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Dienst an der Liebe: Die katholische Ehe-, Familien- und Lebensberatung in der DDR
Dienst an der Liebe: Die katholische Ehe-, Familien- und Lebensberatung in der DDR
Dienst an der Liebe: Die katholische Ehe-, Familien- und Lebensberatung in der DDR
eBook740 Seiten8 Stunden

Dienst an der Liebe: Die katholische Ehe-, Familien- und Lebensberatung in der DDR

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Über dieses E-Book

Die katholische Ehe-, Familien- und Lebensberatung in der DDR war ein pastoraler Dienst für Menschen in Konfliktsituationen. Die von Konzil und Pastoralsynode inspirierte Sorge um den Menschen wurde zu ihrer Motivation, mit der sie sich einen festen Platz im Kanon der seelsorglichen Aufgabenfelder der Kirche erarbeitet hat. Mit ihrem interdisziplinären Ansatz gelang es der kirchlichen Beratungskultur, die klassische Seelsorge zu ergänzen. Sie leistete dabei einen konkreten "Liebesdienst" an gefährdeten Ehen, der Liebe in den Familien und zwischen den Generationen. Sie wurde so zum Dienst an der Liebe. Mit ihrer Offenheit für die Nöte der Menschen war die katholische Beratungsarbeit in der Lage, auch nichtchristliche Bevölkerungsschichten zu erreichen. Die beratende Seelsorge trug so zu einem missionarischen Wirken der kleinen Diasporakirche in der DDR bei.
SpracheDeutsch
HerausgeberEchter Verlag
Erscheinungsdatum1. Juli 2014
ISBN9783429061579
Dienst an der Liebe: Die katholische Ehe-, Familien- und Lebensberatung in der DDR
Autor

Martin Fischer

Martin Fischer is Lecturer in Commercial Law at UCL.

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    Buchvorschau

    Dienst an der Liebe - Martin Fischer

    A DIE AUSGANGSLAGE

    Der Blick auf die Ausgangslage offenbart zunächst einen tiefen Gegensatz, der zwischen dem Verständnis von Ehe und Familie, wie es die sozialistische Gesellschaft der DDR prägte und wie es die katholische Theologie und das kirchliche Lehramt deutete, herrscht. Hier die zunehmende Indienstnahme der Familie für die Ziele einer Einheitskultur, in der Arbeit und Gesellschaftsorganisation alle Bereiche des Lebens mit dem fortschreitenden Aufbau des Sozialismus immer tiefer formen und vereinnahmen. Dort der Versuch, die lange Tradition der Gestaltung christlicher Partnerschaft und familiären Lebens mit ihren Werten der ehelichen Liebe und Treue und der Elternschaft in die moderne Zeit zu übersetzen und für diese fruchtbar zu machen. Während Partnerschaft und Familie innerhalb der DDR immer stärker in die Abhängigkeit der Strukturen geraten, welche die Staatspartei ihren Vorstellungen von einer sozialistischen Ideologie unterwirft, ringt die katholische Kirche um eine angemessene Übertragung des Ehemodells der Vergangenheit, das vor allem auf den „Zweck der Zeugung abgestellt war, in eine Zeit, die durch die Erfindung der Empfängnisverhütung und durch die Konzentration auf die Selbstverwirklichung der Partner in ihrer Beziehung geprägt ist. So ergibt sich auf der einen Seite das gegenläufige Bild, das ein spannungsreiches Umfeld der katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatung charakterisiert und in dem die Gesellschaftsordnung der DDR die menschliche Partnerschaft einer immer radikaleren Funktionalisierung unterwirft, während die katholische Kirche um ihre eigene „Verzweckung im Sinne der reinen Bezogenheit auf Familie ringt. Es ist zunächst dieser ideologische und ideelle Hintergrund, der auch an der Wurzel der christlichen Ehe -, Familien- und Lebensberatung der katholischen Kirche steht. Zugleich stellt auf der anderen Seite aber die innerkirchliche Reformbewegung für den Aufbau dieser Beratungsform eine so große Herausforderung dar, dass sie die Gestaltung kirchlicher Arbeit in der DDR im Bereich der Beratung von Ehepartnern in Konflikten tief beeinflusste. In einem nicht unerheblichen Maß hat die Auseinandersetzung mit den Wandlungen des Verständnisses von Ehe und Familie im Raum der Kirche, wie sie sich im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils vollzog, die Kräfte gebunden. Und die Einrichtung des pastoralen Instruments der Beratung erscheint auf diesem Hintergrund als ein wichtiger Beitrag für die Erneuerung theologisch-ethischer Bewertung und pastoraler Begleitung von Partnerschaft und familialen Lebensformen für die Kirche.

