Studentische Hilfskräfte und MitarbeiterInnen: Soziale Herkunft, Geschlecht und Strategien im wissenschaftlichen Feld
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Über dieses E-Book
Christian Schneickert untersucht die Situation studentischer Hilfskräfte und MitarbeiterInnen an deutschen Hochschulen, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen. Dabei werden qualitative und quantitative Forschungsmethoden kombiniert und in einen umfassenden theoretischen Rahmen eingebettet, der sowohl aus bildungssoziologischer als auch aus arbeitssoziologischer Perspektive von aktuellem Interesse ist. Das Buch versteht sich als empirische Anwendung der Soziologie Pierre Bourdieus auf das akademische Feld in Deutschland.
Anhand von umfangreichem empirischem Material wird in diesem Buch gezeigt, wie die Arbeit als studentische Hilfskraft einerseits einen Reproduktionsmechanismus sozialer Ungleichheit im Bildungssystem darstellt und wie andererseits an deutschen Universitäten eine neue Form prekarisierter ArbeitnehmerInnen geformt wird, die für die zukünftige Organisation von Arbeitsverhältnissen in unserer Gesellschaft noch von erheblicher Bedeutung sein wird.
Christian Schneickert
Dr. Christian Schneickert ist Soziologe und Politikwissenschaftler, promovierte am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin und arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
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Buchvorschau
Studentische Hilfskräfte und MitarbeiterInnen - Christian Schneickert
[1] Christian Schneickert
Studentische Hilfskräfte und MitarbeiterInnen
[2][3] Christian Schneickert
Studentische Hilfskräfte und MitarbeiterInnen
Soziale Herkunft, Geschlecht und Strategien im wissenschaftlichen Feld
UVK Verlagsgesellschaft Konstanz · München
[4] Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-86764-330-6 (print)
ISBN 978-3-86496-380-3 (epub)
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© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2013
Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz
Einbandfoto: © Bigstock
UVK Verlagsgesellschaft mbH
Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz
Tel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98
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eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
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[5] Inhaltsverzeichnis
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Danksagung
1 Ausgangspunkt und Ziele
2 Das deutsche Bildungssystem
2.1 »Der Muff von 1000 Jahren«: Die Bildungsexpansion der 1960er
2.2 Bildungslaufbahn und Bildungstitel
2.3 Die Illusion der Chancengleichheit
2.3.1 Pisa und das dreigliedrige Schulsystem
2.3.2 Studium
2.3.3 Promotion
2.3.4 Studentische MitarbeiterInnen
3 Soziale Herkunft, Geschlecht und Strategien im wissenschaftlichen Feld
3.1 Habitus und Feld
3.1.1 Die Funktion von Bildung in der Reproduktion sozialer Ungleichheit
3.1.2 Feldspezifisches Kapital
3.1.3 Reproduktionsstrategien im Wandel
3.1.4 Habitus, praktischer Sinn und das wissenschaftliche Feld
3.2 Machtkämpfe und Strategien
3.2.1 Individualisierung und der Tod des Klassenbegriffs
3.2.2 Rhetorische Gleichberechtigung und faktische Benachteiligung
3.3 Das unternehmerische Selbst
[6] 3.3.1 Studentische ArbeitskraftunternehmerInnen
3.3.2 Projektbasierte Polis und Generation Praktikum
4 Methodisches Vorgehen
4.1 Qualitatives Forschungsdesign
4.2 Quantitatives Forschungsdesign
5 Die Perspektive der studentischen MitarbeiterInnen
5.1 Studentische MitarbeiterInnen im Studium
5.1.1 »Irgendwas machen um nicht nur ein normaler Student zu sein«
