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Sternenhimmel
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eBook175 Seiten2 Stunden

Sternenhimmel

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Über dieses E-Book

Sommer 1944 - Die fünfjährige Anne lebt auf einem Gutshof in einem Dorf im Sudetenland. Während ihre Mutter Hermine auf dem Feld arbeitet, wartet sie in ihrer Stube. Immer öfter tauchen fremde Soldaten im Dorf auf. Anne darf die Stube nicht mehr verlassen. Ihr einziger Trost ist der dreijährige Paul, den sie wie einen Bruder liebt, seit ihre Mutter ihn von einem jüdischen Ehepaar in Pflege genommen hat. Auch Onkel Emil, der mit ihr scherzt und ihr wunderschöne Sterne an den Stubenhimmel gemalt hat, ist ein Lichtblick für Anne.
Doch dann werden die Übergriffe der russischen Soldaten grausamer. Hermine verlässt mit den Kindern als eine der letzten Deutschen ihr geliebtes Dorf. Eingepfercht in einen Waggon, erreicht ihr Flüchtlingszug im Herbst 1946 die Grenzstation Furth im Wald. Bald darauf meldet sich ein Verwandter Pauls, um das Kind an sich zu nehmen. Die Trennung ist für Anne schlimmer als alle Erfahrungen auf der Flucht. Über sechzig Jahre später erzählt Anne ihrer Enkelin Lia von ihrer Kindheit. Lia ist so berührt, dass sie sich in den Kopf setzt, das weitere Schicksal von Paul zu erforschen.
Dabei geraten nicht nur ihre schulischen Leistungen, sondern auch ihre Gefühle für David auf eine Art Achterbahn. Ob ihr ausgerechnet David dabei helfen kann, Paul zu finden? Die Geschichte basiert auf wahren Begebenheiten. Sie erzählt von der Vertreibung des sudetendeutschen Mädchens Anne, ihrer Mutter Hermine und dem jüdischen Pflegekind Paul am Ende des 2. Weltkrieges. Ab 10 Jahren.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum28. Sept. 2012
ISBN9783942509961
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    Buchvorschau

    Sternenhimmel - Elisabeth Brandl

    Prolog

    Die Sterne funkeln. Das magere Mädchen liegt auf den blanken Holzdielen. Nur ein dünner Baumwollstoff schützt die Haut vor der Kühle des Bodens. Kein wohliger Ort, zum Träumen schon gar nicht, aber so vertraut.

    Sie betrachtet die Zimmerdecke und lächelt. Die Hände ruhen auf dem Bauch, so als müssten sie ihn schützen und wärmen. Wenn der Wind den Haselnussstrauch vor dem Fenster streichelt, huschen Schatten über die Decke und die Sterne glitzern einen Atemzug lang geheimnisvoll. Das Mädchen streckt die Arme aus und berührt mit den Fingerspitzen scheinbar den Sternenhimmel. Er ist so nah. Näher als die Mutter. Die Sterne trösten. In ein paar Stunden wird die Mutter wieder da sein.

    Sei still! Bleib im Haus! Sei wachsam und brav!

    Das Mädchen tastet und umfasst eine kleinere Hand. Dann schließt sie die Augen. Lauscht. Wartet. Hofft.

    Die Mutter wird wieder kommen. Bestimmt.

    Lias Tagebuch

    14. Juni 2011

    „Du warst wirklich den ganzen Tag lang alleine? Lias Stimme bebte vor Staunen. „Man kann doch ein kleines Kind nicht einfach in ein Zimmer sperren!

    Oma Anne stand an der Spüle und schälte Kartoffeln. Sie wandte den Kopf und sah kurz zu ihrer Enkelin, die gerade den Tisch deckte.

    „Das hat meine Mutter doch nicht freiwillig getan. Darüber war sie bestimmt sehr traurig. Sie tat es, um uns zu schützen."

    „Dann hätte sie bei euch bleiben müssen!", rief Lia.

    Oma halbierte eine Kartoffel, trocknete die Hände ab und schloss den Dampfdrucktopf. „Das ging nicht. Sie musste uns ernähren. Wenn sie nicht gearbeitet hätte, wären wir verhungert."

