine Steine mehr zu sehen, als habe die Explosion das ganze Depot auf den Mond katapultiert. Ich verlangte den Waffenmeister zu sprechen. Jemand zeigte auf die Pulvermühle, die nur noch ein Haufen Schutt war.

    Arbeiter wühlten in Trümmern, trugen einzelne Teile fort, erstellten Inventare und prüften, was noch zu gebrauchen und was endgültig verloren war. Ein großer Mahlstein hatte sich ins Erdreich gebohrt, wie ein riesiges Rad, dessen Reise abrupt geendet hatte.

    Der Mann, den ich suchte, blickte wie ein verängstigtes Kind, das eben aus einem Alptraum erwacht ist.

    »Signor De Zante, schaut euch das an! Alles kaputt! Ihr wisst ja, ich hab ‘s schon immer gesagt, seit dreißig Jahren sag ich das schon, Pulver darf man nicht da herstellen, wo Schiffe gebaut werden. Der Senat hat mir Recht gegeben und will die Depots auf die kleinen Inseln verlegen, und ausgerechnet jetzt diese Bescherung! Zum Glück wurde gestern die Hälfte der Fässer weggeschafft.«

    Der Redefluss konnte seine Angst nicht verbergen. Er wusste, dass ich gekommen war, weil die Republik Antworten verlangte, und dass die einfachste Antwort war, ihn der Nachlässigkeit zu beschuldigen.

    »Bleibt ruhig, ich will wissen, was passiert ist.«

    Er breitete die Arme aus.

    »Was soll ich sagen? Ich habe keine Ahnung! Alle meine Männer sind äußerst vorsichtig, fünf Mal am Tag mache ich einen Rundgang durch das ganze Arsenal, seit Monaten gibt es keinerlei Probleme.«

    »Umso besser, aber ihr habt meine Frage nicht beantwortet. Ich will wissen, wie der Brand entstanden ist, wie das Feuer sich ausgebreitet hat.«

    Er zeigte in Richtung San Francesco hinter der Begrenzungsmauer.

    »Der Nachtwind hat die Flammen hinausgetrieben. Das Celestia-Kloster und die angrenzenden Häuser sind zerstört. Hier hat es nur einen Toten gegeben, eine Wache. Aber drüben ...«

    »Meister, Meister! Hier ist was!« Ein Arbeiter in der Nähe winkte uns erregt herbei.

    Es hatte sich bereits eine aufgeregt palavernde Gruppe gebildet. Gesichter verzogen sich angewidert zu Grimassen, einige blickten bestürzt. Der Name Giuseppe Nasi ging von Mund zu Mund. Giuseppe Nasi, das Judenschwein, der größte Feind der Serenissima.

    »Das war kein Unglücksfall! Das ist das Werk der Türken, die Hunde wollen Krieg!«

    Wir schoben uns nach vorne, Tavosanis hinter mir und Rizzi an meiner linken Seite.

    Auf dem Boden, im Mittelpunkt eines Kreises, der von den Umstehenden gebildet wurde, waren zwei handtellergroße schwarze Flecken zu sehen.

    Der Arbeiter, der uns gerufen hatte, zeigte auf sie:

    »Pech, Meister! Das ist Pech!«

    Ich bückte mich, fuhr mit dem Finger über einen der Flecken und roch daran.

    Es war zweifellos Pech. Pech in einer Pulverfabrik ist wie Marderscheiße im Hühnerstall.

    »Das Ganze ist eine Schmierenkomödie, alles nur Theater«, knurrte Rizzi. Tavosanis lenkte das Boot zu den Gießereien. »Man braucht kein Pech, um ein Salpeterdepot in Brand zu stecken. Ein Funke genügt.«

    »Einverstanden«, sagte ich. »Und warum dann das ganze Theater?«

    Er begann an den Fingern aufzuzählen. Erstens: »Findet man Pech, muss es jemand hingebracht haben. Zweitens: Wenn es jemand hingebracht hat, war es kein Unfall. Drittens: Wenn es kein Unfall war, hat es mit ihnen nichts zu tun, und sie sind unschuldig.«

    Rizzis Beobachtungen hatten einiges für sich, aber ich war noch nicht ganz überzeugt.

    »Warum glaubst du trotzdem an einen Unfall?«

    Er zeigte auf die großen Schornsteine der Schmelzöfen auf dem Gelände, das wir gerade kontrollieren wollten.

    »Die Türken hätten das Feuer an einer zentralen Stelle gelegt, dann hätte es einen viel größeren Schaden angerichtet.«

    »Es gibt auf der Welt nicht nur Türken.«

    »Gott sei Dank! Aber was ich gesagt habe, gilt für alle: Wenn jemand das Arsenal zerstören will, zielt er aufs Herz und nicht auf die Ferse.«

    Ich nickte. »Außerdem würde man nicht warten, bis die Hälfte der Fässer weg ist, und man würde sich keine Nacht mit starkem Nordostwind aussuchen, der die Flammen hinaustreibt.«

    Tavosanis hob die Ruder aus dem Wasser, holte tief Luft und bohrte seine Augen in meine.

