Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Sara Grey
Sara Grey
Sara Grey
eBook283 Seiten3 Stunden

Sara Grey

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Plötzlich allein: Sara ist ein ganz normaler Teenager, bis eines Tages ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommen. Ein tiefer Einschnitt in ihrem Leben. Sie soll zu ihrem Onkel ziehen, den sie in ihrem Leben erst zweimal gesehen hat. Sich einzuleben fällt ihr schwer und Sara findet keinen Anschluss. Jake ihr Nachbarjunge entwickelt sich zur Hassliebe. Keiner merkt, dass es ihr immer schlechter geht…Saras Fluchtversuch scheitert und auch wenn sich ihr Onkel mehr Mühe gibt, es wird alles nur noch schlimmer…Saras einziger Halt ihre Telefonate mit ihrer Freundin Sophie…
Alle(s) blöd: Sara hat sich nicht wirklich nach dem Tod ihrer Eltern bei ihrem Onkel eingelebt. Sie beschließt, sich in Bezug auf ihr Äußeres einer radikalen Verwandlung zu unterziehen. Heraus kommt etwas, was eher nach einem "Gothic-Schneewittchen" aussieht. Sara gefällt`s. Zwischen Jake und ihr entwickelt sich eine Hassliebe. Zum Schluss wird ihr jedoch alles zuviel...
Todkrank: Im Krankenhaus versucht Sara ihr Problem immer noch zu verbergen, doch es war zu offensichtlich. Ihr erster Termin beim Psychologen bringt alles ans Tageslicht. Doch Sara wäre nicht Sara, wenn sie keinen Plan hätte. Sie beschließt zu fliehen und schafft es einige Kilometer, bis sie zusammenbricht. Wird Sara ihr Martyrium überleben?
SpracheDeutsch
Herausgeber110th
Erscheinungsdatum14. Dez. 2014
ISBN9783958654686
Sara Grey

Ähnlich wie Sara Grey

Ähnliche E-Books

Kinder für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Sara Grey

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Sara Grey - Parker & Parker

    Plötzlich allein

    „Sophie, ich muss jetzt auflegen. Meine Eltern landen gleich und sie wollten sich melden."

    Sara trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Irgendwie fühlte sie sich unwohl, aber sie wusste nicht weshalb. Ihr Magen rebellierte.

    „Aber ich muss dir noch erzählen, was Enrique gesagt hat." Sophie war ganz aufgeregt.

    „Na das, was er immer sagt, wie hübsch du bist und laber, laber, laber, tralala!", konterte Sara.

    „Du bist gemein, nur weil du keinen Freund hast, musst du mich nicht runterziehen."

    Sara konnte durchs Telefon hören, wie ihre Freundin nach Luft rang.

    „Ich freue mich für dich, hab im Moment nur nicht den Nerv jemandem zuzuhören."

    Sophie stöhnte.

    „Ist ja schon gut, ich lege auf. Willst du nicht doch noch hören, was er gesagt hat?", rief Sophie mit flehender Stimme.

    „Nein, will ich nicht. Ich will auch nicht wissen, wie oft Enrique gestern seinen Kaugummi aus Versehen runter geschluckt hat. Oder wie oft er dabei beinahe erstickt ist. Ich lege jetzt auf, bis nachher. Hab dich lieb."

    Sara drückte den Knopf, auch wenn es ihr leidtat. Aber wenn Sophie erst einmal angefangen hatte zu reden, hörte sie normalerweise nicht mehr auf. Selbst ein Tsunami würde sie nicht stoppen können.

    Sara warf das Telefon auf die Couch und zappte durch die Fernsehkanäle. Aber konzentrieren konnte sie sich nicht. Entnervt sah sie auf die Uhr. Ihre Eltern waren schon seit 30 Minuten gelandet, wieso riefen sie nicht an? Das war doch sonst nicht ihre Art. Sara sprang auf und starrte das stumme Handy an. Sie drückte die 1 und wartete. Aber nichts tat sich, nur der dämliche Spruch:

    „Der von Ihnen gewählte Teilnehmer ist momentan nicht zu erreichen. Bitte versuchen Sie es später noch einmal. The Person you have called, is temporary not available. Please call again later."

