Verlorenen Liebe: Ein historischer Roman vom Bodensee
Von Irene Dannenberg
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Über dieses E-Book
Irene Dannenberg
Irene Dannenberg wurde 1963 in Ulm geboren. Nach Abitur und Studium widmete sie sich ihrer schriftstellerischen Tätigkeit. Zunächst veröffentlichte sie die Lebensgeschichte ihrer Mutter "Meine Mutter - Kriegskindheit und Flucht aus Schlesien". Es folgte ein historischer Roman vom Bodensee "Verlorene Liebe - ein historischer Roman". Als drittes veröffentlichte sie die Lebensgeschichte ihres Vaters "Mein Vater - ein Leben in Schlesien und Schwaben", gefolgt von ihren Gedichten "Gedichte - das Leben - ein Werden und Vergehen, Geborenwerden und Sterben" und "Westöstliche Geschichten - so wie das Leben sie schrieb".
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Buchvorschau
Verlorenen Liebe - Irene Dannenberg
INHALTSVERZEICHNIS
VORSPANN
KALAS GESCHICHTE
KALAS KINDHEIT
BEGINN EINES NEUEN LEBENS
REISEVORBEREITUNGEN
DIE GROßE REISE
AUFENTHALT BEI RISAS GESCHWISTERN
DIE PRÜFUNG
DAS ABSCHIEDSFEST
AUFBRUCH, RÜCKREISE UND ANKUNFT
NEUES LEBEN
NEUBEGINN
DIE PRÜFUNG UND DER ABSCHIED
MORGENDÄMMERUNG
NEUE AUFGABEN
DIE ZEIT VON PUNAS LEHRJAHREN
LETZTE REISE
DIE KATASTROPHE
NACHSPANN
VORSPANN
Brigitte ging eines Abends am See spazieren. Es war eine wunderschöne Abendstimmung. Die Sonne war im Westen untergegangen und tauchte den Himmel in ein flammendes Rot– Vögel sangen in den Büschen, Grillen zirpten im Feld. Da entdeckte Brigitte eine malerische Bucht. Sie ging durchs Gebüsch hinunter und ließ sich auf dem Kiesstrand nieder. Ach, war das schön, am Seeufer zu sitzen und in den Sommerabend hineinzuträumen. Da kam auf einmal eine junge Frau zu ihr herüber. Es sah aus, als wenn sie dem seidig schimmernden Wasser, das im Abendsonnenlicht glitzerte, entstiegen wäre. Zwei lange dunkelblonde Zöpfe wippten rechts und links bei jedem Schritt auf und nieder. Sie hob grüßend die Hand und lächelte ihr zu. Sie trug ein grob gewebtes Kleid, das mit Mustern aus Pflanzenfarben verziert war. An den Handgelenken klimperten Bronzearmbänder. Langsam näherte sie sich Brigitte, die sich nicht zu rühren wagte. Sie setzte sich ihr gegenüber auf den Kiesstrand. „Ich bin Kala, sagte sie mit einer tiefen, wohltönenden Stimme. „Ich habe hier vor vielen vielen Jahren in einem Dorf aus schilfgedeckten Holzhütten, die mit Knüppelwegen verbunden waren und auf Pfählen standen, gelebt. Ich will dir meine Geschichte erzählen, um sie dem Vergessen zu entreißen. Schreib sie auf und veröffentliche sie, damit deine Zeitgenossen etwas über unser Leben erfahren! Hier
, sie hatte einen Gegenstand aus dem Gürtel gezogen, „das hat mir mein Freund einmal mitgebracht. Den lasse ich dir da, wenn ich dich verlassen werde. Hebe ihn als Andenken an mich auf. Er soll dir helfen, dich später an alles zu erinnern, was ich dir jetzt erzählen werde…"
Ein Plätschern im Wasser weckte Brigitte. Sie sah sich benommen um. Wo war sie? Langsam kam die Erinnerung an ihren Abendspaziergang zurück. Der Mond war inzwischen aufgegangen und warf sein silbriges Licht als Bahn übers Wasser in die Bucht. Sie blickte sich suchend um. Das Mädchen war verschwunden. Der Klang ihrer Stimme klang noch in ihr nach. Der Gegenstand, den sie ihr dalassen wollte, wo war er? Sie blickte sich suchend um. Da – da lag etwas am Rand des Wassers. Die Wellen leckten darüber hin. Sie stand vorsichtig auf und ging hinüber. Am Seeufer angelangt bückte sie sich und ihre Finger tasteten behutsam nach dem Gegenstand. Er war feucht vom Wasser und entglitt ihr mehrmals. Schließlich hatte sie ihn erwischt und hob ihn hoch, um ihn genauer zu betrachten. Sie tastete mit ihren Fingerspitzen darüber hin. Es war etwas Glattes mit Zinken. Da erinnerte sie sich wieder an die Worte ihrer Besucherin. „Diesen Kamm hat mir mein Freund einmal mitgebracht. Er ist aus Horn gearbeitet, schön glatt poliert. Ich habe ihn seitdem immer in meinem Gürtel bei mir getragen. Er hat mich immer beschützt bis zu jenem Tag… Kala hat ihren Satz nicht beendet, stattdessen ihr Gesicht mit den Händen bedeckt. Als sie sie wieder fortgenommen hatte, sah sie Brigitte gefasst an und fuhr fort: „Davon später. Ich will von Anfang an erzählen.
