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Star Trek - Die Eugenischen Kriege: Der Aufstieg und Fall des Khan Noonien Singh 2
Star Trek - Die Eugenischen Kriege: Der Aufstieg und Fall des Khan Noonien Singh 2
Star Trek - Die Eugenischen Kriege: Der Aufstieg und Fall des Khan Noonien Singh 2
eBook527 Seiten7 Stunden

Star Trek - Die Eugenischen Kriege: Der Aufstieg und Fall des Khan Noonien Singh 2

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Über dieses E-Book

Selbst Jahrhunderte später werden die letzten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts - von denen, die die Wahrheit kennen - immer noch als das dunkelste und gefährlichste Kapitel der Menschheitsgeschichte betrachtet.
Es gibt noch viele offene Fragen über die schrecklichen Eugenischen Kriege, die während der 1990er auf der Erde tobten. Es war ein apokalyptischer Konflikt, der die Zivilisation an den Rand eines neuen finsteren Mittelalters brachte.
Die Kinder des streng geheimen Genforschungsexperiments Chrysalis sind erwachsen geworden und demonstrieren rasch, dass größere Fähigkeiten zu größerem Ehrgeiz führen.
Das bemerkenswerteste Exemplar dieser neuen Superrasse scheint der charismatische Khan Noonien Singh zu sein. Dieser intrigiert hinter den Kulissen der Geschichte als Kopf einer weltweiten Verschwörung, und schnell erstreckt sich Khans Macht über ein Viertel des Planeten. Doch das ist nur der Beginn seines großen Plans. Khan ist entschlossen, die Menschheit unter der aufgeklärten Herrschaft einer genetischen Elite zu vereinen und träumt davon, seine übermenschlichen Geschwister zu totaler Weltherrschaft zu führen.

"Und erneut ist Cox ein genialer Wurf gelungen. Ein Must-Read und ein Edelstein unter den STAR TREK-Romanen."
- Christian Freitag, Trekzone.de
SpracheDeutsch
HerausgeberCross Cult
Erscheinungsdatum10. Aug. 2015
ISBN9783864254734
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    Buchvorschau

    Star Trek - Die Eugenischen Kriege - Greg Cox

    hatte.

    1

    Mururoa-Atoll Tuamotu-Inseln Französisch-Polynesien 14. Juni 1992

    Sechzig Meter über dem Boden der Abschussrampe kletterte Roberta Lincoln auf einen waagerechten Abschnitt des Raketengerüsts. Ein kleiner grüner Gecko flitzte aufgeschreckt davon, als die amerikanische Mittvierzigerin sich auf Händen und Knien ihrem Ziel näherte: der Ariane-Rakete, die auf ihren Start wartete.

    Nichts ändert sich je wirklich, dachte Roberta. Vor fünfundzwanzig Jahren war ihr langjähriger Freund und Mentor, Gary Seven, über eine ähnliche Plattform geklettert, um einen anderen Raketenabschuss zu sabotieren. Seine Aufgabe hatte darin bestanden, zu verhindern, dass eine Massenvernichtungswaffe in die Umlaufbahn geschossen wurde, um den Auftakt eines Wettrüstens zu verhindern.

    Ein Vierteljahrhundert später hatte Roberta in etwa das Gleiche vor. Der Unterschied ist nur, dass dieses Mal ich es ohne Netz und doppelten Boden mache.

    Um sich vor einem Fall in Tiefe wenigstens etwas zu schützen, befestigte Roberta die Sicherheitsleine, die an ihrem Gürtel angebracht war, an einer Metallstange vor ihr. Eine kühle Brise strich durch ihr honigblondes Haar, während sie sich bis auf Armeslänge an die mächtige europäische Rakete heranarbeitete, deren Aufgabe es war, einen Satelliten in den Erdorbit zu bringen. Roberta dachte kurz darüber nach, zu welchen Bestechungen oder Mitteln Khan wohl hatte greifen müssen, um die Ariane in seine Finger zu bekommen, ganz zu schweigen davon, sie zu dieser Startplattform im Südpazifik zu schaffen, die ehemals von der französischen Regierung für nukleare Testreihen verwendet worden war.

    Von ihrem luftigen Hochsitz auf dem Gerüst aus konnte Roberta das gesamte Atoll überblicken: ein kreisförmiger begrünter Ring, der eine riesige Lagune umgab, die vom Mondlicht beschienen unter ihr lag. Der Großteil der Insel war mit Palmen und Mangroven bedeckt, aber sie konnte dennoch die Lichter in der Kommandozentrale erkennen, die von üppigen tropischen Pflanzen umgeben unter ihr lag.

    »Hoffen wir mal, dass sie mich nicht entdecken«, flüsterte sie zu sich selbst und war sich gleichzeitig bewusst, dass sich die grünen Camouflage-Shorts und das grüne Tanktop, die sie zuvor im tropischen Dschungel getarnt hatten, nun deutlich gegen das Rot des Gerüsts abhoben. Ihren neuesten Informationen zufolge sollte Khan selbst beim Start anwesend sein, doch Roberta hoffte, dass sie ihren Auftrag erfüllen und von Mururoa verschwinden konnte, ohne ihm zu begegnen.

    Das Letzte, was ich brauche, ist ein Wiedersehen mit diesem arroganten selbsternannten Supermann, dachte sie. Seven und sie hatten momentan mit der Krise in Bosnien alle Hände voll zu tun, ganz abgesehen von den ganzen internationalen Problemen, die Khan und seine Geschwister verursacht hatten. Begierig darauf, die Herrschaft über die Erde zu übernehmen, hatten die Kinder des Chrysalis-Projekts, wie Roberta sie noch immer gedanklich betitelte, Bürgerkriege und Unruhen auf der gesamten Erde angezettelt, wie zum Beispiel in Osteuropa, Liberia, Somalia und Peru. Das hatte Sevens und ihre Hauptaufgabe – die Vereitelung eines dritten Weltkriegs – nicht gerade vereinfacht. Und ich habe nach dem Ende des Kalten Krieges sogar kurz angenommen, ich könnte mich zur Ruhe setzen! Seit dem Fall der Berliner Mauer war ihre Arbeit jedoch höchstens komplizierter geworden.

