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Der große Bruder: Wie die Geheimdienste der DDR und der UdSSR zusammenarbeiteten
Der große Bruder: Wie die Geheimdienste der DDR und der UdSSR zusammenarbeiteten
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eBook279 Seiten3 Stunden

Der große Bruder: Wie die Geheimdienste der DDR und der UdSSR zusammenarbeiteten

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Über dieses E-Book

Die Auslandsnachrichtendienste der DDR und der Sowjetunion kooperierten auf internationaler Bühne. Insbesondere mit ihrer Industriespionage stützte die HV A auch die Wirtschaft der UdSSR, indem sie Spitzentechnologien aus dem Westen besorgte, die auf der CoCom-Liste standen. Der Autor, Oberst a.D. Bernd Fischer, wickelte 1990 nicht nur die Auslandsaufklärung der DDR ab, sondern gewann zuvor auch tiefe Einblicke in die Zusammenarbeit mit dem sowjetischen Bruderorgan. Erstmals berichtet ein Insider über die Kooperation von HV A und KGB.
SpracheDeutsch
Herausgeberedition ost
Erscheinungsdatum12. Okt. 2012
ISBN9783360510068
Der große Bruder: Wie die Geheimdienste der DDR und der UdSSR zusammenarbeiteten
Autor

Bernd Fischer

Bernd Fischer, Prof. Dr. med., geboren 1939, Hirnforscher, Chefarzt a. D. der ersten deutschen Memoryklinik. Präsident des Verbandes der Gehirntrainer Deutschlands und der Memory-Liga. Begründer des Brainjoggings sowie Mitbegründer des Gehirnjoggings, von der Presse Gehirnjogging-Papst genannt. Träger des Hirt-Preises 1993 im Bereich soziales Engagement zusammen mit Hans Küng, Marion Gräfin Dönhoff und Karl-Heinz Böhm. Autor und Koautor von mehr als 60 Büchern.

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    Buchvorschau

    Der große Bruder - Bernd Fischer

    KGB-Chef Krjutschkow: Die DDR-Aufklärung hat für uns weit mehr getan als wir für sie

    Von Generaloberst a. D. Werner Großmann

    Die Darstellung des Verhältnisses zwischen den Auslandsnachrichtendiensten der DDR und der Sowjetunion, der Hauptverwaltung A des MfS und der 1. Hauptverwaltung des Komitees für Staatssicherheit (KfS) im Zeitraum von 1951 bis 1990, erscheint als Band 7 der Geschichte der HV A. Damit liegt ein weiterer gewichtiger Beitrag zur wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer Schutz- und Sicherheitsorgane vor. Er behandelt zugleich die Geschichte der geheimdienstlichen Auseinandersetzung im Kalten Krieg.

    Das Thema gehört zu dem Spektrum des Wirkens der DDR-Aufklärung, um das sich seit Jahren eine Vielzahl von Mythen und Spekulationen ranken. Es wird erstmals aus der Sicht der DDR-Aufklärung in seiner Gesamtheit nicht nur dargestellt, sondern auch aus der Position der beteiligten Akteure bewertet. Bernd Fischer erschließt dazu auch russische Quellen, die bisher in deutscher Sprache nicht vorliegen und viele noch nicht dokumentierte Aussagen, die er von aktiv Beteiligten erhielt. Berücksichtigt werden auch westliche, speziell amerikanische Wertungen zur Problematik.

    Diese Darstellung der Zusammenarbeit der beiden Nachrichtendienste in ihren historischen Zusammenhängen und in den verschiedenen Etappen der Auseinandersetzung im Kalten Krieg der beiden Weltsysteme ist zugleich auch eine Darstellung der Geschichte der Auslandsaufklärung des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden von den Anfängen dieses Dienstes bis zu seinem Ende. Diese Geschichte hätte nicht stattgefunden ohne das Zusammenwirken mit den Aufklärern der Sowjetunion. Sie war Bestandteil der Schicksalsgemeinschaft DDR-Sowjetunion. Und wie diese Schicksalsgemeinschaft hatte auch unsere Zusammenarbeit viele Facetten. Das Wichtigste war dabei die Partnerschaft von Menschen, die durch übereinstimmende Ziele verbunden waren, auch wenn dabei immer große Unterschiede bestanden. Diese wurzelten in erster Linie darin, dass die einen sich als Vertreter einer Großmacht verstanden und die anderen als deren Bundesgenossen, die Bürger eines von dieser Großmacht abhängigen kleinen Staates waren.

