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Schweißgebadet: Seelenprotokoll einer Abrechnung
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Schweißgebadet: Seelenprotokoll einer Abrechnung
eBook354 Seiten3 Stunden

Schweißgebadet: Seelenprotokoll einer Abrechnung

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Über dieses E-Book

In seiner Autobiografie lässt uns Wolfgang Gerhold an seinem facettenreichen Leben teilhaben: von seiner düsteren Kindheit bis hin zu seinem Kampf um die Ausreise aus der DDR. Anhand mitreißender und authentischer Beschreibungen sowie zahlreicher Fotografien und Grafiken dokumentiert der Autor schonungslos die brutale Vorgehensweise der STASI und des sozialistischen Regimes der DDR mit ausreisewilligen Bürgern. Die menschenfeindliche „Arbeitsstruktur“ der STASI wird erkennbar.
Die detailgenauen Beschreibungen seiner Lebensumstände als Kind, die einfühlsamen Schilderungen als junger Erwachsener, als Soldat und später als Ingenieur fesseln den Leser und ziehen ihn in den Bann der Erzählung. Spannungssteigernd erfährt der Leser, wie die Ausreiseersuchenden von der allmächtigen Staatssicherheit in Angst und Schrecken versetzt und darin festgehalten wurden.
Die authentischen Schilderungen der Verfolgung und Bedrohung des Autors durch die zuständigen Staatsbehörden, aber auch die Darstellung mutigen und angstfreien Handelns in Anbetracht der Unberechenbarkeit des Machtapparates treffen das Interesse des Lesers.
Die in die Autobiografie einbezogenen Originale von Verhörprotokollen während sog. Befragungen und Vorbeugungsgesprächen aus der STASI-Akte des Autors lassen den Leser teilhaben am ungleichen Kampf der sich gegenüberstehenden Parteien und offenbaren die Methodik und die feine Struktur der Frage- und Bedrohungstechnik durch die STASI-Offiziere.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum13. Juni 2014
ISBN9783735766113
Schweißgebadet: Seelenprotokoll einer Abrechnung
Autor

Wolfgang Gerhold

Wolfgang Gerhold stammt aus der Gemeinde Schwenda, einem kleinen Dorf am südlichen Rand des Harzes, einer idyllischen Gegend, die von den Auswirkungen des 2. Weltkrieges verschont geblieben war. Scheinbar geborgen wächst er mit seinen drei Schwestern in der Familie auf, wären da nicht die sich offen, oft aber auch im Verborgenen abspielenden Szenarien von Verzweiflung, Wut, Gewalt, Demütigung und anderen Einflüssen auf die sensible Familie durch den Vater. Bis zur Trennung der Eltern erlebt der einzige Bub in der Familie massive Gewalt und Psychoterror des Vaters gegenüber allen Familienmitgliedern. Ein völlig überforderter Mann, der als Kriegsinvalide der Situation seiner Unzufriedenheit, einer schnell wachsenden Familie und der Enttäuschung über den verlorenen Krieg nicht anders zu begegnen weiß. Nach der Lehre der Großen Krankenpflege und im Beruf des Krankenpflegers erwächst in dem jungen Mann die große Sehnsucht, als Arzt und Chirurg durch unmittelbare Hilfeleistung an den Menschen den wertvollsten gesellschaftlichen Dienst leisten zu können. Dieser Traum platzt aber bald sehr schmerzhaft durch die Kollision mit dem vorherrschenden politischen System, dem Sozialismus. Als Maschinenbauingenieur mit Diplomabschluß findet er trotz größter Enttäuschung eine spätere große Erfüllung im Beruf. Noch vor der „Wende“ im Herbst 1989 siedelt er, knapp 40-jährig, nach nur 15 Monaten „Wartezeit“ im Dezember 1988 legal von Leipzig nach München über. Sehr schnell fand er qualifizierte und herausfordernde Tätigkeiten und arbeitet durchgehend erfolgreich bis 2012 in verschiedenen Firmen und Branchen. Dieses Buch beschreibt den Weg eines Neuankömmlings, wie es ihm im Westen erging und ob sein Traum einer „besseren Welt“ wahr wurde.