5.1.2 »Du traust dich dann mehr an der Uni«
5.1.3 »Ich hab auf einmal begriffen, was daran interessant sein kann«
5.2 Studentische MitarbeiterInnen auf dem wissenschaftlichen Feld
5.2.1 »Man vergisst oft, dass auch ein Professor ein Mensch ist«
5.2.2 »Als ob ich so ’n Hang zu solcher institutionellen Einbettung habe«
5.2.3 »Dass man ’ne gewisse Form von Stallgeruch annimmt«
5.2.4 »Also ich kann immer an diesem Lehrstuhl promovieren«
5.3 Studentische MitarbeiterInnen als ArbeitnehmerInnen
5.3.1 »Dass man halt gleichzeitig viel lernt und dabei Geld verdient«
5.3.2 »Wenn ich jeden Tag hier wäre, würde mich Vieles mehr ärgern«
5.4 ProfessorInnen und ihre studentischen MitarbeiterInnen
6 Situation und Lage von studentischen MitarbeiterInnen
6.1 Definition und Gesamtzahl
6.2 Sozialstrukturelles Profil
6.2.1 Soziale Herkunft: Ökonomisches und kulturelles Kapital
6.2.2 Geschlecht – Nationalität – Alter
[7] 6.2.3 Bildungswege und Fachbereiche
6.2.4 Bundesländer
6.3 Beschäftigungsverhältnisse
6.3.1 Rekrutierung und Arbeitsverträge
6.3.2 Löhne
6.3.3 Tätigkeiten
6.4 Arbeitsbedingungen
6.4.1 Motivation
6.4.2 Einschätzung
6.4.3 Zufriedenheit
6.5 Bildungssoziologische Befunde
6.5.1 Sozialstrukturelle Befunde
6.5.2 Promotionswille
6.5.3 Feldspezifische Sozialisation
6.6 Arbeitssoziologische Befunde
6.6.1 Tätigkeitenteilung
6.6.2 Studentische ArbeitskraftunternehmerInnen
7 Fazit
Literatur
Anhang
(Online-) Fragebogen
Sampling-Fragebogen (Qualitatives Sampling)
Interview-Leitfaden (Studentische Hilfskräfte)
Postscriptum
Interview-Leitfaden (ProfessorInnen)
[8] Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Tabelle 1: Transkriptionsregeln
Tabelle 2: Sample der qualitativen Erhebung
Tabelle 3: Staatsangehörigkeit
Tabelle 4: Durchschnittliche Abiturnoten nach Geschlecht
Tabelle 5: StuMi / Studierende nach Fachbereichen
Tabelle 6: Fachbereiche nach Geschlecht
Tabelle 7: Studentische MitarbeiterInnen nach Bundesland
Tabelle 8: Bewertung der Bundesländer nach ausgewählten Kriterien
Tabelle 9: Tätigkeiten von studentischen MitarbeiterInnen
Tabelle 10: Faktorenanalyse der Tätigkeiten von StuMis
Abbildung 1: Gymnasialempfehlungen und tatsächliche Leistungsanforderungen nach Geschlecht und Bildung der Eltern
Abbildung 2: Besuch der Oberstufe nach Beruf des Vaters
Abbildung 3: Übergang Bildungsschwellen
Abbildung 4: Promovierende, die während des Studiums als StuMi beschäftigt waren
Abbildung 5: Kulturelles Kapital
Abbildung 6: Ökonomisches Kapital
Abbildung 7: Gemeinsames Jahreseinkommen der Eltern
Abbildung 8: Eltern mit Abitur (Vergleich StuMi/Studierende)
Abbildung 9: Eltern mit Hochschulabschluss (Vergleich Studierende / StuMis / Gesamtbevölkerung)
Abbildung 10: Soziale Herkunft (Vergleich StuMis / Studierende / Promovierende)
[9] Abbildung 11: Altersstruktur der studentischen MitarbeiterInnen
Abbildung 12: Studierende und StuMis nach Bundesland
Abbildung 13: Art der Rekrutierung
Abbildung 14: Art der Rekrutierung nach Fachbereich
Abbildung 15: Vertragslaufzeiten
Abbildung 16: Vertragslaufzeiten nach Bundesland
Abbildung 17: Vertraglich vereinbarte Stunden pro Monat
Abbildung 18: Vertragliche Stunden pro Monat nach Fachbereich
Abbildung 19: Vertragliche Stunden pro Monat nach Bundesland
Abbildung 20: Durchschnittlicher Stundenlohn von StuMis
Abbildung 21: Durchschnittlicher Stundenlohn nach Bundesland
Abbildung 22: Tätigkeiten von studentischen MitarbeiterInnen
Abbildung 23: Arbeitsbereiche von StuMis
Abbildung 24: Korrespondenzanalyse: Studentische MitarbeiterInnen auf dem wissenschaftlichen Feld
Abbildung 25: Motivation für die Beschäftigung als StuMi
