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Phallstricke. Tabus: Zwei Theaterstücke aus den Welten der Naturwissenschaft
Phallstricke. Tabus: Zwei Theaterstücke aus den Welten der Naturwissenschaft
Phallstricke. Tabus: Zwei Theaterstücke aus den Welten der Naturwissenschaft
eBook315 Seiten2 Stunden

Phallstricke. Tabus: Zwei Theaterstücke aus den Welten der Naturwissenschaft

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Über dieses E-Book

Carl Djerassi, berühmter Wissenschaftler und seit Jahren auch als Schriftsteller erfolgreich, gewährt in zwei neuen Theaterstücken einmal mehr spannende Einblicke in die Welt der Kunst und der Wissenschaft.
Phallstricke bezieht sich auf eine kunsthistorische Kontroverse um eine mutmaßliche römische Statue in der Antikensammlung eines berühmten europäischen Museums. Es geht dabei um den so genannten Jüngling vom Magdalensberg, die lebensgroße Bronzestatue eines nackten Jünglings, die jahrhundertelang für ein römisches Original gehalten wurde und sich inzwischen als Guss aus der Renaissance-Zeit herausgestellt hat. Djerassi, selbst ernsthafter Kunstsammler, reflektiert und ironisiert davon ausgehend den oft leidigen Kult, der heute um viele Kunstwerke getrieben wird.
Tabus greift Djerassis Hauptthema auf, das Sexualverhalten im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit, die bevorstehende Trennung von Sex und Fortpflanzung. Sex steht wie gewohnt für Liebe, Lust oder Neugier, während die Fortpflanzung zunehmend mittels "alternativer" Methoden unter dem Mikroskop stattfindet. Die tiefgreifenden soziokulturellen Veränderungen, die diese Vorgänge implizieren, stellt Djerassi, mehr denn je Agent Provocateur, in den Mittelpunkt seines neuesten Theaterstücks.
SpracheDeutsch
HerausgeberHaymon Verlag
Erscheinungsdatum12. Juli 2013
ISBN9783709976876
Phallstricke. Tabus: Zwei Theaterstücke aus den Welten der Naturwissenschaft

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    Buchvorschau

    Phallstricke. Tabus - Carl Djerassi

    Carl Djerassi : Phallstricke. Tabus

    Carl Djerassi

    PHALLSTRICKE

    TABUS

    Zwei Theaterstücke aus den Welten der Naturwissenschaft und der Kunst

    Aus dem Amerikanischen

    von Ursula-Maria Mössner

    © 2005 by Carl Djerassi

    www.djerassi.com

    © Haymon Verlag

    Innsbruck-Wien 2006

    www.haymonverlag.at

    Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung, Verfilmung oder Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, vorbehalten. Die Aufführungsrechte in deutscher Sprache liegen beim Bühnen- und Musikverlag Hans Pero, Bäckerstraße 6, A-1010 Wien, Tel. ++43/1/5123467, E-Mail: office@peroverlag.at. Der Text der Stücke in diesem Buch darf zu Bühnenzwecken, Lesungen oder Vereinsaufführungen nur benutzt werden, wenn vorher das Aufführungsrecht vom Verlag Hans Pero erworben wurde.

    Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

    Bildnachweis:

    Kunsthistorisches Museum Wien, Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe (S. 14) Leo Steinberg: The Sexuality of Christ in Renaissance Art and in Modern Oblivion, New York 1983 (S. 40)

    ISBN 978-3-7099-7687-6

    Umschlagbild: Giambologna, Zweifigurige Raptusgruppe, um 1580 / Bronzeplastik

    Umschlag: Benno Peter

    Satz: Haymon Verlag

    Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.haymonverlag.at.

    INHALT

    Phallstricke

    Tabus

    Biografischer Abriss

    Phallstricke

    „Die Welt ist alles, was der Phall ist."

    (frei nach Ludwig Wittgenstein,

    Tractatus logico-philosophicus)