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    Buchvorschau

    Schweißgebadet - Wolfgang Gerhold

    Dieses Buch widme ich all denen, die keine ANGST vor den Demütigungen und Verfolgungen durch die allmächtige STASI in der DDR hatten, sondern ihren Weg des Widerstandes gegenüber dem Machtapparat durch den ihnen gottgegebenen MUT gehen konnten.

    Denen aber, die dabei Schaden erlitten haben oder Menschenleben zu beklagen haben, möchte ich ermutigend zurufen: nie wieder darf auf deutschem Boden ein solches Unrechtsregime Macht gewinnen vergebt aber Euren Schuldigern.

    Wir alle, vor allem aber unsere Eltern, waren gewarnt durch die Verbrechen der GESTAPO des Naziregimes und haben doch noch einmal ein solches Monster wie die STASI zugelassen.

    Jetzt muss Schluss sein damit und zwar für immer.

    Dafür lohnt es sich zu kämpfen und ich ermutige jeden Einzelnen, allen gegebenen MUT zusammenzunehmen, um diesen an der richtigen Stelle für den Kampf zu nutzen, damit niemals vergessen wird, was nicht vergessen werden darf.

    Der Autor

    (März 2014)

    Juli 1987:

    Im Gegensatz zu früheren Tagen hatte der Kaffee heute nicht nur keine belebende Wirkung, sondern schmeckte auch noch scheußlich. Vor jedem von uns stand schon das zweite Kännchen (Portion, Haferl), aber es wurde nicht besser. Früher, wenn wir zum Kaffee trinken ausgingen, gab es meist einen freudigen Anlass oder aber auch nur so. Immer war die Stimmung gut und wir hatten Freude daran, uns zu haben. Aber es lag heute nicht am Kaffee, sondern an der gegebenen dumpfen und bedrückenden, ja leblosen Stimmung. Soeben war unser Alptraum in Erfüllung gegangen: geschieden „Im Namen des Volkes".

    Meine nunmehr von mir geschiedene Frau saß mir still und traurig aber kokett gegenüber. Was haben wir nur angerichtet, ging es mir durch den Kopf, aber ich meinte mit dem wir nicht wir, sondern ich allein hatte alles verdorben.

    Die Trennung war zwangsläufig und ich hatte schon lange darauf gewartet, lagen doch die schlimmsten Tage, die den Beginn des Endes unserer Ehe einläuteten, schon einige Jahre zurück. Meiner Ex-Frau war die enorme Erleichterung sowohl anzusehen als auch anzumerken, sie verfiel aber nicht in eine Demonstration von Stärke oder Siegestaumel. Auch ihr fiel die Situation sichtlich schwer, denn dieses Ende hatten wir uns beide nicht träumen lassen, wenngleich die tiefen und häufigen Verletzungen, die ich Ihr zugefügt hatte, eigentlich keine andere Lösung als die Trennung zuließen.

    Wie würde unser beider Leben weitergehen? Was würde aus unseren zwei jugendlichen Kindern werden, die 1974 als Zwillinge das Licht dieser so schönen aber auch so furchtbaren Welt erblickt hatten?

    Ein Wunder damals vor etwa 13 Jahren. Eine Schwangerschaft mit der Feststellung, dass es sich um zwei Embryos handele und der weiteren Steigerung, dass es sich auch noch um je einen weiblichen und einen männlichen Fetus handele.