    Das erste Kapitel beschreibt diese Situation ausführlich. Es möchte zunächst ein klares Bild des Verständnisses von Ehe und Familie entwerfen, wie es im Sozialismus der DDR vorherrschte. Daran anschließend geht es aber darum, das theologisch begründete Gegenbild kirchlicher Lehre und Praxis im Blick auf die unreduzierbare Würde von Ehe und Familie zu entwerfen. Und darüber hinaus die Schwierigkeiten deutlich zu beschreiben, welchen sich die Kirche in ihrem eigenen Verständnis im Blick auf eine moderne Deutung partnerschaftlichen Lebens, ehelicher und familiärer Kultur in der Begegnung mit der modernen Gesellschaft stellen musste.

    1. Ehe und Familie im real existierenden Sozialismus der DDR

    Die Zuordnung der privaten Sphäre von Ehe und Familie hin zu den Interessen und Ansprüchen der Gesellschaft und des Staates stellen sich im Sozialismus der DDR als ein schrittweiser Prozess dar. Entsprechend der Umgestaltung des Lebens und der Strukturen im östlichen Teil Deutschlands ergibt sich auch die zunehmende Veränderung in der Verankerung und Einordnung partnerschaftlicher Beziehung und des Lebens mit Kindern in den gesellschaftlichen und schließlich sozialistischen Kontext. Auf der Ebene von Theorie und Praxis drückt sich so eine ganz spezielle Verständnisweise und Ausgestaltung aus.

    1.1. Das sozialistische Ehe- und Familienbild

    Auf den ersten Blick betrachtet war die sozialistische Familie nicht wesentlich von der westlich orientierter Staaten zu unterscheiden. So konnte man bei ihr generelle Merkmale, „wie sie bei allen Familien hochentwickelter Industriegesellschaften angetroffen werden, z.B. die Tendenz zur Zwei-Generationen-Familie, der veränderte Familienzyklus oder der affektive Gehalt, die Emotionalisierung"¹² beobachten. Um ein sozialistisches Familienbild aber in ihrer Eigenheit zu beschreiben, ist es sinnvoll, die systemimmanente Lehre des Marxismus-Leninismus in Betracht zu ziehen. Vor diesem Hintergrund soll versucht werden, die Familie im Sozialismus zu verstehen.

    1.1.1. Die marxistische Gesellschaftstheorie und der Funktionswandel der Familie

    Die in der DDR propagierte sozialistische Familie berief sich auf die Lehren von Marx, Engels und Lenin. Diese zeigten zwar kein geschlossenes Bild der Familie in der sozialistischen Gesellschaft, es ging ihnen vielmehr um die Veränderung der politischen und ökonomischen Verhältnisse zur Überwindung des Kapitalismus, sie sahen jedoch, dass die Familie von der jeweiligen Gesellschaftsform abhängt und von ihr bestimmt wird. Das primäre Ziel von Marx und Engels war dabei die Vergesellschaftung der Produktionsfaktoren, um so die unterdrückte Klasse von der Ausbeutung durch das Großkapital zu befreien. Der Kommunismus sollte dann nach dieser Vorstellung schließlich den Kapitalismus ablösen. Auch die Familie sollte im Kommunismus ihre Vollendung finden, da sie die Gesellschaft widerspiegelt. Auf dem Weg zum Kommunismus muss demnach die bürgerliche Familie und ihre Beziehungen überwunden werden. Deshalb forderte Karl Marx:

    „Aufhebung der Familie! […] Worauf beruht die gegenwärtige, die bürgerliche Familie? Auf dem Kapital, auf dem Privaterwerb. Vollständig entwickelt existiert sie nur für die Bourgeoisie; aber sie findet ihre Ergänzung in der erzwungenen Familienlosigkeit der Proletarier und der öffentlichen Prostitution. Die Familie der Bourgeois fällt natürlich weg mit dem Wegfallen dieser ihrer Ergänzung, und beide verschwinden mit dem Verschwinden des Kapitals."¹³