Abbildung 26: Einschätzung der Arbeitsbedingungen
Abbildung 27: Zufriedenheit mit dem Anstellungsverhältnis
Abbildung 28: Gesamtzufriedenheit nach Bundesland
Abbildung 29: Zufriedenheit mit Bezahlung nach Bundesland
Abbildung 30: Geplante Promotion
Abbildung 31: Geplante Promotion nach Geschlecht
Abbildung 32: Geplante Promotion nach sozialer Herkunft
Abbildung 33: Arbeitsbereiche nach sozialer Herkunft
Danksagung
[10] Das vorliegende Buch ist der Abschluss eines vierjährigen Forschungsprojektes das viele Menschen begleitet und ermöglicht haben und denen an dieser Stelle mein Dank gilt.
Für die zahlreichen Anmerkungen, die Korrekturen, die deutliche Kritik und die hervorragende Unterstützung über diese Zeit und darüber hinaus möchte ich zunächst besonders Anna Güthler und Alexander Lenger danken.
Die entscheidende und letzte Phase des Projekts, indem die quantitative Erhebung durchgeführt wurde, ist besonders durch die gute Zusammenarbeit mit Alexander Lenger und Stefan Priebe ermöglicht und geprägt worden, denen ich hierfür herzlich danken möchte. Bei Tobias Rieder und Christopher Wimmer bedanke ich mich für die produktive Zusammenarbeit rund um die weiterführende Analyse der Daten für Kapitel 6.
Ferner danke ich allen Studierenden, die mein Seminar zur Soziologie Pierre Bourdieus im Wintersemester 2011 / 2012 an der Humboldt-Universität zu Berlin besucht und ihre Auffassungen eingebracht haben.
Die Erhebung wäre nicht ohne die Unterstützung der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), insbesondere Andreas Keller und die Max-Träger-Stiftung möglich gewesen. Ihnen gilt mein besonderer Dank.
Dem Thema entsprechend möchte ich mich zudem für die hervorragende Arbeit der beteiligten studentischen MitarbeiterInnen Stefan Priebe (Freiburg) sowie Regine Schwab und Andreas Kroneder (beide Berlin) bedanken.
Für die fachliche und institutionelle Betreuung danke ich Klaus Eder, Hermann Schwengel, Nina Degele und Boike Rehbein.
Von unschätzbarem Wert war darüber hinaus die kritische Lektüre von Florian Schumacher, Johanna Wintermantel, Jonas Meixner, Sonja Schneickert und Simon Degen sowie die infrastrukturelle und persönliche Unterstützung von Winny und dem Kyosk.
[11] 1 Ausgangspunkt und Ziele
„Man wusste halt auf einmal sehr viel über die Profs, was man als Student nie mitbekommen hätte, und das ist glaube ich ganz gesund." (Hilfskraft, Geschichte)
„Klar die Knete, aber die ist ja eigentlich ein Witz. Also von daher war das im Prinzip immer eine strategische Entscheidung, bringt mir das was." (Hilfskraft, Soziologie)
„Das steht so in dem Kontext, dass man irgendwas machen muss, also von diesem Gefühl man muss irgendwas machen, um nicht nur ein normaler Student zu sein." (Hilfskraft, Politik)
Gegenstand dieser Untersuchung ist die Situation studentischer Hilfskräfte und MitarbeiterInnen¹ an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Studentische MitarbeiterInnen (StuMi) sind von einer Hochschule oder Forschungseinrichtung angestellte Studierende, die auf Stundenbasis Hilfstätigkeiten für Forschung und Lehre und hiermit zusammenhängende Verwaltungstätigkeiten ausführen (Lenger / Schneickert / Priebe 2012: 12). Die Tätigkeit als StuMi gilt als produktive, karrierefördernde Station innerhalb der individuellen Bildungslaufbahn, deren Arbeit aus dem deutschen Forschungsbetrieb nicht mehr wegzudenken ist (vgl. BMBF 2006: 18). Gleichzeitig aber werden die teilweise prekären und entformalisierten Arbeitsverhältnisse zunehmend Ziel gewerkschaftlicher Kritik (vgl. http://www.gew.de/Studentische_Beschaeftigte_und_wissenschaftliche_Hilfskraefte.html).