    Lia drehte eine Gabel, berührte die Spitzen der Zinken und drückte sie in ihre Daumenspitze, bis es schmerzte. Es klang logisch. Zumindest logischer als die Matheformeln, die sie heute in der Schule neu durchgenommen hatten. Und trotzdem begriff sie es nicht, so oft sie auch mit Oma darüber redete.

    „Aber warum hat Uroma dann den kleinen Jungen aufgenommen? Er war Jude. Hat sie euch damit nicht noch mehr belastet?", fragte Lia.

    „Natürlich! Oma setzte den Topf schwungvoll auf dem Herd ab. „Es war lebensgefährlich für uns, und für Paul sowieso.

    „Warum hat sie es gemacht?", setzte Lia nach und fixierte das Gesicht ihrer Oma, als könnte sie darin die Antwort lesen.

    Oma lächelte milde. „Weil meine Mutter ein gutes Herz hatte. Sie war sehr gutmütig, so gutmütig, dass ein Außenstehender denken musste, sie sei naiv oder gar dumm. Aber das war sie keineswegs. Sie glaubte einfach an das Gute und hatte ein riesiges Gottvertrauen. – Verstehst du?"

    Lia zuckte die Schultern. „Ich glaube schon, ich …"

    Es klingelte.

    An der Art des Klingelns erkannte Lia ihren Bruder Alex.

    „Mann, hat der schon wieder eine Stunde früher aus!", fauchte sie.

    Betont langsam ging sie zur Haustür.

    „Was machst du denn schon hier?", begrüßte sie ihn.

    „Gute Laune klingt anders, sagte Alex fröhlich. „Mal wieder mit deinen Mädels gezickt? Er wartete Lias Antwort gar nicht ab, sondern stürzte an ihr vorbei in die Küche.

    „Hi, Oma! Ich hab eine Eins in der Matheschulaufgabe! Autogramme gibt es später", rief er und klopfte sich selbst auf die Schulter.

    „Prima!, freute sich Oma. „Dafür gibt es heute eines deiner Lieblingsgerichte: Schnitzel mit Kartoffelsalat. Aber du bist zu früh dran.

    „Chemie ist ausgefallen", murmelte Alex.

    „Streber!", zischte Lia und drückte sich an ihm vorbei. Jetzt hatte sie wirklich schlechte Laune. Erst hatte Alex durch sein frühes Auftauchen das Gespräch mit Oma gestört. Dann nervte er mit seinen Glanzleistungen in Mathe, während sie schon froh war, eine windige Vier halten zu können.

    Und Hausaufgaben hatte sie, dass sie damit vor sechs Uhr abends nicht fertig sein würde. Dabei mochte sie viel lieber mit Oma reden. Sie nahm sich vor, das Thema bald wieder anzusprechen.

    Annes Erinnerungen

    Meedl, Mähren im Sudetenland, 10. August 1944

    Die Mutter flocht mit raschen, geübten Griffen den zweiten Zopf und legte ihn wie einen Kranz über den ersten Zopf auf dem Hinterkopf. Die dünnen Haarklammern in ihrem Mundwinkel wurden Stück für Stück in die Haarpracht gesteckt.

    Wie schön die Mutter aussah! Gebannt betrachtete Anne jede Bewegung ihrer Mutter und bewunderte den Schimmer in den Haaren.

    Jetzt band die Mutter ein dunkelblaues Kopftuch um die Haare und verknotete es im Nacken. Schließlich zog sie ihren Arbeitskittel an und sah zu Anne.

    „Sei still! Bleib im Haus! Geh nicht an die Tür oder ans Fenster! Zu Mittag komme ich heim", mahnte die Mutter.

    Immer dieselben Worte bevor sie ging. Anne sprach sie leise mit.

    Es war ein Ritual und jedes Wort jeden Tag aufs Neue eine Warnung, aber auch ein Versprechen.

    Als die Tür ins Schloss fiel und sich der Schlüssel drehte, atmete Anne tief ein. Sie sah zum Fenster.

    Draußen war Sommer. Sommer 1944.