    Mit Zerschlagung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse sollte es in diesem Sinne ein Ende der Ausbeutung der Arbeiterklasse geben. Damit würde auch die bürgerliche Familie verschwinden und eine sozialistische Familie entstehen. So würde „im Sozialismus […] aus der Überwindung der Klassenspaltung durch die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln ein historisch neuer Grundtyp von Familie"¹⁴ möglich. Neu gestaltet wären in der sozialistischen Familie aber vor allem auch die Beziehungen der Familienmitglieder zueinander. So sei nur im Sozialismus echte Liebe die Entscheidungsgrundlage für eine Ehe. Friedrich Engels sah deshalb in der Beseitigung der Eigentumsverhältnisse die Möglichkeit der freien Partnerwahl, ohne dass ökonomische Interessen eine Entscheidung beeinflussen.

    „Die volle Freiheit der Eheschließung kann also erst dann allgemein durchgeführt werden, wenn die Beseitigung der kapitalistischen Produktion und der durch sie geschaffnen Eigenthumsverhältnisse alle die ökonomischen Nebenrücksichten entfernt hat, die jetzt noch einen so mächtigen Einfluß auf die Gattenwahl ausüben. Dann bleibt eben kein andres Motiv mehr als die gegenseitige Zuneigung."¹⁵

    Jedoch meldete Engels zugleich berechtigte Zweifel an der Dauerhaftigkeit der gegenseitigen Zuneigung an und räumte daher die Möglichkeit der Scheidung ein. Den Partnern sollte es freigestellt werden, sich zu trennen, wenn die Liebe zum Partner erlischt, da nur eine auf Liebe beruhende Ehe sittlich sei. Denn „ein positives Aufhören der Zuneigung, oder ihre Verdrängung durch eine neue leidenschaftliche Liebe, macht die Scheidung für beide Theile wie für die Gesellschaft zur Wohlthat"¹⁶. Wenn eine Scheidung eine Wohltat ist, so dürfen ihre Folgen, insbesondere für die Kinder, nicht besonders dramatisch ausfallen. Hier liegt der entscheidende Grund, dass nach dieser Auffassung die Fürsorge für die Kinder durch den Staat übernommen werden sollte. Dies umfasste die „Erziehung sämtlicher Kinder, von dem Augenblicke an, wo sie der ersten mütterlichen Pflege entbehren können, in Nationalanstalten und auf Nationalkosten. Erziehung und Fabrikation zusammen."¹⁷ Die marxistische Gesellschaftsphilosophie ging somit von einem Funktionswandel der Familie nach der Überwindung der bestehenden Produktionsverhältnisse aus. Ausgangspunkt der neuen Familienordnung ist die Gleichberechtigung der Frau, im Umkehrschluss muss die Frau allerdings auch von ihren Verpflichtungen in Familie und Haushalt dann entlastet werden.

    „Die Frauenfrage war für Marx und Engels ‚nur‘ ein Teilaspekt des proletarischen Klassenkampfes. Die Befreiung der Frau bzw. ihre Gleichstellung mit dem Mann ist bei Marx unauflösbar verbunden mit der allgemeinen politischen Emanzipation, mit der Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Aufhebung der entfremdeten Arbeit. Nicht die Männer sind es letztlich nach Ansicht von Marx und Engels, die den Schlüssel zur Befreiung der Frauen in der Hand halten, sondern die Produktionsverhältnisse."¹⁸