    Vorwort

    Vor einiger Zeit machten mich Alfred Vendl und Bernhard Pichler, beide Professoren an der Universität für Angewandte Kunst in Wien, auf eine herrliche lebensgroße Bronzestatue eines nackten Jünglings aufmerksam, die jahrhundertelang als römisches Original bezeichnet worden war und 1968 sogar auf einer österreichischen Briefmarke erschienen ist. Chemische Analysen im Labor der beiden Professoren ergaben jedoch, dass es sich um einen Guss aus der Renaissance-Zeit handelt. Der jähe Verlust von rund 1400 unwiederbringlichen Jahren hatte größere Auswirkungen für das Museum, das diese Statue (den „Jüngling vom Magdalensberg") über hundert Jahre lang als ein Juwel seiner Antikensammlung präsentiert hatte. Aber macht, ästhetisch gesehen, diese revidierte Zuordnung die Statue deshalb weniger wertvoll? Mindert der urplötzlich geschrumpfte Preis automatisch auch den kunsthistorischen Wert der Statue oder die genüssliche Freude des Betrachters an ihrer Schönheit? Und wie reagiert der Kunsthistoriker persönlich und beruflich, wenn ein makelloses Lieblingswerk über Nacht mit einem unauslöschlichen Makel behaftet ist?

    Seit Jahrzehnten bin ich, der zum Bühnenautor mutierte Chemiker, auch ein ernsthafter Kunstsammler und mir des leidigen Kults, der um viele Kunstwerke getrieben wird, sehr wohl bewusst. Aber statt den veränderten finanziellen Wert, der sich durch die Neuzuordnung eines bekannten Kunstwerks ergibt, in den Mittelpunkt zu rücken – eine völlig andere Situation, als wenn beispielsweise ein vermeintliches Gemälde von Vermeer sich als eine Fälschung von Van Meegeren entpuppt –, beschloss ich mich darauf zu konzentrieren, wie sich diese durch die Neuzuordnung bedingten Veränderungen auf das Verhalten der betroffenen Hauptpersonen auswirken.

    Diese dramatische Ader wurde schon früher ausgebeutet. Alan Bennetts Drama und späterer BBC-Fernsehfilm „A Question of Attribution greift die Frage nach der Echtheit eines Gemäldes von Tizian auf, um die Beziehung zwischen Kunsthistoriker (Sir Anthony Blunt) und Besitzer (Königin Elizabeth II.) sowie Blunts Verhalten als berüchtigter kommunistischer Spion zu beleuchten. Und Simon Grays neueres Stück „The Old Masters – in dem es vorgeblich um den Streit geht, ob ein bestimmtes Gemälde von Tizian statt von Giorgione geschaffen wurde – behandelt in Wahrheit den ethischen und psychologischen Konflikt zwischen Kunsthistoriker (Bernard Berenson) und Kunsthändler (Lord Duveen). In anderen Worten: In beiden Bühnenwerken haben die Protagonisten und die Kunst eine realhistorische Basis, die jedoch für dramatische Zwecke verändert wurde.

    Und was bezwecke ich mit „Phallstricke"? Ich befasse mich hier mit einem Konflikt, der meiner beruflichen Kompetenz weitaus näher liegt, nämlich mit den Eigenheiten und Befindlichkeiten von Kunsthistorikern und Naturwissenschaftlern, die das Alter eines Kunstwerks aus ihren völlig verschiedenen Blickwinkeln untersuchen: also ästhetische und kunsthistorische Expertise gegenüber kalter objektiver Materialanalyse. Darüber hinaus wollte ich die Weiterungen eines altbekannten Charakterfehlers ausloten, der über die Kluft zwischen Kunstgelehrten und Naturwissenschaftlern hinausreicht, nämlich, dass man sich in eine passende Hypothese verliebt und sie gegen alle Einwände und neue Beweise verteidigt.

    Wie andere Bühnenautoren, die auf historisches Material zurückgreifen, habe auch ich viele historische Bausteine modifiziert, manipuliert, verbrämt oder sogar absichtlich verfälscht, da ich mich auf die schriftstellerische Freiheit berufe, von der jeder Bühnenautor mit Fug und Recht Gebrauch macht. Somit erkläre ich, dass jede Ähnlichkeit mit den Protagonisten, die tatsächlich in die anhaltende Kontroverse um die mutmaßliche römische Statue in der Antikensammlung eines berühmten europäischen Museums verwickelt sind, im Wesentlichen zufällig sind und dass ich in keiner Weise versucht habe, dem Ruf eines lebenden Gelehrten zu schaden. Und falls die Erklärung in meinem Stück bezüglich dessen, was mit der bewussten Originalstatue geschah, sich irgendwann als zutreffend erweisen sollte, so ist dies keinesfalls ein Indiz für meinen kunsthistorischen Scharfsinn, sondern lediglich pures Glück meinerseits.