    Und jetzt legte Khan mit dieser Aktion die Messlatte schon wieder höher. Roberta runzelte die Stirn und blickte prüfend zum Horizont, wo sich ein Hauch von Rosa in das nachtschwarze Dunkelblau mischte. Die Ariane-Rakete sollte im Morgengrauen gestartet werden, deshalb musste sie schnell handeln. So nah am Äquator ging die Sonne sehr rasch auf.

    Ihr Lieblingsallzweckwerkzeug, der Servo, der aussah wie ein harmloser silberner Füller, projizierte einen weißen Lichtstrahl auf die Außenhülle der Rakete, die von zwei Hilfstriebwerken mit Festbrennstoff flankiert wurde, die beim Start die nötige Schubkraft liefern sollten. Laut den Diagrammen, die sie sich vor ihrer Mission eingeprägt hatte, waren die Hauptkontrollen der Rakete genau hinter der Abdeckung, die jetzt vor ihr lag und auf der das schicke blaue Logo von Arianespace prangte, dem französischen Hersteller der Rakete. Roberta hatte vor, die Kontrollen so zu manipulieren, dass die Rakete in der äußeren Atmosphäre sich selbst und ihre heimtückische Fracht vernichten würde, ohne weiteren Schaden anzurichten. Mit etwas Glück war Khans jüngster Plan damit gescheitert, noch bevor er wirklich begonnen hatte.

    Das war zumindest das, was sie sich vorgenommen hatte. Sie versuchte, nicht an die fünfundzwanzig Tonnen flüssigen Wasserstoff zu denken, die sich unter ihr befanden und nur darauf warteten, entzündet zu werden. Sie stellte den Servo auf Lasermodus um und begann, mit chirurgischer Präzision – das hoffte sie wenigstens – ein Loch in das Panel zu schneiden. Der rote Laserstrahl hinterließ eine schwarze Brandlinie rund um das Firmenlogo. Roberta hatte im Nu ein kreisförmiges Stück herausgeschnitten und gab dem Metall einen Moment, um abzukühlen, bevor sie es heraushob, wodurch die darunterliegenden komplizierten Schaltkreise zum Vorschein kamen.

    Ziemlich gut, beglückwünschte sie sich selbst. Ein paar geschickte Bewegungen und – voilà – Khans moderne Technik lag nackter vor ihr als Sharon Stone in ihrem letzten Film. Mit einem triumphierenden Grinsen legte sie das kreisförmige Stück Metall beiseite, wobei sie darauf achtete, dass es nicht von der Kante des Gerüsts rutschte, und schaltete ihren Servo wieder auf seine Lampenfunktion um. Sie steckte das schlanke silberne Gerät zwischen ihre Zähne und griff vorsichtig in das elektronische Innenleben der Satellitentransportrakete.

    Ein elektrischer Schlag durchzuckte sie schmerzhaft und ließ ihren Körper einen Moment lang steif vor Schock werden. Bevor sie das Bewusstsein verlor, dankte sie dem Himmel dafür, dass sie sich mit einer Sicherheitsleine an der Plattform gesichert hatte.

    Immerhin würde sie nicht zu Tode stürzen …

    »Sie wacht auf, Exzellenz.«

    Der Klang einer rauen männlichen Stimme sickerte langsam durch den Nebel, der ihr Gehirn umgab. Roberta bemühte sich, ihre Augen zu öffnen, erstaunt, dass sie noch am Leben war und der elektrische Schlag sie nicht getötet hatte.

    Sie hatte so eine Ahnung, dass die guten Nachrichten sich darauf beschränken würden.

    »Danke, Joaquin«, antwortete eine vertraute Stimme, die Robertas schlimmste Befürchtungen bestätigte.

    Oh, nein!, dachte sie, und ein Schauder der Angst ließ ihren Körper erzittern. Soweit sie sagen konnte, lag sie auf der Seite auf etwas Weichem, einer Couch oder einem Kissen. Bitte nicht er!

    Sie blinzelte und sah einen großen Mann mit attraktiven indischen Gesichtszügen, der amüsiert auf sie herabsah. Seine braunen Augen musterten sie voller Selbstbewusstsein und Arroganz, als wäre sie ein wildes und seltenes Tier im Zoo, das sicher eingesperrt war und damit keinerlei Bedrohung. Er war glatt rasiert, und sein dickes schwarzes Haar war ordentlich an seinem Hinterkopf zusammengebunden. Er trug eine makellose weiße Nehru-Jacke und eine dazu passende Baumwollhose. »Ah, Ms. Lincoln«, grüßte er sie übertrieben herzlich. »Wie schön, dass Sie wieder bei uns sind!«

    »Hallo, Khan«, sagte sie eisig. Sie setzte sich auf und versuchte, aufzustehen, aber ihre Beine waren noch etwas zu wackelig. Ein rascher Blick verriet ihr, dass sie sich in einem luxuriös ausgestatteten Büro befand, das mit traditioneller polynesischer Kunst dekoriert war. Eine Wand zierte ein echter Gauguin, und auf dem riesigen Schreibtisch stand ein handgeschnitzter melanesischer Hai aus Holz. Ein bunter Teppich aus gefärbten und geflochtenen Schraubenbaumblättern bedeckte den Boden. Roberta gab sich alle Mühe, Khans Blick herausfordernd zu begegnen und den Knoten in ihrem Bauch zu ignorieren. »Ich habe Ihr Grinsen beinahe vermisst.«

    Hinter Khan lauerte ein großer, muskulöser Schläger mit hellbraunem Haar, der Roberta mürrisch anblickte. Unter seinem engen schwarzen T-Shirt zeichneten sich Muskeln ab, die Schwarzenegger alle Ehre gemacht hätten. Er trug eine schlichte graue Hose. Verglichen mit Khans strahlend weißem und makellosem Auftritt wirkte er langweilig und unauffällig, abgesehen von einer großen messingfarbenen Gürtelschnalle, die das Gesicht eines knurrenden Grizzlybären zeigte.