    "Was sollte denn der Scheiß, als wenn sie das nicht Selbst wüsste! Warum konnte sich nicht ein kluger Programmierer einen besseren Spruch ausdenken? Das war echt ätzend! Total sauer starrte sie auf das Display und zog dabei Fratzen, bevor sie das Gerät auf die Couch warf. Sara schaltete die Glotze aus, Talkshows machten sie nervös. Erneut blickte sie auf die Uhr und versuchte sie zu hypnotisieren. Mensch, denen würde sie was erzählen. Von wegen man muss pünktlich und verlässlich sein.

    Sara hasste diese Litanei. Von anderen alles erwarten und dann selbst nichts einhalten. Sie bekam Durst, ging in die Küche und nahm sich ein Glas Milch. Erst wollte sie direkt aus der Packung trinken, doch dann entschied sie sich dagegen, Paps würde es sofort bemerken und arghhh...er und sein Bakterienfimmel.

    Es klingelte. Mit der Milch in der Hand rannte sie ins Wohnzimmer und schnappte sich das Mobiltelefon.

    „Hallo, ich bin es!", sagte Sophie bedrückt.

    „Ach du bist es schon wieder!, rief Sara enttäuscht. „Bist du mir böse, wenn ich auflege? Nichts gegen dich, aber du weißt, wie nervös ich bin, wenn meine Eltern mit dem Flugzeug unterwegs sind. Ich bin erst wieder entspannt, wenn sie vor mir stehen, oder mich angerufen haben. Wieso mussten die beiden auch so viel reisen?

    „Sophie schwieg betreten am anderen Ende der Leitung. Sollte sie ihrer Freundin am Telefon davon erzählen? Ihre Stimme versagte, anscheinend wusste Sara nicht, was in der letzten halben Stunde passiert war.

    „Ich komme vorbei!", rief sie schnell und legte auf, bevor ihre beste Freundin etwas erwidern konnte.

    „War die nun völlig übergeschnappt?", dachte sich Sara.

    Es dauerte keine drei Minuten und es klingelte an der Haustür. Sara öffnete und dort stand Sophie mit einem Gesicht wie 3 Tage Regenwetter. Die umarmte sie ohne Worte und schloss mit dem Fuß die Tür. Sie wusste doch, wie sehr ihre Eltern das hassten. Sara verstand gar nichts. Wie war Sophie so schnell zu ihr gekommen? Sie muss bei ihrem Anruf schon vor dem Haus gestanden haben.

    „Ist dein Hamster gestorben?", fragte sie lächelnd, doch Sophie kullerte eine Träne hinunter. Sie verstummte. Es klingelte erneut an der Tür.

    „Was ist denn hier los? Ist das hier ein Bahnhof? Oder die Irrenanstalt?", motzte Sara, lies die total verstörte Sophie stehen und öffnete die Haustür.

    Vor ihr standen 2 groß gewachsene Männer in schwarzen Anzügen.

    „Meine Eltern haben ihre Steuern bezahlt, meckerte sie, „aber sie können sie nachher gerne selbst fragen, sie sind gerade auf dem Weg hierher. Obwohl ich das gar nicht so genau weiß, weil sie unzuverlässig und ohne Pflichtgefühl sind. Ich soll immerzu anrufen. Aber egal, was wollen sie hier? Haben Sie nicht irgendwelche Verbrecher zu jagen?

    „Wir sind keine Polizisten, wir sind von der Flughafensicherheit", erzählte einer der Männer knapp.

    „Und wo haben sie bitte schön meine Eltern gelassen?" Sara sah an den Männern vorbei auf die Straße, doch nirgendwo stand ihr Auto. Sophie heulte los. Sara sah sie fragend an.

    „Haben meine Eltern etwa geschmuggelt?", frotzelte Sara, die noch immer nicht genau wusste, was eigentlich los war. Sie stellte sich ihre Eltern gerade beim Verhör und der nachfolgenden Untersuchung vor. Nein, ihre Eltern würden nie etwas Unrechtes tun.

    „Dürfen wir hereinkommen?", fragte der Mann, der sich als Simon Wagner vorstellte.

    „Hmmm! Sara trat zur Seite und lies die Beamten herein. Sie führte sie in das penibel aufgeräumte Wohnzimmer, das aus einer „Schöner Wohnen Zeitung entsprungen sein könnte, und bot ihnen einen Platz auf der Couch an. Doch die beiden blieben regungslos stehen. Saras mulmiges Gefühl verstärkte sich, doch sie wusste nicht warum. Sophie weinte noch immer leise vor sich hin, warum regte sie sich so wegen eines toten Hamsters auf? Speedy schlief doch eh den ganzen Tag und nachts machte er so einen verdammten Krach. Wie oft hatte sich Sophie schon beklagt und den kleinen Nager kurzerhand in den Garten verfrachtet? Und jetzt diese Heulattacke, doch eher fehl am Platz. Einer der Männer räusperte sich laut und riss Sara aus ihren Gedanken. Fragend sah sie die beiden Beamten an.