    Neben meinem Interesse als Naturwissenschaftler und Kunstsammler habe ich noch einen zutiefst persönlichen Grund, warum ich für mein neuestes Stück gerade dieses Thema gewählt habe. Ich bin in Wien geboren und nach dem Anschluss Österreichs durch die Nationalsozialisten in die USA emigriert, wo ich als Chemiker in der Forschung tätig war. Im Jahre 2004 bot mir die österreichische Regierung die österreichische Staatsbürgerschaft an. Kann es, da ich zu diesem Zeitpunkt bereits Bühnenautor geworden war, ein besseres Zeichen der Versöhnung geben, als ein Bühnenwerk zu schaffen, das in der Stadt meiner Kindheit angesiedelt ist?

    London, Singapur, Eugene und Hamburg

    Oktober 2004 bis März 2005

    Personen

    DR. REGINA LEITNER-OPFERMANN, Kunsthistorikerin mittleren Alters und Leiterin der Antikensammlung eines bedeutenden österreichischen Museums

    EMMA FINGER, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Kunst der Renaissance, Ende zwanzig/Anfang dreißig

    DR. REX STOLZFUSS, Professor für Chemie mittleren Alters und Leiter der Abteilung Konservierung eines ungenannten technischen Instituts in Österreich

    DR. OTTO ELLENBOGEN, Ende zwanzig/Anfang dreißig, vor kurzem promoviert und Assistent von Prof. Stolzfuss

    GERALDO LOPEZ, Spanier, Beruf unbestimmt (gleicher Schauspieler wie Otto Ellenbogen, aber mit spanischem Akzent)

    DON JUAN D’AUSTRIA (1547–1578), unehelicher Sohn von Kaiser Karl V. und Held der Schlacht von Lepanto (25 Jahre)

    BARBARA BLOMBERG, Don Juans Mutter (43 Jahre)

    STIMME EINES SCHÜLERS (hinten aus dem Publikum)

    Zeit und Ort

    Jüngste Vergangenheit in Wien, außer den Szenen, die 1572 in Luxemburg spielen, während Don Juans historisch belegtem Aufenthalt auf dem Weg von Spanien in die Niederlande.

    Bühnenanweisung

    Während des gesamten Stücks kann die Bühne aus zwei ungleichen (aber nicht räumlich getrennten) Teilen bestehen, sodass gleichzeitig zwei separate Handlungen stattfinden können, die jeweiligen Schauspieler sich ihrer Gegenstücke aber scheinbar nicht bewusst sind. Der größere Teil der Bühne stellt einen Raum im Museum dar, der sowohl als Büro der Leiterin der Antikensammlung wie auch als Vortragsraum mit Podium und Leinwand für audiovisuelle Präsentationen dient. Der kleinere Teil ist lediglich mit zwei Podesten unterschiedlicher Höhe ausgestattet, die mehreren Zwecken dienen können, unter anderem als Sitzgelegenheiten.

    PROLOG

    Gegenwart. Regina Leitner-Opfermann, Leiterin der Antikensammlung des Museums, kommt zum Schluss eines Vortrags vor Gymnasiasten. Sie steht auf einem Podium, hinter ihr eine Leinwand.

    REGINA: (in freundlichem und lebhaftem Ton) Abschließend möchte ich die entscheidenden Punkte meines Vortrags zusammenfassen. Vielleicht wollt ihr euch Notizen machen … für den Fall, dass euer Lehrer so gemein ist, euch eine Klassenarbeit darüber schreiben zu lassen. Und während des anschließenden Rundgangs durch unsere Antikensammlung dürft ihr gerne Fragen stellen.

    Auf der Leinwand erscheint das Bild einer Bronzestatue, eines nackten Jünglings.

    Das ist das bedeutendste Stück in unserer Antikensammlung: eine echte römische Statue aus dem zweiten Jahrhundert, die hier in Österreich entdeckt wurde.

    Punkt 1. Warum liegt der Fokus eines Vortrags über antike Plastiken auf Bronze? Bestimmt hat euch euer Chemielehrer gesagt, dass Bronze eine Legierung ist, die durch Zusammenschmelzen von Kupfer und Zinn in unterschiedlichem Verhältnis entsteht. Vielleicht hat er euch auch gesagt, dass sich Bronze leicht schmelzen und leicht bearbeiten lässt. Und dass sie nicht rostet, sehr widerstandsfähig ist und eine glatte, glänzende Oberflächenbeschaffenheit annimmt. Vielleicht hat er euch sogar gesagt, dass sie außerdem Spurenelemente enthält, aber offen gestanden (Bedenkt ihr Publikum mit einem leicht verschwörerischen Lächeln.), wen interessiert das schon? Das ist alles ziemlich langweilig, wenn man nicht erkennt, was für sagenhaft schöne Dinge sich aus diesem Material anfertigen lassen. Und das werdet ihr wohl kaum im Chemieunterricht lernen.