    »Sie werden Seine Exzellenz mit mehr Respekt behandeln!«, warnte er sie und hob bedrohlich eine seiner Pranken, als er einen Schritt auf sie zumachte. Sie zuckte zusammen und erwartete einen Schlag, der ihr zweifelsohne die Kraft seiner durch Gentechnik verbesserten Knochen und Sehnen eindrucksvoll demonstrieren würde.

    Doch Khan schüttelte den Kopf und zerstreute den Unmut seines Schergen mit einem kurzen Abwinken. »Wir können auf diese Formalitäten verzichten«, sagte er. »Ms. Lincoln und ich sind alte Bekannte.« Er schenkte ihr ein kaltes Lächeln. »Oder etwa nicht?«

    Wenn man so will, gab Roberta im Stillen zu. Sie hatte Khan Noonien Singh vor achtzehn Jahren das erste Mal getroffen, in einem riesigen unterirdischen Labor unter der Wüste Thar in Indien. Khan war damals erst vier Jahre alt gewesen, eines von Hunderten von genmanipulierten Kindern, die aus dem geheimen Chrysalis-Projekt hervorgegangen waren, aber er hatte schon damals das Selbstbewusstsein und Charisma besessen, das die meisten geborenen (oder in seinem Falle künstlich geschaffenen) Anführer an den Tag legten. Nachdem Gary Seven und sie das Chrysalis-Projekt beendet hatten, hatten sie sorgfältig Khans Werdegang und den der anderen Wunderkinder, die nun auf der ganzen Welt verstreut waren, verfolgt.

    Seven war überaus beeindruckt von Khans offensichtlicher Genialität und seinem großen Potenzial und hatte sogar versucht, ihn als Teenager für seine geheime Friedensorganisation anzuwerben, doch diese Idee erwies sich als totaler Reinfall: Khan war viel zu ehrgeizig, um Befehle entgegennehmen zu können. So hatte er sich gegen Seven und sie gewandt und die gesammelten Informationen über die Chrysalis-Kinder entwendet. Das war jetzt drei Jahre her, und seitdem war es Khan bereits gelungen, ein paar Dutzend seiner superstarken und superschlauen Geschwister um sich zu scharen, darunter auch Joaquin. Khans grandiose Pläne sahen vor, die Welt zu »retten«, indem er die Herrschaft übernahm. Doch Roberta hatte das unangenehme Gefühl, dass das längst nicht alles war, was Khan vorhatte.

    »Seit wann sind Sie so glatt rasiert?«, fragte sie ihn und versuchte, etwas Zeit zu schinden, bis sie sich von dem Elektroschock und der anschließenden Ohnmacht etwas erholt hatte. »Als ich Sie ’89 das letzte Mal gesehen habe, hatten Sie einen ziemlich beeindruckenden Bart. Ich dachte, der wäre quasi Pflicht für alle männlichen Sikhs?«

    Khan nickte und lächelte zustimmend. »Sehr gut, Ms. Lincoln. Ich bewundere Ihr kulturelles Wissen.« Er strich sich mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck über sein völlig glattes Kinn. »Obwohl ich meine heldenhaften Sikh-Vorfahren respektiere, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich mich nicht von Traditionen einschränken lassen will, die der Vergangenheit angehören. Ich gehöre zu einer neuen menschlichen Rasse. Ich bin ein völlig neuer und überlegener Krieger. Deshalb habe ich an meinem einundzwanzigsten Geburtstag meinen Bart abrasiert, um die Tatsache zu ehren, dass ich und andere, die mir ähneln, einen neuen Abschnitt in der Geschichte der menschlichen Evolution repräsentieren. Ich schaffe mir meine eigenen Traditionen und werde der Menschheit einen neuen Weg weisen.«

    »Immer noch genauso bescheiden wie damals«, kommentierte Roberta trocken. So unauffällig wie möglich suchte sie in ihren Taschen nach ihrem Servo, aber das vielseitige Gerät war nirgends zu finden. Hatte sie ihn auf dem Gerüst verloren, oder hatten Khan und seine Leute ihn ihr weggenommen?

    »Offen gestanden habe ich immer gehofft, dass Ihr Größenwahn nur eine Phase wäre, die sich geben würde, wenn Sie erwachsen sind.« Sie hörte auf, nach dem Servo zu suchen, und sah sich nach einer Möglichkeit zu fliehen um. Doch das Büro schien nur einen einzigen Ausgang zu haben. »Da war wohl der Wunsch Vater des Gedankens.«

    Khan runzelte die Stirn, und die vorgetäuschte Sympathie schwand. »Kein Größenwahn, Ms. Lincoln«, sagte er barsch. »Oder haben Sie vergessen, wie einfach ich Ihnen und dem rätselhaften Mr. Seven in den letzten Jahren aus dem Weg gegangen bin, obwohl Ihnen wahrlich alle Ressourcen zur Verfügung stehen?«

