Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der Aktionskreis Halle: Postkonziliare Konflikte im Katholizismus der DDR
Der Aktionskreis Halle: Postkonziliare Konflikte im Katholizismus der DDR
Der Aktionskreis Halle: Postkonziliare Konflikte im Katholizismus der DDR
eBook929 Seiten11 Stunden

Der Aktionskreis Halle: Postkonziliare Konflikte im Katholizismus der DDR

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Aktionskreis Halle (AKH) ist nicht nur als "entfant terrible" des ostdeutschen Katholizismus bekannt. Er ist zugleich die bedeutendste katholische Impulsgruppe in der DDR, die durch ihr Engagement in Konflikt mit Kirche und Staat geriet.

Gegründet 1970, gehört der AKH zur innerkirchlichen Aufbruchbewegung im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil. Forderungen nach der Wahl des Bischofs durch die Ortskirche gehören ebenso zur Agenda des Kreises wie Bemühungen um mehr innerkirchliche Pluralität und ein stärkeres ökumenisches Engagement.

Am Beispiel des Aktionskreises Halle kann nachvollzogen werden, wie die katholische Kirche mit interner Kritik an ihrem Kurs der "politischen Abstinenz" umging. Darüber hinaus wird deutlich, wie der SED-Staat versuchte, innerkirchliche Aufbrüche niederzuschlagen. Weil man den AKH als politischen Störfaktor identifiziert hatte, sollte er durch das Ministerium für Staatssicherheit liquidiert werden. Dass es dabei zu einer Zusammenarbeit von Staat und Kirche gegen den AKH gekommen ist, gehört zu den dunkelsten Kapiteln der ostdeutschen Kirchengeschichte.
SpracheDeutsch
HerausgeberEchter Verlag
Erscheinungsdatum1. Apr. 2014
ISBN9783429061265
Der Aktionskreis Halle: Postkonziliare Konflikte im Katholizismus der DDR

Ähnlich wie Der Aktionskreis Halle

Titel in dieser Serie (19)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Unterricht – Kunst & Geisteswissenschaften für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Der Aktionskreis Halle

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der Aktionskreis Halle - Sebastian Holzbrecher

    I.DER AKTIONSKREIS HALLE (AKH)

    Die Geschichte und Entwicklung des Aktionskreises Halle werden im Folgenden chronologisch dargestellt. Ausgehend von verschiedenen postkonziliaren Krisen und Konflikten stellt der Bischofswechsel im Kommissariat Magdeburg 1969/70 das auslösende Moment für die Gründung der Gruppe im Jahr 1970 dar. Dass es hierbei tatsächlich zu einer Wahl des neuen Bischofs kam, ist als Sonderfall zu charakterisieren und im Licht der Konzilsrezeption zu interpretieren. Die hierbei entstandenen Konflikte sollten die Bewertung des Aktionskreises nachhaltig prägen und werden daher detailliert erörtert. Schließlich wird in einem dritten Punkt der Aktionskreis als Gruppe eingehend dargestellt und analysiert: welche Ziele verfolgte er, wer gehörte zu dem Kreis und wie war die Gruppe vernetzt? Welche kirchlichen und gesellschaftlichen Themen hat die Gruppe bearbeitet und wie wurde der Aktionskreis Halle durch den ostdeutschen Katholizismus eingeordnet und bewertet? Am Gründungsauslöser, der Struktur und Zielsetzung sowie an der thematischen Arbeit des AKH lässt sich die basiskirchlichen Konzilsrezeption ablesen und hinsichtlich der Ausgangsthese analysieren.

    1.Krisen, Konflikte und Potentiale am Vorabend der Gründung

    Das II. Vatikanum stellte in vielerlei Hinsicht einen Antwortversuch auf innerkirchliche Verschiebungen und Krisen dar. Dass die nachkonziliare Zeit von einer offeneren und pluraleren Diskussion um die konkrete Gestalt von Kirche geprägt war, konnte insofern nicht verwundern. Ende der 1960er Jahre zeigte sich nicht nur im westdeutschen Katholizismus, dass sich an die Phase der unmittelbaren Konzilsbegeisterung eine zweite Phase der enttäuschten Hoffnungen und der Resignation anschloss.⁴⁴ Vielen schritt die Konzilsrezeption nicht schnell genug voran oder wurde nicht weit genug getrieben. Andere erblickten in der vom Konzil autorisierten Hinwendung der Kirche zur Welt den entscheidenden Fehler, der für die postkonziliaren Krisen verantwortlich gemacht wurde. Im Folgenden soll die Gemengelage dargestellt werden, die nach dem Konzil im Kommissariat Magdeburg herrschte und die zur Gründung einer innerkirchlichen Protestgruppe mit beigetragen hat.

    1.1Krisenhafte Phänomene

    Im 20. und 21. Jahrhundert hat der Begriff der „Krise in der katholischen Kirche reüssiert. In der historischen Forschung besteht Konsens, dass man die Entwicklungen seit etwa Mitte des Jahrhunderts als „Krisen⁴⁵ oder „krisenhafte Phänomene⁴⁶ deklariert und damit ein Konglomerat unterschiedlicher Problemkonstellationen meint.⁴⁷ Durch verschiedene Komposita - „Glaubenskrise⁴⁸, „Gotteskrise⁴⁹ und „Kirchenkrise⁵⁰ - wurden unterschiedliche phänomenologische Annäherungen unternommen. Der Begriff Krise wird dabei ambivalent als eine Infragestellung und kritische Thematisierung von Ideen und vorgegebenen Mustern verstanden.⁵¹ Ziel einer kritischen Auseinandersetzung ist dabei weniger ein radikaler Umbruch als vielmehr eine sukzessive Integration konstruktiver Elemente in bisherige Verständnismuster und Praxen. Der Begriff bleibt letztlich ebenso vage wie die von ihm beschriebenen Phänomene unübersichtlich. Für die Gründung des AKH in den späten 60er Jahren scheinen zwei Explikationen dieser krisenhaften Entwicklungen von besonderer Bedeutung gewesen zu sein.

    1.1.1„Autoritätskrise"

    Auseinandersetzungen um die Legitimität und Authentizität von Autorität waren in den 1960er Jahren internationale gesellschaftliche Phänomene⁵², die sich spätestens gegen Ende des Jahrzehnts auch in der katholischen Kirche häuften.⁵³

    Bereits zu Beginn der 1960er Jahre konnte in der katholischen Kirche in der DDR verschiedentlich Kritik an der Autoritätsausübung festgestellt werden.⁵⁴ Im Hinblick auf die kirchenpolitisch notwendige Einheit der Kirche versuchte man derartige Tendenzen weitgehend zu delegitimieren bzw. sie als Quertreiberei zu etikettieren.⁵⁵ Dennoch blieben kritische Wortmeldungen nicht aus. Im September 1966 beklagte Ulrich Mendes in einem Aufsatz der kurz zuvor gegründeten Halleschen „Korrespondenz⁵⁶ die „Hypertrophie des Gehorsams und das völlige Fehlen von Demokratie in kirchlichen Bereichen.⁵⁷ Der ehemalige Leiter des Hallenser Sprachenkurses Adolf Brockhoff kritisierte die Autoritätsausübung kirchlicher Würdenträger - „Eine Autorität, die uns Kirchenvolk faktisch für inferior hält, ist nicht mehr glaubwürdig.⁵⁸ - und skizzierte in verschiedenen Zusammenhängen sein Verständnis von einer authentischen Autoritätsausübung.⁵⁹ Dass diese durchaus provokanten Auffassungen keine mit dem Verdikt der Illoyalität oder „Nestbeschmutzung zu versehenden Einzelerscheinungen waren, zeigt ein Blick auf die Meißner Diözesansynode von 1969-1970, die ebenfalls von einer Autoritätskrise sprach.⁶⁰

    Auch verschiedene Bischöfe erkannten und benannten krisenhafte Phänomene deutlich. Der Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger sah das zentrale Moment dabei in einem übersteigerten Freiheitsbegriff, der die Autonomie des Einzelnen absolut setze.⁶¹ Der Kardinal beklagte, dass die Krise „von Monat zu Monat weitere Kreise der Kirche⁶² erfasse und das Lehramt der Kirche „unter den Priestern völlig in Vergessenheit⁶³ geraten sei, ebenfalls „die Kraft der Autorität und die Verpflichtung zum Gehorsam.⁶⁴ Zudem sah er ein Gefälle zwischen der Kirche in Ost- und Westdeutschland bei der Ausbreitung dieser Phänomene.⁶⁵ Weihbischof Rintelen bestätigte seinem Paderborner Vorgesetzten gegenüber, „dass der Virus der Unruhe, der Auflehnung gegen jegliche Autorität, der Anerkennung von Vorgegebenheiten und Bindungen auch [im Kommissariat Magdeburg] die Menschen ergriffen hat.⁶⁶ Der Berliner Kardinal Bengsch resümierte hierzu: „Diese Autoritätskrise als ein sich von West nach Ost fortpflanzender Prozess sei eine zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch durch eine noch so gute theologische und innerkirchliche Information nicht zu heilende Krankheit der Kirche."⁶⁷

    Ein zweites Phänomen der kirchlichen Autoritätskrise stellten Gehorsamsverweigerungen gegenüber dem kirchlichen Lehramt dar.⁶⁸ Kein anderes päpstliches Lehrschreiben steht so deutlich für verweigerten kirchlichen Gehorsam⁶⁹ wie die Enzyklika „Humanae vitae Papst Pauls VI. vom 25. Juli 1968.⁷⁰ Auch in Ostdeutschland bildete die Veröffentlichung der Enzyklika eine Zäsur im Ringen um die Legitimität kirchlicher Autoritätspraxis.⁷¹ Ein Arbeitskreis von Laien aus dem Erzbischöflichen Kommissariat Magdeburg formulierte in einem Brief an Weihbischof Rintelen: „Wir glauben, dass weder Papst noch Bischöfe ahnen, wie fragwürdig uns die Lehrautorität gerade durch diese Enzyklika zu werden droht.⁷² Die Königssteiner Erklärung⁷³ der bundesdeutschen Bischöfe wurde weithin als „Gegennorm"⁷⁴ zur Enzyklika verstanden und auch von ostdeutschen Katholiken rezipiert.⁷⁵