    „Befanden sich ihre Eltern an Bord des Fluges A- 4794?"

    „Woher soll ich denn wissen, was die für eine Flugnummer haben? Sie waren in New York! Warum fragen Sie?"

    Sophie schluchzte laut auf. Sara schaute hektisch von den Männern zu Sophie und wieder zurück.

    „Wir müssen Ihnen eine traurige Mitteilung machen. Der Flug ihrer Eltern…."

    Den Rest vernahm Sara nur noch wie durch einen Schleier. Ihr Verstand verabschiedete sich gerade. Sie ahnte, nein sie wusste, was passiert war. Schweiß trat auf ihre Stirn, der Magen rebellierte heftig. Sie fühlte wie ihre Beine nachgaben. Der Beamte sprach von Flugzeugabsturz. Dass das Flugzeug aus unerklärlichen Gründen über die Landebahn hinaus geschossen war und Feuer fing. Es gab keine Überlebenden. Die Löschfahrzeuge waren direkt vor Ort, doch es sei zu spät gewesen. Sara zog es den Boden unter den Füßen weg. Das letzte, was sie noch dachte, war, dass sie niemals wieder das Lächeln ihrer Mutter sehen beziehungsweise die liebevollen Umarmungen ihres Vaters spüren würde. Niemals mehr, unwiderruflich. Dann wurde es schwarz um sie.

    Das Erste, was sie sah, als sie zu sich kam, waren drei fremde Männer, die an ihr herumhantierten. Es war noch immer alles verschwommen. Sophies trauriges, schmerzverzerrtes Gesicht holte sie auf einen Schlag in die Realität zurück. Sara schloss die Augen, wenn sie doch nie die Tür geöffnet hätte, wäre alles noch beim Alten, oder? Zugleich wünschte sie sich auch in dieses verdammte Flugzeug, dass ihr das Liebste auf Erden nahm. Ärgerlich zog sie ihren Arm weg, einer der Typen versuchte ihr gerade eine Nadel in den Arm zu rammen. Sara setzte sich ruckartig auf, sollte der Pavian jemand anderes quälen. Alles drehte sich. Sie sackte auf die Liege. Diesmal entkam sie nicht und eine Nadel wurde unsanft in ihren Arm geschoben. Sara funkelte den Kerl böse an.

    „Geht es wieder?", fragte der Grobian.

    „Verlieren Sie mal ihre Eltern, dann wissen Sie es!" Sara war sauer auf den blöden Sani. Eine Träne rann ihre Wangen herunter.

    „Ich muss deinen Kreislauf stabilisieren, sonst kippst du wieder um! Willst du das etwa?", fragte der Arzt, den Sara für einen Sanitäter gehalten hatte, besorgt.

    „Ist mir doch egal, was passiert. Was kümmert Sie das eigentlich?", erwiderte Sara eingeschnappt.

    „Ich tue nur meinen Job." Der Arzt blieb gelassen.

    „Können Sie mich nicht einfach hier liegen lassen? Was soll ich noch auf diesem beschissenen Planeten?"

    Sophie war stinkwütend.

    „Ich weiß, es ist schwer für dich. Irgendwann wird es besser", antwortete er.

    „Und wann? Im Moment zerreißt es mich innerlich. Ich habe keine Ahnung, wie ich die nächste Minute schaffen soll, geschweige denn mein restliches Leben! Ich bin allein, mutterseelenallein. Ich brauche meine Eltern, ich brauche sie so sehr!" Sara brach in Tränen aus, ihre Stimme versagte. Sophie nahm ihre weinende Freundin fest in die Arme und weinte mit ihr. Der Flughafenbeamte räusperte sich erneut.

    „Können wir irgendjemanden für Sie anrufen?"

    „Wen denn? Ich habe doch niemanden! Oma und Opa habe ich nicht mehr. Und mein Onkel hat mich das letzte Mal bei meiner Taufe gesehen", schluchzte Sara.

    „Sie sind noch minderjährig, das wird die Fürsorge klären müssen."

    „Warum das denn?", schrie sie hysterisch.