    Auch wieder wahr, räumte Roberta ein. Mit den gestohlenen Informationen von Sevens fortschrittlichem Beta-5-Computer hatte Khan sogar eine Möglichkeit gefunden, seine Festungen gegen Transporterstrahlen abzuschirmen, wodurch Seven und sie bei ihren Versuchen, Khan auszuspionieren, mehrmals gezwungen gewesen waren, auf weitaus primitivere Techniken zurückzugreifen. Um nach Mururoa zu gelangen, hatte Roberta sich auf eine andere Insel transportieren lassen, die mehrere Kilometer weiter südlich lag, und war dann mit einem Auslegerkanu durch Strömungen und an Korallenriffen vorbei hergepaddelt, bis sie nahe genug war, um sich über Bord fallen zu lassen und den Rest der Strecke zu tauchen, vorbei an Haien, Moränen und giftigen Quallen, bis sie endlich die Startrampe auf der verbotenen Insel erreicht hatte. Vermutlich lagen ihr nasser Taucheranzug und ihre Sauerstoffflaschen noch immer in dem großblättrigen Gebüsch, dort, wo sie an Land gekommen war. Doch die waren leider definitiv zu weit weg, um ihr in diesem Moment zu helfen.

    Das ist doch mal ein gelungener Südseeurlaub, schoss es ihr durch den Kopf.

    »Vielleicht haben wir Sie ja die ganze Zeit im Auge behalten«, warf sie Khan herausfordernd an den Kopf und fragte sich im gleichen Moment, ob sie zu viel gesagt hatte. Was, wenn Khan den Namen ihres Informanten erfahren wollte? »Stellen Sie sich nur vor, wie enttäuscht wir waren, als wir herausfanden, was Sie vorhatten. Selbst Seven hätte nicht gedacht, dass Sie so weit gehen würden.«

    Khans Mine verhärtete sich. »Seven hat es schon immer an Vorstellungskraft gemangelt«, bemerkte er verächtlich. »Deshalb reicht es ihm, eine Randfigur in der Geschichte der Menschheit zu bleiben, obwohl er das Potenzial zu viel mehr hat. Und darum bin ich vor vielen Jahren gegangen. Die Probleme der Welt erfordern mutiges und entschlossenes Handeln und nicht die vorsichtigen, zaghaften und halbherzigen Maßnahmen, auf die Sie und Seven sich spezialisiert haben.«

    Roberta wich keinen Zentimeter zurück. »Wir löschen das Feuer. Sie entzünden es. Soweit ich weiß, ist das ein immenser Unterschied.«

    »Feuer ist ein Element der Transformation, Ms. Lincoln«, entgegnete Khan. »Es reinigt uns von den verrotteten Überresten der Vergangenheit und schafft Raum für neues Wachstum.« Er nahm den hölzernen Hai von seinem Schreibtisch und zerdrückte ihn demonstrativ in seiner Faust, bis nur noch Splitter und Staub übrig waren, die er sich lässig von den Handflächen klopfte.

    »Aber wir haben genug herumphilosophiert. Ihre Anwesenheit wirft die entscheidende Frage auf, wo sich Gary Seven momentan aufhält. Können wir auch mit seiner Ankunft rechnen? Vielleicht wird er Sie retten wollen oder Ihre Mission für Sie beenden?«

    Schön wär’s, dachte Roberta. Tatsächlich nahm Seven gerade an einer entscheidenden Umweltkonferenz in Rio teil und versuchte sich gleichzeitig von ein paar Verletzungen zu erholen, die er sich vor ein paar Monaten in Kabul zugezogen hatte. Obwohl Seven selbst übermenschliche Fähigkeiten hatte, die das Resultat eines langen Zuchtprogramms auf einem Lichtjahre entfernten Planeten waren, war er nicht in der Verfassung, einen Überfall auf diese abgeschiedene und gut geschützte Insel durchzuführen.

    »Für jemanden, der ein genetisch verbessertes Gehirn hat, lässt Ihre Rechenfähigkeit aber zu wünschen übrig«, sagte sie zu Khan. »Seven ist mittlerweile über sechzig. Um die Hausbesuche kümmere ich mich jetzt.«

    Das war leicht übertrieben, aber es entsprach zumindest größtenteils der Wahrheit, und sie hoffte, dass Khan es ihr abkaufen würde. Im Laufe der Jahre hatte sie immer mehr Aufträge allein übernommen und es Seven überlassen, sich auf das Gesamtbild zu konzentrieren. Es ist wirklich an der Zeit, dass wir uns um einen Nachwuchsagenten kümmern, überlegte sie. Ich könnte jetzt weiß Gott Verstärkung gebrauchen.

    »Dann wird Seven wirklich langsam alt, was?« Khans Stimme hatte einen großmütigen Klang angenommen, was Roberta vermuten ließ, dass er ihr ihre Aussage abgekauft hatte. »Das macht mich irgendwie traurig. Auf seine Art war er ein würdiger Gegner.«

    Die Sprechanlage auf seinem Schreibtisch gab ein Brummen von sich, und Khan war in wenigen großen Schritten bei ihr, um zu antworten. »Khan hier«, meldete er sich knapp. »Wie ist die Lage?«

    »Noch etwa zehn Minuten bis zum Start, Sir«, sagte eine Stimme aus der Sprechanlage. Roberta glaubte, in der sehr respektvollen Antwort einen schottischen Akzent zu vernehmen. Das Herz rutschte ihr bei dieser Ankündigung in die Hose. Sie hatte den Start nicht verhindern können, und die Ariane würde nach wie vor ihre Fracht in den Orbit bringen. Ich habe versagt, dachte sie.