    Ein Zwillingspärchen also, eigentlich der Wunschtraum so vieler Eltern, aber bei uns waren die Umstände damals nicht so optimal gewesen, so dass die Kinder eben keine „Wunschkinder geworden waren, mehr noch, verdiente auch unsere Ehe nicht das Prädikat „Wunschehe oder gar „Traumehe. Sündiges Verhalten und das Missachten der uralten Regel „Kein Sex vor der Ehe! hatten zu dieser ungewollten Schwangerschaft geführt, obwohl wir beide für eine Ehe noch gar nicht reif und bereit waren, am wenigsten aber durch irgendjemanden auf eine solche vorbereitet worden waren. Ich befand mich damals im 3. Semester meines Studiums des Maschinenbaues und dann das. An Abtreibung war nicht zu denken, denn eine solche Möglichkeit gab es damals noch nicht und wir wollten solches auch auf gar keinen Fall. So wurden wir von meinen Schwiegereltern verheiratet und hofften auf einen positiven Verlauf der Ehe einhergehend mit dem gegebenen Handicap.

    Wie so oft und für viele andere Ehepaare auch, zeigte sich das Leben nach einigen durchaus wunderbaren Jahren nun (1987) auch für uns von der grausamsten Seite. Eine Mixtur vieler unterschiedlicher Gefühle, vor allem aber ANGST, Scham, Schuld, Versagen, Niedergeschlagenheit und noch viele andere lag wie ein Schleier auf der Seele, dem Gemüt und dem Herzen und betäubte, ja lähmte Körper und Geist. Ich hatte gegenüber dem Gericht zwar alle Schuld am Scheitern unserer Ehe auf mich genommen, aber das war und bleibt nur ein kleiner Trost im Meer der Tränen und im Raum der so schmerzlichen Gefühle.

    Alles war verloren, und zwar für alle vier und doch wussten wir zwei auch, dass es ein Morgen für uns alle geben würde.

    Nach den letzten, sich scheinbar im Zeitlupentempo abspielenden Absprachen über Gütertrennung, Teilung des ehelichen Hausstandes, Kinderkontakte und Besuchsregelung, gingen wir, Tränenmeere in den Augen und tiefe Trauer in den Herzen, mit einer stillen und behutsamen Umarmung auseinander. Das war’s.

    Wir hatten keinen „freundschaftlichen Umgang", womöglich begleitet von regelmäßigen Treffen und das etwa auch noch zusammen mit den Kindern ausgemacht, aber ich wollte soviel wie möglich mir zur Verfügung stehende Freizeit mit den Kinder verbringen, denn diese lebten ab jetzt bei ihrer Mutter. Diese traf ich viele Jahre später nur noch ein einziges Mal.

    Nach diesem Abschied spielte in meinen weiteren Überlegungen ein völlig neuer Aspekt eine stetig zunehmende Rolle: bleibe ich in diesem Land oder gehe ich weg aus diesem Land und wie gestalte ich dann meinen beruflichen Bereich und wie gestalte ich den privaten Bereich? Dabei stand der Erhalt meines Arbeitsplatzes im Mittelpunkt, denn ginge dieser durch unbedachtes Handeln verloren, war meine Zukunft nicht mehr durch mich selbst zu gestalten.

    Diese bewusste Trennung hatte ich bisher so noch nicht vorgenommen, sondern die privaten Dinge waren zwar von den beruflichen Dingen getrennt, aber gingen gedanklich auch ineinander über. In alle vor mir liegenden Lebensaktivitäten musste ich ab jetzt bewusst einen Verhaltenskodex mit der Frage: „Welches Gefahrenpotential enthält jede einzelne meiner Lebensaktivitäten?" einbinden. Sowohl in die beruflichen, als auch, und dies noch vielmehr, in die privaten Aktivitäten, denn jetzt galt es, vorsichtig, klug und umsichtig zu handeln.

    Dies war bisher nicht so geschehen, denn die Lebensentscheidungen waren immer aus den aktuellen Bedürfnissen der Familie oder eines einzelnen Familienmitgliedes heraus getroffen worden. Also eher aus dem Bauch heraus, weniger aus Gründen einer „wissenschaftlich-analytischen Betrachtung mit einer „finalen Entscheidungsfindung. Jetzt aber bedurfte es einer anderen Betrachtungs- und Verhaltensweise, denn nach der erfolgten Trennung war ich nicht mehr für eine Ehefrau und zwei Kinder verantwortlich, sondern nur noch für mich ganz allein.

