Claus Schenk Graf von Stauffenberg: Wagnis - Tat - Erinnerung
Von Peter Steinbach
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Buchvorschau
Claus Schenk Graf von Stauffenberg - Peter Steinbach
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung: Mythos und Realität Stauffenbergs
Seit den 1960er Jahren sind wichtige Untersuchungen über Claus Schenk Graf von Stauffenberg, seinen Bruder, aber auch über seine Schwägerin und den Kreis der Verschwörer erschienen. Dabei wurden nicht nur schriftliche Überlieferungen, sondern auch Zeugnisse seiner Zeitgenossen – seiner Freunde und Kameraden und von Menschen, die dem Attentäter mehr oder minder zufällig begegneten – gefunden und bearbeitet. Vor allem Peter Hoffmann ist es zu verdanken, wenn wir eine mir geradezu lückenlos erscheinende Auswertung mündlich überlieferter Nachrichten besitzen, die allerdings oftmals viel später formuliert wurden und deshalb immer auch spätere Einflüsse, Lesefrüchte und Auseinandersetzungen von Beteiligten mit der Geschichtsschreibung und der Tagespublizistik spiegelten. Dies ist nicht immer unproblematisch, weil nicht nur Erzähl- und Überlieferungsschichten ein Eigenleben entfalten, sondern vielfach auch bewusste Absichten einzelner Zeitzeugen, die sich gegen angebliche Verzerrungen oder gar Verunglimpfungen durch Nachgeborene wehren, die Überlieferung prägen. Besonders deutlich wird dies, wenn über das Verhältnis der Brüder Stauffenberg zu Stefan George berichtet wird. Denn sehr schnell wird deutlich, dass das Urteil auch von der Wertschätzung mancher Nachgeborenen abhängt, die sie dem Dichter entgegenbringen. Auch Bewertungen – etwa Kontroversen über die die Rolle der Wehrmacht im NS-Staat oder die Verurteilung des Weltkriegs als Rassen- und Weltanschauungskrieg – fließen ein, die nicht zuletzt auch die Traditionsbildung der Bundeswehr oder den Vergleich Stauffenbergs mit anderen Regimegegnern, etwa dem Schreiner und Hitlerattentäter Johann Georg Elser – spiegeln. Manche lehnen Stauffenberg ab, weil er zu spät gehandelt habe, manche unterstellen ihm, nur die soziale Stellung seiner „Kaste" des adeligen Offiziers im Blick gehabt zu haben, manche entschuldigen das eigene persönliche Versagen, indem sie die Moralität und den Rigorismus bezweifeln, der den Attentäter für andere zum Vorbild, gar zum Helden macht.
Seitdem ich vor mehr als 30 Jahren zum Wissenschaftlichen Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand berufen und mit dem Aufbau einer Ausstellung betraut wurde, habe ich viele Erfahrungen mit schwankenden historischen Urteilen machen können – gerade im Hinblick auf den Umsturzversuch des 20. Juli 1944. Manche dieser Erfahrungen, auch Korrekturen von vorgefassten Meinungen, die ich feststellte und zuweilen geteilt hatte, prägen diesen biografischen Essay, der so Ausdruck meiner Annäherung an eine historische Persönlichkeit deutscher Geschichte ist. Im Laufe meiner Arbeit hat sich auch mein Bild von Stauffenberg verändert. Die erste Beschäftigung mit ihm erfolgte anlässlich des 20. Jahrestags des Attentats 1964. Die Deutsche Bundespost ehrte acht Widerstandskämpfer durch einen Briefmarkenblock, damals eine große Besonderheit und rasch ein begehrtes Objekt jugendlicher Sammler, die einem damals noch verbreiteten Hobby viel Zeit widmeten. Zum 100. Geburtstag Stauffenbergs erschien eine weitere Sonderbriefmarke und fügte sich in einen Reigen vieler Sondermarken ein, die an den Widerstand gegen Hitler erinnerten. 1954 wurde anlässlich des zehnten Todestages des Attentäters ein Denkmal im Innenhof des Berliner Bendlerblocks eingeweiht. Auch gibt es seit den 1960er Jahren zwei Stauffenberg-Gedenkstätten im deutschen Südwesten – in Stuttgart und im Geburtsort Stauffenbergs in Lautlingen. Damals hätte eine Vereidigung junger Rekruten am Jahrestag des Attentats Widerspruch hervorgerufen und zu heftigen Kontroversen geführt. Nicht so heute, es findet alljährlich am 20. Juli das Gelöbnis junger Rekruten statt, feierlich begangen und von wichtigen Reden begleitet.