    »So präzise arbeitet nur der Zufall.«

    »Der Zufall.« Ich tauchte eine Hand ins Wasser, als suchte ich dort einen Hinweis. »Oder es war gar nicht der Türke, sondern ein anderer Feind, einer, der keinen allzu großen Schaden anrichten wollte.«

    3.

    Wie ich schon vermutet hatte, waren die Gießereien unversehrt geblieben, die Entfernung zum Explosionsherd war zu groß.

    Während Tavosanis und Rizzi die Umgebung inspizierten und ich festgestellt hatte, dass die ersten beiden Werkstätten noch verschlossen waren, trat ich in die dritte, offen stehende Werkstatt ein, aus der Hammerschläge zu hören waren. Langsam ging ich durch alle Abteilungen. Bei den Schreinern befand sich kein Werkzeug am falschen Platz. Die bereits bearbeiteten Stämme waren nach Typ und Durchmesser sorgfältig gestapelt. Dass in der Formerei eine gewisse Unordnung herrschte, war normal. Säcke mit Kalk, Rinderhaar, Wachsabdrücke für Reliefdekorationen, alles lag ohne ersichtliche Ordnung auf großen Tischen oder war in den Ecken abgestellt worden. Aus offen stehenden Behältern stieg der Gestank von Talg auf. Nur die für den Bronzeguss vorbereiteten Tonformen waren sorgfältig aufgereiht. Auf der gegenüberliegenden Seite standen die Bohrgestelle, an den Drehbänken und an den Drillbogenbohrern für die Zündlöcher arbeitete niemand.

    Als ich zu den Ablagen für die fertigen Stücke kam, hörte ich ein metallenes Geräusch.

    Auf meine Frage »Ist da jemand?« antwortete mir eine dünne Stimme, und kurz darauf tauchte hinter einer außergewöhnlich langen Feldschlange der graue Kopf Varadians auf, des armenischen Artilleristen, der an der Entwicklung von Prototypen arbeitete. Bevor ich ihn fragen konnte, ob er irgendetwas Außergewöhnliches bemerkt habe, sagte er:

    »Signor De Zante, gut dass ihr gekommen seid, wenigstens einer.«

    Er blickte verwirrt um sich, und obwohl die Brennöfen erloschen waren und es kalt war, standen dicke Schweißperlen auf seiner Stirn.

    »Was hat euch so erschreckt?«

    Er riss die Augen auf, als stehe hinter mir ein Geist. Fast hätte ich mich umgedreht, um nachzusehen, ob dort tatsächlich jemand stand.

    »Das waren die Türken! Sie müssen mir glauben, ich kenne mich aus, ich habe für sie gearbeitet. Das Feuer ist nur der Anfang, sie werden wieder angreifen. Der Architekt Savorgnan verstärkt die Verteidigungsanlagen am Eingang der Lagune. Das ist gut, denn das ist eine wichtige Vorsichtsmaßnahme, aber hier bei mir ist heute Morgen noch kein Mensch aufgetaucht, keine Wache und kein Arbeiter, obwohl hier die Schätze lagern, die unsere Feinde am meisten interessieren. Ich bin der Einzige, der diesen Bereich bewacht, dabei müsste der besser geschützt werden als alle anderen.«

    »Wo sind die Arbeiter?«

    »Sie waren die ganze Nacht bei den Löscharbeiten, sie haben eine Lohnerhöhung erhalten und ruhen sich jetzt auf ihren Lorbeeren aus.«

    Ich bemühte mich um einen beruhigenden Tonfall. Varadian wusste, dass Renegaten bei den Muslimen verhasst sind. Er hatte zunächst jahrelang als Ingenieur in Konstantinopel gearbeitet, war dann Christ geworden und nach Venedig gekommen. Die Republik förderte seine Forschungen über den Rückstoß bei Kanonen und finanzierte die dafür notwendigen Experimente. Der zuständige Kriegswesir in Konstantinopel hatte das für überflüssig gehalten und seiner Arbeit keine Beachtung geschenkt. Die Osmanen erwarteten von einer Kanone nur eins: Sie musste riesig sein, so groß wie eben möglich. Das Feuerrohr war der aufgerissene Rachen des Teufels, die Bombarden spuckten die Hölle aus und ließen die Welt erzittern. Warum sich Gedanken über den Rückschlag machen?