    38 Jahre, fast die Hälfte meines Lebens, diente ich in der Auslandsaufklärung, in der Hauptverwaltung A des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Vom Anfang bis zum Ende meines Dienstes waren Bürger der Sowjetunion meine Wegbegleiter. Für mich waren sie, wie für uns alle in unserem Dienst, die Vertreter jenes Staates, der uns vom Faschismus befreit hatte. Sie waren die Nachfolger der legendären Tscheka und weltweit erfolgreich tätige Aufklärer. Ich war stolz darauf, mit sowjetischen Freunden, so nannten wir sie reinen Herzens, Seite an Seite für Frieden und Sicherheit auf unserem Planeten kämpfen zu können.

    Ich lernte viele sowjetische Tschekisten kennen. Mit nicht wenigen war ich persönlich verbunden, teils dienstlich, oft aber auch freundschaftlich. Es waren nicht wenige darunter, mit denen ich zeitlebens befreundet blieb. Dazu gehören die Generale Schebarschin, Bobkow, Schischkin und Nowikow sowie die Oberste Oleg Gerassimow, Wladimir Budachin und Alexander Prinzipalow, die lange Zeit in der DDR als Verbindungsoffiziere lebten. In diese Freundschaft eingebunden waren auch die Ehefrauen.

    Meine Freunde und Bekannten waren Menschen unterschiedlicher Nationalität: Russen, Ukrainer, Belorussen, Angehörige der Völker der mittelasiatischen, transkaukasischen und baltischen Sowjetrepubliken. Gemeinsam war uns unser politischer Auftrag, mitzuhelfen, die sozialistischen Länder zu schützen, ihre ökonomische und soziale Entwicklung sowie den Wohlstand ihrer Bevölkerung zu fördern.

    Diese 38 Jahre meiner Dienstzeit sind die Jahre des Kalten Krieges zwischen zwei hochgerüsteten Paktsystemen, in denen es nicht wenige Situationen gab, in welchen die Gefahr bestand, dass der Kalte in einen heißen Krieg eskaliert und ein nukleares Inferno die Menschheit bedroht. Grund genug, dass wir bemüht waren, unsere Kräfte im Kampf um die Erhaltung des Friedens zu vereinen. Das Komplizierte dabei war, dass die Regeln der Konspiration und vor allem der Schutz der Quellen strikt gewahrt werden mussten.

    Zwischen der HV A des MfS der DDR und der 1. Hauptverwaltung des KfS der UdSSR gab es einen regen Informationsaustausch, der zu einer richtigen Beurteilung der politischen und militärischen Lage in Ost und West wesentlich beitrug, auch wenn diese Informationen von den politischen Führungen beider Staaten nicht immer begriffen und berücksichtigt wurden.

    Unser Zusammenwirken fußte vor allem auf gemeinsamen Zielen, es war von Vertrauen und Verständnis, von gegenseitiger Achtung des Wissens und Könnens des Partners gekennzeichnet. Trotzdem waren wir uns bewusst, dass uns nur die Rolle des Juniorpartners zukam.

    Ich erlebte in den vielen Jahren der Zusammenarbeit sehr oft ehrliche Freude bei unseren sowjetischen Freunden über von uns erzielte Erfolge. Enttäuscht und auch verbittert hingegen sind meine Mitstreiter und ich persönlich, weil die politische und staatliche Führung der Sowjetunion – mit Ausnahme des früheren Vorsitzenden des KfS Wladimir Alexandrowitsch Krjutschkow (1924-2007) – nichts unternahm, um unsere Mitarbeiter und unsere Kundschafter in der Bundesrepublik vor strafrechtlicher Verfolgung zu schützen.

    Kundschafter, deren Arbeitsergebnisse in der Zeit des Kalten Krieges auch für die Sowjetunion im politischen, militärischen, ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Bereich von großer Bedeutung waren, wurden nach der deutschen Vereinigung zu langjährigen Haft- und hohen Geldstrafen verurteilt, ohne dass Moskau in Bonn zuvor politisch interveniert hatte. Was konnten wir auch von Leuten wie Gorbatschow, Schewardnadse und ihren Paladinen erwarten? Sie erkauften sich die Umarmungen und das Wohlwollen des Westens durch Verrat des eigenen Volkes und ihrer ehemaligen Genossen und Kampfgefährten auch aus der DDR.