    „Sie müssen zur Schule gehen. Außerdem haben Sie gerade ihre Eltern verloren, das ist schon genug. Ich kann leider nichts anderes sagen. Gibt es ein Testament?"

    „Woher soll ich das wissen? Ich kenne doch nicht einmal unsere Kontonummer", antwortete Sara empört.

    „Es wird gleich jemand hier sein. Die werden sich um dich kümmern. Wir müssen leider weiter, es gibt noch mehr Menschen, die noch nicht wissen, was passiert ist."

    Simon Wagner nickte, doch Sara wollte kein Mitleid, sie wollte nur ihre Eltern zurück, egal was es kostete.

    „Ich brauche keinen Babysitter!", brüllte Sara den Beamten an.

    „Bringt mir meine Eltern zurück, dann könnt ihr euch sofort verziehen."

    Sara hatte gerade mit ihren Blicken die Beamten getötet. Da sah sie eine ihr unbekannte Frau im Wohnzimmer stehen.

    „Ist hier vielleicht Tag der offenen Tür oder was?", zischte sie zornig.

    „Ich habe Frau Winter rein gelassen, sie ist die Sozialarbeiterin und sie ist sehr nett." Die junge Frau lächelte.

    „Ich heiße Juliane Winter und bin von der Fürsorge, ich werde mich die nächsten Wochen und Monate um dich kümmern, bis du volljährig bist."

    „Nein, danke, ich schaffe es alleine. Kann ich meine Eltern sehen?" Sara protzte.

    „Das kann ich nicht genau sagen. Wie ich vorhin am Telefon erfahren habe, ist die Feuerwehr noch auf der Landebahn. Es ist schwieriger als bisher gedacht."

    „Mama, Papa" flüsterte Sara leise, während sie weinte.

    „Ich werde für dich da sein, versprochen", versuchte Sophie zu sagen, doch ihre Stimme versagte fast.

    Langsam tat die Beruhigungsspritze ihren Dienst.

    Sara schlief ein.

    Am nächsten Morgen wachte Sara mit Kopfschmerzen auf. Wie lange war sie eingenickt? Sie schaute auf die Uhr. Es war 8 Uhr. War es morgens oder abends? Was war passiert? Der erste Tag ohne Eltern für den Rest ihres Lebens. Sie fühlte sich so elend wie nie zuvor. Sie warf sich auf ihr Bett und schloss die Augen, doch da sah sie nur das brennende Flugzeug vor sich. Wütend riss sie die Augen auf. Sie ging zum Fernseher und schaltete wie wild über die Kanäle hinweg, bis sie die Nachrichten gefunden hatte. Die Löscharbeiten waren beendet worden, die Landebahn war bereits wieder freigegeben worden. Das Leben der Anderen ging einfach so weiter, als wäre nie etwas geschehen. Die grausame Wahrheit über den Tod ihrer Eltern traf sie mit voller Wucht. Es gab keine Überlebenden, die Menschen an Bord der Maschine waren qualvoll erstickt oder bis auf die Unkenntlichkeit verbrannt. Sara wischte sich die Tränen weg, ihr Magen rebellierte schmerzhaft. Müde schleppte sie sich in die Küche, wo sie widerwillig in einen vertrockneten Donut biss. Schnell spuckte sie ihn ins Waschbecken und spülte den Mund mit Leitungswasser aus. Dann sank sie auf den Fußboden und weinte hemmungslos, sie war ja noch nicht mal fähig, sich ein Frühstück zu machen. Wie sollte sie den Rest des Tages schaffen oder den restlichen Monat? Weiter wollte sie gar nicht mehr denken. Ihre Eltern würden nie mehr zurückkehren, nie mehr, egal wie sehr sie es sich wünschte.

    Sophie stand plötzlich mit geröteten Augen in der Küchentür, anscheinend war sie durch Saras Weinen aufgewacht. Sophie setzte sich einfach neben ihre beste Freundin und nahm sie in den Arm. Lange saßen die beiden Freundinnen nebeneinander, bis es an der Haustüre klingelte. Sara und Sophie schleppten sich müde an die Türe. Juliane Winter stand vor der Tür, sie hätte Neuigkeiten.

    „Die einzige erfreuliche Neuigkeit wäre, dass meine Eltern diesen schrecklichen Unfall überlebt haben. Ansonsten bin ich für Nachrichten nicht in der geeigneten Laune. Oder was würden sie sagen, wenn Sie mein Gesicht betrachten?" Sara hasste Frau Winter. Ihre Anwesenheit war das Zeugnis dafür, dass ihre Eltern nicht mehr lebten.