    Anne war fünf Jahre alt. Vor wenigen Tagen war ihr vierter Geburtstag ohne Vater gewesen, im ersten Sommer, den sie in der Stube verbringen musste. Draußen zu spielen wäre zu gefährlich gewesen. Warum genau, wusste Anne nicht. Sie wusste nur, dass immer wieder fremde Soldaten kamen. Manchmal hörte sie Schreie. Dann lief sie zu der einen Zimmerecke neben dem Kachelofen. Dort konnte sie sich, wenn sie sich nur klein genug zusammenkauerte, gut verstecken. Mit klopfendem Herz saß sie dort und wartete, bis es wieder ruhig wurde. Manchmal so lange, bis die Mutter endlich heim kam und sie ihre dünnen Beine kaum mehr spürte.

    Lias Tagebuch

    14. Juni 2011, nachmittags

    Lia saß gebückt auf ihrem Schreibtischstuhl. Seufzend starrte sie ins Mathebuch. „Konstruiere den Punkt A auf der Geraden B in einem Winkel von ..." Lias Faust sauste auf das aufgeschlagene Buch. Sie erschrak über sich selbst und schlug beide Hände vors Gesicht.

    „Ich kapier das nie! Nie! Nie!, stöhnte Lia. „Wer braucht das schon?

    „Wer braucht was? Taschengelderhöhung?"

    Alex! Der hatte Lia gerade noch gefehlt.

    „Hau ab, Mann! Ich muss in Ruhe Hausaufgaben machen", fauchte sie. Doch Alex trat mit Seelenruhe an ihren Schreibtisch heran.

    „Oh, verstehe! Daher die gute Laune, grinste er. „Soll ich meinem kleinen Schwesterchen helfen? Ich bin quasi Profi in Mathe. Du darfst aber immer noch Du zu mir sagen.

    Lia zog eine Grimasse. „Gib nicht so an! Dafür bin ich in Englisch viel besser."

    „Das ist ja superleicht!, murmelte Alex mit einem Blick auf das geöffnete Schulbuch. „Für einen Schokoriegel erklär ich dir das.

    „Musst du zum Ohrenarzt? Du sollst mich in Ruhe lassen!", keifte Lia.

    „Entspann dich! Oder willst du heute Abend immer noch da sitzen?", fragte Alex ungerührt.

    Lia biss sich auf die Lippen. Sie hatte noch Französisch und Deutsch auf und konnte in der Tat seine Hilfe gebrauchen.

    „Ich raff es nicht", murmelte sie kleinlaut und starrte auf ihre Hände. Alex sollte bloß nicht sehen, dass ihr zum Heulen war.

    „Na, dann lass mal den Experten ran. Ich mach aus dir noch ’nen echten Mathefreak", raunte Alex.

    Lia rollte die Augen, musste aber doch grinsen. Er hatte es wieder geschafft, sie aufzuheitern.

    Und so wurde es heute nur 17 Uhr, bis Lia mit Hausaufgaben und Lernen fertig war.

    Annes Erinnerungen

    26. August 1944

    Draußen sang ein Vogel. Er musste direkt im Strauch neben dem Fenster sitzen. Kinderlachen drang ins Zimmer. Es klang wie Hohn in Annes Ohren. Sie seufzte und starrte auf die Gardine. Ob sie es wagen sollte, mal kurz hinauszusehen?

    Lieber nicht, die Mutter hatte es doch verboten! Anne ballte ihre Hände zu Fäusten, atmete tief ein. Einmal, zweimal, dreimal.

    Das war gut gegen diesen Druck im Hals. Manchmal, wenn der Druck zu groß wurde, musste sie weinen. Aber nur ganz, ganz leise. Denn seit ihrem fünften Geburtstag war sie ja ein großes Mädchen, wie Onkel Emil betont hatte.

    Als Anne an ihn dachte, lächelte sie. Mutters älterer Bruder scherzte so gerne. Er brachte sie zum Lachen und manchmal lachte auch Mutter mit. Emil wohnte mit seiner jungen Familie im selben Dorf und half Mutter, wo er nur konnte. So einen großen Bruder hätte Anne auch gerne gehabt. Einen, der sie beschützen und mit dem sie spielen und scherzen konnte. Emil hatte ihnen vor einem Jahr auch geholfen, die beiden Räume zu renovieren, in denen sie mit Mutter fortan lebte. Sie gehörten zum Ausgeding* des Gutsherrn, für den Mutter und Emil arbeiteten.