    Neben der Kritik an der Autoritätsausübung und innerkirchlichen Gehorsamsverweigerungen markierten die damals allgegenwärtigen Forderungen nach einer „Demokratisierung" der Kirche einen dritten Aspekt der Autoritätskrise.⁷⁶ Ein einheitliches und reflektiertes Konzept zur „Demokratisierung der Kirche" existierte nicht. Weder wurde eine Übertragung und Anwendung parlamentarischer Herrschaftsformen auf die Kirche gefordert noch war je eine Abstimmung über das Glaubensgut der Kirche intendiert. Vielmehr ging es verschiedenen Theologen und der Majorität basiskirchlicher Gruppierungen um einen legitimen und theologisch gerechtfertigten Prozess zur Implementierung demokratischer Verfahrens- und Verhaltensweisen in die Struktur der Kirche.⁷⁷ Wenn Kirche derjenige Ort ist, an dem eine universelle Freiheit erfahrbar und nach außen hin wahrnehmbar sein soll, darf sie selbst keine Tendenzen, Strukturen oder Institutionen aufweisen, die einer verantworteten Entfaltung individueller Freiheitsrechte entgegenstehen.⁷⁸ Deshalb forderte man u.a. Mitwirkung bei der Bestellung kirchlicher Amtsträger, freie Bildung von kirchlichen Gemeinschaften neben der Organisation durch das Territorialprinzip, ungehinderte Meinungsbildung und Transparenz der Entscheidungsmechanismen.⁷⁹ Zu einem Kristallisationspunkt in der Debatte um eine Demokratisierung der Kirche wurde die Frage nach der Ernennung und Abberufung von kirchlichen Amtsträgern.⁸⁰ Vor dem Hintergrund der Volk-Gottes-Ekklesiologie des II. Vatikanums schien vielen Katholiken die weltweit einheitliche Praxis der überwiegenden Nichtbeteiligung von Laien und Priestern bei der Ernennung von Bischöfen anachronistisch.⁸¹ An der kirchlichen Basis blieb unverständlich, weshalb es keines transparenten Nachweises zur Befähigung für die Übernahme eines Hirtenamtes in der Kirche bedurfte und all jene, denen ein Bischof oder Priester vorstand, gänzlich unbeteiligt an dessen Auswahl und Benennung blieben. Auch wenn sich die Legitimität des bischöflichen Amtes nicht einer Wahl verdankt, sondern der sakramentalen Weihe sowie der Aufnahme in das Bischofskollegium, haftet der zentralistisch organisierten kirchlichen Personalpolitik das Defizit einer mangelnden ortskirchlichen Beteiligung an.⁸²

    Die Demokratisierungsforderungen hatten auf die Autorität in der Kirche insgesamt einen diffusen Einfluss. Vielen Christen verschloss sich die Autorität einer sich selbst einsetzenden und rekrutierenden Hierarchie, die zwar Loyalität und Gehorsam verlangte, sich aber von der Akzeptanz der Christen autark und ihrer Meinung unbeeindruckt zeigte.⁸³ Andererseits offenbarte die Vehemenz der Demokratisierungsforderungen, welchen Wert eine authentische Autorität bei vielen Christen genoss. Das Dilemma bestand letztlich darin, dass die Demokratie sowohl vereinbar als auch unvereinbar mit der katholischen Kirche ist. Das Grundsystem der Demokratie ist mit der Kirche deshalb unvereinbar, weil im Gegensatz zu modernen Staaten nicht die Gläubigen den Souverän der Kirche darstellen, sondern Jesus Christus. Weil das Wesen der Kirche auf den Stiftungswillen Jesu zurückgeführt wird, ist ihre Grundstruktur der Abstimmungsmaterie der Gläubigen entzogen. Zugleich ist die Kirche mit dem System der Demokratie vereinbar. Denn trotz allem gilt, dass die Kirche eine geschichtliche Gemeinschaft von Menschen ist, die sich unter dem Beistand des Heiligen Geistes diejenigen Strukturen und Ämter schafft, derer sie zur Erfüllung ihres Auftrags, Missionarin unter den Völkern zu sein, bedarf. Doch die zuweilen undifferenzierte Anwendung politisch konnotierter Demokratiebegriffe auf die Kirche und unzulässige Verkürzungen konziliarer Aussagen verschärften die fragile Situation oftmals. Zu Recht sahen die Bischöfe in manchen Positionen extreme und zum Teil radikale Tendenzen, die sie in Erfüllung ihrer Aufsichtsfunktion unterbinden mussten.⁸⁴ Das Gebot der Stunde, autoritäre Maßnahmen und kirchenamtliche Überreaktionen zu vermeiden, um so nicht erneuter Kritik Vorschub zu leisten, fand dabei jedoch nicht immer die notwendige Beachtung. Eng mit der Autoritätskrise verbunden waren krisenhafte Phänomene innerhalb der katholischen Priesterschaft.

    1.1.2„Priesterkrise"

    Krisenhafte Entwicklungen im Klerus sind für den bundes- und ostdeutschen Katholizismus bereits verschiedentlich untersucht worden.⁸⁵ Eine zeitliche Einordnung allein auf die 60er und beginnenden 70er Jahre wird allerdings zu beachten haben, dass verschiedene Veränderungen bereits vorher konstatiert werden konnten.⁸⁶ Von einem Durchbruch dieser Entwicklungen zu einer Krise kann tatsächlich erst in den späten 60er Jahren gesprochen werden.⁸⁷ Es ließe sich die These vertreten, dass das II. Vatikanische Konzil die schon Ende der 50er Jahre anstehende Debatte über Wesen, Funktion und Aufgabe des Priesters nur verzögerte. Da sich das Konzil ausführlich mit den Bischöfen und Laien beschäftigte, die geweihten Priester aber eher randständig thematisiert wurden, erschienen sie vielfach als die „Verlierer"⁸⁸ des Konzils, weil die Anfang der 60er Jahre manifest werdenden Probleme unter Priestern keine verbindlichen Antworten der Konzilsväter erhalten hatten.

    Der Berliner Erzbischof und Vorsitzende der Ordinarienkonferenz Kardinal Bengsch stellte in einem streng vertraulichen Bericht an den Apostolischen Nuntius in Bad Godesberg im Jahr 1965 fest, dass trotz staatlicher Infiltrationsversuche die Einheit des ostdeutschen Klerus bislang ungebrochen war.⁸⁹ Diese äußere Einheit gegenüber dem SED-Staat wies nach innen betrachtet eine größere Pluralität auf. Der in der SBZ und späteren DDR wirkende Klerus war durch Flucht und Vertreibung während und nach dem 2. Weltkrieg äußerst heterogen.⁹⁰ Unterschiedliche Generationen, Mentalitäten und Traditionen trafen im Chaos der ostdeutschen Flüchtlingskirche aufeinander, und dies nicht selten mit gravierenden Schwierigkeiten.⁹¹ In dieser ohnehin konfliktreichen Zeit trat das Problem des abnehmenden Priesternachwuchses immer stärker hervor.⁹² Zugleich markierten verschiedene Reformbemühungen das Aufbrechen statischer Aufgaben und Rollen.⁹³ Der ostdeutsche Klerus stellte dabei keine Ausnahme dar.⁹⁴ Den bisherigen Darstellungen der Priesterkrise, die vor allem auf die theologischen Ausbildungsstätten in der DDR fokussiert waren, seien im Folgenden zwei Beispiele aus dem Kommissariat Magdeburg hinzugefügt.

    Am 2. Oktober 1968 fand auf Initiative und Einladung von Priesteramtskandidaten des Erfurter Alumnats eine Diskussionsveranstaltung mit ca. 100 Theologen und dem „Korrespondenz"-Kreis⁹⁵ über das „Bild des zukünftigen katholischen Priesters⁹⁶ statt.⁹⁷ Als Grundlage für das Gespräch hatte die „Korrespondenz eine vierseitige Ausarbeitung „Zur Person des Pfarrers erstellt und zusammen mit einem Anhang über Veränderungen der Priesterausbildung versendet.⁹⁸ Die leitende These dieses Aufsatzes lautete: „Unter einem Pfarrer stellen wir uns einen Menschen von großer geistiger Vitalität vor, der imstande ist, Leute dazu zu aktivieren, ‚Kirche’ zu bilden.⁹⁹ Ausgehend von diesem Grundverständnis schlug der Korrespondenz-Kreis vor, die Gestalt des Pfarrers¹⁰⁰ neu zu konstruieren.¹⁰¹ Seine zahlreichen Funktionen als Sacerdos, Presbyteros, Diakonos, Didaskalos und Prophetos würden eine deutliche Überbeanspruchung darstellen. Sie könnten in zwei zentrale Aufgabenbereiche des Organisatorisch-Ökonomischen und des Spirituellen geteilt und unterschiedlichen Personen in den Gemeinden zugewiesen werden.¹⁰² Nach Vorstellung der „Korrespondenz sollte der „Pfarrer bewusst in den Hintergrund treten und immer mehr Organisationsfunktionen…abgeben.¹⁰³ „Nicht der Manager, der Verwalter, der Liturge soll zum Prototyp des Pfarrers werden, sondern der ‚Spiritual‘, der ‚Intellektuelle‘, der ‚Prophet‘.¹⁰⁴ Die Forderung der „Korrespondenz nach einem weltlichen Beruf für die Pfarrer war offensichtlich vom Modell der Arbeiterpriester inspiriert und provozierte die Rückfrage eines Erfurter-Theologen: „Ist unser Beruf kein Beruf?"¹⁰⁵ Die Diskussion zeigte darüber hinaus, dass große Verunsicherung über das Verhältnis zwischen Priestern und Laien und die jeweiligen Aufgaben herrschte.¹⁰⁶