    »Wunderbar«, sagte Khan und schaltete die Sprechanlage ab, ohne auf eine Antwort zu warten. »Ich freue mich, sagen zu können, Ms. Lincoln, dass Ihr lächerlicher Sabotageversuch uns nur eine halbe Stunde gekostet hat, wodurch der Start wie geplant heute durchgeführt werden kann.« Er kam vom Schreibtisch zu ihr herüber und blickte auf sie herab wie auf ein ungehorsames Kind. »Sie hätten sich daran erinnern sollen, dass Sie es mit einem Gehirn zu tun haben, das darauf ausgelegt ist, Ihr eigenes zu überflügeln. Da ich mit Sabotage gerechnet habe, wurden die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um die Ariane vor einem solchen Zugriff zu schützen.« Er lächelte herablassend und selbstzufrieden. »Ich entschuldige mich, falls meine Gegenmaßnahmen Ihnen einen, wie soll ich sagen, Schock versetzt haben.«

    Sehr witzig, dachte Roberta säuerlich. »So überraschend waren sie jetzt auch wieder nicht.« Sie hätte sich lieber die Zunge abgebissen, bevor sie Khans bereits viel zu großem Ego einen weiteren Schub gab. »Aber ja, schätze, sie haben mich etwas unvorbereitet erwischt.«

    Zu dumm, dass mein Informant vergessen hat, diese hinterhältigen Sicherheitsvorkehrungen zu erwähnen, ärgerte sie sich. Wahrscheinlich war Khan zu diesem Thema noch verschlossener gewesen, als er es ohnehin schon war.

    »Ihr Mut ist beeindruckend«, gab er zu, schien aber ärgerlicherweise von Robertas dezentem Lob unbeeindruckt zu sein. »Auch wenn es Ihre Leistungen nicht sind.«

    Er ging zur Tür des Büros. »Nimm sie mit«, wies er Joaquin an, der Roberta unsanft am Arm packte und auf ihre Füße stellte. Der schmerzhafte Griff erinnerte sie an Carlos, den grobschlächtigen Wächter des alten Chrysalis-Projekts, der das Ergebnis einiger sehr früher Genmanipulationen gewesen war. Sie fragte sich, ob auch Joaquins Muskeln mit Gorilla-DNA aufgemotzt worden waren.

    Joaquin folgte Khan, der durch die Tür gegangen war. Nach ein paar Stufen erreichten sie das Dach der Kommandozentrale. Die Sonne war gerade aufgegangen und tauchte die malerische Insel mit der eingeschlossenen Lagune in wunderschönes Licht. Auf der gegenüberliegenden Seite, hinter dem azurblauen Wasser und einigen sich im Wind wiegenden Palmen, reckten sich die Ariane und ihr Startturm in die Höhe und zerstörten damit die Südseeidylle. Khan beobachtete sie und streckte euphorisch seine Arme aus. Sein makelloser weißer Anzug leuchtete in der Morgensonne. »Willkommen auf der Chrysalis-Insel, Ms. Lincoln!«

    Roberta hatte nicht vor, die schöne Szenerie zu würdigen. »Ich dachte, die Insel gehört den Franzosen«, antwortete sie schnippisch.

    Aus ihren Recherchen wusste sie sehr wohl, dass die Französische Regierung 1963 das Centre d’Expérimentation du Pacifique, kurz CEP, auf Mururoa gegründet hatte, um atomare Waffen zu testen, von denen die meisten in unterirdischen Höhlen im Lavagestein der Insel explodiert waren. Vor weniger als drei Monaten jedoch hatte Frankreich seine nuklearen Forschungen auf unbestimmte Zeit eingestellt, sehr zur Erleichterung der meisten anderen Nationen. Die restliche Welt hatte jedoch keine Ahnung, dass Mururoa jetzt die Heimstätte für etwas genauso Schlimmes und vermutlich noch viel Gefährlicheres als unterirdische Atomexplosionen war.

    Und damit meinte sie nicht nur Khan.

    »Unsere gallischen Freunde standen international unter ziemlichem Druck, diese Einrichtung zu schließen«, erklärte Khan.

    Roberta erinnerte sich an Bilder von Antiatomkraftdemonstranten auf Fidschi und den anderen Inseln. »Deshalb ist es mir gelungen, bestimmte französische Obrigkeiten davon zu … ›überzeugen‹, dass sie mir die Insel anvertrauen sollten. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit natürlich.«

    Roberta konnte sich gut vorstellen, wie diese »Überzeugung« wohl ausgesehen hatte. Drohungen? Erpressung? Attentate? Es wäre ja nicht das erste Mal, dachte sie. Obwohl es Seven und ihr nie gelungen war, Khans Beteiligung zu beweisen, verdächtigten sie ihn, bei verschiedenen tragischen Ereignissen die Finger im Spiel gehabt zu haben. Wie zum Beispiel dem Tod eines wichtigen indischen Politikers im letzten Frühjahr.

    »Tatsächlich«, fuhr Khan fort, »ist diese gesamte Anlage perfekt auf meine Bedürfnisse zugeschnitten, da sie mit Generatoren, einer Meerwasserentsalzungsanlage, einem Flugplatz, einer Telekommunikationsanlage und so weiter ausgestattet ist. Ihre Lage nahe dem Äquator macht sie außerdem perfekt für den Abschuss von Raketen, die Satelliten in den Orbit bringen sollen.« Er ließ seinen Blick über die Anlage schweifen, die von einem hohen, elektrisch gesicherten Zaun umgeben war. »Wir haben natürlich ein paar der Dinge, die die Franzosen uns hier hinterlassen haben, grundlegend überarbeitet und verbessert.«

    »Ich kann es gar nicht erwarten, eine Führung zu bekommen«, sagte Roberta und meinte es nicht mal komplett ironisch. Mit etwas Glück würde es ihr vielleicht gelingen, von Khans neuem Besitz einen genaueren Eindruck zu bekommen, bevor oder nachdem sie versuchen würde, zu fliehen.