Die Gefahr einer derartigen Gewichtung liegt allerdings in der wachsenden Entfernung von Ereignis und Beteiligten von unserer Zeit und damit in der Ritualisierung der Gedenkveranstaltungen, in der Formelhaftigkeit vieler Würdigungen einer eigentlich unvorstellbaren Entscheidung, mitten in der kriegerischen Auseinandersetzung die militärische Führung beseitigen zu wollen. Es galt den Krieg zu beenden und zugleich auch einen sichtbaren Beweis von einer politischen Moralität zu geben, die in die Zukunft ausstrahlte. Weil die Tat nicht nur den Mut, sondern auch eine intensive Auseinandersetzung mit der Realität des NS-Staates und den von ihm veranlassten Verbrechen, schließlich die Empörung über das Unrecht und die Entscheidung zum Handeln voraussetzte, musste, unter Inkaufnahme aller Konsequenzen für die eigene Person, das eigene Leben und das Schicksal der Angehörigen gewagt werden.
Wer den Widerstand gegen den Nationalsozialismus würdigt, verherrlicht keinen Heroismus, sondern besinnt sich auf die Wurzeln und die Möglichkeit des stellvertretenden mitmenschlichen Handelns. „Und handeln sollst du so, als hinge von Dir und Deinem Tun allein das Schicksal ab der deutschen Dinge", so rechtfertigte sich der Münchener Professor Kurt Huber, ein Mitglied der Weißen Rose. Stauffenberg argumentierte nicht auf diese Weise in Anlehnung an Kant und Fichte, sondern sah in Hitler eine Verkörperung des Bösen, den Widerchrist, ein böses Prinzip, das Stefan George in seiner Dichtung beschrieben und so als Möglichkeit der Realität den Brüdern Stauffenberg auf ihren Lebens- und Berufsweg mitgegeben hatte.
2 Tat und Wirkung
„Es ist unendlich viel leichter, in Gehorsam gegen einen menschlichen Befehl zu leiden als in der Freiheit eigenster verantwortlicher Tat. Es ist unendlich viel leichter, in Gemeinschaft zu leiden als in Einsamkeit. Es ist unendlich viel leichter, öffentlich und unter Ehren zu leiden als abseits und in Schanden."
Mit diesen Sätzen stimmte Dietrich Bonhoeffer beim Jahreswechsel 1942/43 seine engsten Freunde auf Erfahrungen ein, die noch vor ihnen lagen und denen sie sich stellen mussten, weil ihre Entscheidung, den Nationalsozialismus und sein Regime zu bekämpfen, längst gefallen war. Wer sich entschlossen hatte, sich für das Ende des Nationalsozialismus einzusetzen, hatte eine unumkehrbare Entscheidung gefällt. Wer diese Sätze auf sich wirken lässt, wird auch viele Jahrzehnte später innerlich berührt sein – von der Konsequenz, der Selbstbeobachtung, dem sicheren Blick in die Zukunft.
Nachlebende tun sich leichter mit den Herausforderungen, die ihre Vorfahren zu bestehen hatten. Sie kennen den Ausgang der Geschichte, die für jene offen war, die sich gleichsam „ohne jegliche Deckung" für die aktive Konspiration entschieden, die hingesehen, die Realität des Unrechtsregimes erkannt und sich empört hatten und schließlich in der Lage waren, zu handeln.
Im Rückblick aus mehr als 70 Jahren, die seit dem Anschlag vom 20. Juli 1944 vergangen sind, ist die Würdigung des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seiner Tat anscheinend sehr einfach geworden. Gedenkstätten, Gedenkvorlesungen und Filme machen deutlich, dass Stauffenberg zum Bezugspunkt des kollektiven zeitgeschichtlichen Erinnerns geworden ist. Alljährlich erinnert seit Jahrzehnten die zentrale Gedenkveranstaltung an der Sterbestelle von Stauffenberg und einiger seiner wichtigsten, unmittelbaren Mitverschwörer im Innenhof des Bendlerblocks an den Anschlag im ostpreußischen Führerhauptquartier, der dem Ziel, Hitler zu töten, so nahe gekommen war wie zuvor nur der Anschlag des Schreiners Johann Georg Elser auf den Versammlungskeller im Münchener Bürgerbräu am 8. November 1939. Diese Erinnerungen, Gedenkveranstaltungen, Sonderbriefmarken und Würdigungen lassen schnell vergessen, wie schwer sich die Deutschen mit der Würdigung dieser Tat und des Attentäters Stauffenberg über viele Jahrzehnte hinweg getan haben.