    Aufschlussreich und noch konkreter ist zweitens ein Vortragsmanuskript des Hallenser Studentenpfarrers Adolf Brockhoff¹⁰⁷ mit dem Thema: „Freiheit des Weltpriesters in der Kirche¹⁰⁸, das eine persönlich gefärbte Situationsanalyse der Lage der Weltpriester vor und nach dem Konzil gibt. Diese Darstellung ist ein Beleg für eine partielle Parallelität der ost- und westdeutschen Entwicklungen und verweist zugleich auf ostdeutsche Spezifika. Adolf Brockhoff unterstrich, dass sich bereits Ende der 1950er Jahre Resignation unter den Priestern breitzumachen drohte¹⁰⁹, und bekräftigte, dass sich eine zunehmende Distanz zwischen Bischöfen, Priestern und Laien etablierte.¹¹⁰ Am Beispiel von Paderborner Priestern, die nach ihrer Weihe freiwillig in die SBZ/DDR übersiedelten oder von ihrem Bischof geschickt wurden, stellte er dar, dass sich ein vorkonziliarer Wandel im priesterlichen Selbst- und Rollenverständnis vollzogen hatte. Aufgrund der chaotischen Situation nach dem 2. Weltkrieg habe der Klerus - Brockhoff zählte selbst zu jenen westfälischen Priestern, die freiwillig in die SBZ gegangen waren - „Pionierdienste leisten¹¹¹ müssen. Er rekapitulierte die damaligen Entscheidungen und Motivationen des Paderborner Klerus dabei wie folgt: „In einer Welt von Trümmern sind wir dem Rufe gefolgt, der an uns erging, weil wir im Glauben erfahren hatten, dass es nichts Schlimmeres gibt als eine Welt ohne Gott…Wir sind in die Zone gegangen, weil wir der Präsenz dessen dienen wollten, der immer mit dem geschlagenen Volke ist. Wir haben Kirchen und Kapellen und Häuser gebaut, nicht, wie manche Superklugen meinten, um uns selbst zu bestätigen, sondern um in einem handgreiflichen Sinn Brunnenstuben des Lebens zu schaffen. Wir haben die Türen der Pfarrhäuser aufgemacht, nicht weil – wie wieder die Superklugen meinten – wir mit unserer Einsamkeit nichts anzufangen wüssten, sondern weil wir den blutvollen Kontakt mit den Laien wollten. Weil die Taufe eine größere Nähe stiftet als alles andere, warfen wir den Zopf der Standesvorurteile und –unterschiede ab. Die Weihe gab uns keinen Auftrag über das Volk Gottes hinweg, sondern in seinem Herzen. Wir wollten keine primitiven Funktionäre für heilige Dinge sein, die Messen lesen und nach uralter Gewohnheit Predigten heruntersagen. Wir konnten uns keine Heiligung des Lebens vorstellen, die trennt, statt zu vergegenwärtigen. Weil uns das Verständnis abging, wie man redlicher Weise am sakralen Tisch sitzen kann, ohne ihn zum profanen Tisch hin zu erweitern, machten wir die Türen unserer Häuser auf. So halfen wir mit, den vielen Heimatlosen ein wenig Heimat zu geben.¹¹² Als ostdeutsches Spezifikum ließe sich das Verständnis der Priester charakterisieren, sich stellvertretend für die Laien gegenüber dem Staat zu artikulieren, weil es ihnen ihre abgesicherte Stellung ermöglichte: „Weil wir aus freiem Entschluss in die Zone kamen und aushielten, sind viele geblieben. Weil wir ohne Vorsicht lebten und redeten, schritten immer mehr den Kreis ihrer Freiheit ab, um ihn zu erweitern…Wir haben nicht geschwiegen zur Mauer, zur Sperrzone, zum Fahneneid, zu Sozialisierung. Vor keinem Funktionär schlugen wir die Tür zu. Er ging nicht von unserem Tisch, ohne dass wir Unrecht Unrecht genannt hätten. Wir haben geredet, weil wir die Vertreter der Macht als Menschen ernst nahmen. Wir haben geredet, damit die vielen Laien, die stumm bleiben mussten, ohne Gewissensbisse schweigen konnten.¹¹³ Brockhoffs Ausführungen deuteten an, dass sich ein Wandel im priesterlichen Selbstverständnis weit vor dem Konzil ereignete, der stark von den pastoralen Bedingungen der ostdeutschen Nachkriegszeit bestimmt war. Hinzu kam, dass im Zuge der Liturgischen Bewegung bereits in den 50er Jahren selbstständige Veränderungen der Liturgie vorgenommen wurden, die von einem ausgeprägten priesterlichen Selbstverständnis Zeugnis geben.¹¹⁴ Geradezu zwangsläufig mussten diesen Priestern die mangelnden Ausführungen des Konzils zum speziellen Priestertum negativ auffallen.¹¹⁵ Nach dem Konzil verbreitete sich auch in Ostdeutschland Unsicherheit über die Aufgaben und Funktionen des geweihten Amtes innerhalb des allgemeinen Priestertums. Doch entgegen der vielfach vertretenen Nivellierung der Unterschiede zwischen Priestern und Laien durch die Teilhabe aller am gemeinsamen Priestertum machte sich Brockhoff für die besondere Stellung und Aufgabe der Priester stark.¹¹⁶ Gleichwohl verkannte er weder die Defizite in der Priesterausbildung¹¹⁷ noch die problematische Situation jener Priester, die durch die alltägliche Arbeit hindurch eine authentische Identität suchten.¹¹⁸

    Der Hallenser Studentenpfarrer blieb jedoch nicht bei der Kritik stehen, sondern formulierte kontextualisierte Grundelemente eines erneuerten Rollenverständnisses katholischer Priester. Zentral waren dabei die Erfahrungen der Priester im Totalitarismus des SED-Staates und die Rezeption der Aussagen des II. Vatikanischen Konzils. Auf Grund der staatlichen Situation sollte die priesterliche Identitätssuche ihren Ausgangspunkt in einem dualistischen Verständnis von Freiheit nehmen: „Wie können wir uns an der Front der Welt zur Freiheit bekennen, wenn wir sie im Innenraum der Kirche nicht besitzen?"¹¹⁹ Gerade die Liturgiekonstitution Sacrosanctum concilium des II. Vatikanums schien Brockhoff in besonderer Weise geeignet, den Geist der Freiheit in der Kirche und vor allem unter den Priestern zu wecken: „Wer die liturgische Konstitution zu lesen versteht, der weiß, wie hier aller Beckmesserei und allem subalternen, rubrizistischen Geist der Todesstoß versetzt wird. Mit der Konstitution sind wir aus der Fessel juristischer Bevormundung befreit worden. Hier ist der Geist der Freiheit entbunden, den die Kirche bei Priestern und Laien notwendig braucht, um die Fragen der Zeit zu bestehen. Gerade an der Stelle der Liturgie wird deutlich, dass die Kirche uns nicht zu Museumswächtern degradieren will, dass gerade hier die Gabe des Geistes an seine Kirche offengelegt wird, deren sie heute so sehr bedarf: Freiheit.¹²⁰ Nach Brockhoff sei das Hören auf diesen lebendigen Geist der Freiheit geeignet, um „alte Rollen abzubauen.¹²¹ Priester seien nicht länger „Zionswächter, die darauf zu achten haben, dass Riten und Gebräuche genau eingehalten werden¹²² noch „Wachhunde eines allgegenwärtigen Offiziums, die Häresien wittern¹²³, und keine „Einpeitscher moralischer Prinzipien, die überall Sünden riechen.¹²⁴ Die Priester seien vielmehr berufen, Freiheit erfahrbar zu machen, da die Kirche der Raum sein sollte, in dem „der freie Gott dem freien Menschen begegnet.¹²⁵ Trotz latenter Formen der Resignation unter den Priestern warb Adolf Brockhoff für einen Aufbruch: „Wenn wir nur die überkommenen Formeln reproduzieren und wiederkäuen, so machen wir uns selbst untauglich für die große Bewegung der Freiheit. Es kommt auf unsere Initiative an, auf unsere Erfindungsgabe in den Raum der Liturgie hinein…Nur wer die sehr menschliche Freiheit in der Kirche wagt, der wird die geistliche Qualität der evangelischen Freiheit gewinnen"¹²⁶

    Die Diskussionsveranstaltung der Erfurter Priesteramtskandidaten und der Vortrag des Hallenser Studentenpfarrers legten zahlreiche Konfliktfelder offen und deuten auf den damaligen Diskussionsbedarf hin. Es wird aber zugleich deutlich, dass sich die Priester nicht nur als Opfer einer Entwicklung verstanden und ihre Rollenverunsicherung passiv erduldeten. In bestimmten Kreisen begriff man diese Situation durchaus als Kairos. Die Infragestellung der traditionellen Ausrichtung des priesterlichen Lebens auf zeitlose Prinzipien und Forderungen nach Reformen waren in Ost und West ähnlich. Hervorzuheben bleibt allerdings, dass eine Nivellierung des genuin Priesterlichen in der Kirche der DDR trotz mancher Versuche auch deshalb zum Scheitern verurteilt war, weil es den Priestern durch ihre kirchenpolitisch abgesicherte Stellung möglich war, stellvertretend für viele Laien Protest gegenüber dem Staat und seinen Organen zu erheben. In den 60er Jahren organisierten sich verschiedene Gruppen aus Priestern und Laien, die Reformen und Veränderungen in der Kirche und ihrem Verhältnis zum SED-Staat vorbringen wollten.

    1.2Kirchliche „Vorläufergruppen" und Institutionen

    Es ist eine Reihe von Gruppen, Bewegungen und Institutionen zu nennen, die als Vorläufer oder Impulsgeber für den späteren AKH fungierten. Gerade in der Stadt Halle trafen Reformimpulse auf ein besonders empfängliches kirchliches Klima. Auffallend ist, dass aufgrund der engen personellen Verflechtungen in der DDR vielfach die gleichen Personen in unterschiedlichen Kreisen vertreten waren. Das sich hieraus ergebende Netzwerk sollte für die Gründung und spätere Entwicklung des AKH nicht unbedeutend sein.

    1.2.1Studentengemeinde Halle

    Die katholische Studentengemeinde (KSG) in Halle bildete das personelle und geistige Umfeld, aus dem sich ein wesentlicher Teil der späteren Mitglieder des Aktionskreises rekrutierte.¹²⁷ Durch ihre Entwicklung, Struktur und Arbeit war die Hallenser KSG geradezu prädestiniert, demokratieorientierte und kirchenkritische Gruppen wie etwa den „Korrespondenz" – Kreis und später den Aktionskreis Halle hervorzubringen. Die ostdeutschen Hochschul- und Studentengemeinden sind bereits verschiedentlich untersucht worden.¹²⁸ In den 60er und 70er Jahren zeigte sich ein enormes Potential reformorientierter Strömungen innerhalb der katholischen Studierendenschaft.¹²⁹ Dabei lassen sich drei ausschlaggebende Tendenzen beobachten: ein Bildungs-, Demokratisierungsund Oppositionstrend.¹³⁰ Diese weit verbreiteten Strömungen trafen in Halle auf begünstigende personelle und institutionelle Rahmenbedingungen.

    In der Thomas-Morus-Studentengemeinde in Halle war die Bildungsarbeit besonders stark ausgeprägt.¹³¹ Aufgrund der ideologischen Prägung der geisteswissenschaftlichen und pädagogischen Studiengänge an staatlichen Universitäten hatte sich die Mehrheit der christlichen Studierenden in naturwissenschaftlich-technische Studiengänge immatrikuliert.¹³² Dem Defizit an qualifizierter geschichtlicher, ästhetischer und geistlicher Bildung begegnete man durch wöchentlich stattfindende Vortrags- und Veranstaltungsabende in der KSG, an denen bis zu 160 Studentinnen und Studenten teilnahmen.¹³³ Durch persönliche Verbindungen und „verwandtschaftliche Kontakte zu den katholischen Hochschulgemeinden in Mainz und Köln wurden die Hallenser Studenten kontinuierlich mit westdeutscher und internationaler Literatur versorgt.¹³⁴ Schwerpunkte ergaben sich durch die Vorliebe des Kölner Studentenpfarrers auf den Gebieten der Kunst- und Kirchengeschichte.¹³⁵ Neben den wöchentlichen Veranstaltungen widmete man sich in regelmäßig tagenden Arbeitskreisen den Themen Marxismus, Ostkirche, Sakrament der Ehe, deutsch-polnische und russische Geschichte.¹³⁶ Bei jährlich stattfindenden Studienwochen wurden unter anderem die Themen: Laie und Kirche (1954); christlich-marxistisches Menschenbild (1957) sowie Autorität und Freiheit (1958) eingehend zwischen externen Referenten und den Studierenden diskutiert.¹³⁷ Im umfangreichen Kultur- und Theaterprogramm, das von den Studierenden selbst vorbereitet und aufgeführt wurde, fand sich neben klassischem Theater auch die Lesung des nicht unumstrittenen Werkes Rolf Hochhuths „Der Stellvertreter.¹³⁸ Insgesamt betrachtet, wirkte die Einheit aus einem breit angelegten Bildungsprogramm und der sich wöchentlich treffenden Gemeinschaft für viele Studenten identitätsstiftend.¹³⁹ Die KSG wurde so zu einem Ort intellektueller Auseinandersetzung und kameradschaftlicher Verbundenheit. Gezwungen durch die defizitären Strukturen der universitären Allgemeinbildung, wurden die christlichen Hochschulgemeinden zu Orten der außeruniversitären Bildung. Die Auseinandersetzung mit historischen, künstlerischen, theologischen und philosophischen Fragen fand innerhalb der Studentengemeinden großen Zuspruch. Dass sich die Arbeit und Struktur der KSG Halle derart breit gestaltete und regen Zuspruch erfuhr, dürfte nicht unwesentlich in der charismatischen Figur des damaligen Studentenpfarrers begründet gewesen sein. Adolf Brockhoff¹⁴⁰ war von 1953 bis 1967 Studentenpfarrer und zugleich Leiter des Sprachenkurses in Halle.¹⁴¹ Pfarrer Brockhoff galt als „ ‚enfant terrible’, knorriger Mann, ‚westfälischer Dickschädel’, profund, tief gläubig, dabei auch kirchenkritisch, charismatisch, mutig, provozierend, kumpelhaft und auch gebildet. Er verstand es, Visionen zu entwickeln; er prägte ganze Studentengenerationen durch seinen Intellekt und seine Persönlichkeit. Er konnte die Studenten zusammenholen und -halten. Er öffnete ihnen im geistigen Bereich Horizonte, die über die Dinge hinausgingen, nicht nur im theologischen, sondern auch im gesellschaftspolitischen Raum."¹⁴² Brockhoffs theologische Einstellungen und seine tief gläubige und zugleich kirchenkritische Art bestimmten den Kreis der Studenten und ihre Auffassung von Glaube und Kirche nachhaltig.

