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My German Dream: Eine unmögliche Karriere im Land der begrenzten Möglichkeiten
My German Dream: Eine unmögliche Karriere im Land der begrenzten Möglichkeiten
My German Dream: Eine unmögliche Karriere im Land der begrenzten Möglichkeiten
eBook293 Seiten3 Stunden

My German Dream: Eine unmögliche Karriere im Land der begrenzten Möglichkeiten

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Über dieses E-Book

Auf der Überholspur durch die Wand. Der einzige Weg zu mir selbst.
Ein Highschool-Abschluss und einige Brocken Deutsch: Mehr braucht Patrick Cowden nicht für den Aufstieg vom einfachen Betanker am Frankfurter Flughafen zum jüngsten Geschäftsführer einer Landesbank. Mit 29 ist er Millionär und der treueste Diener einer renditehörigen Wirtschaft.

Aber Cowdens Traum wird immer wieder zum Alptraum. Nach Rekordergebnissen verliert er jedes Mal seinen Job. Weil keiner seiner Chefs mit ihm zurechtkommt. Und er nicht mit ihnen und einem System, in dem Zahlen wichtiger sind als Menschen.

Erst nach drei Jahrzehnten als Topmanager und der schlimmsten Niederlage kommt Cowden an: bei sich selbst und der Mission seines Lebens.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum9. Apr. 2015
ISBN9783738679816
My German Dream: Eine unmögliche Karriere im Land der begrenzten Möglichkeiten
Autor

Patrick Cowden

Patrick D. Cowden wird 1964 als Sohn eines US-amerikanischen Drill Sergeants und einer Deutschen in Frankfurt am Main geboren. Über 25 Jahre gehört Cowden zum Topmanagement internationaler Unternehmen wie EMC, WestLB, Bertelsmann, Dell und Hitachi. 2008 gründet er Beyond Leadership. Mit seinem Beyond-Team unterstützt Cowden Organisationen auf dem Weg zu einem neuen Miteinander.

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    Buchvorschau

    My German Dream - Patrick Cowden

    krampften.

    Teil I TEILCHENBESCHLEUNIGUNG

    „…durch elektrische Felder auf große Geschwindigkeiten beschleunigt, erlangen die Teilchen eine Bewegungsenergie, die einem Vielfachen ihrer eigenen Ruheenergie entspricht."

    [Wikipedia]

    High-Speed-Engineer

    Null oder Eins: Im Herzen einer neuen Welt

    Das Erste, was beim Öffnen der Tür in mich drang war ein metallisches Sausen und Schwingen. In großen Schränken drehten sich schwere magnetische Scheiben in hoher Geschwindigkeit, als würden sie wie eine Hubschrauberstaffel abheben wollen. Vom Ende der unterirdischen Halle kam das stoische Brummen von Motoren und über allem lag ein Knistern, das nur eine geballte Masse Elektronik zu erzeugen vermag.

    Und dann dieser Geruch. Anders als das zähe Kerosin der Flugzeuge schmeckte Ozon kühl und zugleich verbrannt.

    Für einen Moment ging das Licht aus, und wie in der abgedunkelten Kommandozentrale eines Raumschiffes leuchteten unzählige Punkte auf, verschwanden wieder um von neuem aufzublinken, wenn der summende Kreislauf der Signale sie passierte. Ein vielfarbiges Orchester aus Schaltern und Bildschirmen.

    Was links und rechts, hinter und neben mir lärmte, atmete und leuchtete, war nichts anderes als die Zukunft.

    „Herr Cowden, bitte in den 3. Stock." Fast hätte ich die Durchsage überhört. Ich griff nach meiner Tasche mit den Schraubenziehern, die an der Spitze so breit waren wie der Kopf einer Stecknadel und kehrte zurück ins Tageslicht.