    Eine kleine Gruppe von Menschen hatte sich auf dem Dach versammelt, um den Start der Rakete zu beobachten. Lautsprecher am Ende des Dachs verkündeten den Countdown für den immer näher rückenden Abschusstermin: »Noch zwei Minuten bis zum Start.«

    Khan spielte mit seiner Armbanduhr und stellte sie ebenfalls auf den Countdown ein, bevor er sich zu den anderen gesellte. Er signalisierte Joaquin, dass er mit Roberta folgen sollte.

    »Schon gut, schon gut, ich komme ja!«, grummelte sie verärgert, als der brutale Schläger sie über das Dach zerrte. Khans Mitarbeiter wandten ihre Blicke von der Rakete ab und musterten sie mit unterschiedlichen Graden von Neugier. Keinem schien jedoch ihr offensichtlicher Gefangenenstatus Unbehagen zu bereiten.

    »Countdown bis zum Start: Eine Minute und dreißig Sekunden.«

    Khan ignorierte Robertas Protest ebenfalls. »Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen ein paar der Genies vorstelle, die ich auf dieser Insel versammelt habe, wobei ich weder Kosten noch Mühen gescheut habe. Das hier ist Dr. Liam McPherson«, begann er und deutete auf einen schlaksigen rothaarigen Mann in einem weißen Laborkittel. »Ein Astrophysiker der Superlative und der Leiter unserer Mission. Doktor, darf ich Ihnen Ms. Roberta Lincoln vorstellen, einen unerwarteten Gast des heutigen großen Ereignisses.«

    McPherson warf Roberta einen flüchtigen Blick zu und wandte seinen Blick wieder der beladenen und startklaren Rakete zu. Ein Headset verband ihn mit der Kommandozentrale. Er strich sich über seinen buschigen kupferroten Bart, während er konzentriert Befehle in sein Mikrofon murmelte.

    Roberta nahm sein Verhalten nicht persönlich, da ihr klar war, dass McPherson mit dem kurz bevorstehenden Start beschäftigt war. »Freut mich, Sie kennenzulernen«, murmelte Roberta, obwohl der rothaarige Astrophysiker ganz offensichtlich nicht zuhörte. »Wir sollten das bald vertiefen.«

    »Und das hier«, fuhr Khan fort und wandte sich an eine exotisch aussehende Frau, deren Schönheit durch einen indigoblauen Seidensarong mit passendem Top gekonnt unterstrichen wurde, »ist die wundervolle Ament, eine meiner weisesten und loyalsten Vertrauten.«

    Sie trug schimmernde schwarze Perlen als Ohrringe, wie sie nur auf den Tuamotu-Inseln vorkamen, und ihr schwarzes schulterlanges Haar glänzte mit ihnen um die Wette. Kühle goldene Augen musterten Roberta ruhig und schienen sich über sie zu amüsieren. Ihr schlanker und langgliedriger Körper wirkte gleichermaßen jugendlich und zeitlos.

    Roberta hasste sie aus Prinzip. »Nette Ohrringe«, sagte sie ausdruckslos, da man selbst zu einer unsympathischen Person etwas Nettes über deren Schmuck sagen konnte.

    »Danke«, antwortete Ament kühl. Ihre tiefe, heisere Stimme hatte einen leicht arabischen Akzent. »Khan hat sie mir geschenkt.«

    Er nickte und faltete seine Hände hinter dem Rücken. »Ich habe sie selbst den gigantischen Muscheln entrissen, die man nur auf diesen Inseln findet. Wussten Sie, Ms. Lincoln«, fuhr er fort, »dass ein polynesischer Perlentaucher bis zu vierzig Meter tief hinabtauchen kann, um solche Schätze zu bergen? Gar nicht so schlecht für gewöhnliche Menschen. Bei meinen Fähigkeiten ist es mir aber natürlich mehr als leichtgefallen.«

    »Immer schön, wenn man ein Hobby hat«, entgegnete Roberta trocken. Würdest du ein bisschen mehr perlentauchen und etwas weniger in der Weltpolitik herumpfuschen, dachte sie, wären wir alle sehr viel glücklicher.

    »Es war mehr eine belebende Abwechslung«, erklärte Khan. Er ging bis ans Ende des Dachs, damit er die Rakete auf der Abschussrampe besser betrachten konnte. »Heute brauche ich allerdings keinerlei weitere Aufregungen, bei dem, was wir gleich mitverfolgen werden.«

    »Noch eine Minute bis zum Start«, verkündeten die Lautsprecher und setzten der Vorstellungsrunde ein Ende. Aufregung machte sich unter den Zuschauern breit. Auf der Startplattform auf der anderen Seite der Lagune wurde das riesige Gerüst zurückgefahren und die schlanke Rakete blieb allein auf der Rampe zurück. Die Ariane ragte wie eine gigantische weiß-blaue Spritze in den Himmel. Ziemlich passendes Bild, dachte Roberta, wenn man bedachte, mit welchem Hightech-Gift sie beladen war.

    »Noch fünfundvierzig Sekunden bis zum Start.« Schwaden von weißem Rauch quollen aus der Basis der Ariane, als die beiden Hilfsraketen zündeten. Ein ohrenbetäubendes Getöse erschütterte Robertas Trommelfelle, als wären ein Dutzend Jumbojets gleichzeitig gestartet. Sie kämpfte gegen den Reflex, ihre Ohren mit den Händen zu bedenken, da sie sich vor Khan und seinen »Übermenschen« keine Blöße geben wollte. Stattdessen drückte sie innerlich die Daumen und hoffte verzweifelt, dass dennoch etwas mit dem Start schieflaufen würde und die Ariane vielleicht auf der Startrampe explodierte. Tut mir leid, Gary. Die Triebwerke entfachten einen Höllenlärm, während sie versuchten, die noch am Boden befestigte Rakete anzutreiben. Ich habe versucht, ihn aufzuhalten.