Zunächst bestimmte die NS-Propaganda das Bild der Deutschen vom Widerstand. Ehrgeizzerfressene Offiziere hätten versucht, ihn zu töten, hatte Hitler schon in den frühen Abendstunden in seiner ersten Rundfunkansprache verkünden lassen. Die meisten Deutschen machten, wie die Meldungen aus dem Reich bewiesen, in den folgenden Tagen aus ihrem Abscheu keinen Hehl, und der Sicherheitsdienst (SD) registrierte fleißig und geradezu triumphierend, wie sehr die Deutschen der „Vorsehung vertrauten, die Hitler vor dem Tod bewahrt habe. Stauffenberg wurde insgeheim nur von jenen bewundert und gerechtfertigt, die wussten, dass Deutschland allein durch eine Niederlage von der NS-Herrschaft befreit werden konnte. Die meisten Zeitgenossen aber sahen in dem Anschlag in der Tat nur den Versuch eines hohen Offiziers, in letzter Minute die eigene Haut zu retten. Und Skeptiker erinnerten sich an die „Dolchstoßlegende
, die das Klima in der Weimarer Republik vergiftet hatte, weil behauptet wurde, „Novemberverbrecher hätte das bis dahin unbesiegte deutsche Heer hinterrücks erdolcht. So hätten nun auch die Offiziere um Stauffenberg gehandelt und damit den gewünschten „Endsieg
gefährdet.
Welcher Mut zur entscheidenden Tat gehörte, was Stauffenberg, mit dieser Tat riskierte – Herkunft, Familie, Leben –, wollten sie weder wissen noch würdigen, und nur zu gerne glaubten sie den Ausfällen nationalsozialistischer Propaganda gegen Adelige und Generalstabsoffiziere. Das Attentat sollte eine ganz andere Wirkung entfalten: Die Nationalsozialisten wollten endgültig die besondere Stellung des Adels, die er trotz der nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsideologie behauptet hatte, beseitigen. An ihrer Stelle übernahmen hohe Funktionäre des NS-Staates das Ruder, die sogar ihre Machterstellung ausbauen konnten. So wurde Heinrich Himmler unmittelbar nach dem Anschlag zum Befehlshaber des Ersatzheeres ernannt und verfügte daher über die Wehrmachtsverbände, die sich auf Reichsgebiet befanden.
Die Mitverschwörer Stauffenbergs luden überdies in den Verhören vor der Gestapo und der Sonderkommission des Sicherheitsdienstes einen großen Teil ihrer eigenen Verantwortung auf den bereits in der Nacht zum 21. Juli 1944 erschossenen Verschwörer ab, denn sie wussten, dass ihre Aussagen den längst Ermordeten und deshalb der Willkür der Gestapo entzogenen Attentäter nicht mehr gefährden konnte. So wurde Stauffenberg in vielen Untersuchungsberichten, die der Chef des Sicherheitsdienstes (SD) Ernst Kaltenbrunner anfertigte und in seinem Sinne beeinflusste, zur entscheidenden Antriebskraft eines Umsturzversuches, der bis in die letzten Kriegstage hinein Opfer forderte, da das Regime tatsächliche oder vermeintliche weitere Verschwörer bis in die letzten Kriegstage hinein verhaften, verurteilen und töten ließ.
Die Gedenkplatte für die Männer des 20. Juli im Innenhof des Berliner Bendlerblocks.
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wechselte die Perspektive der Deutschen. Nun wurde Stauffenberg nicht mehr offen als Verräter diffamiert, wurde seine Familie zunehmend weniger geächtet. Geachtet wurde der Attentäter freilich noch nicht. Vielmehr suchten Mitläufer – der damalige Bundespräsident Theodor Heuß