    Am Flughafen hatte ich zu jeder Sekunde das Wetter gespürt. Hier aber war eine andere, neue Welt. 24 Stunden am Tag herrschte in dem Rechenzentrum der Deutschen Bank mit seinen rotierenden Festplatten, den erhitzten Großrechnern vom Umfang komfortabler Badezimmer und der geräuschvoll arbeitenden Kühlanlage die gleiche angenehme Temperatur, ein endloser Lärm und ein grelles künstliches Licht. Eine laute aber saubere Werkstatt für Angestellte in weißen Kitteln.

    Die letzten vier Stufen des Treppenhauses nahm ich mit einem Satz, dann stürmte ich das Großraumbüro im dritten Stock.

    Als die schwere Tür hinter mir mit einem Knall ins Schloss fiel, wehte der Zugwind ein paar Papiere von den Schreibtischen.

    „Also wirklich", beschwerte sich eine Frau Mitte Dreißig im Flüsterton ein paar Meter entfernt. Bevor sie sich bückte, hatte ich die Blätter schon wieder auf ihrem Tisch.

    „I‘m sorry! Alles in Ordnung?" Sie rang sich ein halbes Lächeln ab, unschlüssig, ob sie nicht das Recht hatte, noch ein wenig länger pikiert zu bleiben. Gut gelaunt lächelte ich darüber hinweg und mitten hinein in das Großraumbüro vor mir, wo ein paar Dutzend Bankangestellte wie emsige Arbeitsbienen vor sich hin summten. Ich sah zu den vielen Regalen an den Wänden, den riesigen Aktenschränken dazwischen, den meterlangen Ordnerreihen und den Stapeln an Formularen auf den Tischen. Das alles konnte mich nicht täuschen.

    1987 hatte die Digitalisierung der Welt längst an Fahrt aufgenommen.

    Während Personal Computer seit Ende der siebziger Jahre zu ihrem Siegeszug in die Wohn- und Kinderzimmer angetreten waren, hatte sich in den Unternehmen längst vieles für immer verändert. Die große Zettelwirtschaft ging dem Ende zu. Die unfassbar großen Datenmengen, die Unternehmen jeden Tag produzierten, wurden längst nicht mehr nur auf vergänglichem Papier gespeichert, sondern unsichtbar und virtuell in fensterlosen Hinterzimmern.

    Dort, in den großen Rechenzentren mit ihren Tonnen schweren Servern, pochte, angefeuert vom US-amerikanischen Computer-Riesen IBM, immer schneller das Herz der digitalen Zukunft. Wer wusste, was dieses Herz zum Schlagen brachte, war besser als andere dafür gerüstet, die Chancen einer neuen Zeit wahrzunehmen. Und das war ich.

    In Deutschland gab es etwa 100.000 PC-Programmierer – aber nur etwa 1.000 Experten, die die Geheimnisse der Großrechner und Sprachen wie ‚Assembler‘ beherrschten, auf die Unternehmen mehr und mehr angewiesen waren.

    Neugierig hatte ich bei Air Canada dem einen oder anderen System-Administrator über die Schulter geschaut und mir gewünscht, diese unbekannte Welt von Grund auf zu verstehen.

    Mir war klar, dass ich für meinen Traum von einer Karriere etwas können musste, das so komplex war, dass nur wenige andere es verstanden.

    Kleine PCs zu programmieren, das schien mir ganz nett, aber nicht ehrgeizig genug; was ich wollte war die maximale Herausforderung. Ich wollte zu einer exklusiven Minderheit gehören: Mainfraime-Programmierer, das waren die Könner, die den Daten und damit auch den Unternehmen und ihren Mitarbeitern den Takt vorgaben, die ganze Systeme am Laufen hielten und immer weiter optimierten.

    Ich war zwar nie ein Computer-Nerd gewesen, hatte meine Zeit nicht zuhause hinter geschlossenem Vorhang mit dem Programmieren von Spielen verbracht – der Commodore 64, die Ikone einer neuen Generation, hatte mich nie interessiert.

    Aber hey, war nicht in meiner Lieblingsserie Star-Trek der Computer das Herzstück des Raumschiffes Enterprise?