    Damit komme ich zu Punkt 2. Während der Bronzeguss seit mindestens 6000 Jahren bekannt ist und in Griechenland, Ägypten, Rom und im Vorderen Orient Anwendung fand, waren die frühesten Bronzearbeiten nicht hohl, sondern massiv. Erst 2000 Jahre später lernten die Handwerker die Kunst des Hohlgusses, der es ermöglichte, größere Statuen wie die hinter mir zu schaffen (Deutet kurz auf die Leinwand.). Im sechsten Jahrhundert vor Christus brachten die Griechen den Bronzeguss zu einer Vollendung, die nie zuvor erreicht worden war.

    Punkt 3. Ich habe euch nicht mit einer Menge griechischer Namen bombardiert … aber ich möchte, dass ihr euch zwei der wichtigsten merkt, (langsam und mit Nachdruck) nämlich Polyklet aus Argos … der hauptsächlich mit Bronze arbeitete … und Praxiteles aus Athen, dessen berühmteste Werke aus Marmor waren. Ich habe euch bereits Dias davon gezeigt und ihr werdet sie später in der Sammlung sehen.

    Punkt 4. Im Mittelalter herrschte ein akuter Mangel an geeignetem Metall für Waffen, was tragischerweise dazu führte, dass die meisten griechischen Bronzeplastiken eingeschmolzen wurden. Die, die ihr noch in Museen seht, haben hauptsächlich deshalb überlebt, weil sie auf See verloren gingen und Jahrhunderte später zufällig entdeckt wurden … oder vergraben worden waren … eine Tatsache, die entscheidend ist für das, was ihr gleich auf dem Rundgang sehen werdet.

    Damit komme ich zum abschließenden Punkt 5, nämlich den Römern. Ihr Sinn für Kunst begann mit der Eroberung griechischer Städte und der Plünderung Tausender der bedeutendsten griechischen Skulpturen. In den zwei Jahrhunderten vor und nach Augustus ließen sich viele griechische Bildhauer in Rom nieder, der einzigen Stadt, deren Wohlstand ihnen Gelegenheit bot, ihre Kunst auszuüben. Das Verlangen der wohlhabenden Römer, zu sammeln und zu horten, war offenbar unersättlich und so wurden, als der Vorrat an Originalen erschöpft war, Kopien angefertigt. Auch wenn somit die meisten wertvollen Originale unwiederbringlich verloren sind, so wurden doch ihre Abbilder in römischen Kopien bewahrt.

    Dieser Jüngling (Deutet auf das Bild hinter ihr.) ist eine der schönsten und am besten erhaltenen römischen Bronzen und wurde vor 500 Jahren entdeckt … nicht in Italien … sondern hier in Österreich. Und jetzt … werden wir diesem Kronjuwel unserer Antikensammlung einen Besuch abstatten.

    Regina will das Podium verlassen, als eine Stimme aus dem Publikum sie innehalten lässt.

    SCHÜLERSTIMME: (aus dem Publikum) Entschuldigen Sie. Eine Frage.

    REGINA: (leicht ungehalten) Ich sagte doch, dass ich Fragen während des Rundgangs beantworten werde. (Pause) Na schön. Aber nur eine.

    SCHÜLERSTIMME: (aus dem Publikum) Wenn die Statue bloß eine Kopie eines griechischen Originals ist …

    REGINA: (Fällt ihm scharf ins Wort.) Wir wissen nicht, ob sie, wie du sagst, bloß eine Kopie ist … Wir sind der Meinung, dass es sich um ein römisches Original handelt, das um das Jahr 200 nach Christus entstand und von der griechischen Ästhetik der Schule des Polyklet beeinflusst ist.

    SCHÜLERSTIMME: (aus dem Publikum) Aber woher wissen Sie, dass es ein römisches Original ist?