    Die Klassiker des Marxismus-Leninismus bildeten das „ideologische Fundament der DDR"¹⁹. Ihre theoretischen Aussagen wurden zum Teil Grundlage der Konzeption eines sozialistischen Familienbildes, wobei auf manche Gedanken mehr und auf andere weniger Gewicht gelegt wurde.²⁰ Die Umsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter wurde für die DDR-Gesetzgeber zum Maßstab ihrer Familienpolitik. Und auch wenn die staatlichen Erziehungsmaßnahmen sehr umfangreich waren, so war eine Kindererziehung ausschließlich in „Nationalanstalten nicht das Rezept, um sozialistische Persönlichkeiten zu formen, sondern auch in der DDR wusste man um die Notwendigkeit der Mitwirkung durch eine familiäre Erziehung. Das bürgerliche Familienideal wurde von der SED abgelehnt und ein neuer Familientypus propagiert, der der Praxis allerdings nicht standhalten konnte. Die sozialistische Familie blieb in ihrer Umsetzung erzkonservativ und spießbürgerlich.²¹ Letztendlich gaben Marx und Engels „keine einhelligen Charakteristika bzw. Konzepte für die typische sozialistische Familie²² vor.

    1.1.2. Gleichberechtigung, Arbeitswelt und sozialistische Erziehung

    Mit einem Blick in die familienpolitische Gesetzgebung und deren DDR-wissenschaftlichen Auslegung wird das Bild der sozialistischen Familie deutlicher. So sind es insbesondere folgende drei Themenbereiche, die in der Gesetzgebung der DDR die sozialistische Familie kennzeichnen:²³

    (1) Gleichberechtigung von Mann und Frau,

    (2) Verhältnis der Familie zur Gesellschaft und der Arbeitswelt

    (3) die Erziehung der Kinder zu sozialistischen Persönlichkeiten.

    Gleichberechtigung von Mann und Frau

    Ein erstes Merkmal der Familie im Sozialismus wurde in der DDR mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau beschrieben.²⁴ Die sozialistische Familie als die kleinste Zelle der Gesellschaft und des Staates sollte die sozialistische Gesellschaft abbilden. Dies durch die gleichberechtigte Stellung von Mann und Frau verwirklicht werden. Die Gleichberechtigung leitete sich dabei allerdings in einem ganz bestimmten Sinn von der marxistisch-leninistischen Gesellschaftstheorie ab und wurde deshalb auch in einer spezifischen Weise verstanden. Sie besagt, dass die Erwerbstätigkeit einen maßgeblichen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung liefert. Erst dann wird die Gleichberechtigung als voll verwirklicht angesehen, „wenn möglichst alle Frauen am produktiven Prozeß und damit an der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft in gleichem Umfang wie die Männer beteiligt sind."²⁵ Um die Doppelbelastung bewältigen zu können, sollte die Emanzipation nicht nur Sache der Frau sein. Die Ehemänner wurden verpflichtet, ihre Frauen bei der Hausarbeit und der Kindererziehung zu unterstützen.²⁶ Selbstverständlich konnte das nicht mit Zwang durchgesetzt werden. Der moralische Anspruch war jedoch im Gesetzestext des Familiengesetzbuches fest formuliert. Es sollte eben nicht nur Gesetzbuch sein, sondern man wollte damit den Versuch unternehmen, ein Leitbild der sozialistischen Familie zu vermitteln. Darin wurde nun der Grundsatz der Gleichberechtigung durch die gemeinsame Haushaltsführung der Ehegatten, sowie der gemeinsamen Erziehung und Pflege der Kinder festgeschrieben.²⁷

    Gleichberechtigung war in diesem Kontext nach formaler und materialer Art zu unterscheiden.²⁸ Formale Gleichberechtigung meinte dabei die in Verfassung und Gesetzestexten prinzipiell festgeschriebene Gleichberechtigung. Materielle Gleichberechtigung setzte die ökonomische Unabhängigkeit und damit die Berufstätigkeit der Frau in der DDR voraus. Die langfristige und konsequent rechtliche, also formale Durchsetzung des Gleichberechtigungsprinzips bildete den Kern der familienpolitischen Gesetze der DDR. In der Gleichberechtigung von Mann und Frau sah die Gesetzgebung der DDR den Sozialismus verwirklicht. In der Präambel des Familiengesetzbuches war die Gleichberechtigung als Grundlage der sozialistischen Familie vorausgesetzt. Zudem wurde in einem eigenen Paragraphen – an prominenter Stelle – die Gleichberechtigung als Charakteristikum der sozialistischen Gesellschaft beschrieben.²⁹ Außerdem schlug sie sich auch in der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik von 1968³⁰ nieder. Artikel 20, Absatz 2 lautete:

    „Mann und Frau sind gleichberechtigt und haben die gleiche Rechtsstellung in allen Bereichen des gesellschaftlichen, staatlichen und persönlichen Lebens. Die Förderung der Frau, besonders in der beruflichen Qualifizierung, ist eine gesellschaftliche und staatliche Aufgabe."³¹

    Um aus der formal festgeschriebenen Gleichberechtigung der Geschlechter auch eine materielle Gleichberechtigung, also eine tatsächliche Unabhängigkeit der Frau vom finanziellen Erwerb des Ehemannes zu erreichen, beschloss die DDR zahlreiche familienpolitische Maßnahmen, die – bei genauer Betrachtung – fast ausschließlich frauenpolitische und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen waren. „Die Gleichstellungspolitik wurde nahezu ausschließlich über die Erwerbsbeteiligung der Frauen betrieben."³² So erhielt die Frau zwar das Recht auf Arbeit, diese wurde aber auch zu einer Pflicht. Das Recht auf Arbeit und „die Pflicht zur Arbeit bilde[te]n eine Einheit.³³ Diese Pflicht zur Arbeit hatte weitreichende Folgen, denn „Arbeitsscheu galt als Straftatbestand nach § 249 StGB.³⁴

    Die DDR unterstützte Familien durch verschiedene Fördermaßnahmen wie Kindergeld oder günstige Kredite. Männer und Väter waren in diese Förderung jedoch meist nicht einbezogen. Im „Ergebnis hatte dies insoweit einen nicht unerheblichen Einfluß darauf, als eine Bewußtseinsänderung im Hinblick auf eine gleiche Aufgabenverteilung in der Ehe nicht stattgefunden hat."³⁵ Für Haushalt und Kindererziehung blieben „mehr oder weniger ausschließlich Frauen zuständig."³⁶ Eine Politik der Gleichberechtigung der Geschlechter, die den tatsächlichen Bedürfnissen beider Elternteile gerecht geworden wäre, gab es letztendlich nicht.

    Das Verhältnis der Familie zur Gesellschaft und der Arbeitswelt

    In der DDR war die Familie eine gesellschaftliche Institution, die durch die Präambel des Familiengesetzbuchs der DDR als kleinste Zelle der Gesellschaft beschrieben wurde und die ihr somit eine außerordentlich große Bedeutung beimaß.³⁷ Als kleinste Zelle der Gesellschaft wurde die Familie „als ein Teilsystem der sozialistischen Gesellschaft³⁸ verstanden. So sei nach diesem Verständnis mit dem Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung „im Sozialismus […] aus der Überwindung der Klassenspaltung durch die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln ein historisch neuer Grundtyp von Familie³⁹ entstanden. Damit verbunden aber – und so formuliert es das Familiengesetzbuch – „entstehen Familienbeziehungen neuer Art.⁴⁰ Die Gesellschaft trug in diesem Kontext die Verantwortung für die „Entfaltung sozialistischer Familienbeziehungen⁴¹. Als Grundlage der Familienbeziehungen galt die Ehe der Eltern. Die Familie sollte – wie beschrieben – aus der tiefen Zuneigung der Ehepartner zueinander erwachsen und sich schließlich nur durch gemeinsame Kinder realisieren lassen. Vor dem Hintergrund von hohen Scheidungsraten wurden stabile Familienkonstellationen angestrebt und „die standesamtlich geschlossene Ehe […] als einzige Form des Zusammenlebens von Mann und Frau offiziell proklamiert und qua Gesetz privilegiert.⁴² Konkret gesehen konnte diese sozialistische Familie in der DDR durch die Berufstätigkeit beider Elternteile und die damit einhergehende staatliche Betreuung der Kinder tatsächlich auch in einem gewissen Sinn „funktionieren. Die somit erreichte Gleichberechtigung sollte sich insbesondere in der Arbeitswelt äußern. D.h.: Zu einem zentralen Thema für die Familie im Sozialismus wurde das Verhältnis des Menschen zur Berufsarbeit und die Erwerbstätigkeit der Frau. Das hier zugrunde liegende Menschenbild wurde ganz und gar von der Arbeit und der Produktivität her gedacht. Die Arbeit sei für die Menschen im Sozialismus die zentrale Lebenssphäre. Die tatsächliche Folge allerdings war eine dreifache Belastung für die Frau. Denn auch wenn es eine Gleichberechtigung in der Arbeitswelt gab, so war diese Gleichberechtigung – noch einmal muss darauf hingewiesen werden – in den privaten Haushalten noch lange nicht angekommen: Die Frauen hatten zum einen die berufliche Arbeit zu erledigen, aber auch zweitens die Haushaltsführung und drittens die Erziehung der Kinder zusätzlich zu bewältigen. Trotz der gesetzlich intendierten Gleichberechtigung wird in den „familienpolitischen Maßnahmen relativ einseitig der Tatsache Rechnung getragen, daß die Frauen im stärkeren Maße durch die familiären Aufgaben beansprucht und belastet werden.⁴³ Betrachtet man es umfassend, dann erscheint eine Vereinbarkeit von Elternschaft und Berufstätigkeit von Nöten. Im offiziellen Sprachgebrauch der DDR war jedoch in Spannung dazu nur von der „Verbindung von Beruf und Mutterschaft⁴⁴ die Rede. Die Erziehung der Kinder sollte also Sache der Mutter sein. Das aber bedeutete in Konsequenz: Sie musste diese Mehrfachbelastung aushalten. Diese „wurde höchstens punktuell erleichtert, nicht aber zurückgenommen und schon gar nicht im Sinne eines neuen, eines sozialistischen Familienkonzepts grundsätzlich aufgehoben."⁴⁵