    1.2.2„Korrespondenz"- Kreis

    Ein weiterer wichtiger Wegbereiter für die spätere Gründung des AKH war die sogenannte „Korrespondenz."¹⁴³ Diese Gruppe wurde in der zeitgeschichtlichen Diskussion um postkonziliare Aufbruchsbewegungen in der DDR bislang kaum gewürdigt.¹⁴⁴ Dies verwundert angesichts ihrer brisanten und provokativen Forderungen im Hinblick auf eine theologisch-politische Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit dem SED-Staat.¹⁴⁵

    Auf Anregung des Hallenser Studentenpfarrers Adolf Brockhoff bemühten sich seit Anfang des Jahres 1966 etwa zehn Akademiker und Studenten durch Briefsendungen um Möglichkeiten der innerkirchlichen Meinungsbildung.¹⁴⁶ Die Korrespondenz-Gruppe, der Name ergab sich aus der angestrebten Aufgabe, war keine geschlossene Gemeinschaft und besaß aufgrund der Vielfalt der Fachrichtungen ihrer Mitglieder ein durchaus heterogenes Meinungsbild.¹⁴⁷ Allen gemeinsam war das Bemühen, angesichts einer stagnierenden Situation nach dem Aufbruch des Konzils und der zunehmenden „Ratlosigkeit und Resignation"¹⁴⁸ über das Verhältnis zum sozialistischen Staat, Veränderungen in der kirchlichen Situationsbewertung in Gang zu setzen.

    Geprägt vom Modell eines innerkirchlichen Pluralismus und der konziliaren Erneuerung verpflichtet, verstand sich die Gruppe als „eine Gemeinde neuen Typs […die] unmittelbar als Sauerteig eines neuen Kirchenbewusstseins wirken"¹⁴⁹ wollte. Ihre Intention bestand vor allem darin, „eine Gemeinschaft von kritisch Gesinnten zu stiften, die im offenen Dialog miteinander umgehen. Gemeinsam die Angst vor Repressalien des DDR Staates zu überwinden. Kritische Texte, vor allem zu Fragen des innerkirchlichen Dialoges zu verbreiten und zur Diskussion zu stellen.¹⁵⁰ Doch nicht nur das Versenden von Briefen sollte das Wirken der Korrespondenz bestimmen. Mit der „theoretischen Arbeit müsste in stärkerem Maße eine praktische Einflussnahme verbunden werden¹⁵¹, zu der es aber letztlich nicht kam. Ihr Credo - „Brecht euren Acker von Grund auf um und sät nicht auf Dornen" (Jeremias 4,3) - das alle Briefsendungen kennzeichnete, stand paradigmatisch für ihren Anspruch: Kritik zu üben und Anfrage an das kirchliche Selbstverständnis in einem sozialistischen Staat zu sein, um einen Bewusstseinswandel im offiziellen und privaten Verhältnis von Staat und Kirche zu implementieren. Die Korrespondenz kann daher als eine der ersten Gruppierungen im DDR-Katholizismus gelten, die sich für Formen innerkirchlicher Demokratisierung und für die Anerkennung des Sozialismus einsetzte.¹⁵²

    Durch mehr als zehn offene Briefe versuchten die zum Teil noch aktiven Mitglieder der Thomas-Morus-Studentengemeinde „ihre Meinung zu verschiedenen Fragen des kirchlichen Lebens, insbesondere zu Problemen des Christen und seiner Kirchen in der DDR, einer größeren Öffentlichkeit vorzutragen."¹⁵³ Ausdrücklich wurde in den Briefen um Rückantwort gebeten, um die „Korrespondenz zu einer Gesprächs- und Informationsplattform zu entwickeln.¹⁵⁴ Dieser Versuch scheiterte an der zu geringen Zahl von schriftlichen Rückmeldungen auf die mit einer Auflage von bis zu 200 Exemplaren an einen weiten Kreis von Empfängern in Ost- und Westdeutschland verschickten Briefsendungen.¹⁵⁵ Das mangelnde oder zögerliche Interesse dürfte sich aus verschiedenen Quellen gespeist haben. Dem vielfach konstatierbaren Informationsbedürfnis vieler Katholiken dürften das freimütige Auftreten der Gruppe mit Nennung von Namen und Adressen der jeweiligen Autoren sowie die Intention der Aussagen und die teils radikal formulierten Forderungen entgegengestanden haben. Der latente Verdacht kirchlicher Stellen, dass die „Korrespondenz mit staatlichen Stellen kooperiere, und die kirchenamtliche Kritik an den Aussagen des Kreises dürften zur mangelnden Rezeption nicht unwesentlich beigetragen haben.¹⁵⁶ Auslöser für das Ende der „Korrespondenz war nach der Niederschlagung des Prager Frühlings ein Zerwürfnis über die Opportunität eines Beitrages zur Volksabstimmung über die DDR-Verfassung und das Bekenntnis eines Mitgliedes zu seiner Stasi-Mitarbeit.¹⁵⁷ Da die Auffassungen der Korrespondenz-Gruppe der offiziellen Kirchenpolitik diametral widersprachen, zeichneten sich ihre Beiträge durch einen „den Verhältnissen entsprechend, relativ negativ-kritisch[en]¹⁵⁸ Ton aus, verfolgten aber nach eigenem Bekunden im Grunde eine „positive Absicht.¹⁵⁹ Trotz verschiedener Beziehungen zur „Berliner Konferenz und den Herausgebern der Zeitschrift „Begegnung war die „Korrespondenz insgesamt um Distanz zu diesen Organisationen bemüht.¹⁶⁰ Die Frustration über die ausbleibende Resonanz dürfte die Auflösungserscheinungen noch begünstigt haben. So stellten die Herausgeber 1968, nach nur zweijähriger Tätigkeit, das Erscheinen auf eigenen Entschluss hin ein. Das Potential der Mitglieder kanalisierte sich teilweise im späteren AKH.

    1.2.3„Erfurter Gesprächskreis"

    Eine kommunikative Basis für einen Informationsaustausch zwischen Bischöfen, Priestern und Laien in der DDR stellte der 1968 durch den Görlitzer Priester Dr. Paul Schimke initiierte innerkirchliche Dialogkreis dar, der später die Bezeichnung „Erfurter Gesprächskreis" (EGK) erhielt.¹⁶¹ Unter Zustimmung und Beteiligung der Bischöfe Hugo Aufderbeck¹⁶² und Gerhard Schaffran¹⁶³ kam es im April 1968 zum ersten von insgesamt drei Treffen des im DDR-Katholizismus einzigartigen Gremiums. Ein zweites Treffen fand im Oktober 1968 auf Einladung von Bischof Aufderbeck statt. Im Februar 1969 schaltete sich Kardinal Bengsch in den Diskurs ein und nahm an der letzten Sitzung des Kreises am 15. Februar 1969 teil.¹⁶⁴ Unter den 21 Teilnehmern der ersten Sitzung befanden sich unter anderem Dr. Wolfgang Trilling, drei Erfurter Professoren¹⁶⁵ und auch Adolf Brockhoff und Winfried Schülke von der „Korrespondenz sowie Dr. Peter Willms¹⁶⁶ aus Halle; die drei Letztgenannten sollten später dem AKH angehören. Die in diesem Kreis debattierten Themen deuten auf eine offene Gesprächsatmosphäre hin. Während sich Wolfgang Trilling dafür einsetzte, dass der Christ in der DDR ein kritisches Ja zum Sozialismus sagen könne und müsse und damit an Positionen der Korrespondenz oder der Paulus-Gesellschaft anknüpfte, wurde Adolf Brockhoff ganz seiner Rolle als kritischer Querdenker gerecht. Sein Referat mit dem Thema „Die religiöse Substanz in der DDR gliederte er anhand dreier markanter Thesen: „1. Die Kirche in der DDR ist geschichtslos; 2. Die Kirche in der DDR ist tatenlos; 3. Die Kirche in der DDR ist einfallslos.¹⁶⁷ Ein für Kardinal Bengsch verfasster Bericht dieser Sitzung hält nicht nur die Breite der kirchenpolitisch zum Teil höchst brisanten Diskussionsthemen - Verselbstständigung der katholischen Kirche in der DDR, Auseinandersetzung mit dem Sozialismus, Einführung einer Synodalverfassung in der Kirche, Verzicht auf Mercedes-Dienstwagen der Bischöfe - kommentierend fest. Er resümiert abschließend die Bedeutung dieser Zusammenkunft und die Rollen zweier unliebsamer Protagonisten: „Es ist sicher gut, dass der Kreis zusammengekommen ist, um sich mal zu artikulieren. Es ist sicher besonders bei den Laien erkennbar geworden, dass die Situation der Kirche nicht in einer Richtung simplifiziert werden kann, wie es von Vertretern wie Pfarrer Brockhoff und Dr. Trilling immer wieder geschieht…¹⁶⁸ Der Bericht notiert zudem eine für die weitere Entwicklung nicht unbedeutende Einschätzung hinsichtlich der progressiv orientierten Priester. Sie seien der Überzeugung, „dass nach dem Beispiel von Westberlin und Westdeutschland eine kleine Gruppe genügt, um das Bewusstsein zu ändern, wenn sie sich nur genügend ‚akzentuiert und artikuliert‘. Was dort im politischen Raum möglich ist, müsste auch für den Raum der Kirche in der DDR gelten, und in der Erfüllung dieses Zieles sei dann auch die geschichtliche Sendung der Kirche in der DDR erkennbar…¹⁶⁹ Der Erfurter Gesprächskreis tagte nochmals im Oktober 1968 und im Februar 1969. Die Themen der beiden ersten Treffen hatten offensichtlich eine gewisse Toleranzgrenze erreicht, wenn nicht überschritten.¹⁷⁰ Denn an der dritten Sitzung, die auch die letzte sein sollte, nahm Kardinal Bengsch persönlich teil.¹⁷¹ Gegenüber einem stark erodierten Teilnehmerkreis von nur noch vier Laien erteilte der Kardinal den bisher geäußerten Reformvorschlägen eine klare, vor allem kirchenpolitisch begründete Absage.¹⁷² Im Fokus der nunmehr bischöflichen Kritik befanden sich, wie der nachträglich von Bengsch autorisierte Bericht ausweist¹⁷³, die kritischen Anfragen von Adolf Brockhoff, Wolfgang Trilling und der Korrespondenz hinsichtlich einer stärkeren Beteiligung und Mitverantwortung von Priestern und Laien an Entscheidungen der Berliner Ordinarienkonferenz.¹⁷⁴ Zwar hatte die Berliner Ordinarienkonferenz (BOK) auf Anregung des Erfurter Gesprächskreises ein beratendes Priester- und Laiengremium für wenige Jahre berufen.¹⁷⁵ Es ist allerdings Forschungskonsens, dass die kurzzeitige Existenz dieser Gremien einen „gewollten Leerlauf seitens der BOK¹⁷⁶ darstellte.¹⁷⁷ Offensichtlich war, wie sowohl das Schicksal des Erfurter Gesprächskreises als auch das der beiden bischöflichen Beratungsgremien ausweist, die Halbwertzeit innerkirchlicher Diskussionsforen unter Beteiligung von Bischöfen und Laien äußerst gering. Ob dies mit den debattierten Themen oder der bischöflicherseits präsumierten Gefährdung der innerkirchlichen Einheit durch offenere Kommunikationsformen in Zusammenhang steht, ist bislang noch nicht eindeutig geklärt. Personelle Komponenten, wie etwa das durchaus kritische Verhältnis von Bengsch zu Brockhoff und Herold, dürfen zwar nicht überbewertet werden, haben aber dennoch eine Rolle gespielt. Mit dem Ende des Erfurter Gesprächskreises und der bischöflich verweigerten Besetzung der beiden Beratungsgremien mit einzelnen „oppositionellen Kräften" sanken die Chancen auf eine konstruktive Einbindung der reformorientierten Ambitionen. Zugleich stieg das Potential, dass sich der aus dem Konzil und der Situation der Kirche in der DDR ergebende Reformdruck neue Wege und Artikulationsformen suchen könnte, die bischöflich dann kaum mehr einzubinden waren. Im Erzbischöflichen Kommissariat Magdeburg fehlten zudem innerkirchliche Katalysatoren für aufkommende Kritik. Während es im Erfurter Jurisdiktionsgebiet vor allem die integrative Persönlichkeit Bischof Aufderbecks war und im Bistum Meißen die Diözesansynode dazu beitrug, durchaus vorhandene Spannungen abzubauen, fehlte eine solche Institution oder Persönlichkeit in Magdeburg.¹⁷⁸ Dass es hier derart kontrovers zugehen konnte, dürfte nicht zuletzt an der Person des Weihbischofs sowie an der Zusammensetzung des Klerus gelegen haben, der teilweise aus Westdeutschland kam und die ostdeutsche Diaspora mehrheitlich als Berufung verstanden hatte.