    So hatte Emil nicht nur die Wände gekalkt. „Ich mal’ euch einen Sternenhimmel, hatte er plötzlich gerufen. „Auf jedem Stern sitzt ein Schutzengel. Anne, du musst jeden Tag zählen, ob alle Sterne da sind und sich kein Engelchen versteckt. Versprochen?

    Anne hatte genickt. Es wurden einundzwanzig Sterne.

    So konnte Anne mit vier Jahren von einem Tag auf den anderen bis einundzwanzig zählen. Und ihr ging nie auch nur ein Schutzengel verloren.

    Draußen war es plötzlich ruhig. Erschrocken hob Anne den Kopf.

    Lauschte. Saß kerzengerade am Tisch, auf dem ihre geliebte kleine Schiefertafel vor ihr lag. Ihr Pulsschlag hallte in den Ohren wider. Sie starrte zum Fenster. War da ein Schatten neben dem Haselnussstrauch?

    Blitzschnell huschte sie geduckt durch den Raum, hin zum Fenster.

    Vorsichtig schob sie die Gardine zur Seite, so als hätte ein Lufthauch sie bewegt.

    Die Kinder waren weg, der Hof lag verlassen da.

    Plötzlich hörte Anne Stimmen und Schritte. Es knarrte. Die hölzerne Veranda, die das ganze Häuschen umgab, ächzte, sobald ein Erwachsener sie betrat. Wie eine Orgel klang es hell oder dunkel, je nachdem, wie schwer jemand war und wie er sich bewegte.

    Gleich beim Eingang befanden sich drei morsche Dielen. Dort musste jemand stehen und dieser Mensch musste schwer sein!

    Da rief er auch schon und klopfe an die Haustür. Anne zuckte zusammen. Sie verstand die Sprache nicht.

    Soldaten!

    Sie ließ die Gardine los und huschte geduckt zu dem Bett, in dem Paul gerade schlief.

    „Wach auf, flüsterte Anne und drückte ihm ihre Hand unsanft ins Gesicht. „Du musst dich verstecken.

    Der kleine Junge öffnete die Augen. Noch schlaftrunken packte er seinen Stoffhund und richtete sich auf.

    „Komm!", drängte Anne. Sie zog an Pauls Arm und öffnete mit der anderen Hand die Wäschetruhe. Ohne ein Wort des Jammerns kletterte Paul hinein. Anne schob und zog den Dreijährigen, der nur einen Kopf kleiner war als sie selbst, so gut sie konnte hinein.

    Dann schloss sie den Deckel und huschte zum Kachelofen. Drückte sich ins Eck, als wolle sie darin verschwinden. Zählte bis drei und atmete tief ein und aus. Und schließlich fing sie an, die Sterne zu zählen. Kein Schutzengel fehlte. Es musste alles gut gehen. Die Mutter musste wiederkommen. Die Soldaten durften sie nicht finden. Lieber noch mal durchzählen. Die Mutter musste wiederkommen.

    Sie kam wieder. Ihre Schürze war zerrissen, ihr Gesicht voll Dreck und die Haare zerzaust. Das Kopftuch fehlte. Ihre Augen blickten leer. Eine Wange war rot, fast blau, die andere ganz weiß.

    So hatte Anne ihre Mutter noch nie gesehen.

    Die Mutter sagte kein Wort zu ihr, ging nur rasch zur Wäschetruhe und öffnete sie. Immer noch wortlos, hob sie Paul heraus. Seine Hose war nass.

    „Hilf ihm", forderte sie Anne auf. Mit zitternden Knien stand Anne auf, ihre Glieder waren steif, es gelang ihr kaum, Paul von seiner Hose zu befreien. Immer wieder sah sie zur Mutter, die sich auszog. Auch der Unterrock war zerrissen.

    Anne sah weg.

    Mutter kochte Wasser. Mit der Waschschüssel ging sie in ihre kleine Schlafkammer. Es dauerte sehr lange, bis sie wieder in die Stube kam. So sehr Anne

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