    Jeder meiner zukünftigen Schritte wollte also wohl überlegt sein und die Frage, die sich schon Lenin gestellt hatte, stellte sich nun auch mir: Was tun?

    Schon während unserer Zeit, die wir geschäftlich als junge Familie gemeinsam im Ausland verbracht hatten (1981-1983 in der Syrischen Arabischen Republik und anschließend bis 1984 in Bagdad), waren Überlegungen, einen Seitenwechsel in die Bundesrepublik Deutschland vorzunehmen, von mir nicht immer unterdrückt worden. Im Gegenteil, ich hatte ganz konkrete Pläne, unsere Auslandsmission für einen Fluchtversuch zu nutzen und so dem ungeliebten, um nicht zu sagen verhassten System der eisernen Diktatur Ostberlins zu entkommen.

    Die Umsetzung dieser Gedanken und Vorstellungen scheiterte damals an der unüberwindlichen Sehnsucht meiner Frau ihren Eltern und Großeltern gegenüber und allein konnte ich nicht gehen, denn ich liebte meine Frau und die Kinder sehr. Die mir innewohnende Verantwortung für meine Familie war einfach zu groß und den dafür notwendigen Egoismus sowie die nötige Charakterlosigkeit, die Familie im Stich zu lassen, trug ich nicht in mir.

    Wenn doch wenigstens jetzt, im Herbst 1987, der kleine Hoffnungsschimmer einer Liberalisierung zu erkennen gewesen wäre. So viele Bürger hätten sich von diesem Hoffnungsschimmer tragen lassen, aber dieses ferne Leuchten der Sehnsucht nach Freiheit war nicht nur nicht in Sicht, sondern es herrschte absolute Finsternis über Ostberlin und über dem besetzten Land, obwohl es ausreichend Elektroenergie gab und genug Licht erstrahlte.

    Schon die Illusion einer Verbesserung des täglichen Umgangs der Menschen in der geteilten Nation hätte allen Menschen in Ost und West im Miteinander gut getan, aber daran war nicht zu denken.

    Die alten Männer in Ostberlin, deren Hirne von der Idee eines vom Proletariat und der Bauernschaft regierten Landes verbohrt waren, konnten keine offenen, freien Gedanken entwickeln, wie es in freiheitlichen Demokratien üblich ist.

    Zu tief saß der Hass auf das gescheiterte Naziregime und den Kapitalismus im Allgemeinen in ihnen, der ja schon von Marx, Engels und Lenin als Ursache allen Übels definiert worden war. Nun, nachdem das Land solange zwangsweise nach dem Vorbild der Sowjetunion durch die „Ökonomie des Sozialismus" nicht geführt und nicht geleitet, sondern verführt und verleitet worden war, konnte das Versagen dieses Systems nicht ohne den totalen Verlust der Glaubwürdigkeit seiner Repräsentanten einhergehen. Dieses konnten, vor allem aber wollten die das Land Regierenden nicht zugeben, denn ein solches Schuldeingeständnis hätte sofort das Scheitern des sozialistischen Systems ans Tageslicht gebracht.

    Der ökonomische Zusammenbruch war nahe, wenn nicht sogar schon da und nur die Milliardenspritze, die F. J. Strauß eingefädelt hatte und die der Regierung der DDR im Jahre 1984 bereitgestellt worden war, hielt das marode System noch ein wenig am Leben.

    Das Ableben von F. J. Strauß im Oktober 1988 hinterließ im Volk der DDR eine große Trauer und Hoffnungslosigkeit, denn er hatte am energischsten für die Wiedervereinigung gekämpft und den Status Quo zweier existierender Staaten niemals anerkannt, obwohl die „DDR" 1973 von der durch die SPD geführte Bundesregierung durch die Ostverträge staatsrechtlich anerkannt worden war.

    Vielerorts wurden heimlich Trauerfeiern veranstaltet und es wurde viel geweint.