    1.2.4Bundesdeutsche Solidaritätsgruppen

    Für die Gründung und Organisation des späteren AKH ist schließlich eine weitere Entwicklung bedeutsam geworden. In den späten sechziger Jahren kam es weltweit zur Gründung von sogenannten Priestergruppen bzw. Solidaritätsgruppen (SOG).¹⁷⁹ Gerade im Jahr 1968 wird man den Aufbruch einer jungen Generation nicht vernachlässigen dürfen. Doch der entscheidende Impuls für diese Gruppen ist in dem Bemühen zu sehen, die durch das Konzil begonnenen Reformansätze in konkrete Maßnahmen und Institutionen zu überführen, dem Geist der Erneuerung, der allenthalben spür- und greifbar schien, auch tatsächlich Raum in der Kirche zu gewähren.¹⁸⁰ In der Bundesrepublik Deutschland waren im Jahr 1969 10% der katholischen Priester in einer Solidaritätsgruppe organisiert.¹⁸¹ Die Mitgliederzahl der einzelnen Gruppen schwankte zwischen 15 und 180, jedoch waren die Gruppen der ersten Stunde zunächst homogen von Priestern besetzt und geprägt. Bei den Gruppen der zweiten Gründungswelle ist der Unterschied zwischen Priestern und Laien schon „unprogrammatisch überspielt worden.¹⁸² Entgegen mancher kirchenamtlicher Einschätzung, begriffen sich die Solidaritätsgruppen als Teil der Lösung und nicht des Problems.¹⁸³ Eine offizielle Auseinandersetzung mit den Bischöfen hat nicht stattgefunden, vor allem auch deshalb, weil die Solidaritätsgruppen in der äußeren Wahrnehmung ihren Zenit bereits 1970 überschritten hatten und sich zudem die offiziellen Priestergremien zwar nur mühsam entwickelten, aber dennoch sukzessive Gestalt annahmen.¹⁸⁴ Schließlich darf nicht vergessen werden, dass es sich bei den Akteuren insgesamt um eine Minorität im bundesdeutschen Katholizismus handelte, die zwar in der öffentlichen Wahrnehmung oftmals das Bild einer „zerstrittenen Kirche¹⁸⁵ hinterließ, das aber „der Wirklichkeit so nicht entsprach."¹⁸⁶ Der Hauptvorwurf gegenüber den Solidaritätsgruppen lautete, dass sie in den Kernfragen erfolglos geblieben seien. Anstatt bei den Themen Zölibat, Mischehe, Priesterbild und Demokratisierung eine Veränderung angestoßen zu haben, habe sich im Gegenteil nur die Haltung der Kirchenleitung restriktiv verfestigt.

    Am 27. Mai 1969 hatten sich die zahlreichen Gruppen und Aktionskreise zur „Arbeitsgemeinschaft von Priestergruppen in der Bundesrepublik"¹⁸⁷ (AGP) zusammengeschlossen, die sich 1971 in „Priester- und Solidaritätsgruppen in der Bundesrepublik Deutschland unbenannte.¹⁸⁸ Die AGP hatte eine Hauptversammlung, einen gemeinsamen Sprecherkreis und einen Arbeitsausschuss.¹⁸⁹ In der 1969 verabschiedeten Basiserklärung der AGP benannten die Gruppen drei Hauptziele ihrer Arbeit: „Neuinterpretation des Glaubens, „Humanisierung der Kirche, „Demokratisierung der Kirche.¹⁹⁰ Struktur und Ziele sollten für den AKH noch von Bedeutung werden.

    Besonderen Einfluss auf die theologische Bewertung der Legitimität der Priester- und Solidaritätsgruppen hatte Karl Rahner.¹⁹¹ Rahner zeigte, dass es derartige Gruppen im Leben der Kirche geben muss und auch immer gegeben hat. Gerade wenn es in der Kirche notwendig ein charismatisches Moment gibt, das nicht allein durch das kirchliche Amt verwaltet und repräsentiert werden kann und darf, seien diese Gruppen wichtig und nötig.¹⁹² Denn sie verleihen dem Charismatischen in der Kirche Konkretheit und Effizienz.¹⁹³ Weil sich diese Gruppen besonders dadurch auszeichneten, dass sie nicht Ausfluss positiven kirchlichen Rechtes sind und sich von sich aus gründeten, bedürften sie „grundsätzlich auch keiner offiziellen Approbation von oben.¹⁹⁴ Trotz ihres „parakanonischen Charakters¹⁹⁵ dürften sie nicht von vornherein unter dem Verdacht stehen, schismatisch zu sein. Dies sei vor allem dann zu beachten, wenn sich die Priestergruppen „in einem gewissen Gegensatz zu den Bischöfen als Leitern der Kirche"¹⁹⁶ befinden. Gerade für die ostdeutsche Situation barg eine solche Feststellung eine nicht zu unterschätzende Brisanz in sich.

    Ende 1968 hatten sich das Kommissariat Magdeburg und hier besonders die katholische Kirche in der Stadt Halle zu einem Schmelztiegel von Reformbewegungen entwickelt. Besonders junge Akademiker sahen in den Aussagen des II. Vatikanischen Konzils zum Kirchenverständnis, Laienapostolat und zum Weltdienst der Christen einen Impuls, die Situation der katholischen Kirche in der DDR theologisch neu zu bewerten. Die strikt durchgehaltene Abstinenzpolitik der katholischen Bischöfe gegenüber der sozialistischen Gesellschaft schien ihnen nicht erst seit dem Konzil anachronistisch. Aber durch seine Aussagen sahen sie ihre Position in besonderer Weise legitimiert. Dass sich in Halle ein weitverzweigtes Netzwerk reformorientierter Katholiken etablieren konnte, dürfte sowohl an begünstigenden personellen als auch institutionellen Rahmenbedingungen gelegen haben. Die ausgezeichneten Verbindungen der in Magdeburg eingesetzten Paderborner Priester sowie der Studentengemeinden nach Westdeutschland scheinen nicht unwesentlich dazu beigetragen zu haben, dass das Erzbischöfliche Kommissariat trotz der seit 1961 bestehenden staatlichen Isolation infolge der Errichtung der innerdeutschen Grenze am Pulsschlag des internationalen Katholizismus blieb. Der weitgehend inoffizielle Import westlicher theologischer und soziologischer Literatur stieß zwar bei den ostdeutschen Bischöfen auf Skepsis, verstärkte jedoch nur ein ohnehin existentes Reformbestreben, das aus der Situation der Kirche unter einer sozialistischen Diktatur erwuchs. Die zunehmende Verschärfung der Autoritäts- und Priesterkrise 1968, die zeitgleiche Erlahmung der Konzilsrezeption und das Erstarken restaurativer Kräfte, die Niederschlagung des Prager Frühlings, das Ende des Erfurter Gesprächskreises, das Ende des „Hallenser Experimentes" mit dem Sprachenkurs und der Studentengemeinde sowie das vielfach ungenutzte Potential und Mitspracherecht der katholischen Akademiker, all das hatte für diejenigen, die im Konzil einen Aufbruch der Kirche erblickt hatten, das Fass der Enttäuschungen randvoll gefüllt. Die Nachfolgeregelung für den Paderborner Weihbischof in Magdeburg im Jahr 1969 stellte insofern den sprichwörtlichen Tropfen dar, der den postkonziliaren Reformelan auf breiter Front entfesselte.

