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Bergers Mord: Eine historische Criminalerzählung
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eBook175 Seiten2 Stunden

Bergers Mord: Eine historische Criminalerzählung

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Über dieses E-Book

Eine norddeutsche Residenzstadt im 19. Jahrhundert. Ungerührt bringt der Hilfsschreiber der Landesbibliothek seinen Vorgesetzten um. Oder - hat er ihn gar nicht umgebracht? Und welche Rolle spielt der undurchsichtige, eigenartig engagierte Erzähler? - Ein literarischer Krimi, der humoristisch Mentalitäten und Sprache der Zeit einfängt - und zugleich die subtile psychologische Studie eines kleinbürgerlichen Mördertypus mit seinen hilflosen Winkelzügen.
SpracheDeutsch
HerausgeberElsinor Verlag
Erscheinungsdatum23. Mai 2014
ISBN9783939483274
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    Buchvorschau

    Bergers Mord - Georg Veit

    sind.

    ERSTES KAPITEL

    Montag, am 19ten März 1877

    Die Öfen

    Höchstpünktlich um kurz vor zehn Uhr am Morgen erreichte Berger, auf dem Äußeren Damm in Richtung Cäcilienbrücke eilend, den Vorplatz der oldenburgischen Bibliothek, der mit einer unansehnlichen Umzäunung eingefriedet war. Der Zustand der siebenunddreißig drahtdurchzogenen, schief im Boden steckenden Holzpfähle, die vor Zertrampelung von Rasen und Blumenbeeten schützen sollten, bereitete ihm ausgesprochenen Verdruss und wir, die wir ihm auf dem Fuße folgten, sahen keine Möglichkeit, ihn von diesen Gefühlen zu befreien. Denn als Hilfsschreiber der Bibliothek war ihm die geregelte Verantwortlichkeit in dieser Sache (Großherzogliches Bauamt: Baurat Roth) durchaus bekannt. Auch bestand wenig Aussicht, dass bei Heranbrechen des Frühjahrs doch wenigstens die früher einmal kultivierten Anlagen ein hübsches Bild machten (Hofgarteninspektor Ohrt, zusändig auch für den herrschaftlichen Gemüse- und Obsgarten auf der Rückseite des Baus). Immerhin wurden dafür jährlich aus der Landeskasse auf vorherige Anweisung des Großherzoglichen Amtes sechsundzwanzig Reichsmark gezahlt!

    Es ging ein langweiliger Wind. Einige Atemzüge hielt Berger inne, fasste seine Unterlippe mit den Zähnen und zog fröstelnd seine schmalen Schultern zusammen. Alle Tage schleppte er seine eigene niedrige Temperatur mit sich herum und so kam’s auf das Wetter eigentlich kaum noch an. Er wandte sich, die Augen vom aufgeweichten Schmutz des Rasenbodens lösend, ganz der Bibliothek zu, deren stattlicher zweistöckiger Galeriebau weit erfreulicher ausfiel als der Vorplatz. Bergers Gesicht hellte sich für Augenblicke auf, schien doch dieses Asyl der Wissenschaft der besagten Unansehnlichkeit und dem Geräusch der Straße, die als Zufahrt zur Residenz lebhaften Verkehr verzeichnete, gleichsam entrückt!

    In diesen Tempel der Wissenschaften also hatte er, der Hilfsschreiber Johann Oscar Georg Berger, täglichen Zugang. Er streckte unter der Winterkleidung seine zart-dickliche Gestalt und straffte noch einmal die hängenden Schultern, bevor er zum Beginn dieser Arbeitswoche die sockelflankierten Stufen des Eingangs hinaufstieg. Die Vestibültür war vom Hausknecht Kreyenbrock bereits aufgeschlossen, so dass Berger, nachdem er sie bei quietschenden Angeln geöffnet hatte, den harten Schlüssel in die linke Manteltasche zurückfallen ließ und durch das Treppenhaus, das in seinem Sandsteinton mit den gelben Fugen durchaus hell und licht erschien, zur ersten Etage emporschritt. Wohin ebenfalls wir ihm folgten.