    „Anhand der Passagierliste waren ihre Eltern an Bord der Maschine. Ich bin mir sicher, sie hätten sich bestimmt bei ihnen gemeldet, wenn sie noch am Leben wären."

    „Und damit soll ich mich abfinden?" rief Sara hysterisch.

    „Ich habe ihren Onkel ausfindig gemacht, besser gesagt er hat sich bei uns gemeldet und er ist bereit, sie aufzunehmen. Das wird wohl die beste Möglichkeit in ihrer Situation sein, er scheint jedenfalls ganz nett zu sein." Juliane Winter ging gar nicht auf Saras Einwände ein.

    „Das ist unser Briefbote auch und trotzdem möchte ich nicht zu ihm ziehen!", rief Sara schnippisch.

    „Lassen Sie mich einfach hier, meine Freunde wohnen in der Nähe, meine Schulkameraden, einfach alle. Sie können mir nicht auch noch den Rest meines Lebens wegnehmen. Was soll ich denn bei meinem Onkel? Den kenne ich doch nicht einmal, geschweige denn er mich! Ich will da nicht hin und fertig! Das ist mein letztes Wort."

    „Das geht nicht, die Richterin hat bereits entschieden. In einer Woche wirst du zu deinem Onkel ziehen, einen anderen Weg gibt es nicht. Deine Eltern haben es so in ihrem Testament verfügt und das finde ich sehr vernünftig. Ich habe das Testament bei mir, du kannst es gerne sehen. Der zuständige Anwalt Roman Weiermann hat sich bei uns gemeldet, anscheinend haben deine Eltern ihren letzten Willen bei ihm aufgesetzt."

    „Roman ist ein guter Freund meiner Eltern, eigentlich der Beste. Dachte ich zumindest, aber man kann sich irren."

    „Herr Weiermann kann nichts dafür, es ist ja nicht seine Verfügung. Er hat nur alles schriftlich festgehalten und erfüllt den letzten Wunsch ihrer Eltern. Was sehr nobel ist."

    „Pah", rief Sara verächtlich.

    „Sonst hätte es jemand anderer getan. Ich weiß, dass er ihre Eltern auch sehr vermisst und sehr traurig ist. Es gefällt ihnen dort bestimmt und sie werden neue Freunde finden. Und Sophie können sie in den Ferien besuchen. Mehr kann ich im Moment nicht für sie tun, aber wir bleiben in Kontakt. Mir sind da leider die Hände gebunden, tut mir leid. Wenn es nach mir gegangen wäre, könnten sie hier bleiben, aber das kann ich nicht."

    Sara und Sophie umklammerten sich wie Ertrinkende aneinander.

    Eine Woche später ließ Sara ihr bisher vertrautes Leben hinter sich und brach in ein fremdes, ihr unbekanntes Leben auf. Sara saß im Zug auf dem Weg nach nirgendwo. Sie entschloss sich mit der Bahn zu fahren, Fliegen würde nie wieder in Frage kommen. Nie wieder wollte sie auch nur einen Fuß in ein Flugzeug setzen. Sie schloss die Augen und dachte an den gestrigen Tag, die Beerdigung ihrer geliebten Eltern und an den Tag, an dem sie ihre Eltern identifizieren musste. Sara hatte das Gebäude der Gerichtsmedizin betreten, wo alle Todesopfer aufgebahrt waren. Die meisten Leichen der Unglücksmaschine waren noch nicht identifiziert, da sie teilweise nur noch anhand kleinster Merkmale und der Passagierliste nach zugeordnet werden konnten. Die Obduktion ihrer Eltern konnte zügig abgeschlossen werden, denn sie waren im hinteren Teil des Flugzeuges von den Flammen verschont geblieben. Dank der Feuerwehr, die den Flugzeugrumpf ständig nass gehalten hatte, blieb ihren Eltern dieses grausame Schicksal erspart. Dafür waren sie wahrscheinlich an den giftigen Dämpfen qualvoll erstickt. Aber tot war eben tot. Ob verstümmelt oder nicht. Aber so würde ihr Anblick in der Gerichtsmedizin wenigstens kein so großer Schock werden.