    In einem letzten Sinn verlagert sich damit die Frage nach Gleichberechtigung, Beteiligung am Arbeitsleben und gewandelter Bedeutung von Familie auf die rein pragmatische Frage gezielter, ja technischer Steuerung des Kinderwunsches. Damit Familie und Beruf für die Frauen zu vereinbaren waren, bedurfte es, so gesehen, einer bewussten Planung und Gestaltung von Ehe und Familie. Die Logik der DDR-Gesetze hieß daher: Die Frau soll selbst entscheiden, ob sie Kinder will. Abtreibung wurde hierbei als ein legitimes Mittel der Familienplanung mit eingeschlossen. Und so wurde in der DDR diesbezüglich auch gern von einer „neuen Einstellung zum Kind und einer „bewussten Elternschaft gesprochen.⁴⁶ Positiv formuliert sei der Sozialismus die Staatsform, die es nach eigenen Aussagen zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte den Einzelnen erlaube „die Zahl seiner Kinder völlig unabhängig von wirtschaftlichen Überlegungen zu planen⁴⁷, während nach dieser Deutung im Kapitalismus Kinder benötigt würden, um das Familieneigentum weiterzutragen oder das Familienunternehmen aufrecht zu erhalten. „Da der Mensch im Sozialismus frei von gesellschaftlichen und religiösen Zwängen lebe, bestehe auch nicht mehr die Notwendigkeit, unerwünschten Kindersegen fatalistisch hinzunehmen.⁴⁸

    Die Erziehung der Kinder zu sozialistischen Persönlichkeiten

    Dort aber, wo Nachkommenschaft gegeben war, war es nach Verfassung der DDR⁴⁹ und dem Familiengesetzbuch⁵⁰ Recht und Pflicht der Eltern, die Kinder zu sozialistischen Persönlichkeiten zu erziehen. Dies ist schließlich ein drittes Merkmal der Familie im Sozialismus. Die Logik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf führte dabei wie von selbst zu der Konsequenz, dass man die Kinder von klein auf in staatliche Obhut nahm. Sollte dadurch sichergestellt werden, dass die Frau, deren Arbeitskraft gebraucht wurde, frei für die Ausübung des Berufes ist, so war dieses Ziel der Vereinbarkeit ideologisch gesehen ein Gebot der Identität von individuellen und gesellschaftlichen Interessen. So wird die Funktionalisierung der Familie für die gesellschaftlichen Interessen ganz deutlich:

    „Das Verhältnis der Familie zu Staat und Gesellschaft war nach den Buchstaben des Familiengesetzbuches durch die potentielle Übereinstimmung der Grundinteressen charakterisiert. In der Praxis bedeutete dies letztlich nichts anderes, als die Unterordnung der Familie unter gesellschaftliche Ziele und Interessen."⁵¹