    2.Initialzündung - die Bischofsernennung in Magdeburg

    Gründungsauslöser und erster öffentlicher Testfall für die Rezeption von Geist und Buchstabe des Konzils war die Nachfolgeregelung für den Magdeburger Weihbischof Friedrich Maria Rintelen im Sommer 1969. Die Entwicklungen im Kommissariat Magdeburg zwischen Juli 1969 und der Bischofsweihe im April 1970 stellen ein Exepmel dafür dar, wie sich innerkirchliche, diplomatische und machtpolitische Aspekte auf die Verwirklichung konziliarer Aufbrüche in der DDR auswirkten. Diese äußerst disparate Gemengelage ist für die Bedingungen konstitutiv, unter denen sich die Konzilsrezeption auch im totalitären SED-Staat vollzog. Dabei zeigt sich, welche Probleme und Konsekutivwirkungen die oft nur unzureichende Implementierung demokratischer Partizipationsmöglichkeiten in sich barg. Das geheime Prozedere der Ablösungsbestrebungen sowie der Versuch einer breiten Beteiligung der Ortskirche bei der Wahl des neuen Weihbischofs führten zu erheblichen und teils öffentlichen Kontroversen. Diese spalteten nicht nur den Magdeburger Klerus, sondern hatten Auswirkungen bis in höchste kirchliche Kreise. Im Folgenden soll das vielfältige Problemfeld aufgezeigt werden, auf dem sich der Aktionskreis Halle als innerkirchliche Protestbewegung konstituierte. Die Entwicklungen werden aufgrund ihrer Brisanz, der umfangreichen und erst jüngst zugänglichen Quellenlage sowie der Bedeutung für spätere öffentliche Wahrnehmung des AKH ausführlich dargelegt.

    2.1Konfliktreiche Rahmenbedingungen

    Im Erzbischöflichen Kommissariat Magdeburg lassen sich in den Jahren 1969/70 im Wesentlichen drei Aspekt benennen, die auf innerkirchliche Reformambitionen Auswirkungen hatten: innerkirchliche Bestrebungen zur Bischofswahl, kirchenpolitische Emanzipationsbemühungen der DDR sowie persönliche Differenzen einzelner Bischöfe in der DDR.

    Die innerkirchlich-theologische Situation war auf und nach dem Konzil unter anderem durch die Frage nach einem möglichen Anteil der Priester und Laien an der Bischofswahl geprägt.¹⁹⁷ Durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte hindurch gab es unterschiedliche Formen zur Besetzung eines vakanten Bischofssitzes.¹⁹⁸ Eine Beteiligung des Presbyteriums oder der Laien bei der Auswahl und Benennung eines Bischofs wird in der katholischen Kirche spätestens seit dem 13. Jahrhundert nicht mehr praktiziert.¹⁹⁹ Im 20. Jahrhundert wurde das freie päpstliche Ernennungsrecht zur gemeinrechtlichen Regel erhoben und die Möglichkeit zur Bischofswahl war fortan nur noch eine Konzession an zumeist deutschsprachige Konkordatspartner des Heiligen Stuhls.²⁰⁰ Von diesen Regelungen ist das Prozedere für die Ernennung eines Auxiliarbischofs zu unterscheiden, da dieser entsprechend einer einzureichenden Vorschlagsliste vom Vatikan ernannt wird.²⁰¹ Das II. Vatikanum ließ keinen Zweifel daran, dass es am geltenden Modus zur Bestellung der Bischöfe festhalten und staatliche Einflussmöglichkeiten zurückgedrängt wissen wollte.²⁰² Nach 1965 kam es weltweit zu Forderungen von katholischen Priestern und Laien, ihre Ortsbischöfe selbst wählen bzw. ein Mitspracherecht bei der Kandidatenaufstellung wahrnehmen zu dürfen.²⁰³ Die Nachfolge der Erzbischöfe in New York, Paris und Köln²⁰⁴, um nur einige Beispiele zu nennen, sollte dementsprechend geregelt werden.²⁰⁵ Aufgrund der exzellenten Verbindungen der Magdeburger Priester und Laien nach Westdeutschland - hier ist besonders der Freckenhorster Kreis²⁰⁶ zu erwähnen²⁰⁷ - waren diese Entwicklungen in der DDR präsent.²⁰⁸ Nicht zuletzt die theologische Diskussion dieser Frage hatte diese Ansprüche auch auf die Agenda einzelner ostdeutscher Priester und Laien gesetzt. Dabei waren es gerade keine theologischen Außenseiter, die auf die mangelnde Beteiligung der Ortskirche bei der Bestellung eines Bischofs hinwiesen und für geeignete Formen der Partizipation eintraten.²⁰⁹ In Ostdeutschland hatte unter anderem die Meißner Diözesansynode eine entsprechende Beteiligungsmöglichkeit der Ortskirche eingefordert.²¹⁰

    Die kirchenpolitische Situation in der DDR in den späten 1960er Jahren war wie im gesamten Ostblock äußerst angespannt. Der Grund hierfür lag in einer diffizilen Gemengelage unterschiedlicher außen- und innenpolitischer Interessen der Staaten unter sowjetischer Hegemonie. Umrahmt wurden diese Entwicklungen von der „Vatikanischen Ostpolitik"²¹¹ und der Deutschlandpolitik der linksliberalen Bonner Regierung unter Bundeskanzler Willy Brandt.²¹² Der SED-Staat drängte im Hinblick auf das zwanzigjährige Jubiläum der Staatsgründung auf eine Anerkennung seines völkerrechtlichen Status als zweiter deutscher Staat und übte dafür auch Druck auf die Kirchen aus. Während sich die evangelischen Kirchen in der DDR bereits 1965 von der bundesdeutschen EKD getrennt hatten, galt dies für die katholische Kirche als inopportun. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatten die katholischen Bischöfe der mitteldeutschen Bistümer alles darangesetzt, die durch die Interzonen- und spätere Staatsgrenze herbeigeführte politische Teilung pastoral abzumildern und die kirchliche Verbindung nicht abreißen zu lassen. Dies zeigte sich besonders deutlich in der Personalpolitik. Friedrich Maria Rintelen, Priester und Generalvikar der Erzdiözese Paderborn, wurde am 12. Dezember 1951 durch Papst Pius XII. zum Titularbischof von Chusira ernannt und am 24. Januar 1952 zum Paderborner Auxiliarbischof geweiht. Kardinal Jaeger entsandte ihn am 1. Januar 1952 als Erzbischöflichen Kommissar nach Magdeburg, wo er den östlichen Diözesanteil im Auftrag von Kardinal Jaeger weitgehend selbstständig leitete.²¹³ Auch in Erfurt, Meiningen und Schwerin waren bischöfliche Kommissare im Amt, die mit delegierten Vollmachten im Auftrag ihrer Ortsordinarien agierten und so die jurisdiktionelle Verbindung über Staatsgrenzen hinweg aufrechterhielten.²¹⁴ Diese Regelungen waren nötig geworden, da der SED-Staat sukzessive die Kontakte zwischen den ost- und westdeutschen Diözesanteilen einzuschränken versuchte und die westdeutschen Bischöfe schließlich ab 1966 mit einem totalen Einreiseverbot in die DDR belegte.²¹⁵ Das staatliche Ziel war die Loslösung der katholischen Kirche in der DDR von den bundesdeutschen Diözesen, analog zur Entwicklung in den evangelischen Kirchen.²¹⁶ Die Kirche musste deshalb fürchten, dass sich der SED-Staat infolgedessen in ihre inneren Angelegenheiten einmischen könnte. Bereits 1962 hatte das Staatssekretariat für Kirchenfragen in der DDR signalisiert, dass es dem Souveränitätsanspruch des SED-Staates zuwiderlaufe, wenn er bei Fragen die Katholiken in der DDR betreffend, mit westdeutschen Bischöfen in Kontakt treten müsse.²¹⁷ Diesen Entwicklungen folgend hatte sich der Berliner Erzbischof und Vorsitzende der Berliner Ordinarienkonferenz Alfred Kardinal Bengsch 1966 in Rom für eine ernsthafte Erwägung der „Sicherung der kirchlichen Administration und Jurisdiktion im Gebiet der DDR²¹⁸ eingesetzt. Um die Jurisdiktion in diesen Gebieten auch weiterhin gewährleisten zu können, schlug Bengsch in Rom vor, im Zusammenhang mit der Ernennung von Apostolischen Administratoren für Westpolen auch in Ostdeutschland derartige Regelungen zu treffen.²¹⁹ In Vorbereitung auf den zwanzigsten Jahrestag der Gründung der DDR 1969 forcierte der SED-Staat im Rahmen seiner gesteigerten Souveränitätsbestrebungen eine Loslösung und Verselbstständigung der katholischen Kirche in der DDR.²²⁰ Höhepunkt dieser Strategie war die am 14. Mai 1969 von Staatssekretär Hans Seigewasser abgegebene Erklärung, dass im Todesfall eines Weihbischofs der von Westdeutschland ernannte Nachfolger von der DDR-Regierung nicht mehr anerkannt werden würde.²²¹ Der Paderborner Erzbischof hatte bereits 1967 Vorkehrungen getroffen, die im Falle einer Paderborner Sedisvakanz die Stabilität und Kontinuität in Magdeburg sichern sollten. Das Amt des Generalvikars würde zwar wie kirchenrechtlich vorgeschrieben mit Erledigung des Paderborner Bischofsstuhls erlöschen, jedoch nicht Rintelens Amt als Erzbischöflicher Kommissar. Dazu hatte ihm Erzbischof Jaeger alle Vollmachten übertragen, die ein Bischof delegieren kann.²²² Schwieriger zu beantworten war hingegen die Frage, wie im Falle eines alters- oder gesundheitsbedingten Rücktritts der Kommissare in der DDR zu verfahren sei. Dem kirchenrechtlich vorgesehenen Ablauf folgend, hätte die Ernennung eines Nachfolgers das Eingreifen des zuständigen westdeutschen Bischofs erfordert. Aufgrund von Sondierungsgesprächen mit staatlichen Repräsentanten war Kardinal Bengsch zu der Auffassung gelangt, dass, sollten die Nachfolger zu westdeutschen Weihbischöfen ernannt und anschließend in die DDR geschickt werden, der SED-Staat sie als westliche Beauftragte ansehen und möglicherweise in ihrer Amtsführung behindern würde.²²³ Gerade im Vorfeld des zwanzigsten Jahrestages der Staatsgründung mussten die ostdeutschen Bischöfe daher besonders darum bemüht sein, „dass den staatlichen Behörden keine Möglichkeit gegeben wird, sich in die kirchliche Verwaltung unter dem Vorwand ihrer Souveränitätspolitik einzuschalten.²²⁴