Brigitte streichelte den Kamm, lauschte ihren Erinnerungen an diese Begegnung, steckte ihn in ihre Tasche und suchte sich ihren Heimweg durchs Gebüsch. Der Mond leuchtete ihr mit seinem silbrigen Licht und verzauberte eigenartig die Szenerie. Heimgekehrt schlich sie sich so geräuschlos wie möglich in ihr Zimmer, knipste ihre Schreibtischlampe an und begann, die Lebenserinnerungen von Kala aufzuschreiben. Wenn ihre Hand stockte und sie doch zweifelte, ob sich das alles so zugetragen hatte, vermeinte sie Kala hinter sich stehen zu sehen und ihr zuzuraunen: „Schreib weiter! Es darf nichts in Vergessenheit geraten!" So saß Brigitte und schrieb Seite um Seite bis zum Morgengrauen. Als die Sonne durch die zugezogenen Vorhänge hereinblinzelte, schob sie müde den großen Papierstapel beiseite, knipste die Lampe aus, ließ den Kopf schwer auf ihre Arme sinken und fiel sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf der Erschöpfung.
KALAS GESCHICHTE
KALAS KINDHEIT
Als sie noch ganz klein war, sah Kala gern ihrer Mutter bei der Arbeit zu. Frühmorgens, als schwaches Dämmerlicht durch die Ritzen im Wandgeflecht fiel, erhob sich ihr Vater von seinem Lager und streifte sich seinen Kittel über, fuhr sich mit der Hand durchs zerzauste Haar, beugte sich noch einmal zu Kalas Mutter hinunter, die schon wach war, küsste sie zärtlich und strich ihr übers blonde lange Haar. „Pass auf dich auf!, flüsterte sie. „Ja, mein Schatz.
Er ging zum Fell, das ihre Schlafstätte von denen der anderen Familien abtrennte, schob es einen Spalt auf und schlüpfte geschmeidig hinaus. Hinter ihm schloss sich der Fellvorhang wieder. Kala drehte sich auf die Seite und lauschte dem Klatschen der Wellen an die Pfähle, als ihres Vaters Nachen ablegte. Auch in den anderen Hütten regte es sich bereits. Die Fischer eilten zu ihren Kähnen. Vom monotonen Schlagen der Wellen wurde sie noch einmal ins Traumreich hinübergeschaukelt, bevölkert von Elfen, Trollen und Wassernixen, von denen ihr ihre Mutter erzählt hatte. Neben ihr regte sich ihr jüngerer Bruder im Schlaf. Sie hörte ihre Mutter aufstehen. Die ersten Sonnenstrahlen spitzten durchs Wandgeflecht und malten Kringel auf den Hüttenboden. Leise vernahm sie das Singen der Vögel. Enten quakten im Schilf und Blesshühner riefen. Ihre Mutter begann, Körner zu Mehl zu zerreiben. Dann schob sie den Fellvorhang beiseite und ging hinaus in den Hauptraum, um das Feuer anzufachen. Blinzelnd beobachtete sie Kala dabei und wie sie dann den Kessel darüber hing. Sie gab Mehl und Wasser hinein und begann, den Morgenbrei zu kochen. Sie würzte ihn mit ein paar getrockneten Kräutern. Ihre Mutter war immer die erste am Kochfeuer. Schließlich regte es sich in der Hütte und die anderen Mütter kamen verschlafen zum Feuer und lösten Kalas Mutter beim Rühren ab. Kalas Mutter kam zu ihr, beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie auf die Stirn. „Aufstehen, mein Schatz. Dann ging sie zu ihrem Bruder hinüber. „Waldur, aufwachen, mein Kleiner.