    REGINA: (in aggressivem Ton) Junger Mann, über dieses Thema habe ich ein ganzes Buch geschrieben. Und wenn du nach dem Rundgang zu mir kommst, werde ich dir gerne ein Exemplar leihen, falls du dann noch mehr wissen willst. (Wendet sich zum Gehen, hält aber nochmals inne.) Aber angenommen, es wäre bloß eine Kopie. Was dann? Unsere Statue hätte nicht ein Jota ihrer hinreißenden Schönheit eingebüßt. Wenn sie ein römischer Nachguss eines griechischen Originals wäre, so wäre sie das exakte Abbild des Originals … und folglich genauso schön. Im Übrigen autorisieren fast alle modernen Bildhauer mehrere Abgüsse einer von ihnen geschaffenen Bronzeplastik. Zwischen dem Preis für den ersten Abguss und dem für den fünften besteht kein Unterschied, weil alle praktisch zur gleichen Zeit unter Aufsicht des Künstlers angefertigt wurden. Auf dem Kunstmarkt haben diese Repliken den Rang von Originalen, da sie als zeitgleich und folglich als gleichwertig gelten. Warum sollte das bei unserem Jüngling hier anders sein?

    SCHÜLERSTIMME: (aus dem Publikum) Aber eine römische Kopie eines griechischen Originals ist doch nicht zeitgleich …

    REGINA: (nun wirklich gereizt) Genug! Wir sind spät dran mit dem Rundgang. Lies mein Buch. Wenn du danach noch Fragen hast, kannst du in mein Büro kommen.

    Verlässt das Podium. Emma vertritt ihr den Weg.

    EMMA: Frau Dr. Leitner …

    REGINA: Leitner-Opfermann.

    EMMA: Verzeihung.

    REGINA: Nun?

    EMMA: Ich bin Emma Finger … Renaissance-Abteilung … Wir sind uns schon begegnet …

    REGINA: Ja.

    EMMA: Ja. Ich wollte mich nur vorstellen … weil wir doch jetzt zusammenarbeiten werden.

    REGINA: (erstaunt) Ach ja? Bei was?

    EMMA: Haben Sie den Bericht nicht gelesen?

    REGINA: Welchen Bericht?

    EMMA: Den von Professor Stolzfuss.

    REGINA: Ich kenne den Herrn nur flüchtig. Um was geht es hier eigentlich?

    EMMA: Verzeihung, ich dachte, der Museumsdirektor hätte Sie bereits informiert.

    REGINA: Nun, das hat er nicht und ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich habe eine Führung zu machen.

    Regina ab.

    ENDE DES PROLOGS

    ERSTER AKT. ERSTE SZENE

    Einige Tage später. Zweigeteilte Bühne, auf der linken Seite das Büro der Leiterin der Antikensammlung. Regina steht, an ihren Schreibtisch gelehnt, während Rex mit Papieren in der Hand vor ihr sitzt und zu ihr aufblickt. Auf der rechten Seite sitzen Emma und Otto auf einem erhöhten Podium und flüstern miteinander.

    REX: Sie haben nicht viel für Chemie übrig, stimmt’s?

    REGINA: (unschuldig) Aber Herr Professor Stolzfuss! Wie kommen Sie denn auf die Idee?

    REX: Mein Sohn hat mir von Ihrem Vortrag neulich erzählt.

    REGINA: Ihr Sohn war einer der Schüler dieser Klasse?

    REX: (Nickt.) Wie er sagte, halten Sie Spurenelemente in Bronze für ziemlich langweilig.

    REGINA: Habe ich das gesagt? Offen gestanden ging es in meinem Vortrag um die Geschichte und Schönheit antiker Bronzeplastiken … nicht um Chemie. Ich habe Ihr Fachgebiet kaum erwähnt.

    REX: Meinem Sohn ist das aufgefallen.

    REGINA: Was beim Sohn eines Chemieprofessors wohl nicht weiter verwunderlich ist. (Stutzt.) Da war ein Junge, der ständig Fragen stellte.

    REX: Das war er.

    REGINA: Haben Sie ihn dazu angestiftet?

    REX: Nein, das nicht …

    REGINA: Sind Sie ganz sicher?

    REX: Aber ich habe ihm von unseren Untersuchungen an Ihrer Statue erzählt und er …

    REGINA: (aufgebracht) Sie haben was?

    REX: Ich habe ihm von den Ergebnissen unserer Arbeit erzählt.

    REGINA: Ich verstehe. Und das finden Sie in Ordnung? Ihrem Sohn Ergebnisse mitzuteilen, die wir hier erst besprechen wollen?

    REX: Das Ganze ist doch kein Staatsgeheimnis. Ihr Museumsdirektor hatte mich gebeten, mir Ihre Statue anzuschauen …

    REGINA: „Anzuschauen"?

    REX: So ist es. Wir verfügen über hochmoderne Geräte. Wir haben neue chemische Verfahren entwickelt. Warum sollte uns das Museum da nicht beauftragen, das vermeintliche Alter einer Skulptur zu bestätigen?

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