[12] Studentische MitarbeiterInnen bieten demnach ein außerordentlich interessantes Forschungsfeld für zwei Teilbereiche der soziologischen Analyse (siehe ausführlich Schneickert / Lenger 2010). Einerseits, aus bildungssoziologischer Perspektive, d. h. als Strategie innerhalb einer individuellen Bildungslaufbahn, andererseits, aus arbeitssoziologischer Perspektive, d. h. als moderne, hochqualifizierte und voll flexibilisierte ArbeitnehmerInnen.
Aus bildungssoziologischer Sicht sind dabei insbesondere folgende drei Befunde von gesteigertem Interesse: Erstens kommen studentische MitarbeiterInnen überdurchschnittlich oft aus bildungsnahen Haushalten (siehe ausführlich Abschnitt 6.2.1), zweitens war die Mehrzahl der Promovierenden in Deutschland während des Studiums als StuMi beschäftigt (BMBF 2006: 19; Lenger 2008: 104) und drittens sind die privilegierten beruflichen Positionen in der Gesellschaft auch weiterhin stark von der sozialen Herkunft abhängig, auch wenn die Positionen heute über höhere Bildungstitel verteilt werden (vgl. exemplarisch Allmendinger / Aisenbrey 2002: 54; Müller / Steinmann / Schneider 1997: 219). Entsprechend lautet die bildungssoziologische These, dass die Anstellung als StuMi eine vermittelnde Position im wissenschaftlichen Feld (Bourdieu 1992 [1984]) darstellt, die den Übergang von Studium zur Promotion, d. h. den Eintritt in dieses Feld maßgeblich organisiert.
Aus arbeitssoziologischer Perspektive sind ebenfalls drei Punkte hervorzuheben: So sind Forschungseinrichtungen erstens moderne Großorganisationen (siehe Weber 1922), die sich durch einen hohen Bedarf an flexiblen und günstigen Arbeitskräften auszeichnen. Diese Nachfrage wird zu einem nicht unwesentlichen Teil mittels studentischer MitarbeiterInnen abgedeckt (vgl. hierzu auch schon Vogel 1970: 155). Zweitens wird die Etablierung prekärer Arbeitsverhältnisse im Sinne der „Generation Praktikum" (siehe Briedis / Minks 2007; Kirschler / Kastlunger / Braunger 2007) wahrscheinlich, da die Anstellung als studentischeR MitarbeiterIn subjektiv als lohnenswerte Investition in den individuellen Ausbildungs- und Karriereweg wahrgenommen wird. Drittens erfolgt eine Anpassung der eigenen Ansprüche und Bedürfnisse an die Anforderungen der modernen kapitalistisch organisierten Ökonomie durch eine Gewöhnung junger und hochqualifizierter Personen an unsichere und entformalisierte Beschäftigungsverhältnisse schon während der Ausbildungsphase.