Sie strich ihm liebevoll eine feuchte Locke aus der Stirn, hob ihn hoch und zog ihm sein Kittelchen über, nahm ihn an der Hand und führte ihn zur Feuerstelle, wo schon die anderen Kinder im Kreis saßen und spielten. Kala folgte ihnen. Sie ging zum Hütteneingang hinüber, durch den sie schon den See im Sonnenglast glitzern sah. Sie streckte und reckte sich, ging hinaus vor die Tür und lehnte sich ans Geländer des Knüppeldamms. Da sah sie auch schon in der Ferne die Boote der Fischer zurückkehren. Eine frische Brise wehte vom See herauf, aber die Sonne wärmte ihr schon das Gesicht. Als die Fischer näher kamen, winkte sie hinüber. Ihr älterer Bruder Kitur winkte zurück. Er saß im Boot des Vaters, der kräftig ruderte. Bald legte sein Boot bei ihr an und ihr Bruder kletterte behände zu ihr hinauf. „Wir haben heute viel gefangen!, rief er fröhlich. „Komm, hilf uns beim Ausladen.
Auch die Mutter kam heraus und sie hievten die schweren Netze hoch auf die Planken. Alle machten sich an die Arbeit. Ein Teil des Fangs wurde über dem Feuer an Stecken gebraten, die anderen Fische wurden an ein Gestell gehängt, das am Feuer zum Räuchern aufgestellt worden war. Alle Kinder saßen im Kreis herum und hielten ihre Stecken mit den Fischen ins Feuer. Als sie gar waren, bekam jeder eine Schale mit Brei dazu und sie begannen schweigend zu essen. Schließlich räumten die Frauen und die älteren Mädchen die Schalen zusammen und trugen sie zum Seeufer, wo sie sie im seichten Wasser spülten und sie mit einem Stofffetzen abtrockneten. Dann trugen sie sie zurück in die Hütte und verstauten sie wieder auf dem Bord an der Wand im Hauptraum.
„Komm, Kala, wir gehen ans Ufer und schauen, ob die Erdbeeren schon reif sind. Du kannst auch mitkommen, Waldur. Die Männer und größeren Jungen saßen vor den Hütten und untersuchten die Netze auf Löcher und begannen sie zu flicken. Die Jungen sahen den Männern aufmerksam bei der Arbeit zu. „Komm, Kitur, wir müssen nach geeignetem Holz für ein neues Ruder suchen.
So eilten alle geschäftig umher. Kala folgte leichtfüßig ihrer Mutter. Waldur jammerte wegen der Steine am Ufer, aber Kala machten sie nichts mehr aus. Ihre Mutter nahm Waldur auf den Arm und trug ihn zum Waldrand. Da leuchteten auch schon die leckeren Walderdbeeren im Gesträuch. Bald war Waldurs Mäulchen rot verschmiert und er leckte sich genüsslich die Lippen. Die Mutter und Kala sammelten die Beeren in einem Weidenkorb. Kala naschte auch ab und zu davon. Als die Sonne im Osten über dem See verschwand und den Himmel in glut-rotes Licht tauchte, kehrten sie ins Dorf zurück. „Morgen können wir Erdbeeren in den Brei hineingeben, dann schmeckt er viel besser! Sie stellten ihren Korb in einer Ecke im Hauptraum ab. Einige Männer saßen noch draußen vor der Hütte und unterhielten sich. Beim Stall erklang eine helle Flöte. Mit dem Rücken zur Wand saß der Hirtenjunge Alef und spielte versonnen, nachdem er die Tiere von der Weide zurückgebracht hatte. Kala lauschte dem süßen Spiel. Ein Stern blinkte am Himmel auf und hinter den Bäumen am Wald kam die silberne Mondsichel hervor. Kala fröstelte. Eine kühle Brise wehte vom Wasser herauf. „Kala, komm herein.