    »Ich rede mit dem Chef der Wachen und lasse sofort jemanden schicken. Ich werde den Schutz Eurer Person und Eurer Arbeit verdoppeln lassen, Signor Varadian. Aber Ihr könnt Euch beruhigen, ich glaube, die Türken haben mit der ganzen Angelegenheit nur wenig zu tun.«

    Seine Hand ergriff die meine, seine Stimme triefte vor Dankbarkeit.

    »Danke, Signor De Zante. Aber glaubt mir, das war ihr Werk, ich kenne sie zu gut.«

    Als wir gegen Abend in den Palast zurückkamen, hatten einige meiner Leute, die sich durch besonderen Eifer und große Erbarmungslosigkeit auszeichneten, den Reigen bereits eröffnet. Sie hatten einige aufrührerische Elemente und Störenfriede abgeholt, von denen bekannt war, dass sie Schmählieder auf den Dogen und die Adligen sangen und in illegale Geschäfte verwickelt waren.

    Auf dem Folterrad hatte ein Arsenalarbeiter gestanden, Giuseppe Nasi und ein Sohn des Teufels zu sein. Ein Schmied aus Chioggia hatte geschworen, er sei schon immer Türke gewesen, er sei Janitschar und ein Freund des Paschas, der ihm persönlich befohlen habe, den Brand zu legen. Ein Waldarbeiter unbekannter Herkunft hatte angefangen in einer ganz eigenen Sprache zu reden und behauptet, das sei die Sprache Kleinasiens. Er hatte lateinische Brocken beigemischt, die er wahrscheinlich aus der Messe kannte.

    Unsinnig vergossenes Blut, Gestank von Exkrementen; Folter bringt die Wahrheit nicht ans Licht. Ich war angewidert und befahl ihnen aufzuhören.

    Der Vorarbeiter hatte mir eine Liste mit den Namen von Hitzköpfen und unzufriedenen Arsenalarbeitern übergeben. Ich beauftragte Rizzi, zu prüfen, ob jemand von den Festgenommenen auf der Liste stand.

    Es waren zwei.

    Ich befahl Tavosanis, mit dem Ersten zu beginnen.

    Normalerweise wartete ich mindestens eine halbe Stunde, bevor ich den Raum betrat. Tavosanis stellte in der Zwischenzeit Fragen ganz allgemeiner Art und arbeitete nur mit den Fäusten. Heute war ich ungeduldig, ich brauchte dringend etwas, das ich am Abend dem Consigliere vorweisen konnte.

    Der Mann saß festgebunden auf einem Stuhl, sein Kopf hing auf der Brust; anscheinend war er bei Bewusstsein. Tavosanis flüsterte mir ins Ohr, was er bisher erfahren hatte. Jetzt war ich an der Reihe.

    »Wie ging das Lied, das du vor ein paar Tagen in der Osteria gesungen hast? ›Der Türke kommt und befreit uns von unseren Herren ...‹. So ähnlich war’s doch, oder?«

    Schweigen. Tavosanis blickte mich an. Ich gab ihm ein Zeichen zu warten. »Wir wissen, was du gesungen hast, und wir wissen, mit wem du gesungen hast. Wir wissen, was du gegessen hast, wie viel du getrunken hast und wann du pinkeln gegangen bist. Wir wissen alles.«

    »Und was wollt Ihr dann noch von mir?« Der Mann blickte mich flehend an.

    Federnden Schrittes lief ich um seinen Stuhl herum. Der Wolf umkreist seine Beute.

    »Es ist besser für dich, wenn du redest. Denk an den Magistrat, denk an‘s Rad. Du würdest diesem Stuhl und der Faust dieses Mannes noch nachweinen.«

    Tavosanis schlug zu und traf ihn am Unterkiefer.

    »Wir wissen, dass dein Freund Battiston immer wieder einen Satz gesagt hat: ›Ich weiß, was wir tun müssen, damit sie uns besser bezahlen.‹ Stimmt das?«

    »Ich war betrunken, ich kann mich an nichts erinnern.«

    Er erinnerte sich an nichts und weinte. Er war bereit aufzugeben, wollte aber seinen Freund nicht belasten.

    »Ihr habt ja die Lohnerhöhung tatsächlich gekriegt, oder etwa nicht? Als Prämie dafür, dass ihr den Brand gelöscht habt.«

    Er schwieg weiter. Ich baute mich vor ihm auf und hob sein Kinn an. Sein Blick war leer, der Hass verschwunden.

    Er würde jetzt die Wahrheit sagen.

    4.

    Der Palast des Consigliere lag am Canal Grande, aber Dunkelmänner wie ich betraten ihn von der Landseite. Der Zugang vom Wasser war für die Aristokratie. Von jener Seite hatte ich ihn nur einmal betreten. Damals wurde ich dem Hausherrn vorgestellt, und ich war mit meinem Vater über den mit einem Seidenteppich belegten Landungssteg bis zu den Sirenen aus Marmor geschritten, die das Eingangsportal bewachten. Eine Audienz beim Papst hätte nicht aufregender sein können.