[13] Die vielen Vorteile, die eine höhere Bildung für die spätere Position in der Sozialstruktur der Gesellschaft mit sich bringt, werfen die Frage auf, wie das gesellschaftliche Gut Bildung auf die Bevölkerung verteilt wird. Dass Bildung sozial ungleich verteilt ist und daraus ungleiche Positionen in der Gesellschaft resultieren, ist sozialwissenschaftlich umfangreich untersucht (siehe exemplarisch Bourdieu / Passeron 1971; Boudon 1974; Bourdieu et al. 1981; Bourdieu 1982 [1979]; Blossfeld / Shavit 1993; Krais 1996; Hartmann 2002; Shavit 2007; Becker / Lauterbach 2008; Lenger 2008). Die Gründe für unterschiedliche Bildungserfolge sind aber letztlich umstritten. Entgegen der Position, die ungleichen Zugangsmöglichkeiten zu Bildung ergäben sich aus IQ-Unterschieden zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen (vgl. zu der Debatte um diese Position unter anderem Herrnstein / Murray 1994 und Brody 1992), ist in der Soziologie weitgehend unumstritten, dass die biologische Ausstattung mit ‚Intelligenz‘ diese Unterschiede nicht hinreichend erklären kann (siehe Ashenfelter / Rouse 2000; Flynn 2000). Vielmehr müssen ökonomische, kulturelle und soziale Faktoren herangezogen werden, wie dies der Soziologe Pierre Bourdieu in seinen bildungssoziologischen Analysen herausgearbeitet hat (siehe v. a. Bourdieu / Passeron 1971; Bourdieu / Boltanski 1981 [1975]; Bourdieu 1982 [1979]). Während etwa Raymond Boudon (1974) die ungleiche Verteilung von Bildung, unter der Prämisse rationalen Handelns, eher als Folge unterschiedlicher Möglichkeiten zum Aufbringen der Bildungskosten bei verschieden rationaler Bewertung der möglichen (späteren) Erträge aus Bildung zu erklären versucht, integriert Bourdieu in seine Überlegungen die frühe familiäre und gesellschaftliche Sozialisation. Das Lernen der relevanten sozialen Codizes bestimmt so die relative kulturelle Nähe bzw. Distanz bestimmter Gruppen oder Klassen zu den Regeln und Anforderungen des Bildungssystems (vgl. Bourdieu 1977). Entsprechend lässt sich auch die Situation studentischer MitarbeiterInnen sinnvoll anhand der theoretischen und methodischen Begriffe und Konzepte Bourdieus erörtern.
In Anschluss an Bourdieus Untersuchungen in Frankreich haben aktuelle Studien zur Rolle der Promotion in Deutschland gezeigt, dass diese einen Mechanismus der Elitebildung (siehe Hartmann 2002) und der Reproduktion sozialer Ungleichheit (siehe Lenger 2008) darstellt. Zudem haben insbesondere die Befragungen von ProfessorInnen (Engler 2001) und PrivatdozentInnen[14] (Beaufaÿs 2003) Aufschluss über die Funktionsweise des wissenschaftlichen Feldes in Deutschland gegeben.
Studentische MitarbeiterInnen in Deutschland sind bisher jedoch kaum erforscht. Bisherige Studien erreichten 100 studentische MitarbeiterInnen an der Universität Göttingen (siehe Vogel 1970), 154 studentische MitarbeiterInnen an der Universität Marburg (siehe Regelmann 2004) sowie 85 studentische MitarbeiterInnen an der Universität Regensburg (siehe AK Gewerkschaft 2010). Darüber hinaus finden sich verstreut Daten in den Studierendensurveys, welche seit 1987 Daten zum Beschäftigungsumfang erheben (Simeaner et al. 2007; Simeaner / Ramm / Kolbert-Ramm 2010).²
Die vorliegende Untersuchung stellt die abschließende und umfassende Arbeit eines vierjährigen Forschungsprojekts zur Situation und Lage studentischer MitarbeiterInnen dar. Das empirische Material besteht aus 14 einstündigen, biographischen, teilnarrativen Leitfadeninterviews, in denen studentische MitarbeiterInnen aus drei Fächern zu Biographie, Motiven, Studien- und Arbeitssituation befragt wurden; einer bundesweiten Telefonbefragung von Personalräten deutscher Universitäten; zehn problemzentrierte Interviews mit ProfessorInnen aus drei Fächern hinsichtlich ihrer Einschätzung der Situation von studentischen Hilfskräften und einer quantitativen Online-Erhebung (n=3961). Letztere ist die eigentliche Haupterhebung, die in Zusammenarbeit mit Alexander Lenger und Stefan Priebe durchgeführt wurde und auf einer bundesweiten Online-Befragung von 3961 Hilfskräften aus 139 Fächern im Zeitraum zwischen Januar und Mai 2011 beruht. Diese Erhebung wurde mit Unterstützung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Max-Träger Stiftung durchgeführt, die grundlegenden[15] Ergebnisse wurden in einer Broschüre der Gewerkschaft veröffentlicht (siehe Lenger / Schneickert / Priebe 2012).