    So fragte ich mich nicht nur wie Lenin: Was tun?, sondern ich musste jetzt für mich eine Entscheidung treffen und zwar eine Lebensentscheidung.

    Wehmütig erinnerte ich mich an das Angebot eines Topmanagers im Land eines unserer Auslandseinsätze (Syrien) zurück, der mir einen Posten auf der Ebene der Geschäftsleitung eines soliden Unternehmens des Maschinen- und Anlagenbaues angeboten hatte. Aus Rücksicht auf die Familie und die mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannte Entwicklung meines privaten Lebenssektors, hatte ich das Angebot abgelehnt. Ich hatte nicht einmal gewagt, diese Situation mit meiner Ehefrau zu besprechen, da mir Fälle bekannt waren, dass sogar innerhalb einer Familie ein Ehepartner zur STASI rekrutiert worden war, ohne dass der andere Ehepartner etwas davon gewusst hätte. Ich wollte sicher gehen und schwieg, wäre ich doch im Falle einer solchen inoffiziellen Mitarbeit meiner Frau bei der STASI als Vaterlandsverräter identifiziert worden.

    Eine Tätigkeit an der Karl-Marx-Universität Leipzig, die meine Frau vor unserem Auslandseinsatz ausgeübt hatte, konnte möglicherweise die innoffizielle Mitarbeit bei der STASI voraussetzen - ich kannte die detaillierte Verfahrensweise solcher Mitarbeiter-Einstellungen an öffentlichen Institutionen wie Schulämtern, Universitäten, Schulen oder ähnlichen, eng mit der politischen Ausrichtung eines Landes verbundener Einrichtungen natürlich nicht.

    Da ich dies damals nicht völlig ausschließen konnte, schwieg ich lieber und ließ das sehr lukrative Angebot unberücksichtigt.

    Aber auch dieser wehmütige Rückblick nützte mir jetzt nichts und brachte mich in der gegebenen Situation nicht weiter.

    Im Scheidungsurteil war vermerkt worden, dass das Urteil sofort rechtskräftig sein würde, da beide Ehepartner auf Rechtsmittel verzichtet hatten, d. h. es waren für mich keine Einspruchsfristen mehr zu berücksichtigen. Dennoch wartete ich einen Zeitraum von etwa 4 Wochen ab, ehe ich begann, meine in der Zwischenzeit getroffene Lebensentscheidung in die Tat umzusetzen.

    Mein Lebensentscheidung hieß: Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland!

    Allzu oft waren nach meiner Kenntnis Familienmitglieder oder ganze Familien von Ausreisewilligen (das sind Leute, die die Ausreise gedanklich beschlossen, aber noch nicht offiziell durch einen schriftlichen Antrag bekundet hatten) oder von Ausreiseersuchenden (das sind Leute, die bereits einen Antrag auf Ausreise an die Behörden gestellt hatten) in Sippenhaft genommen worden. Sippenhaft ist nicht etwa die Inhaftierung einer Sippe, sondern eine Methode, die Familie eines „Vaterlands Verräters" massiv zu diffamieren und zu terrorisieren mit dem Ziel der psychischen Zerstörung dieser Personen auf ihren Arbeitsstellen, im öffentlichen Leben, im Sportverein oder dem Wohnumfeld.

    Dies wollte ich natürlich für meine Familie vermeiden.

    Auch in Nazideutschland waren solche Methoden gern und häufig gegen Regimegegner eingesetzt worden.

    Noch nie war ich in diesem Land gewesen, meinem Vaterland auf der anderen Seite. Wir nannten es nur „im Westen, „der Westen oder „Westdeutschland. Auch „drüben war sehr verbreitet und jeder wusste genau, was gemeint war.

    Die im offiziellen Sprachgebrauch genutzte und wohl auch geforderte Bezeichnung „BRD oder auch „Bundesrepublik Deutschland wurde nur in Printmedien, öffentlichen Propagandaauftritten, offiziellen Ansprachen, natürlich in Parteiversammlungen oder etwa während schriftlicher und mündlicher Prüfungen benutzt.