    Armeegeneral a. D. W. A. Krjutschkow, 1989/91 Mitglied des Politbüros des ZK der KPdSU, artikulierte in seinen Memoiren »In eigener Sache«¹ hohe Wertschätzung für unsere Arbeit, die der Sowjetunion und den anderen Ländern der sozialistischen Gemeinschaft zugute kam. Krjutschkow, schrieb: »Das fand seinen Ausdruck in dem gewaltigen Beitrag, den unsere Kampfgefährten, die Aufklärer der DDR für die Stärkung der Sowjetunion, für die Entwicklung ihrer Wirtschaft, Wissenschaft und Verteidigungsbereitschaft leisteten. Ganze Zweige der Industrie und der Wissenschaft wurden in hohem Maße auf Grund der Anstrengungen unserer deutschen Freunde im Bereich der Aufklärung weiterentwickelt. Uns wurden unentgeltlich im Rahmen der Zusammenarbeit Ergebnisse der Grundlagenforschung, neueste Technologien und Muster technischer Neuentwicklungen zur Verfügung gestellt. Im Verlaufe der Jahrzehnte stellten unsere Freunde aus der DDR uns Werte in Höhe von Dutzenden Milliarden Dollar zur Verfügung, sofern man das überhaupt in Geld ausdrücken kann.

    Von den Freunden erhielten wir politische Informationen, die ihren Niederschlag in politischen Entscheidungen von perspektivischer Bedeutung fanden.

    Sie waren uns unschätzbare Hilfe bei der Gewährleistung der Sicherheit sowjetischer Bürger und Einrichtungen im Ausland. Sie halfen, Angriffe zu verhindern, Entführungen zu vereiteln und Provokationen abzuwehren. Wir blieben auch nicht undankbar und bemühten uns unsererseits ebenfalls zu helfen. Trotzdem müssen wir anerkennen, dass die DDR-Aufklärung für uns weit mehr getan hat.«²

    Die Zusammenarbeit mit vielen sowjetischen Aufklärern, die enge persönliche Verbindung zu vielen von ihnen, die gemeinsamen beruflichen und persönlichen Erlebnisse gehören zu den positiven Seiten meines Lebens.

    Ein neuer deutscher Auslandsnachrichtendienst – der Beginn

    »Aus bescheidenen Anfängen wurde die HV A einer der erfolgreichsten, wenn nicht der erfolgreichste Spionagedienst des Kalten Krieges – in Ost und West. Das ist allerdings eine nach dem Kalten Krieg vorgenommene Bewertung. Westliche Spionagedienste haben die HV A oftmals ignoriert und ihre Klasse unterschätzt. Für sie blieben die Ostdeutschen lediglich eine Art Geheimwaffe ihrer KGB-Herren.«³

    So urteilte Herausgeber Thomas Wegener Friis im Vorwort des in London und New York 2010 erschienenen Readers mit den Beiträgen westlicher Autoren, die diese auf der wissenschaftlichen Konferenz an der Süddänischen Universität in Odense im November 2007 gehalten hatten. Das Thema dieser Konferenz lautete »Hauptverwaltung A – Geschichte, Aufgaben, Einsichten«, und sie beschäftigte sich in unterschiedlichen Beiträgen mit den Arbeitsrichtungen der DDR-Aufklärung: politische, wissenschaftlich-technische und Militärspionage sowie Gegenspionage, Spionageabwehr und das von der HV A eingesetzte Verbindungssystem. An der Debatte beteiligten sich damals dreizehn Experten aus europäischen Staaten und aus den USA sowie elf HVA-Insider und frühere Top-Spione.

    Das Zitat artikuliert eine nicht zuletzt auf dieser Tagung in Dänemark wiederholt erhobene Fragestellung, die für die Bewertung der Geschichte der Auslandsaufklärung der DDR von zentraler Bedeutung ist. Ein Aspekt dieser Tätigkeit war die Kooperation der HV A mit den östlichen Partnern.

    Dabei nehmen Verhältnis und Zusammenwirken zwischen den Diensten für Auslandsaufklärung der DDR und der UdSSR, der Hauptverwaltung A des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (HV A) und der 1. Hauptverwaltung (PGU⁵) des Komitees für Staatssicherheit der UdSSR (KfS), einen besonderen Platz ein.