, rief sie ihre Mutter. Ihr kleiner Bruder schlief schon, als sie sich neben ihn legte und lächelte im Traum. Die Nacht kroch durch die Ritzen im Wandgeflecht. Ein Teichrohrsänger rief. Schließlich wiegte sie das monotone Schwappen der Wellen in den Schlaf.
Am nächsten Morgen wurde Kala durch das Rütteln des Windes an der Flechtwand geweckt und die Wellen schlugen heftig an die Pfähle unter der Hütte. Ihr Vater ging nach draußen und Kala folgte ihm. Sie blieb im Türrahmen stehen. Ein heftiger Wind fegte in Böen übers Wasser und trieb pechschwarze Wolken vor sich her, die am Rand schwefelgelb ge-zackt waren. Der See tobte. Dunkle, bedrohliche Wellen brandeten heran mit weißen Schaumkronen darauf. Die Boote knallten an die Pfähle. Der Wind fuhr in Kalas Haare, die noch nicht geflochten waren. Einige Strähnen fielen ihr in die Augen und Gischt spritzte zu ihr hoch, als sie ans Geländer des Knüppeldamms trat. Sie blinzelte, hielt sich mit der einen Hand am Geländer fest, weil der Sturm an ihr riss und strich sich mit der anderen die Haare aus den Augen. Der Wind bauschte ihr Kleid und das Wasser schwappte aus dem kochenden See auf den Damm herauf und spülte über ihre nackten Füße. Brr, war das eiskalt! Da sah sie ihren Vater und die anderen Männer, wie sie mit aller Kraft versuchten, die Boote aus dem Wasser zu holen und auf dem Damm abzulegen. Alle Männer und größeren Jungen arbeiteten mit vereinten Kräften. Die Fischernetze trieben im tobenden See. Wenigstens einen Teil der Boote konnten sie retten und banden sie mit dicken Seilen am Geländer fest. „Kala, komm herein! Es ist zu gefährlich draußen! Sie wandte sich um und schlitterte zurück in die schützende Hütte. Bald darauf kamen die anderen Männer und Jungen pitschnass herein. Der Regen fiel durch die geöffnete Tür. Das Feuer ging langsam aus, weil die Regentropfen durch den Rauchabzug hereinprasselten. Die Kleinen drängten sich in einer Ecke um die Frauen und zitterten vor Furcht. Waldur klammerte sich an die Mutter und weinte vor Angst. Ein Windstoß riss die Tür auf. Draußen war pechschwarze Nacht und grelle Blitze tauchten alles in ein gespenstisches Licht. Donner krachte Schlag auf Schlag. Der Blitz schlug in den Wachturm ein und helle Flammen zuckten an ihm hoch. Gespenstisch brannte der Turm lichterloh. Keiner wagte sich zu rühren. Schließlich fielen die Reste des Turms krachend in sich zusammen. Große Hagelkörner purzelten auf die Planken und die Dächer. Durch das Rauchabzugsloch prasselten sie herein und um die Feuerstelle und auf dem Steg sah es so aus, als ob es geschneit hätte. Auf einmal war es unheimlich still und der ganze Spuk war zu Ende. Als erstes gingen die Männer hinaus, kamen auf den Hagelresten ins Schlittern und begannen, den Schaden zu inspizieren. „Mein Boot ist weg!
, rief Kalas Vater. „Meins auch!, stellte Kalas Onkel fest. Die Frauen räumten den Feuerplatz auf und entfachten das Feuer neu. Sie begannen, Körner zu mahlen und im Kessel einen Brei zu kochen. Als er fertig war, riefen sie die Männer herein und teilten das Essen aus. Alle begannen schweigend zu essen, die Männer mit sorgenvollen Mienen. „Da wartet viel Arbeit auf uns.
, ließ sich Kalas Vater vernehmen. In dem Moment wurde die Tür geöffnet. Kalas Großmutter stürmte herein und lief auf ihren Sohn zu. „Komm schnell, dein Vater war noch draußen und hat versucht, sein Boot hereinzuholen, als es richtig losging. Seitdem haben wir ihn nicht mehr gesehen. Die Männer aus den anderen Hütten suchen den See nach ihm ab. Sie sind draußen mit dem einen uns noch verbliebenen Boot! Kalas Vater eilte hinaus. Stunden später kehrte er mit hängenden Schultern zurück.! „Nichts!
Der Tag verging. Alle schwiegen und liefen bedrückt umher. Die Kinder hockten auf dem