    Nun wollte ich auch „rüber", in das Land, welches uns gründlich mies gemacht worden war, als wir noch Kinder und Jugendliche waren, obwohl es dort offensichtlich Dinge gab, von denen wir nur träumen konnten. Kaugummi und gut schmeckende Schokolade waren solche Kandidaten, aber auch schicke Schuhe, moderne Kleidung allgemein oder etwa Ski mit Stahlkante und Federbindung.

    In diesem Land gab es offenbar alles, aber in unserer Republik wurde vom faulenden Kapitalismus, von unter Ausbeutung leidenden Bürgern und vom bevorstehenden Absterben dieses Systems gesprochen.

    Leider hatten die Demagogen und Ideologen der DDR vergessen, dass aus gutgläubigen Kindern und Jugendlichen irgendwann Erwachsene werden, die dann selbständig denken können und manche von denen, welch Wunder, sogar durch den Staat und seine Organe (die Verfechter: z. B. die STASI, die Polizei und die Bereitschaftspolizei sowie die Parteimitglieder) nicht mehr eingeschüchtert werden konnten.

    Das charakteristische an Ordnungen mit totalitären Machtverhältnissen ist, dass die ANGST das allumfassende Mittel der Machthabenden ist. Solange die Machthaber ANGST vor Repressalien, Inhaftierung, Karriereende oder dem Verlust von geliebten Menschen im Volk säen und schüren können, funktionieren solche Systeme gut. Wehe aber die Machthaber, wenn diese ANGST beim Volk, Teilen davon oder einzelnen Individuen nicht mehr vorhanden ist. Dann wirken die beabsichtigten Mechanismen nicht mehr und die mündigen Bürger lehnen sich auf. Das differenzierte Handeln des Einzelnen ist entscheidend davon bestimmt, die ANGST überwinden zu können. Die unterschiedliche Ausstattung mit etwas mehr oder etwas weniger MUT und der, jedem einzelnen Individuum gegebene Grad der Entschlossenheit, etwas auch wirklich zu tun, sind für die Überwindung der ANGST entscheidend.

    Ich hatte offensichtlich ausreichend MUT.

    Die gezielte politische Aufklärung der Menschen durch öffentliche Medien war ein ganz wesentliches Thema im Lande. Immer mehr Einfluss bekam das Medium Fernsehen, welches in den 60iger Jahren auch in der DDR eingeführt worden war. Zunächst schwarz/weiß, später auch in Farbe. Der Empfang des Westfernsehens hatte bei den Menschen oberste Priorität. Sogleich gab es Anfang der 60er Jahre in einigen Landesteilen von der Staatsmacht angeordnete Nacht- und Nebelaktionen, bei denen die nach Westen ausgerichtete Fernsehantennen von den Dächern der Häuser heruntergerissen wurden, um den Fernsehempfang aus dem Westen zu unterbinden. Leitern, um auf die Dächer zu kommen, gab es überall oder wurden von den STASI-Banausen gleich mitgebracht.

    Dies geschah vor allem auf dem grenznahen Lande, wo der Empfang des Westfernsehens besonders gut war und die Bürger von den Partei- und STASI- Behörden offensichtlich als „dümmer und „mutloser eingestuft wurden als in den großen Städten - waren sie aber nicht.

    Die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens mussten die DDR - Bonzen bald erkennen, denn ein Volk, dem suggeriert wird es sei frei, es aber nicht ist, lässt sich nicht unendlich bevormunden, verdummen und knechten und einen gewissen Grad an MUT hat jeder.

    Je mehr MUT, um so eher ist die ANGST überwindbar!

    Die DDR - Administration hatte sich zwar für ein in Frankreich entwickeltes Farbfernsehsystem entschieden - SECAM, um den Empfang des im Westen betriebenen Farbfernsehsystems - PAL zu unterlaufen, dabei aber nicht die durchaus vorhandene Intelligenz und Cleverness und den unglaublichen Hunger der Bürger nach Informationen bedacht oder beides völlig unterschätzt.