    Ich werde das Thema nicht umfassend, in allen Aspekten und allseitig behandeln, sondern lediglich jene wichtigen Facetten des Verhältnisses von HV A und PGU in ihrer Entwicklung seit Beginn der Tätigkeit des Auslandsnachrichtendienstes der DDR beleuchten, die für die operative Arbeit in der Zentrale wie im Operationsgebiet bedeutsam waren. Dabei gehe ich davon aus, dass die sowjetische Position entscheidend für die Schaffung eines Nachrichtendienstes der DDR, für dessen Aufbau und Entwicklung, für seinen Bestand und schließlich im weiteren Sinn auch für sein Ende war.

    Das vorliegende Buch ist als siebter Band integraler Bestandteil des Vorhabens, die Geschichte der Hauptverwaltung A zu Lebzeiten der Akteure zu schreiben. Seit Beginn der Arbeit an diesem Projekt verstarben wichtige Zeitzeugen – darunter Kurt Gailat, Horst Jänicke, Wadim Kirpitschenko, Wladimir Krjutschkow, Anatolij Nowikow, Alexander Prinzipalow, Werner Prosetzky und Markus Wolf. Ich konnte ausnahmslos alle noch persönlich konsultieren. Ihr diesbezügliches Wissen floss somit in dieses Buch ein.

    Die Entwicklung des Auslandsnachrichtendienstes der DDR von Anfang bis Ende lässt sich – wie die Entwicklung der DDR – nur im Kontext mit der Sowjetunion und der BRD darstellen. Unter den Bedingungen, wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hatten, wäre weder in Ost- noch in Westdeutschland die Entstehung von Nachrichtendiensten ohne die direkte Einflussnahme und Federführung der Besatzungsmächte denkbar gewesen, im Osten also der UdSSR und im Westen in erster Linie der USA.

    Die Ausführungen stützen sich zu einem beträchtlichen Teil auf persönliche Erfahrungen und Erinnerungen einer großen Zahl von Angehörigen der HV A, die auf unterschiedlichen Ebenen in der Zentrale und im Operationsgebiet tätig waren. Weitere Grundlagen sind meine eigenen Erfahrungen und Erinnerungen sowie Gespräche, die über Jahre hinweg gezielt zum Thema geführt worden sind. Sie widerspiegeln die Sicht des Leiters und aller Leitungsebenen der Hauptverwaltung, von Leitern operativer Abteilungen der HV A und ihrer Stellvertreter, von Referatsleitern und Mitarbeitern. Unter ihnen sind nicht wenige, die sowohl in der Zentrale als auch im Operationsgebiet nachrichtendienstlich tätig waren. Dazu gehören ehemalige Residenten, die in unterschiedlichen Regionen oft viele Jahre für die HV A gearbeitet haben und an ihren Einsatzorten dienstliche und persönliche Verbindungen zu sowjetischen Partnern hatten. Wiedergegeben werden zum Thema auch persönliche mündliche Ausführungen von Leitern und Mitarbeitern der sowjetischen Aufklärung.

    Ich stütze mich auch auf die offizielle Geschichte der Auslandsaufklärung der Russischen Föderation. Sie erschien unter dem Titel »Streiflichter der Geschichte der Auslandaufklärung der Russischen Föderation«⁶ in sechs Bänden. Der (vorerst) letzter Band erschien 2006 in Moskau und behandelte die Jahre 1966 bis 2005.

    Darüber hinaus untersuchte ich zahlreiche, das Thema berührende Autobiografien und Publikationen. Um größtmögliche Authentizität zu erreichen, werden schriftliche Dokumentationen wichtiger Akteure – biografische und monografische Originale, wissenschaftliche Beiträge, Erinnerungsliteratur – zitiert.

    Das Thema erfuhr bereits eine sehr umfangreiche Behandlung in der einschlägigen Literatur. Dabei dominieren vorrangig zwei Tendenzen: Zum einen wird das Verhältnis so dargestellt, als sei die Auslandsaufklärung der DDR lediglich ein Juniorpartner minderer Bedeutung gewesen, der in der Hauptsache dem KGB der UdSSR und dessen Auslandsaufklärung, der 1. Hauptverwaltung des Komitees für Staatssicherheit der UdSSR, zugearbeitet habe.