    Es liegt in der Logik einer solchen Ausrichtung der Familie auf die Gesellschaft, dass es Hauptaufgabe von Familie nach dieser Vorstellung deshalb war, die Entfaltung der einzelnen Familienmitglieder zu sozialistischen Persönlichkeiten zu unterstützen, um „somit entscheidend zur Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaft"⁵² beizutragen. „Zur öffentlichen Angelegenheit erklärt, war die Familie zentralistischen Steuerungs- und Eingriffsversuchen ausgesetzt, die sich über die Außenbeziehungen bis hinein in die Binnenstrukturen der Familie erstreckten.⁵³ Erziehung sollte im Sinne dieser Einordnung der Familie in die Gesellschaft (und ihre Ziele) innerhalb und außerhalb der Familie stattfinden können: beginnend mit der Kinderkrippe, im Kindergarten, in der Schule und parallel durch die Mitgliedschaft in der Pionierorganisation bzw. später dann in der FDJ. „Der individuelle Lebenslauf war [in diesem Sinne] durch staatliche Regelungen und Eingriffe in erheblichem Umfang verplant und vorbestimmt.⁵⁴ Die Institutionen wirkten dabei konstant zusammen, um staatlicherseits den entscheidenden Beitrag zur Erziehung der Kinder zu leisten. Nach staatlicher Maßgabe hatten die Erziehungseinrichtungen hierbei nicht nur eine Unterstützungsfunktion für die Familien, sondern galten als eigenständiger und wichtiger Beitrag bei der Erziehung zu „sozialistischen Persönlichkeiten. Die Familie sollte dieses mittragen, indem sie zum einen das staatsbürgerliche Erziehungsziel teilte und zum anderen mit den Einrichtungen zusammenarbeitete. „Hierin […] ist wohl der deutlichste Bruch mit der traditionellen bürgerlichen Familie zu erkennen, weil diese Vorgaben sogleich einen Bruch des Erziehungsmonopols der Familie markieren.⁵⁵

    1.2. Ehe- und familienpolitische Maßnahmen in der SBZ / DDR

    In ihrer vierzigjährigen Geschichte hat die DDR verschiedene Schwerpunkte innerhalb der Familienpolitik erlebt. Die Entwicklung des Familienverständnisses in der Geschichte der DDR lässt sich mit dem Versuch einer Periodisierung der Familienpolitik nachzeichnen. In der Literatur werden hierzu unterschiedliche Auffassungen für eine Zeiteinteilung vertreten. In den DDR-Lehrbüchern wurde sehr einhellig die Geschichte der DDR gegliedert, zahlreiche andere historische Abhandlungen orientieren sich daran:

    Dem gegenüber existieren aber auch abweichende Auffassungen. So unterscheidet Sigrid Meuschel⁵⁷ in drei grobe Phasen, beginnend mit dem Antifaschistischen Stalinismus von 1945 bis Mitte der 1950er Jahre, die technokratische Reform und Utopie von Mitte der 1950er bis Ende 1960er Jahre und schließlich die Zeit des real-existierenden Sozialismus von 1971 bis zur friedlichen Revolution im Herbst 1989. Um eine detailliertere Gliederung bemühen sich Gesine Obertreis⁵⁸ und Heike Trappe⁵⁹. Die Periodisierung, welcher die hier vorliegende Arbeit folgt, orientiert sich an deren Vorschlag, ist jedoch nicht so kleinteilig, sondern versucht die wesentlichen Schritte der Familienpolitik der DDR zusammenzufassen.