    Es war immer die Zukunft mit ihren ungeahnten technologischen Möglichkeiten, die mich faszinierte. Auch wenn ich in diesem Leben wohl keine Raumschiffe mehr bauen würde – die Ausbildung zum Programmierer war die Chance, mein mathematisches Talent in die Waagschale zu werfen. Meine Leidenschaft war astreine unbezwingbare Logik, bei der es nur falsch oder richtig gab und kein Sowohl-als-auch. Null oder Eins.

    „Herr Cowden, schauen Sie sich das bitte an. Hier geht nichts mehr!" Der Abteilungsleiter konnte seinen Frust nicht verbergen.

    Um uns herum saßen seine Mitarbeiter, unterhielten sich leise, rührten gelangweilt in ihren Kaffeetassen oder schimpften mit ihrem PC, dem sie den Zusammenbruch des ganzen Systems anlasteten.

    „No problem, Sir." Voller Tatendrang schaute ich in die Runde, in der einige doppelt so alt waren wie ich. Ihre Programme liefen nicht über den eigenen PC, sondern noch über Server. Die meisten von ihnen akzeptierten nur widerwillig, dass der Erfolg ihrer Arbeit immer mehr von technischen Faktoren abhing. Die zwei Herren am Tisch nebenan beäugten mich kritisch. Ich war schon öfter an ihnen vorbei geeilt. Beide arbeiteten seit zwei Jahrzehnten bei der Deutschen Bank. Ebenso lange saßen sie sich gegenüber. Es amüsierte mich, dass sie sich noch immer siezten.

    „Darf ich Sie etwas fragen?" Ihr Blick sagte mir, dass ich einfach meine Arbeit machen sollte. Aber ich konnte nicht anders und wartete ihre Antwort nicht ab.

    „Wann bieten Sie Ihrem Kollegen denn nun endlich das Du an? Solange wie Sie hier zusammenarbeiten, müssten Sie eigentlich doch längst verheiratet sein." Erwartungsvoll lachte ich sie an. Eigentlich wollte ich nur die Stimmung ein wenig auflockern.

    „Junger Mann, auf Sie wartet Arbeit." Mit einem betretenen Schweigen vertieften sich beide wieder in ihren Unterlagen. Ich grinste, etwas betroffen, und drehte mich weg. Diese Steifheit – eine sehr deutsche Eigenschaft, wie ich fand – irritierte mich einfach immer wieder.

    Ich hatte keinen festen Arbeitsplan. Aber für einen System-Administrator gab es immer irgendetwas zu tun. Manchmal lief ich einfach nur durch die Büros, weil ich wusste, dass mein Anblick gleich den nächsten Hilferuf auslösen würde. Eines wurde mir bei der Deutschen Bank schnell klar. In einer Welt der Technik mit ihrer scheinbar lupenreinen berechenbaren Logik war das Unvorhersehbare, das Unbegreifliche und damit die menschliche Verzweiflung an der Tagesordnung. Irgendwo funktionierte immer irgendetwas nicht.

    Was andere in den Wahnsinn trieb, weckte meine Neugier.

    Den Kopf in das Gehäuse eines Rechners zu stecken, eine Idee auszuprobieren und wieder zu verwerfen um aufs Neue einem kniffligen Problem auf die Spur zu kommen und die großen Rechner wieder zum Laufen zu bringen, das war ein durch und durch befriedigendes Gefühl. Und ein neues, kribbelndes Aufputschmittel.

    Je schneller etwas erledigt werden musste und je unvorhergesehener es passierte, desto wahrscheinlicher war es bald, dass man nach mir rief. Es war für mich selbstverständlich, da zu sein, wenn man mich brauchte. Und mehr als das, ich wollte jeden Job, bei dem ich mich beweisen konnte.

    An einer privaten Schule hatte ich eine einjährige Ausbildung zum Mainfraime-Programmierer absolviert. Eine, die ich selbst finanzierte. Auch deshalb begann ich vom ersten Tag an mit absoluter Konzentration und Hingabe zu lernen. Zurück in der Schule – es hatte sich angefühlt wie eine zweite Chance.