    Zu ganz anderen Erkenntnissen kam Benjamin Fisher. Der langjährige Chefhistoriker der CIA hatte sich intensiv mit dieser Problematik befasst und kam schließlich zu diesem Urteil: »In der Zeit zwischen Errichtung und Fall der Mauer erlitt die CIA eine der größten Niederlagen der Spionagegeschichte. Bereitet wurde sie ihr nicht durch das sowjetische KGB, sondern durch dessen ostdeutschen Stellvertreter, das Ministerium für Staatssicherheit und dessen Auslandsaufklärungsdienst, die Hauptverwaltung Aufklärung (HV A). Gemeinsam haben es MfS und HV A vermocht, dass sich die CIA in der Deutschen Demokratischen Republik, einem neuralgischen Ziel im Kalten Krieg, als taub, stumm und blind erwiesen hat. ›Doppelagenten‹ nutzend, kontrollierte die ostdeutsche Aufklärung praktisch alle menschlichen Quellen (HUMINT) der CIA und bewirkte damit ein großes Loch genau da, wo es um eines der wichtigsten Aufklärungsziele der USA ging. Indem die HV A amerikanische Quellen anwarb, entschärfte die ostdeutsche Aufklärung die amerikanische Funkaufklärung (SIGINT) und die elektronische Kriegsführung, die von Westberlin aus Ziele der sowjetischen und ostdeutschen Streitkräfte erreichen sollten. Die US-Spionage blieb dadurch an einem Schlüsselsektor der Frontlinie des Kalten Krieges taubstumm. Und ihre Fähigkeiten zur elektronischen Ausspähung der Streitkräfte, zur Verhinderung eines Überraschungsangriffes waren ernsthaft eingeschränkt. Echter Quellen beraubt, war die CIA ahnungslos, als in Ostdeutschland sich das Volk gegen das letzte stalinistische Regime in Osteuropa erhob. Und sie war nicht in der Lage, die Öffnung der Berliner Mauer vorherzusehen.«

    Im Weiteren reflektiert Benjamin Fisher ausführlich die Doppelagentenpraxis der HV A und den »Schaden«, den die CIA dadurch erlitten habe. Er setzt sich dabei mit Positionen Milton Beardens, des langjährigen Leiters der Sowjetunion-Osteuropa-Abteilung der CIA, auseinander: »Er behauptet, dass diese Abteilung (SE) Ostberlin nicht mehr als ein Übungsgelände für Mitarbeiter betrachtet habe, die für anspruchsvollere Kommandierungen in Moskau und anderen Ostblock-Hauptstädten vorgesehen waren.«

    Fisher widerspricht Baerden entschieden: »Die Darstellung, dass die CIA angeblich Ostdeutschland als Nebenschauplatz betrachtet habe, ist nicht haltbar. Ostdeutschland war auf jeden Fall für die US-Aufklärung ein hochwichtiges Ziel. Die Haupttrennlinie zwischen den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang und den westlichen Demokratien hatte eine Länge von 1.737 Kilometer. 1.381 davon verliefen durch das geteilte Deutschland. Auf der einen Seite gab es die DDR, den westlichen Außenposten des Sowjet-Imperiums und dessen militärischen Bündnisses, des Warschauer Paktes. Die sowjetische Garnison, die Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) umfasste 400.000 der 500.000 in Osteuropa stationierten sowjetischen Militärangehörigen. Das waren Einsatzkräfte in ständiger Gefechtsbereitschaft, die sich permanent in Manövern in Erwartung eines Krieges oder zur Vorbereitung eines Überraschungsangriffs befanden. Im Kriegsfall sollte die GSSD mit ihren Panzerdivisionen blitzkriegsartig vorstoßen und die Verteidigung der Organisation des Nordatlantikpaktes (NATO) in Westdeutschland durchbrechen. […]

    Auf der westlichen Seite des Eisernen Vorhangs befand sich die Bundesrepublik Deutschland, Amerikas wichtigster Verbündeter im Kalten Krieg und zugleich das wichtigste Land im NATO-Bündnis im Hinblick auf die territoriale Lage und auf die dort stationierten Streitkräfte, sowohl der NATO als auch der Westdeutschlands, sowie hinsichtlich der ökonomischen und insbesondere industriellen Kapazitäten. Eine Dreiviertelmillion Angehörige der alliierten Streitkräfte und ihre Familienangehörigen waren neben einer halben Million westdeutscher Truppen stationiert. Dazu kamen über 40 militärische Einrichtungen der NATO.«