    Am Treppenabsatz befand sich zur Linken das Kabinett (diese «Commodität» war lt. Hausordnung allein für die Benutzung durch das Personal von Bibliothek und Archiv, nicht aber durch das Publikum besimmt) und jeden Morgen warf Berger, da er an einer sprunghaften und fast krampfartigen Verdauung litt, einen ängstlichen Blick auf die Tür: Hing der notwendige Schlüssel auch am Platze?

    Mit der Treppenwendung nahm er gern die aufwändige Dekoration in den Blick, deren Malerei den Herrn Oberbibliothekar Dr. Merzdorf allerdings zu höchst verächtlichen – und auch uns verständlichen – Kommentaren verleitete, indem er nämlich immer neu anmerkte, alles das hätte man weglassen, schon gar nicht von einem so simplen Maler (Malermeiser Mönnich) ausführen lassen sollen. Das sei «Gischenbombejonig», was Berger nie recht verstand, da Herr Dr. Johann Friedrich Ludwig Theodor Merzdorf bei Aufregung in seinen schwer verstehbaren sächsischen Akzent verfiel. (Herr Dr. M., der aus Leipzig sammte, hatte «Küchenpompejanik» gemeint – wegen der nur dürftig realisierten pompejanischen Ornamentik.)

    Allmorgendlich also sog Berger diese erbaulichen Details ein, bevor er das eigentliche Asyl der Gelehrsamkeit betrat. Nie achtete er beim Eintreten auf den Garderoben- und Regenschirmhalter oder das Tischchen, das als stummer Diener müßig und unbeansprucht dastand. So legten denn wenigstens wir – den Lesern zum Beweis von Tüchtigkeit – unsere Visitenkarte darauf.

    Durch die zweiflügelige Glastür kam dem Hilfsschreiber, ihm fast die Türe ins Gesicht schiebend, die lange, knochige Gestalt des Hausknechts Kreyenbrock entgegen, zeigte sich mit einem langsamen «Oooch» nur mäßig erschrocken und meldete:

    «Heer Berger, de Oefken ziehn wedder nich. – Moin.»

    «Auch nicht der im Archiv? – Moin.»

    «Nä, in Archiv unnen ook nich.»

    Man hatte sich im gesamten Gebäude an derartige Ausfälle gewöhnt und saß nach alter Bibliothekarsart in Mantel und Mütze und mit klammen Fingern vor der Arbeit, weil der Kamin, von dessen ordnungsgemäßer Wirkung man sich allerdings nicht zu wohlige Vorstellungen machen sollte, schlecht zog. («Gehörig erwärmt», so § 4 der Insruktion an Johann K. vom 22sen Dezember 1846, konnten die Lokalitäten gar nicht sein.) Berger selbst, den es schon von klein auf – aus dem Inneren heraus – fröstelte, versuchte sich gegen die im Allgemeinen zu kühle Luft auf dem Lokale durch eine Hasenpelzkappe mit Ohrenklappen und wollene Fingerlinge zu schützen. Dennoch fror ihn oft den ganzen Tag, und auch im eigenen Heim herrschte bei dem Mangel an Brennholz nur zu den Mahlzeiten und in seinem Bett – seine Frau hatte übrigens nach dem neunten Kind die Betten auseinandergestellt – eine ausreichende Wärme. Schon in jüngeren Jahren, als er noch liebte, hätte er die Frage nicht beantworten können, ob er bei seiner jungen Frau Clara mehr die Liebe suche oder die Wärme. Die Nase Bergers tendierte bis ins Frühjahr hinein ins Rötliche und wirkte, einem Schneemann ähnlich, wie ins Gesicht hineingesteckt.

    Unangenehm kam im Bibliotheksgebäude hinzu, dass man, wenn der Ausfall der Öfen nicht nur die Bibliothek selbst, sondern auch das Haus- und Zentralarchiv im Erdgeschoss betraf, den aufdringlichen Besuch des Archivregistrators Bamberger zu gewärtigen hatte. Mit dieser sich aufspielenden Person kam selbst Herr Dr. Merzdorf, ansonsten ein Mann von geduldigem Wesen, nicht zurecht und deren Anwesenheit auf der Bibliothek kühlte die Atmosphäre des vormittäglichen Geschäftsganges weiter ab.