    Die ohnehin konfliktreichen innerkirchlichen und politischen Rahmenbedingungen spitzten sich schließlich drittens durch persönliche Faktoren zu. Weihbischof Rintelen hatte gegenüber der Berliner Ordinarienkonferenz und gegenüber Kardinal Jaeger mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass er „mit Erreichen des 70. Lebensjahres die Leitung des Kommissariates niederlegen"²²⁵ würde. Dies entsprach den durch das Konzil erneuerten Altersgrenzen zur Emeritierung von Bischöfen.²²⁶ Da Friedrich Maria Rintelen 1899 geboren wurde, wurde diese Frage spätestens im Dezember 1969 akut. Darüber hinaus hat es auf verschiedenen kirchlichen Ebenen Kritik an Rintelens Führungsstil im Kommissariat Magdeburg gegeben. Dies dürfte etwaige Nachfolgeplanungen zusätzlich motiviert haben. Klagen über den Führungsstil des Magdeburger Weihbischofs breiteten sich nicht nur innerhalb des Erzbischöflichen Kommissariates aus. Sie gelangten auch nach Paderborn und Berlin. Bereits Anfang der 1960er Jahre hatte sich in bestimmten Magdeburger Kreisen ein „Unbehagen gegen den Weihbischof²²⁷ entwickelt. Ob es sich hierbei nur um eine Minorität im Klerus gehandelt hat, lässt sich nicht zuverlässig eruieren. 1965 berichtete der Hallenser Studentenpfarrer und Leiter des Sprachenkurses Adolf Brockhoff dem Paderborner Erzbischof von der Unzufriedenheit verschiedener Gruppen und Kreise mit der Art und Weise, wie Weihbischof Rintelen das Kommissariat leitete: „Der Weihbischof ist seit langem überfordert. Er ist überfordert sich der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Situation in der DDR zu stellen. Er ist überfordert, die großen Aufbrüche des Konzils wirklich zu begreifen und sie zum Impuls eines neuen Anfangs zu machen. Er ist überfordert, an den täglichen Nöten und Sorgen von Priestern und Volk zu partizipieren.²²⁸ Trotz dieser Kritik und den unterschiedlichen theologischen und pastoralen Standpunkten, die Rintelen und bestimmte reformorientierte Teile des Magdeburger Klerus vertraten, herrschte ein menschlich ausgewogenes Verhältnis.²²⁹ Allerdings gab es einen Priester - er gehörte dem Reformflügel im Klerus offensichtlich nicht an – der, vermutlich persönlich betroffen, für die Situation im Kommissariat Magdeburg in den 60er Jahren, die seiner Meinung nach von „Resignation und innerer „Emigration der Priester sowie einer grundlegenden Enttäuschung unter den Laien geprägt gewesen sei, vor allem die Person des Magdeburger Weihbischofs verantwortlich machte und ihn gegenüber dem Berliner Erzbischof Bengsch denunzierte.²³⁰

    Dass es Schwierigkeiten im Kommissariat gegeben hatte, die mit dem Weihbischof in direkter Verbindung standen, war trotz der staatlich gewirkten Isolation in Paderborn nicht verborgen geblieben. Jedoch ergibt sich aus den Quellen ein ambivalentes Bild, wie Lorenz Kardinal Jaeger mit diesen Problemanzeigen umging und sie bewertete. Quellenkritisch eher skeptisch zu beurteilen sind Notizen von Adolf Brockhoff, anlässlich eines der seltenen Gespräche zwischen dem Kardinal und Teilen seines Magdeburger Klerus in Ost-Berlin 1965. Weihbischof Rintelen sei demnach in Kardinal Jaegers Auffassung: „Kein Gesprächspartner. Er entzieht sich. Er bagatellisiert. Er verharmlost. Sie sind zu stark und zu selbstbewusst für ihn!"²³¹ Pfarrer Brockhoff hielt in einem offiziellen Brief an den Paderborner Kardinal 1970 nochmals fest: „Schon lange ist das Kommissariat ohne eine echte Führung. Das wissen Sie so gut wie ich. In dem Gespräch, das Sie mir im Januar 1966 gewährten und das Sie spätestens (‚in welcher Form auch immer!‘) im Mai desselben Jahres fortsetzen wollten, haben Sie das bestätigt, was viele wussten und was der Berliner Bischof z.B. - gar nicht zimperlich - laut aussprach."²³²

    Der Berliner Erzbischof Alfred Bengsch scheint für die Nachfolgeregelung in Magdeburg eine als ambivalent zu charakterisierende Schlüsselrolle eingenommen zu haben. Er selbst hatte in einem vertraulichen Brief an den Paderborner Erzbischof und Kardinal seine Rolle eher passiv dargestellt und die Initiative allein bei Lorenz Jaeger gesehen.²³³ Erzbischof Jaeger war über die Darstellung in diesem Brief in höchstem Maß empört. Er verfasste daraufhinquer über den Brief des Berliner Kardinals - handschriftlich seine Wahrnehmung der Entwicklungen: „Die Vorgeschichte die schon in der 3. Konzilsperiode anfing, als der H.H. Apost. Nuntius mir mündlich interessierte, dass für Exz. Rintelen, der der Aufgabe nicht mehr gewachsen sei, ein Nachfolger oder ein Koadjutor bestellt werden müsste. Ich habe widersprochen, weil das Urteil darüber mir und nicht Erzb. Bengsch zustehe. Nachfolgende Aussprache in Rom + erneut später in Ostberlin hat Erzb. Bengsch versprochen, ein loyales Verhalten gegenüber WB Rintelen + dem Erzb. Kommissariat Magdeburg. De facto hat Erzb. Bengsch in Bad Godesberg weiter gegen Rintelen gearbeitet, wie gelegentliche Äußerungen des Herrn Nuntius mir gegenüber gezeigt haben."²³⁴ Offensichtlich war Kardinal Jaeger weder während des Konzils in Rom noch zu einem späteren Zeitpunkt bereit, sein bischöfliches Alter Ego in Magdeburg abzusetzen. Stattdessen informierte er seinen Weihbischof über die Berliner Pläne²³⁵ und versicherte ihn seiner Loyalität.²³⁶

    Flankiert wird der Befund aus kirchlichen Quellen durch Akten des Ministeriums für Staatssicherheit. Prälat Otto Groß²³⁷, einer der engsten Mitarbeiter von Kardinal Bengsch im Ost-Berliner Ordinariat und zugleich der bischöflich beauftragte Verhandlungspartner mit dem MfS in der DDR, entfaltete in einem Gespräch 1968 verschiedene Gedanken und Einschätzungen des Berliner Erzbischofs zur Lage im Kommissariat Magdeburg, die der Führungsoffizier festhielt.²³⁸ Kardinal Bengsch sei demnach der Meinung gewesen, dass das Kommissariat in einer „gefährdeten Lage²³⁹ sei, weil hier „einflussreiche Gruppen katholischer Geistlicher und Laien vorhanden [sind S.H.], die in Opposition zur Leitung der katholischen Kirche in der DDR stehen.²⁴⁰ Bengsch habe wenig Zutrauen in die Fähigkeiten der dortigen kirchlichen Verantwortlichen, denn er befürchte, dass „Weihbischof Rintelen/ Magdeburg und Weihbischof Schräder/ Schwerin ihren Aufgaben nicht mehr gewachsen sind.²⁴¹ Für den Berliner Kardinal „stehe ernsthaft die Frage, Bischof Rintelen in den Ruhestand zu schicken.²⁴² Die Abberufung sei nur deshalb noch nicht erfolgt, weil es nach Ansicht von Bengsch keinen Nachfolger im Kommissariat Magdeburg gäbe, der „wirksame Maßnahmen gegen die in Aufruhr geratenen Geistlichen und Laien einzuleiten und Ruhe und Ordnung im Bereich des Kommissariates wieder herzustellen"²⁴³ vermag.

    Ob neben der Kritik an Rintelens mangelndem Durchsetzungsvermögen bei Disziplinarangelegenheiten²⁴⁴ auch eine vom MfS wahrgenommene Düpierung des Berliner Kardinals anlässlich der 1000-Jahr-Feier des Bistums Magdeburg 1968 eine Rolle gespielt haben könnte, bleibt offen.²⁴⁵ Wahrscheinlicher dürfte es hingegen sein, dass Bengsch in Rintelen einen Unsicherheitsfaktor für die kirchenpolitische Phalanx der Berliner Ordinarienkonferenz gegenüber dem SED-Staat erblickte. Weihbischof Rintelen hatte 1969 zusammen mit Staatssekretär Seigewasser ein gemeinsames Kommunique veröffentlicht²⁴⁶ und damit die Geschlossenheit der Ordinarienkonferenz, die sich ein einheitliches und abgestimmtes Vorgehen gegenüber staatlichen Stellen zur Maxime gemacht hatte, massiv unterlaufen.²⁴⁷ Dies drängte Prälat Groß in einem anderen Zusammenhang zu der Feststellung: „Dieses Kommunique übertrifft alle unsere Befürchtungen und ist ein Beweis dafür, wie notwendig der Wechsel in Magdeburg ist...Praktisch ist hiermit die Einheit der Bischöfe in politischen Dingen gebrochen und durch das Verhalten von Weihbischof Rintelen hat der Staat sein Ziel erreicht."²⁴⁸ Die Einheit im Klerus und die Geschlossenheit der Ordinarienkonferenz gegenüber dem Staat aber waren die zentralen Grundsätze des Berliner Erzbischofs und Vorsitzenden der Berliner Ordinarienkonferenz.²⁴⁹

    Die Notwendigkeit im Jahr 1969 einen Nachfolgekandidaten für den amtierenden Weihbischof Friedrich Maria Rintelen zu finden, ergab sich demnach aufgrund dreier Umstände: die kirchenpolitisch brisante Situation im geteilten Deutschland machte eine zufriedenstellende Stabilisierung des Amtes in Magdeburg durch eine praktikable Nachfolgeregelung zwingend erforderlich. Die kirchenrechtliche Vorschrift zur Emeritierung von Auxiliarbischöfen drängte spätestens 1969 zu einer effektiven Lösung. Hinzu kam die Kritik am Führungsstil des Kommissars und der daraus resultierende, bereits länger gehegte Wunsch verschiedener kirchlicher Ebenen, einen Nachfolger zu bestellen. In diesem Geflecht unterschiedlicher Motive dürften letztlich die kirchenpolitischen Erwägungen dominiert haben.²⁵⁰ Andernfalls hätte man schon eher reagieren können. Es gilt zu beachten, dass in Magdeburg - und das unterschied die Situation ganz wesentlich von der in Köln, New York oder Paris -, zu den konziliar motivierten Beteiligungserwartungen der Priester und Laien eine kirchenpolitisch höchst angespannte Situation hinzutrat. Die konziliar geprägten Hoffnungen auf ein Mitspracherecht der Ortskirche bei der Nominierung eines Bischofs trafen in der DDR auf die kirchenpolitischen Planspiele bischöflicher Hinterzimmer und stellten daher einen nicht zu unterschätzenden Unsicherheitsfaktor für geheime Absprachen dar.