    Sie betrat den riesigen Raum. An jeder Seite des Raumes standen verschiedene Schränke, in denen die Leichen aufgebahrt lagen. Alle Wände waren gefliest. Ein Mitarbeiter in weißem Kittel diktierte einen Obduktionsbericht in sein Diktiergerät. Als er Sara sah, ging er geradewegs auf den Schrank in der linken Ecke zu, als wüsste er genau, wo welche Toten lagen. Er schaute ein letztes Mal auf die Tür, nickte kurz und öffnete zwei nebeneinander liegende Türen. Geschickt zog er an den Tragen, die mit einem Laken vollständig verhüllt da lagen und zog das Tuch bis zum Oberkörper weg. Sara erschrak für einen kurzen Moment. Ihre Eltern lagen so friedlich da, als schliefen sie. Sara nahm ihre Hände in die ihren und küsste sie vorsichtig, als könne sie sie durch diese Berührung aufwecken. Aber sie fühlten sich so kalt an, so schrecklich kalt. Sara rieb sich die Arme, ihr war auch kalt geworden. Sara liefen die Tränen herunter, doch sie wischte sie nicht weg, warum auch? Sie schluckte schwer, sah sich um, niemand der Angestellten kümmerte sich um sie. Umso besser. Sara knabberte an ihren Fingernägeln, was sie sonst nie tat. Der Angestellte, der sie vorhin rein ließ, gab ihr noch fünf Minuten. Danach führte er sie höflich aber konsequent in den Besucherraum, wo sie schon erwartet wurde. Saras Gesicht war rot verquollen. Noch immer liefen Tränen über ihre Wangen. Sophie erschrak bei ihrem Anblick etwas, wollte sich aber nichts anmerken lassen. Wenigstens hatte Sara ihre Eltern ein letztes Mal gesehen, die Chance war leider nur wenigen Hinterbliebenen möglich. Sophie ging auf ihre Freundin zu und nahm sie tröstend in den Arm. Sara ließ ihren Tränen freien Lauf.

    Der Schaffner riss sie aus ihren düsteren Gedanken. Sara war dankbar für die Ablenkung, denn sie wurde fast verrückt. Sie konnte seit dem Flugzeugabsturz nicht mehr schlafen und war bereits einige Kilo leichter. In der Schule fand sie nur noch schwer Anschluss an den Schulstoff, da sie sich nicht mehr konzentrieren konnte. Ihre bisherigen Freunde waren ihr gegenüber irgendwie gehemmt. Man konnte das Gefühl nicht richtig beschreiben, sie merkte es einfach. Entweder sie behandelten sie wie ein rohes Ei oder sie starrten sie ungeniert an, als wäre sie zu einem schrecklichen Alien mutiert. Lediglich Sophie war die alte Freundin geblieben. Sara konnte nicht mehr lachen. Kein Witz, keine noch so komische Situation entlockten ihr auch nur ein Grinsen. Sie wusste ja selbst nicht, wie sie sich aus dieser schrecklichen Situation befreien sollte, wie konnte es da ein anderer machen?

    Sara sah ins Leere, Sophie fehlte ihr jetzt schon. Fast genauso wie ihre Eltern, nur auf andere Art. Wie konnte man nur das Gemeckere über offene Zahnpastatuben und zu laute Musik vermissen? Aber gerade das war es und natürlich die liebevolle Art ihrer Eltern miteinander. Nie wieder würde sie das Stirnrunzeln ihres Vaters oder die süßen Grübchen ihrer Mutter entdecken, wenn sie lächelten. Ein dicker Kloß steckte in ihrem Hals, aber er wollte nicht verschwinden. Sie ballte die Fäuste, bloß nicht in einem überfüllten Zug mit dem Weinen anfangen. Sie ging zur Toilette und schaute in den Spiegel. Ihr Gesicht war grau und matt geworden. Grau, ja so fühlte sie sich, ohne Leben, ohne Farbe… einfach Sara Grey… dennoch, ein wenig blitzten die sonst rosigen Wangen noch durch…

    Drei Stunden später kam sie in endlich an. Nicht dass sie gerne in eine fremde Umgebung wollte, nein ihr tat lediglich der Hintern und die Waden vom langen Sitzen weh. Sara schnappte sich ihre beiden Koffer und trat auf den Bahnsteig. Die grelle Sonne blendete sie und sie konnte einige Augenblicke nicht mehr richtig sehen. Schützend hielt sie die Hände vor ihre Augen. Da rief doch jemand ihren Namen. Verzweifelt sah sie sich um, bis ihr jemand auf die Schulter tippte. Sara erschrak fürchterlich und

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1