    Mit Verweis auf die Erfolge der offensiven Abwehr, der Gegenspionage der HV A, speziell auch in der Doppelagentenarbeit gegen die CIA, schreibt Ben Fisher weiter: »Das KGB wusste sich bald Wolfs Erfolge zunutze zu machen. Ein ehemaliger KGB-General […] behauptete, die HV A sei ›so tief in Einrichtungen der westdeutschen Regierung, des Militärs und der Geheimdienste eingedrungen, dass wir uns nur zurückzulehnen und Wolfs Ernte abzuwarten brauchten‹. Die deutschen Verantwortlichen schätzen, dass die HV A allein 80 Prozent aller nachrichtendienstlichen Erkenntnisse des Warschauer Vertrages über Westdeutschland und die NATO, der sowjetischen Ziele höchster Priorität, beschafft hat. Ein Großteil des Aufkommens geht auf das Konto der Konterspionage der HV A. Während des Kalten Krieges war das alles nicht bekannt. Wolfs Dienst war gewissermaßen eine ›Tarnkappenwaffe‹, die zu keiner Zeit auf dem Radar des Westens ausgemacht werden konnte.

    Die HV A wurde zum wichtigsten verbündeten Dienst des KGB und erhielt neue Marschbefehle. Bis in die späten 70er Jahre unterlag die Tätigkeit der osteuropäischen Dienste einer strikten Arbeitsteilung, in welcher der KGB misstrauisch sein Vorrecht zur Bearbeitung der CIA wahrte. Jeder der verbündeten Dienste bedurfte der Zustimmung des KGB, falls er eine Operation gegen die CIA realisieren wollte, und die Operation musste vorab vom KGB ›grünes‹ Licht erhalten und KGB-Interessen berücksichtigen. Im Verlaufe der 70er Jahre wurde die Arbeitsteilung revidiert. Der HV A wurde es überlassen, nach eigenem Ermessen vorzugehen.«¹⁰

    Als Beispiel für ein neues Herangehen seitens des KGB an einzelne verbündete Dienste in den 80er Jahren, speziell die Kooperation von HV A und KGB, führt Ben Fisher im Zusammenhang mit dem Fiasko der CIA in Doppelagentenoperationen gegen die HV A den Fall der Teufelsberg-Quelle »Hall«¹¹ an. Entsprechend der zwischen HV A und PGU vereinbarten Verständigung konnte »Hall« beim gemeinsamen Treff in Wien entscheiden, zu welchem der beiden Dienste er die Verbindung halten wollte. Er entschied sich für die HV A, und so wurde verfahren – erfolgreich.¹²

    Im Zusammenwirken von Spionageabwehr des MfS (Hauptabteilung II) und der Abteilung Gegenspionage der HV A (Abteilung IX) konnte die gesamte Struktur und Dislozierung des US-Geheimdienstapparates in Ost- und Westdeutschland aufgearbeitet werden – sowohl der CIA als auch der militärischen Geheimdienste und der National Security Agency (NSA). Die Datenbanken der HV A enthielten die Namen von rund 5.000 vermutlichen CIA-Offizieren, die rund um die Welt gesammelt worden waren. Von mehreren Quellen – so von Bob Inman, damals stellvertretender Direktor der Zentralen Aufklärung, vor einem Untersuchungsausschuss des Kongresses – wurde bestätigt, dass alle CIA-Quellen, die gegen die DDR tätig waren, vom MfS als Doppelagenten gegengesteuert worden waren.

    Der entscheidende Fehler der CIA in Deutschland habe laut Expertenmeinung darin bestanden, immer zu ignorieren, dass hinter der nächsten Tür das MfS, die »Geheimwaffe des KGB«, in Lauerstellung lag. Die große Präsenz der Amerikaner bot dem MfS ein breites Spektrum zur Gewinnung von Quellen. Zum Beispiel: Die HV A lieferte den Sowjets umfangreiche und detaillierte Informationen über die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles im Rahmen des sogenannten NATO-Doppelbeschlusses auf dem Boden der BRD.

    Mit zwei besonders gut platzierten Quellen im Bereich der SIGINT (Signals Intelligence = fernmelde-/elektronische Aufklärung) enttarnte die HV A die gesamte funkelektronische Aufklärung der USA über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Im Urteil über die Quelle »Hall« stellte

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