    2.2

    Gescheiterte Lösungsversuche

    Der Paderborner Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger war lange Zeit weder an einer Statusänderung des Magdeburger Kommissariates hin zu einer Apostolischen Administratur noch an einer personellen Veränderung an der Spitze des Kommissariates interessiert.²⁵¹ Erst im Jahr 1969 änderte er aufgrund verschiedener Umstände seine Einstellung. Ausschlaggebend dürfte eine Mitteilung des Apostolischen Nuntius Erzbischof Konrad Bafile²⁵² im Mai bzw. Juni 1969 gewesen sein, wonach Papst Paul VI. zur Klärung des seit zwei Jahren schwebenden Fragenkomplexes nunmehr gewillt sei, für den Bereich der DDR Koadjutoren mit dem Recht der Nachfolge zu ernennen.²⁵³ Als Koadjutor wird im Kirchenrecht ursprünglich derjenige bezeichnet, der dem Diözesanbischof mit dem Recht der Nachfolge zur Seite gestellt wird.²⁵⁴ Diese Regelung des Hl. Stuhls für die DDR stellte einen Koadjutor nun einem Auxiliarbischof, der als Kommissar tätig war, bei und beschrieb damit ein kirchenrechtliches Novum. Für diesen „para-kanonischen Koadjutor wurde die Bezeichnung „Adjutor oder Adjutorbischof gebraucht.²⁵⁵ Mit der geplanten Einsetzung durch Rom konnte man die Schwierigkeit umgehen, dass die Adjutorbischöfe für Paderborn und Osnabrück ernannt werden müssten und damit als „westliche Beauftragte angesehen und möglicherweise in ihrer Amtsführung behindert²⁵⁶ würden. Kardinal Bengsch hatte sich unmittelbar vor der Entscheidung des Heiligen Stuhls zugunsten einer solchen Adjutorreglung in Rom erfolgreich eingesetzt. Er drängte in seinem kirchenpolitischen Bericht für Rom am 2. Mai 1969 darauf, dass „die vorgesehenen Nachfolger sobald als möglich den jetzt noch im Amt befindlichen Jurisdiktionsträgern als Titularbischöfe zur Hilfe an die Seite gegeben werden...²⁵⁷ Denn er fürchtete für den Fall einer plötzlichen Vakanz, dass „von Seiten der Ost-CDU und auch von Seiten ‚progressiver’ katholischer Kreise Kandidaten genannt und hochgespielt werden, die für die Kirche nicht akzeptabel sind."²⁵⁸ Darüber hinaus wollte er vorbereitet sein, sollte der Staat seine seit Jahren wiederholte Drohung wahr machen und einen von Westdeutschland ernannten Nachfolger boykottieren.

    Während einer Sitzung des Hauptausschusses der Deutschen Bischofskonferenz wurden Kardinal Jaeger die massiven kirchenpolitischen Probleme verdeutlicht, die bei einer erneuten Entsendung eines westdeutschen Weihbischofs in die DDR im Falle einer Nachfolgeregelung zu befürchten stünden.²⁵⁹ Mutmaßlich auf einer weiteren Konferenz der beteiligten westdeutschen Bischöfe mit Kardinal Bengsch am 3. Juli 1969 in Westberlin ließ er sich schließlich davon überzeugen²⁶⁰, dass man durch die von Rom vorzunehmende Einsetzung von Adjutorbischöfen einen Schlussstrich unter die bisherige innerkirchliche Entwicklung ziehen könne.²⁶¹

    Die Suche nach geeigneten Nachfolgekandidaten für die amtierenden Kommissare gestaltete sich höchst unterschiedlich. Da man sich auf eine jurisdiktionelle Zusammenlegung der Kommissariate in Meiningen und Erfurt unter der Leitung von Weihbischof Hugo Aufderbeck verständigt hatte, mussten nur Kandidaten für Schwerin und Magdeburg gefunden werden. Als Nachfolger für den Schweriner Kommissar Weihbischof Schräder²⁶² konnte man sich schnell auf einen Namen einigen. Den Wünschen des Osnabrücker Bischofs und des Schweriner Klerus entsprechend, wurde der Berliner Weihbischof Heinrich Theissing²⁶³ als Nachfolger nominiert²⁶⁴; Alfred Bengsch ließ ihn ohne Widerstand ziehen. Für Magdeburg wurde der zweite Weihbischof des Erzbistums Paderborn Paul Nordhues²⁶⁵ vorgeschlagen.²⁶⁶ 1941 zum Priester geweiht, übernahm Nordhues nach mehreren Vikariatsstellen in der sowjetischen Besatzungszone 1952 die Stelle des Subregens im Paderborner Priesterseminar und leitete von 1957 bis 1961 als Regens das Priesterseminar auf der Huysburg in der DDR.²⁶⁷ Seine Ernennung zum Titularbischof von Cos und Weihbischof von Paderborn machte 1961 die offizielle Aussiedlung aus der DDR notwendig.²⁶⁸ Paul Nordhues war mit der Situation im SED-Staat durchaus vertraut und mit vielen Priestern und Katholiken im Erzbischöflichen Kommissariat und darüber hinaus bekannt.²⁶⁹ Auch nach seiner Ernennung zum Paderborner Weihbischof pflegte er als Bischofsvikar für die Diözesancaritas enge Kontakte zur Caritas in der DDR und besuchte sie, eingeschleust unter der Berufsbezeichnung „Sozialarbeiter", mehrfach.²⁷⁰ Seine zahlreichen Aufenthalte, die langjährigen Erfahrungen in der DDR, seine Bekanntheit und nicht zuletzt die Tatsache, dass er bereits zum Bischof geweiht war und insofern eine schnelle Lösung ermöglichte, dürften ihn als Nachfolger für das Amt des Erzbischöflichen Kommissars in Magdeburg in besonderer Weise prädestiniert haben.²⁷¹

    Die Quellenaussagen zum Initiator dieser Nominierung sind widersprüchlich.²⁷² In kirchlichen Kreisen nannten Otto Groß und Alfred Bengsch stets den Paderborner Erzbischof Kardinal Jaeger als verantwortlichen Impulsgeber.²⁷³ Erstaunlicherweise ist der Name Paul Nordhues gegenüber geheimpolizeilichen Stellen in der DDR schon vorher als möglicher Nachfolger ins Gespräch gebracht worden. Prälat Groß erwähnte gegenüber dem MfS, dass Kardinal Bengsch bereits im Jahr 1968 die Überlegung betrieben habe, den ehemaligen Rektor des Priesterseminars auf der Huysburg in Magdeburg als Kommissar einzusetzen.²⁷⁴ Belegt ist, dass es Alfred Bengsch persönlich war und nicht Lorenz Jaeger, der bei Weihbischof Nordhues angefragt hatte, ob er bereit wäre, nach Magdeburg zu gehen.²⁷⁵ Außerdem hatte Weihbischof Nordhues wiederholt seine Bereitschaft gegenüber Erzbischof Bengsch bekundet, eine endgültige Entscheidung jedoch von der noch einzuholenden Zustimmung Kardinal Jaegers abhängig gemacht, die er nicht vor Juli 1969 erwartete.²⁷⁶ Schließlich verweigerte der Apostolische Nuntius seine Unterstützung für die Berliner Pläne²⁷⁷ mit der Begründung, dass er es für kirchenrechtlich unzulässig halte, wenn nicht der zuständige Paderborner Erzbischof, sondern Kardinal Bengsch eine Nachfolgeregelung forciere.²⁷⁸ Aufgrund der beschriebenen Vorgänge erscheint es folgerichtig, dass die Absicht und die Pläne zur Ernennung von Paul Nordhues ihren Ursprung an der Spree hatten und Kardinal Jaeger hierüber erst nachträglich informiert wurde. Alfred Bengsch hat nicht nur inoffiziell gegen Rintelen, sondern auch für Nordhues bei Nuntius Bafile interveniert. Aufgrund der mündlich erklärten Bereitschaft des von Bengsch favorisierten Nachfolgers wandte sich der Berliner Kardinal über Prälat Groß an die zuständigen staatlichen Stellen in der DDR, um die Frage der Wiedereinbürgerung von Paul Nordhues zu eruieren.²⁷⁹ Er war aufgrund seiner Ernennung zum Paderborner Weihbischof 1961 legal in die Bundesrepublik verzogen und deshalb ausgebürgert worden. Groß erhielt von Seiten der DDR die Zusage, dass man Weihbischof Nordhues „auf dem Wege der Familienzusammenführung über die Liste, die die Rechtsanwälte Vogel und Stange einreichen, hereinlassen²⁸⁰ würde. Die DDR legte dabei großen Wert darauf, dass diese Angelegenheit aufgrund „ihres delikaten gesamtdeutschen Charakters (Paderborn-Magdeburg) absolut vertraulich und diskret behandelt werden²⁸¹ müsse. Die Pläne zur Nachfolge waren so geheim, dass selbst der davon unmittelbar Betroffene und noch amtierende Kommissar Friedrich Maria Rintelen nichts wusste. Diese Geheimpolitik sollte nicht zu unterschätzende Folgen haben.

    Über den prinzipiellen Schwebezustand, in dem sich die Kommissare in der DDR befanden, war Weihbischof Rintelen voll im Bilde.²⁸² Zudem war ihm die kirchenrechtliche Norm hinsichtlich der Emeritierung von Auxiliarbischöfen bewusst. Gegenüber der Berliner Ordinarienkonferenz und gegenüber Kardinal Jaeger hatte Rintelen deshalb verschiedentlich angedeutet, dass er „mit Erreichen des 70. Lebensjahres die Leitung des Kommissariates niederlegen²⁸³ würde. Auf die konkrete Anfrage Kardinal Jaegers über seine Zukunftsvorstellungen im Juni 1969 erwiderte Rintelen intern, dass er „nicht böse sein würde, wenn ich bald der Last und Verantwortung meines Amtes ledig würde.²⁸⁴ Öffentlich hielt Rintelen allerdings daran fest, dass er auch mit 70 Jahren und darüber hinaus sein Amt ausüben wolle, da er körperlich in guter Verfassung sei.²⁸⁵ Aufkommende Gerüchte über eine Nachfolgeregelung dementierte er offensichtlich in Unkenntnis der tatsächlichen Pläne.²⁸⁶ Zugleich informierte Rintelen seinen Paderborner Erzbischof von den verschiedenen Anfragen sowie seiner Reaktion darauf und bemerkte: „Ich nehme an, dass du diesen Brief mit solchem Schmunzeln liest wie ich ihn schreibe."²⁸⁷ Doch noch bevor dieser Brief in Paderborn eintraf, setzte Kardinal Jaeger seinerseits den noch amtierenden Kommissar mit den Absichten für die Regelung seiner Nachfolge schriftlich ins Benehmen.²⁸⁸ Der Erzbischof schlug deshalb vor, Rintelen möge für ein klärendes Gespräch nach Paderborn kommen oder, sollte er keine Reisegenehmigung bekommen, eine schriftliche Stellungnahme für den Nuntius fixieren.²⁸⁹ Unmittelbar darauf verfasste Rintelen ein Antwortschreiben, in dem er seine Überraschung über diese Vorgänge zum Ausdruck brachte.²⁹⁰ Anfang Juli 1969 fuhr Weihbischof Rintelen nach Paderborn und wurde von Nuntius Bafile und Erzbischof Jaeger über den Ablauf seiner Emeritierung informiert.²⁹¹ Für die Gründung des späteren Aktionskreises Halle sind die Entwicklungen unmittelbar nach der Rückkehr von Weihbischof Rintelen aus Paderborn am 14. Juli 1969 von entscheidender Bedeutung. Entgegen einer vereinbarten oder zumindest vorausgesetzten Geheimhaltung der Vorgänge und Pläne äußerte sich Rintelen gegenüber dem Hallenser Propst Dr. Langsch zu den geheimen Planungen

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1