    »Noch dreißig Sekunden bis zum Start.«

    Das Getöse steigerte sich, als die Haupttriebwerke der Ariane ebenfalls starteten. Fünfundzwanzig Tonnen flüssiger Wasserstoff entzündeten sich und schickten einen Strahl aufgeheizter Gase durch die Motordüsen. Die gigantische Rakete begann, sich aus dem Griff der Schwerkraft zu lösen.

    »Sehen Sie nur, Ms. Lincoln!«, brüllte Khan ihr ins Ohr. Er musste sich anstrengen, um gegen den donnernden Lärm anzukommen. Roberta versuchte, vor ihm zurückzuweichen, doch Joaquins Pranken hielten sie an Ort und Stelle. »Welch Glück, dass Sie gerade rechtzeitig zu sich gekommen sind, um Augenzeugin meines bisher größten Triumphes zu werden!«

    Ich Glückspilz, dachte Roberta und starrte gebannt auf das feurige Schauspiel.

    »Noch eine Sekunde bis zum Start.«

    Die gewaltige Rakete hob sich von der Startrampe, angetrieben von einer gigantischen Feuersäule. Riesige Dampfschwaden, die entstanden, als der glühende Antrieb der Ariane auf eine Flut von Kühlwasser traf, drifteten nach außen und hüllten die Startrampe in einen wirbelnden Nebel ein.

    »Abgehoben!«, frohlockten die Lautsprecher. »Wir haben abgehoben!«

    Beinahe gegen ihren Willen legte Roberta ihren Kopf in den Nacken, um den meteorähnlichen Aufstieg der Rakete zu verfolgen. Sie hielt den Atem an und betete immer noch um irgendein Wunder, damit die Ariane zusammen mit ihrer Fracht es der Challenger gleichtun und ein katastrophales Ende finden würde. Bitte, betete sie. Khans teuflischer Plan darf nicht in Erfüllung gehen!

    Doch nichts dergleichen passierte. Der Start war tadellos und die Ariane erreichte durch ihre kerzengerade Flugbahn innerhalb einer Minute die Fluchtgeschwindigkeit. Als von der Rakete nichts mehr zu sehen war außer einem weißen Kondensstreifen, atmete Liam McPherson erleichtert auf. Seine Schultern unter dem weißen Laborkittel sackten leicht nach unten, während seine Sorgen zusammen mit der Rakete verschwanden. Ament führte den Rest der Zuschauer, mit Ausnahme von Roberta, in einer Runde anerkennendem Applaus an.

    Khans beeindruckendes Profil blieb weiter gen Himmel gerichtet, wo noch der letzte Rest des Kondensstreifens zu sehen war. Roberta fragte sich, ob der indische Supermann durch seine verbesserte Sehkraft die Rakete noch sehen konnte. »Oh, Luzifer, du strahlender Sohn der Morgenröte«, rezitierte er stolz und passte das Zitat aus dem Alten Testament seiner aufgeblasenen Prahlerei an. »Wie steigst du empor!«

    Als er endlich wieder nach unten sah und in Robertas niedergeschlagene Miene blickte, nahmen seine mahagonibraunen Augen einen triumphierenden Glanz an. »Ich baue darauf, Ms. Lincoln, dass Sie den vollen Zweck und das Potenzial meines Morgensterns und Lichtbringers zu schätzen wissen?«

    Mehr als ich es möchte, dachte Roberta unglücklich, und wusste, dass ihr Job nun um einiges schwieriger geworden war. »Sie haben uns die Technik gestohlen, erinnern Sie sich noch?« Ihre Stimme verhärtete sich, als die Erinnerung in ihr aufstieg. »Der Tag, an dem Sie unser Büro verwüstet und unseren Computer vernichtet haben?«

    Die Bilder von einem jüngeren Khan, der eine Reihe von Schüssen auf den guten alten Beta-5-Computer abgab, liefen vor ihrem inneren Auge ab. Sie konnte sie noch immer hören.

    »Technik«, erinnerte er sie und hielt einen Finger belehrend vor ihre Nase, »die Seven und ich zusammen von Dr. Evergreen erhalten haben, unter nicht unerheblichen Mühen und Anstrengungen. Mir stehen die Ergebnisse dieser Unternehmung genauso zu wie Ihrem unerträglich selbstgerechten Vorgesetzten.«

    Roberta wusste, worauf Khan damit anspielte, obwohl sie an diesen Ereignissen nicht teilgenommen hatte. Es handelte sich um die unglückselige Mission damals im Winter 1984, nach der Gary Seven davon überzeugt war, dass der frühreife Sikh zu rücksichtslos (und zu skrupellos) war, um ihm vertrauen zu können. Genau wie seine Mutter, dachte Roberta und erinnerte sich an die verstorbene Dr. Sarina Kaur, die Gründerin und treibende Kraft hinter dem Chrysalis-Projekt. Kaur war ebenfalls völlig skrupellos gewesen und fanatisch genug, um lieber in den Tod zu gehen, als Chrysalis aufzugeben, das am Ende unter der Wüste Thar in Rajasthan in einer thermonuklearen Feuersbrunst vernichtet worden war. Roberta fragte sich, ob Khan jemals herausgefunden hatte, dass sie und Seven indirekt verantwortlich waren für den tragischen Tod seiner Mutter. Nicht der beste Zeitpunkt, um dieses Thema anzuschneiden, beschloss sie.

    »Entschuldigung, Sir«, unterbrach McPherson. »Aber die Rakete hat die polare Umlaufbahn erreicht. Wir sind bereit, den Satelliten zu starten.« Er zupfte wieder nervös an seinem Bart. »Vielleicht möchtet Ihr mich in die Kommandozentrale begleiten?«

    Khan muss ein ganz schön strenger Chef sein, schlussfolgerte Roberta aufgrund der ängstlichen Haltung des Wissenschaftlers. Selbst für ein anderes Genie. Sie kannte natürlich McPhersons Namen aus Sevens Akte über die Chrysalis-Kinder. Sie kannte beinahe alle von ihnen auswendig.