    Was ich lernte, war mehr als nur zu programmieren. Während die Lehrer die Inhalte im Stundentakt abspulten und meine zwanzig Mitschüler eifrig alles mitschrieben, kämpfte ich mit der deutschen Sprache. Zu Anfang versuchte ich das, was ich verstand, auf Englisch festzuhalten – eine Transferleistung, die nicht nur ein Chaos auf dem Papier, sondern auch in meinem Kopf erzeugte. Also schrieb ich das, was ich verstand, auf Deutsch nieder, ohne je die Schriftsprache gelernt zu haben.

    In meinen Unterlagen entstand ein eigenwilliger, wahrscheinlich nur für mich verständlicher Sprachkosmos.

    Auf das, worauf es letztlich ankam, das Verstehen der Programmiersprache und das schnelle Durcharbeiten der dicken, eng bedruckten Handbücher, die fast immer in Englisch verfasst waren, war ich mit meinem Talent für Zahlen aufs Beste vorbereitet. Es fiel mir leicht, schwierigste Logarithmen nicht nur zu begreifen, sondern auch in unterschiedlichen Zusammenhängen anzuwenden.

    Was für andere aus meiner Klasse auf den ersten Blick öde Zahlenwüsten waren und auf den zweiten Blick ein verwirrender Dschungel aus unverständlichen Formeln, war für mich eine neue Welt, deren verschlungene Wege voller mathematischer Fallstricke mich faszinierte und die ich voller Entdeckerlust erobern wollte.

    Bewaffnet mit Handbuch und filigranen Schraubenziehern streifte ich nun hungrig durch das Rechenzentrum der Deutschen Bank, immer auf der Suche nach der nächsten Herausforderung.

    Nur ein paar Hundert Meter entfernt wohnend, genügte ein Anruf, wenn am Wochenende mal wieder ein paar Server ausfielen. Das Gefühl, gebraucht zu werden, ist eine Droge, die sich meist unbemerkt im Körper und Geist ausbreitet, sich dann aber umso wirksamer entfaltet. Bald hatte sie mich fest im Griff und ich hatte nichts dagegen.

    Nach einem Jahr verstärkten neue Kollegen unser Team, meist frisch von der Uni. Ich blieb mit Anfang Zwanzig der Jüngste. Es beflügelte mich. Denn was einer wirklich konnte oder nicht, zeigte sich erst, wenn die Plastikwände eines Rechners abgeschraubt waren und bei einer Operation am offenen IT-Herzen des Unternehmens die richtige Lösung gefunden werden musste. Wenn frustrierte und verärgerte Kollegen aus anderen Abteilungen so schnell wie möglich wieder einen einwandfreien Arbeitsablauf wollten. Diesem Druck konnte ich standhalten.

    Anders der neue Kollege vor mir, der gerade auf seinen Knien sitzend mit dem Kopf im Gehäuse eines Rechners hin und her zuckte, als würde ihm eine Reihe von Zuschauern den Blick auf die Bühne verstellen. Ich stand daneben. Mit verschränkten Armen versuchte ich mir meine Unruhe nicht anmerken zu lassen. Nur meine Fußspitze tippte einen wilden Takt. Die drei Sachbearbeiter, die uns umringten, hatten uns vor vierzig Minuten gerufen. Seitdem bemühte sich mein neuer Kollege. Meine leisen Ratschläge geflissentlich ignorierend.

    Entnervt stand er auf, schob sich die Brille auf der schweißnassen Nase nach oben, um die verzweifelten Kollegen und mich wissen zu lassen, dass man sich die Sache morgen noch mal in aller Ruhe anschauen müsse. Es sei doch etwas komplizierter.

    Mir reichte es.