    Bergers Verhältnis zur Kälte war eine ähnliche wie zur Dunkelheit. Er suchte die Öfen, Herde und Kamine auf – nicht anders als Katzen – und litt unter der Kälte, indem sie seinen Unterleib zusammenzog, ihm hinter die Augen kam und seine Lebensgeister verspannte. Spürte er keine Wärme irgendwo im Raume, so glich sein ganzer Körper einem harten Klotz und bis hinauf in seinen Kiefer setzte sich die Verspannung fort. Oftmals fuhren seine Finger nur deshalb in die steifen Manteltaschen, um sich in Stellvertretung des ganzen Körpers ein wenig Wärme zu besorgen – als glitten sie ins Federbett oder unter die wollene Decke. Und seine regelmäßige Angst war, dass die Kälte auch in seine Manteltaschen kroch.

    Ganz ähnlich ging es ihm mit der Dunkelheit. Sie ängstigte ihn jetzt nicht mehr so wie als Kind, als er seine Eltern mit seinem Weinen, Schreien und Niederfallen auf der Stelle beunruhigte, wenn er zum Beispiel eine dunkle Treppe zu ersteigen hatte, an deren Ende erst eine Tür und Licht waren. Aber noch immer schlug die Dunkelheit sich wie eine Lähmung auf ihn nieder, so dass er sich schon bei Dunkelwerden – die Dämmerung erschien ihm nur wie eine sichtbare Nacht – am liebsten ins Bett warf und es auch tat, sooft es möglich war. War es aber nicht möglich, so schloss er lieber die Augen, statt Licht anzuzünden, da ihm diese kleine Helligkeit die allgewaltige Dunkelheit noch mehr vor Augen treten ließ. Morgens wartete er gerne im Bett ab, bis es heller war und vom Rand her die Geräusche einsickerten. Seine Frau hatte sich an solche kindischen Eigenarten ihres Gatten gewöhnt, doch hielt sie diese für einen vorgeschobenen Tick, um der Arbeit in Haus und Heim auszuweichen, drang aber irgendwann nicht mehr in ihn.

    Berger betrat den Vorsaal, wo sein Arbeitstisch stand, eilte rechter Hand ins Geschäftszimmer und öffnete dort das zweite der beiden gusseisernen Fenster, um die Reste des Qualms abziehen zu lassen, der durch die Heizversuche des alten Kreyenbrock im Raume stand und uns selbst beinahe zu einem verräterischen Husten verleitet hätte. Berger wandte sich zurück in den Vorsaal und ließ die Tür geöffnet stehen. Was sie übrigens gern auch von selbst tat, indem sie sich schwer einklinkte und leicht zurückschwang. Dies Offenstehen der Tür war eine zu liebe Gewohnheit auf dem Lokal geworden, indem Herr Dr. Merzdorf Wert darauf legte, die Vorgänge in seinem Institut im Auge zu haben. Im Vorsaal schloss Berger ebenfalls die Fenster auf und sah auf die Straße und über die Stadt hinweg – nicht zu ausgedehnt, damit niemand, der da unten in den grauen Himmel hinaufsah, ihn für untätig halten konnte. Das Gebäude besaß hier im oberen Stockwerk große Arkadenfenster, die dem geplanten repräsentativen Zweck mehr als gerecht wurden und jede menschliche Gestalt wie etwas Störendes auffällig machten.

    Bald schaffte der Durchzug den beißenden Geruch hinaus, was auch dringend nötig war, damit nicht die Akten, Kataloge und teuren Reihenwerke angegriffen wurden, die hier im Vorsaal ebenso wie im Geschäftszimmer in holzvergitterten Schränken und Repositorien offen aufgereiht standen. Herr Dr. Merzdorf hatte vor Jahren, sei es in Rücksicht auf die Werke oder das eigene Alter (er befand sich im 64. Lebensjahr), auf diesen Umstand aufmerksam gemacht und ihn, Berger, für diese konservatorische Aufgabe verantwortlich gezeichnet. Der alte Kreyenbrock (73 Jahre alt), ganz gewissenhaft in den praktischen Dingen, war ihm offenbar für eine solche Vorsichtsmaßregel, die eine innere Beziehung zur Kultur erforderte, nicht empfänglich genug. (Der Herr Oberbibliothekar war nebenbei ein leidenschaftlicher Zigarrenraucher und ging trotz des offiziellen Verbots des Tabakrauchens auf dem Lokale uneingeschränkt dieser seiner Passion nach – ohne Öffnung wenigsens der unteren Luftscheiben!)