    Khan runzelte kurz seine Stirn. Es missfiel ihm offenbar, bei seinem Wortgefecht mit Roberta unterbrochen zu werden. Doch seine großen Pläne hatten Vorrang, und er schenkte McPherson ein Nicken. »Aber natürlich, Doktor, ich werde gleich bei Ihnen sein.«

    Er verbeugte sich zum Abschied kurz vor Roberta. »Wir werden unser Wiedersehen später weiter vertiefen, Ms. Lincoln. Wie sagte Shakespeare so schön? ›Ich hörte sagen, ungeladne Gäste sind nicht willkommner meist, als wenn sie geh’n.‹ Aber in Ihrem Fall bin ich bereit, Ihre Anwesenheit noch etwas länger zu genießen.« Er griff in die Tasche seiner makellos weißen Hosen und förderte ein vertrautes silbernes Instrument zu Tage.

    Mein Servo!, dachte Roberta bestürzt, als sie das Gerät in Khans Händen sah.

    »Ich freue mich schon auf unser nächstes Gespräch«, erklärte er, »bei dem Sie mir die vielen einzigartigen Technologien erklären werden, die Ihrem Vorgesetzten zur Verfügung stehen, insbesondere diese magischen Teleportationsfähigkeiten.« Er ließ den Servo geschickt zwischen seinen Fingern und über den Rücken seiner Hand rollen. »Ich gestehe, dass ich, obwohl es mir gelungen ist, die Strahlen Ihres genialen Materietransports zu blockieren, noch weit davon entfernt bin, diese Funktion kopieren zu können.« Nachdem er Roberta mit dem scheinbar in Reichweite schwebenden Servo gequält hatte, steckte er das Gerät wieder in seine Tasche. »Vielleicht kann ich mit Ihrer Hilfe diese Situation ändern.«

    Nicht, wenn ich ein Wörtchen mitzureden habe, dachte Roberta verbissen. Sie konnte sich kaum etwas Schlimmeres vorstellen als Khan Noonien Singh, der auch noch in der Lage war, einen Transporter zu benutzen. »Da haben Sie die Falsche erwischt«, sagte sie. »Ich habe keine Ahnung, wie das verdammte Ding funktioniert. Das ist praktisch wie Magie.«

    Das war nicht die ganze Wahrheit. Nach beinahe einem Vierteljahrhundert, in dem ihre Atome über den gesamten Planeten (und auch an andere Orte) geschickt worden waren, hatte sie ein oder zwei Dinge über Transporterspulen und dergleichen gelernt. Es gab jedoch keinen Grund, das Khan mitzuteilen. Mit etwas Glück würde ein bisschen guter alter Sexismus ihrer Lüge einen plausiblen Anstrich verleihen. Mädchen wechseln doch keine Reifen und haben keine Ahnung von Technik, oder?

    Khan widersprach ihren Aussagen nicht, aber sein düsterer Ton machte deutlich, dass er sie nicht so leicht vom Haken lassen würde. »Vielleicht ist Ihr Vorgesetzter, der kontrollsüchtige Mr. Seven ja bereit, seine Geheimnisse mit mir zu teilen … im Austausch für Ihr Leben.«

    Er ließ Roberta stehen und war offensichtlich sehr zufrieden damit, sie mit ihren Gedanken über seine Drohung allein zu lassen. Khan wandte sich an Joaquin: »Schaff sie in eine der Zellen auf Level M-2. Ich werde sie später verhören, wenn es mir besser passt.«

    Juchhu, dachte Roberta säuerlich. Ich kann es kaum erwarten.

    »Aber, Exzellenz!«, platzte Joaquin heraus, offensichtlich leicht verärgert über die Aussicht, Khan unbewacht zu lassen. Seine dunkle Bassstimme entsprang den Tiefen seines beeindruckenden Brustkorbs. Der Bär auf seiner Gürtelschnalle knurrte lautlos dazu. »Eure Sicherheit …«

    »… wird von deiner kurzen Abwesenheit nicht beeinträchtigt werden«, versicherte ihm Khan. Er legte dem Bodyguard brüderlich die Hand auf die Schulter. »Ich weiß dein Pflichtbewusstsein zu schätzen, mein Freund, aber ich bin sehr wohl in der Lage, mich selbst zu verteidigen, vor allem auf meiner eigenen Insel.«

    Er ließ Joaquins Schulter wieder los und wandte sich ab, um McPherson zu folgen. »Geh. Ich bin in der Kommandozentrale und überwache das nächste Stadium des heutigen Ereignisses, das in die Geschichte eingehen wird.«

    Sichtbar beschwichtigt gab Khans Lakai ein zustimmendes Brummen von sich und schnappte sich wieder Robertas Arm. »He, Vorsicht!«, rief sie und konnte nicht verhindern, dass er sie zur Treppe zog. »Ich habe vom letzten Mal noch blaue Flecken!«

    Roberta protestierte weiter lautstark und wand sich in Joaquins Griff, achtete aber auf ihre Umgebung, während Joaquin sie die Treppen hinunterschleifte und in die tiefer gelegenen Ebenen der Insel führte. Versiegelte weiße Türen mit französischer Aufschrift versteckten vieles vor ihrem neugierigen Blick, aber sie versuchte, sich so gut wie möglich den Grundriss und die Kapazitäten der Anlage einzuprägen. Jetzt ein bisschen die Augen offen zu halten, könnte später den Ausschlag geben, sprach sie sich selbst Mut

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