    1.2.1. Gesellschaftlicher Umbruch (1945 - 1949)

    Folgt man solch einer Einteilung, so stellt eine erste Etappe von 1945 bis 1949 die unmittelbare Nachkriegszeit dar.⁶⁰ Sie war geprägt von den massiven Kriegsschäden, den zu leistenden Reparationsleistungen und – knapp ausgedrückt – einem „Männermangel. „Viele Väter waren gefallen oder befanden sich noch in Kriegsgefangenschaft.⁶¹ Es gab enorme ökonomische und demographische Probleme in der Sowjetischen Besatzungszone. Die Folge war eine prekäre Arbeitskräftesituation. Schon sehr bald wurde deshalb die Erwerbstätigkeit der Frau zur wirtschaftlichen Überlebensfrage. Hier liegt ein ganz konkreter Grund dafür, dass Frauen- und Familienpolitik in dieser Anfangszeit in erster Linie eine Arbeitspolitik war. Für die politische Gestaltung war die Familie „kaum von Bedeutung. Familienpolitik beschränkte sich auf die Durchsetzung humanitärer Maßnahmen.⁶² Familienpolitische Regelungen, „die über die Grundversorgung der Menschen mit dem rein Überlebensnotwendigen und über einfache humanitäre Maßnahmen hinausging, war in jenen Anfangsjahren kaum möglich.⁶³ Gleichzeitig muss allerdings gerechterweise betont werden, dass die familienrechtliche Entwicklung der Gleichstellung der Frau bereits unter den schwierigen Umständen von 1946 begann. Einzelne Länderverfassungen hatten die Frage der Gleichberechtigung mit aufgenommen und die Diskriminierung außerehelich geborener Kinder aufgehoben.⁶⁴ Und in der 1949 in der DDR in Kraft getretenen Verfassung wurde das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit ausdrücklich festgehalten.

    1.2.2. Aufbau der sozialistischen Gesellschaft (1950 - 1964)

    Die junge DDR begann im Gegensatz zu diesen eher pragmatischen Regelungen aber bald gerade mithilfe zahlreicher frauen- und familienpolitischen Gesetzesinitiativen mit dem ausdrücklichen Aufbau ihrer sozialistischen Gesellschaftsordnung. „Die Prämissen von Marx, Engels und Zetkin […] bestimmten von Anfang an die Familienpolitik der DDR."⁶⁵ Schon hier wird aber sogleich spürbar, dass die Engführung von Politik für die Familie auf die Frage nach der Stellung der Frau in der Gesellschaft dominiert. Zu berücksichtigen ist dabei, dass es sich in den Anfangsjahren des Staates bei der „propagierten Familienpolitik vor allem um eine mehr oder weniger reine Frauenpolitik handelte, welche die Frauen vor allem bei der Verwirklichung der Gleichberechtigung unterstützen sollte."⁶⁶

    Mit der Ablehnung des bürgerlichen Familienideals und dem Ziel der Entfunktionalisierung von Familie für die kapitalistische Wirtschaft⁶⁷ wurden Gesetze erlassen, die eben von dem Thema der Gleichberechtigung der Geschlechter und von der Erwerbstätigkeit der Frau geprägt waren. Jedoch ist gerade eine kritische Sicht auf das Emanzipationsverständnis dieser Zeit erforderlich. „Die Erwerbsbeteiligung der Frauen fungierte in dieser Zeit als alleiniger Maßstab für die Gleichstellung der Geschlechter.⁶⁸ So wurde zwar der besondere Schutz der Frau im Arbeitsverhältnis und während der Mutterschaft gesetzlich festgeschrieben⁶⁹, aber letztlich brauchte die marode Wirtschaft die Vollbeschäftigung der Frau. Das Hauptgewicht lag zunächst auf der Rekonstruktion der Industrie. Somit erfolgte ein gelenkter Arbeitskräfteeinsatz der Frau in wirtschaftliche Schwerpunktgebiete. Nach Gesine Obertreis zeigte sich somit lediglich der ökonomische Zwang auch als eine erfolgsversprechende Methode, um die Umgestaltung der Gesellschaft tatsächlich zu erreichen.⁷⁰ Über Bestimmungen der Sozialversicherung und der Sozialfürsorge und durch eine entsprechende Familienrechtsprechung, in Scheidungsprozessen Frauen nur in Ausnahmefällen ein Anspruch auf Unterhalt durch den geschiedenen Ehemann zu gewähren,⁷¹ wurde versucht, zunächst alleinstehende, also ledige, geschiedene sowie verwitwete Frauen zur Aufnahme einer Berufstätigkeit zu drängen. Das aber bedeutete, dass sich für „diese Frauengruppe […] bereits in dieser Zeit das Recht auf Arbeit in eine Pflicht zur Arbeit⁷²

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