    Mein Deutsch war nicht gut genug für ausschweifende Ausreden. Bevor er mich zurückhalten konnte, war ich auf den Knien. Es war sein Job, aber das war mir in diesem Moment egal. Nach ein paar Minuten, begleitet von dem immer noch nach Gründen suchenden Kollegen, hatte ich das Problem behoben.

    „Yeaah", war das Erste was ich rief, als ich wieder stand.

    Ich zeigte die Zähne, reckte die Arme in die Luft und ließ mir von den drei Sachbearbeitern gratulieren. Ich konnte nicht anders. Ich brauchte den Wettkampf. Dem verdatterten IT-Experten schlug ich auf die Schulter. „Don‘t worry."

    Dass ein noch so gut Ausgebildeter in seinen ersten Wochen nicht alles wissen konnte, das warf ich niemanden vor. Aber etwas anderes begann mich dagegen zu frustrieren.

    Irgendwann war auch zu mir durchgedrungen, dass die vielen Neueinsteiger von Anfang an weit mehr verdienten als ich, obwohl sie über keinerlei Berufserfahrung verfügten – dafür aber über einen akademischen Abschluss und einen Altersvorsprung von etwa sieben Jahren. Was nicht zählte, war die tatsächliche Leistung. Bisher hatte ich nicht über den Wert meiner Arbeit nachgedacht, jetzt horchte ich irritiert auf. Ich fühlte mich ungerecht behandelt. Ein Gefühl, das an meinem Stolz nagte.

    Ich wollte, dass die Nachfrage nach meinen Leistungen ihre Entsprechung auf meinem Lohnzettel fand. Das, was für mich raus sprang, für all die an Wochenenden geleisteten Überstunden, war mir auf einmal deutlich zu wenig. Der Sonderbonus für Akademiker, der vorab eine Ausbildung honorierte, ohne dass die Praxistauglichkeit bewiesen war, lief meinem uramerikanischen Verständnis von Wettbewerb zuwider.

    Mein Chef, ein gutmütiger Typ um die 50, der seit einer Dekade das Rechenzentrum leitete und sich wahrscheinlich am meisten freute, wenn man ihn in Ruhe ließ, hatte mir in den vergangenen zwei Jahren nie Probleme gemacht, aber auch nicht groß unter die Arme gegriffen. Er hatte mich machen lassen. Das war insoweit gut, als dass ich mir ungestört das aneignen konnte, was ich an Wissen über die Funktionsweise eines Rechenzentrums brauchte.

    Jetzt wollte ich sehen, dass er sich als mein Captain für mich einsetzen würde, dass meine tatsächlich erbrachten Leistungen so viel Wert waren wie ein akademischer Abschluss auf dem Papier. Und ja, auch mein Chef sah ein, dass etwas passieren musste.

    Zwei Wochen später lud er mich in sein Büro. Als ich eintrat strahlte er über beide Ohren.

    „Patrick, ich habe mich für Sie ins Zeug gelegt, ab nächsten Monat gibt es mehr." Ich begann mit ihm um die Wette zu strahlen – für ein paar Sekunden. Als er auf meine Frage, wie viel mehr es denn sei, mit 50 Mark im Monat antwortete, hörte ich schlagartig damit auf.

    Er freute sich, überhaupt eine Gehaltserhöhung herausgeschlagen zu haben. Ich dagegen empfand das als Beleidigung.

    Hatte mich mein eben noch über beide Ohren strahlendes Gesicht wie ein unbedarfter Teenager aussehen lassen, verriet der überraschte Ausdruck meines Chefs, dass meine erstarrten Gesichtszüge jetzt eine ganz andere Seite zeigten.

    „Das kann nicht Ihr Ernst sein. Für all das, was ich hier jeden Tag leiste. Für all die Wochenenden, die ich hier verbracht habe. Dafür, dass ich Ihr bester Mann bin, bezahlen Sie mich am schlechtesten? Ich will nur eine Antwort: Schaffen Sie es mir ein gerechtes Gehalt zu ermöglichen, Ja oder Nein?" Meine barsche Antwort stieß in förmlich zurück in seinen Sessel. Dann schob er sich nach vorne und legte die Unterarme auf den Schreibtisch: „In Unternehmen gibt es Regeln, die ausnahmslos für alle gelten. Dazu gehören auch die vereinbarten Tarifregeln. Sie tun gut daran, das zu akzeptieren.