    Den Hintereingang hatte man mir ein paar Tage später gezeigt, und seitdem benutzte ich nur diesen. Der Weg führt durch einen großen Garten, der von der Straße nicht einsehbar ist und durch eine hohe Mauer geschützt wird. In seinem Zentrum stehen ein Brunnen und ein steinerner Engel mit ausgebreiteten Flügeln, dessen angespannter Körper bereit scheint aufzufliegen; sein beutegieriger Blick ist der eines Raubvogels. Der Anblick versetzte mich jedes Mal in Unruhe, und eines Tages erzählte ich es meinem Herrn. Er antwortete, der Grund dafür sei mein schlechtes Gewissen, meine Arme-Sünder-Seele.

    Ein Diener geleitete mich in den Palast, bis an die Schwelle des Raumes, in dem sich der Consigliere aufhielt. Der Diener klopfte und hieß mich dann eintreten.

    Der Consigliere stand kerzengerade am Fenster und schien die Wolken zu beobachten, die sich in der Lagune spiegelten. Ich betrachtete die hohe, schlanke, in ein langes, bis auf die Knöchel reichendes Gewand gehüllte Gestalt mit dem graumelierten Haar, die nichts nach außen dringen ließ, deren Gedanken unerforschlich waren.

    Er gab mir ein Zeichen näherzutreten. Ich wusste, dass ich mich zu setzen hatte und dass er, um seine Dominanz zu unterstreichen, mir die ersten Fragen stehend stellen würde.

    »Ihr tretet entschlossen auf heute Morgen.« Er fixierte mich, als wisse er nicht, wen er vor sich habe. »Ich nehme an, Ihr kommt gut voran mit Euren Ermittlungen!«

    »Wir haben dreiundzwanzig Verdächtige verhört.« Ich machte eine Pause, damit die Zahl nicht unterging. »Die meisten haben Angaben ohne jede Bedeutung gemacht, aber zwei Arbeiter aus dem Arsenal haben aufschlussreiche Einzelheiten erzählt und Namen genannt.«

    »Sehr erfreulich, De Zante. Erspart mir die Einzelheiten, ich weiß Eure Gewissenhaftigkeit zu schätzen.«

    Ich holte tief Luft. Der Consigliere war kein Freund großen Überschwangs. Ich hatte meine Vermutungen durchdacht und emotionslos vorzutragen, ganz so, als gäbe ich die Gedanken eines anderen wieder. »Die Kalfaterer fordern seit Monaten eine bessere Bezahlung. Ein paar von ihnen glaubten‚ die beste Methode, dieses Ziel zu erreichen, wäre es, einen Brand zu legen und ihn dann zu löschen.«

    Er nagte an seiner Unterlippe; ein Zeichen, dass die Nachricht nicht nach seinem Geschmack war. Ich musste herausfinden, warum das so war.

    »Und wie viele sind ›ein paar‹?«

    »Das kann ich noch nicht mit Bestimmtheit sagen, Exzellenz. Wir haben fundierte Beweise, die einen gewissen Erio Battiston belasten, den wir seit gestern Abend suchen. Er soll der Anstifter sein. Leider reichen die Beweise noch nicht aus, um mit Sicherheit sagen zu können, wer die Ausführenden waren.«

    Seine Finger trommelten auf Holz, er war ungeduldig und mir war nicht klar, was ihn störte.

    »Ich werde meine Männer anweisen, alle Anstrengungen auf die Ergreifung des Battiston zu richten und ...«

    Er unterbrach mich mit lauter Stimme: »Seid Ihr wirklich der Ansicht, ein unzufriedener Arsenalarbeiter könnte ein solches Unheil anrichten? Kommt, De Zante! Ihr beleidigt Eure eigene Intelligenz!«

    Mir lief ein leichter Schauer über den Rücken. Ich biss mir auf die Zunge, um nichts Unüberlegtes zu erwidern – Impulsivität kann ins Verderben führen – und nahm mir Zeit, um meine Gedanken zu ordnen.

    »Erlaubt, dass ich mich besser erkläre, Exzellenz. Verschiedene Dinge deuten auf eine Provokation hin, die aus dem Ruder gelaufen ist. Die Ausführenden hatten bestimmte Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass ...«

    »Vorsichtsmaßnahmen?« Er bedachte mich mit einem undurchdringlichen Lächeln. »Es ist nicht unsere Aufgabe, nach mildernden Umständen für die Schuldigen zu suchen.«

    Er ließ sich emphatisch in einen Sessel fallen, um mir zu zeigen, dass meine Beschränktheit ihn ermüdete, und begann, Blätter auf seinem Schreibtisch zu ordnen, so

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