Bernadette
Von Hugo C
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Buchvorschau
Bernadette - Hugo C
VERLAG
28. September 1918
Vor drei Tagen kamen wir im schweizerischen Jura an dem Ziel unserer strapaziösen Reise an. Eine Kutsche holte uns vom Bahnhof der kleinen, mir bis dato unbekannten Stadt ab und die beschwerliche Fahrt, die meine hochschwangere Frau Elisabeth arg strapazierte, brachte uns in die Berge. Wacker verteidigte sie unser ungeborenes Kind in ihrem Leib und verbrachte die ersten Tage nach der Ankunft in unserem Zimmer auf dem Bett.
Seitdem wir hier sind, beschäftige ich mich jeden Morgen mit dem Unterricht von Oliver, der mit seinen acht Jahren trotz Kriegswirren schulpflichtig ist. Dank seiner Gelehrigkeit können wir unser Pensum in wenigen Stunden abarbeiten. Danach erforscht er den Bauernhof, der unsere neue Heimstatt geworden ist und mir verbleibt viel Muße, die ich von nun an zur Führung eines Tagebuchs nutzen werde.
Vor einigen Monaten hatte die Spanische Grippe begonnen, Europa viel übler zu verwüsten, als es vier Jahre Schlachterei auf den Feldern vermochten. Meine Lungenkrankheit, die mich vor den Gräueln des Krieges beschützt hatte, bot ein Argument zur Erwirkung eines Visums für die Schweiz. Die Höhenlage sowie das bekanntermaßen gesunde Klima der Schweizer Berge erlaubten meinem Hausarzt die Ausstellung eines Attestes unter Bezugnahme auf mein Gebrechen. Mein Arbeitgeber, die Bayerische Lebensversicherungsanstalt auf Gegenseitigkeit, gewährte mir eine zeitlich befristete, unentgoltene Dienstfreistellung und eine für Notzeiten aufbewahrte Geldsendung eines Onkels aus den Vereinigten Staaten versorgte uns mit den erforderlichen Devisen.
Aus dem hungernden, im Chaos versinkenden, München kommend, diente unser Ausflug ursprünglich der ausreichenden Versorgung meiner am Ende ihrer Schwangerschaft befindlichen Frau mit Lebensmitteln. Durch den Ausbruch der Spanischen Grippe in den letzten Wochen schob sich der Schutz vor den tödlichen Keimen zunehmend in den Vordergrund und führte zur Auswahl des einsamen Bauernhofs, dessen Eigentümer ein Verwandter der Frau eines Arbeitskollegen war. Dort sind wir mit Kost und Logis gegen ein bescheidenes Entgelt einquartiert und ich hoffe, bis Weihnachten wieder zurück in München sein zu können, da die Beendigung des Krieges nur noch eine Frage von Wochen sein kann.
Mein Arbeitgeber erklärte sich bereit, mir eine große Anzahl von Todesstatistiken zu überlassen, die ich außerhalb meiner Büroräumlichkeiten bearbeiten kann. Sie reisten in einem eigenen Koffer mit uns mit und fanden unter unserem Ehebett einen neuen Ruheplatz. Im Gegenzug zur Aktualisierung unserer Sterbetafeln gewährte mir die Versicherungsanstalt bescheidene monatliche Zahlungen über unsere Außenstelle in Chur, die meinen Devisenbestand verbessern.
30. September 1918
Liebes Tagebuch, ich muss mich bei dir entschuldigen. Gerade sah ich dich auf meinem Nachttisch liegen und es durchfuhr mich, dass ich dich seit meiner ersten Eintragung ignorierte. Damals unterließ ich eine genaue Beschreibung unseres neuen Umfelds, die ich hiermit nachhole. Der Bergbauernhof ist auf 1200 Meter Seehöhe abgeschieden gelegen. Eine halbe Stunde Fußmarsch entfernt, soll sich das nächste Gehöft befinden, das wir aber noch nicht besucht haben. Unsere Wirte leben vorrangig von der Milchwirtschaft. Die Bauern nutzen dieses Jahr den unerwartet langen Sommer und lassen die Kühe solange auf der Alm, wie es das Wetter zulässt, um das Heu für den langen Winter