    Auch, wenn Sie es nicht verstehen." Er hatte alles gesagt. Ich sparte mir jedes weitere Wort.

    Verdammt! Als ich abrupt aufstand, zuckte er zum Abschied nur mit den Schultern.

    Auf dem Weg nach Hause wurde ich mit jedem Schritt wütender.

    Es schmerzte, gegen diese Ungerechtigkeit nicht anzukommen.

    Egal, was ich konnte und wie viel ich leisten würde – bei der Deutschen Bank würde für mich, den Youngster ohne Studium, kein Weg nach oben führen, weder in meiner Position noch auf meinem Gehaltszettel. Die deutschen Tarifregeln, die ursprünglich dafür entwickelt worden waren, um gerechte Löhne durchzusetzen, waren für mich ein äußerst ungerechtes, leistungsfeindliches Karrierehindernis. Eines, das ich so schnell wie möglich hinter mir lassen wollte.

    Aufgebracht ging ich Richtung meiner Wohnung. Und übersah diesmal nicht, wie viele Male zuvor, ein Firmenschild:

    EMC2. Ich überlegte. Es war eine physikalische Formel.

    Energie gleich Masse mal Geschwindigkeit zum Quadrat.

    Einstein. Ich kannte die Formel noch aus meiner Schulzeit.

    Oder war es aus einer Folge von Raumschiff Enterprise? In diesem Moment konnte ich nicht wissen, dass es der Name einer Firma war, die in den folgenden eineinhalb Jahrzehnten einen sensationellen Aufstieg erleben würde.

    Der 1. Januar 2000 an der Wallstreet. An der New Yorker Börse richteten sich die Augen Hunderter Broker gespannt auf einen Mann. In seiner Hand die Schnur einer Glocke. Gleich würde er das neue Jahrtausend einläuten.

    Es ist eine besondere Ehre, die Mike Rüdgers zu Teil wurde, dem Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens EMC. Der Aktienkurs des US-amerikanischen Hardware-Herstellers war in den Neunziger Jahren um sagenhafte 39.000 Prozent gestiegen. In einer Dekade, in der die amerikanische Wirtschaft boomte wie nie zuvor, hatte sich das Unternehmen zum erfolgreichsten Wert an der New Yorker Börse entwickelt.

    Ende der Achtziger Jahre hätte darauf niemand eine Wette abgeschlossen. Der Riese IBM beherrschte unangefochten den Markt für Computer-Hardware als der unbedeutende Wettbewerber EMC sich daran machte die Verhältnisse zu ändern.

    Als Mitarbeiter Nummer 209 fing ich bei dem Unternehmen an, das zur Jahrtausendwende weltweit mehr als 35.000 Mitarbeiter haben sollte. Es war eine Zeit des Aufbruchs – für EMC und für mich.

    Mein Aufbruch begann im März 1988. Mein neuer Arbeitsplatz lag nur ein paar Hundert Meter entfernt von meinem vorherigen. Und doch lagen Welten dazwischen. Ging es bei der Deutschen Bank oft so bedächtig und bürokratisch zu wie bei einer Behörde, so schien bei EMC alles in Bewegung zu sein. Überall klingelten Telefone, wurde per Zuruf das nächste Treffen organisiert. Als würden die etwa zwei Dutzend Mitarbeiter der Frankfurter EMC-Filiale, die Verkäufer, Techniker und Vertriebsleute von denen kaum einer über 30 war, alle auf einmal in den öden kargen Gängen und Zimmern umher rennen. Auch wenn ich mit 22 Jahren noch immer einer der Jüngsten war, hier fühlte ich mich endlich unter Meinesgleichen.