    Den zaghaften Blick also über die Stadt und auf die Straße geworfen, wandte sich Berger in den Raum zurück und setzte sich an seinen Arbeitstisch, ohne sich des schweren Mantels, der Mütze und der Fingerlinge entledigt zu haben. Er saß und sah, die zur Arbeit mahnenden Akten im Gitterschrank hinter sich fühlend, durch den im Chamoiston gehaltenen Vorsaal, dessen vier Wände ihn in den letzten Monaten weit mehr beherbergt hatten als sein Heim im Vorort der Stadt. Die Füße unter dem Stuhl, fuhr sein Blick zum torfschwarzen Kanonenofen und in den Lesesaal, aus dessen Helligkeit die Büste Sr. Königlichen Hoheit des Hochseligen (Groß-)Herzogs Peter Friedrich Ludwig wie eine gestrenge Ermahnung zu ihm herausschaute. (Derselbe, Regent 1785 bis 1829 und Begründer dieses Bibliotheksbesandes, hatte es Zeit seines Lebens verschmäht, sich mit dem Titel eines Groß-Herzogs zu zieren, den ihm der Wiener Kongress zugeeignet hatte und den er als fremdartig «toskanisch» empfand.)

    Schon seit frühen Kindertagen war Berger nie das Gefühl losgeworden, dass aus der leeren Luft so etwas wie Augen auf ihn gerichtet wären, und daraus hatte sich hier auf der Bibliothek eine, wenn man so will, handfeste Gewohnheit gebildet: Es pflegte der Hilfsschreiber nämlich schon einige Jahre lang einen stummen Augenkontakt mit dem erwähnten Bildnis, was ihm die beruhigende Gewissheit gab, drüben im Lesesaal sei ihm eine Persönlichkeit nahe, die als väterlicher wie aufgeklärter Fürst seinem täglichen Allerlei eine höhere Richtung wies. Eine Regung, die uns dagegen wegen der eher schlichten Mimik des Herrschers – und wir gingen einige Male um die Säule herum – unerklärlich erschien. Vielleicht aber war ihm diese wärmende Zwiesprache mit einem ‹höheren Sinnträger›, die er bereits morgens beim Anblick des stattlichen Bibliotheksgebäudes begann, so nötig, weil er sie nach den Stunden im kalten Hause Berger zur Begleichung seiner inneren Schieflage brauchte. Wie wir sehen werden, arbeitete man in der Werkstätte seiner Seele immer durchaus emsig, um die Regulierung seines Inneren zu gewährleisten. Man hatte dort, wie man so sagt, gut zu tun, um Oscar Berger auftragsgemäß in Balance und diensttauglich zu halten; denn sein Innerstes wurde schon durch die Überdrussreaktionen seiner Frau Clara unter Druck gesetzt (sie war eigentlich Friederike Margarete Henriette getauft, nannte sich aber nach ihrer präsenten, wenn auch weniger präsentablen Mutter «Clara»). Ein knapper Blick Claras reichte aus, ihm zu bedeuten, dass er ihr gleichgültig geworden war. Und solch ein Blick war wie ein Schuss, der ihn wie ein gejagtes Tier weidwund oder erkaltet zurückließ.

    Endlich legte Berger seine Hasenpelzmütze auf den Arbeitstisch und begann, sich die Augen zu reiben, wobei er den bald wohltuenden, bald brennenden Druck empfand, welcher ihn begleitete, seit er vor sechs Jahren mit der Erstellung des Alphabetischen Katalogs begonnen hatte. Angesichts der außerdienstlich zu leistenden, mühseligen Arbeit und der mageren Bezahlung schlich ein uneingestandener Rest an Bitterkeit durch seinen Bauch. (450 Reichsmark in diesem Jahr, wovon noch das Foliopapier selbs zu

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