    Es gab unzählige Bauanleitungen für Antennen und Decoder des PAL-Farbsystems des Westens.

    In den Gebieten des Landes, in denen der Fernsehempfang westdeutscher Sender gegeben war, konnte man seinen Augen nicht trauen. Immerwährend sah man im Westfernsehen neue Autos, schmucke Häuser im Hintergrund, die auch noch super instand gehalten waren, saubere Straßen, aufgeräumte Abfallbehälter und so weiter und so fort. Zunächst nur schwarz/ weiß auf dem Bildschirm, schien es eine beeindruckende Ordnung und Sauberkeit sowie eine unsichtbare aber geordnete Struktur der Öffentlichkeit zu geben, die im Fernsehen natürlich nur zu erahnen war, nicht aber im wirklich sichtbaren Bereich lag. Dieser Eindruck war nach der Einführung des Farbfernsehens noch einmal dramatisch verstärkt worden.

    Mit unglaublichem Aufwand versuchte so ziemlich jeder Haushalt, möglichst scharfe Bilder der Westsender auf den heimischen Bildschirm zu bekommen.

    Zu interessant waren z. B. „Das aktuelle Sportstudio; „Die Sportschau, Filme wie „Stahlnetz und Berichte (vor allem politische Berichte wie „Welt-Spiegel) aller Couleur und aller anderen Genres des verfaulenden Kapitalismus. Die großen Unterhaltungssendungen am Samstagabend verzückten so manches Herz der bereits gesetzteren Generation, aber auch uns Kinder. Beat–Club, DISCO, die ZDF-Hitparade oder ähnliche Musiksendungen waren für die Jugend einfach genial.

    Es wurden sog. Antennengruppen auf die Dächer montiert, d. h. nicht nur eine Antenne wurde aufgebaut, sondern Doppelgruppen oder Vierfachgruppen, teilweise gigantische und abenteuerliche Bauwerke in unbegrenzte Höhen (der Himmel war die Grenze) wurden gebaut.

    Die entweder in Westberlin oder auf der westlichen Seite entlang der innerdeutschen Grenze angeordneten Sendeanlagen waren allesamt mit sehr hohen Sendekapazitäten ausgestattet. Westberlin, Torfhaus, Hoher Meissner, Ochsenkopf, Hof und viele andere Namen von Standorten der Sender waren bekannt und die Antennen wurden zu diesen Standorten hin ausgerichtet. Die Signale der Sender waren jedoch im jeweiligen Empfangsgebiet bereits so schwach, dass selbst eine Sammlung und Verstärkung dieser oft nicht ausreichte, um wenigstens einen einigermaßen guten Fernsehempfang, geschweige denn einen Fernsehgenuss sicherzustellen. Die Regel war: je weiter östlich und südlich, umso geringer die Chance „Westfernsehen" zu empfangen. Dresden und die Ober- und Niederlausitz waren solche Gegenden, wo aller mit den verfügbaren Materialien zu betreibender Aufwand nichts nützte.

    Die Stadt Dresden selbst und die Gegend des Elbtales wurde daher auch „Das Tal der Ahnungslosen" genannt. Im Norden Leipzigs konnten wir in relativ guter Bildqualität und ziemlich rauschfrei die Sendungen der ARD empfangen.

    Einen Empfang des ZDF hatten wir in unserem Haus nicht, obwohl auch wir in eine Antennen Zweier-Gruppe investiert hatten. Die Lage des Hauses rechtfertigte aber einen höheren Aufwand nicht, hatten sich doch einige Nachbarn schon mit großem Aufwand an Geld und Material daran versucht.

    Diese Erfahrung brauchte ich ja nicht auch noch zu machen und die gezielten Informationen der Sender der ARD reichten uns ja auch völlig aus.

    Nur manchmal ging ich zu einem Freund, um im ZDF eine besondere Sendung zu sehen, oder besser gesagt zu erahnen. Unser Anspruch an die Empfangsqualität war gelinde gesagt sehr niedrig oder gar nicht vorhanden (wir

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