    EMC war ein amerikanisches Unternehmen, auch in Deutschland. Der Umgangston war locker, man war per Du, und alle schienen es immer eilig zu haben. Es war ihren Augen abzulesen: Jeder meiner neuen Kollegen wollte etwas erreichen und war bereit, mehr dafür zu geben als nur acht Stunden pro Tag. Das war ich, der neue System Engineer, sowieso.

    Dennoch war ich überrascht, als mein erster Arbeitstag nicht um 18 Uhr endete, sondern dann erst richtig anfing.

    Einer der Verkäufer teilte mir hastig mit, dass ich mit ihm zu einem Kunden müsse. Und zwar sofort. Kaum hatte ich mich versehen, saß ich auf dem Rücksitz eines großen Audi und hielt mich krampfhaft an umzugskistengroßen Speichereinheiten fest, die man mir, mit der Bitte darauf Acht zu geben,

    auf den Schoss gelegt hatte. Die Bitte war berechtigt, denn vor mir am Steuer saß ein Verkäufer von der schnellen Sorte, von denen ich in den nächsten Jahren noch viele kennenlernen sollte.

    Das erste, was mir an ihm auffiel, war das, was nicht da war: an seiner rechten Hand fehlten drei, an seiner linken zwei Finger – wie er mir ungefragt erzählte, hatte er als Kind gerne mit Feuerwerkskörpern experimentiert. Vorsichtiger war er seitdem keineswegs geworden, seine Behinderung hinderte ihn nicht an einem mehr als gewöhnungsbedürftigen Fahrstil.

    Seit unserer Abfahrt in Frankfurt in Richtung Taunus-Berge bretterten wir durch ein weißes Nichts und Frau Holles Arme schienen nicht müde zu werden. Das Schwarz des Asphalts verriet den Verlauf der Straße nur noch in reifendünnen Spuren. Mein Kollege hielt das nicht auf, wir hatten es eilig.

    Vor uns lag eine vierstündige Autofahrt über Bundes- und Landstraßen, zu einem Kunden, der auf seine neuen Speichersysteme nicht länger warten wollte. Dort sollte ich die schweren Teile, die langsam aber sicher meine Knie taub werden ließen, installieren.

    „Auf welchem Betriebssystem läuft das Ganze eigentlich?" Ich schrie gegen den Lärmpegel des Autoradios an. Seine Antwort ließ mich kurz stocken: von dem Betriebssystem, das er nannte, hatte ich nicht die leiseste Ahnung. Er drehte sich nach hinten, schaute mich Kaugummi kauend mit offenem Mund an, um plötzlich mit seinem Kopf abrupt zwischen Beifahrersitz und Armaturenbrett zu verschwinden. Vor mir sah ich nur noch drei Finger am Lenkrad und durch die Windschutzscheibe eine Wand aus Schnee. Dass wir für ein paar Sekunden blind fuhren, störte ihn nicht. Dafür knallte mir von vorne ein dickes Etwas gegen meine Stirn.

    „Lies dir mal das Handbuch durch. Bis wir ankommen, solltest du das können. Und zwar richtig." Auf mich warteten 500 Seiten, randvoll gefüllt mit den Geheimnissen eines mir unbekannten Betriebssystems. Eingezwängt hinter dem Hochleistungspaket auf meinem Schoss, begann ich wie ein Scanner im Speed-Modus die Seiten zu überfliegen. Es war mein erster Tag und ich wollte mich beweisen.

    Der Schnee um uns herum schien jedes Geräusch zu verschlucken und ich versank in einer Welt aus Zahlen und Codes, aus der ich nur für kurze Momente erwachte. Meistens dann, wenn der Verkäufer mit einer Hand am Steuer ein halsbrecherisches Überholmanöver vollbrachte und sich nebenbei wieder einmal für einen kurzen Moment, der mir wie eine Ewigkeit erschien, nach hinten umdrehte, um Anekdotisches aus seinem Verkäuferdasein zum Besten

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