Das hier vorgeschlagene Buch fasst den gesamten Forschungsprozess und viele noch unveröffentlichte Ergebnisse zusammen. Es gibt den empirischen Ergebnissen einen umfassenden theoretischen Rahmen. Dazu werden die Ergebnisse arbeitssoziologisch, mit dem Konzept des ‚Arbeitskraftunternehmers‘ als moderne Form der Selbstausbeutung, und bildungssoziologisch, als Strategie im wissenschaftlichen Feld nach dem Konzept Pierre Bourdieus, eingeordnet. Das Buch stellt somit die erste bundesweite, empirische und theoretische Abhandlung zur Rolle der studentischen MitarbeiterInnen im deutschen Bildungswesen dar.
Die Monographie gliedert sich wie folgt: Im zweiten Kapitel wird die Verbindung von Bildung und sozialer Ungleichheit im deutschen Bildungswesen dargelegt. Dabei wird die Anstellung als StuMi als eine Bildungsstation innerhalb einer Bildungslaufbahn verortet. Es ist davon auszugehen, dass zwischen askriptiven Faktoren (soziale Herkunft, Geschlecht etc.) und dem Erfolg im Bildungssystem sowie dem Zugang zu den privilegierten gesellschaftlichen Positionen keine unmittelbare deterministische Verbindung besteht, sondern die Wirkungen sozialer Ungleichheit über eine Vielzahl von Mechanismen innerhalb des Bildungssystems vermittelt werden. Die Überlegungen werden zusammen mit den Erkenntnissen über das Bildungssystem im dritten Kapitel systematisch an die theoretischen Überlegungen Bourdieus rückgebunden. Die Annahmen zum wissenschaftlichen Feld und den Überlegungen zur Wirkung strukturierter sozialer Ungleichheit werden mit den Konzepten von Habitus, Feld und Kapital so auf die spezifische empirische Fragestellung zugeschnitten. Ergänzt werden diese bildungssoziologischen Überlegungen durch die arbeitssoziologischen Konzepte von unternehmerischem Selbst, projektbasierter Polis und ArbeitskraftunternehmerInnen. Anschließend wird im vierten Kapitel (Methodologie) gezeigt, wie die theoretischen Überlegungen in ein Forschungsdesign übersetzt werden, das qualitative und quantitative Methoden kombiniert. Im fünften Kapitel werden die Ergebnisse der qualitativen Analyse präsentiert. In den biographischen Interviews zeigt sich, dass die Praxis der Akteure zwischen familiärer und feldspezifischer[16] Sozialisation deutlich komplexer ist, als es die These von der Reproduktion sozialer Ungleichheit nahe legt.
Entsprechend wurde aufbauend auf den zentralen Befunden der qualitativen Studie das Design der quantitativen Studien entwickelt. Deren Ergebnisse präsentiert das sechste Kapitel und informiert über die statistischen Zusammenhänge von sozialstrukturellen Merkmalen und der Praxis im wissenschaftlichen Feld. Abschließend fasst das Fazit (siebtes Kapitel) die theoretischen und empirischen Ergebnisse zusammen und diskutiert die politischen und theoretischen Implikationen. Demnach stellt die Situation und Lage der studentischen MitarbeiterInnen einerseits einen Indikator für den Strukturwandel der Arbeitsformen dar, der die Neuregulierung traditioneller arbeitspolitischer Rahmenbedingungen notwendig macht. Auf theoretischer Ebene ist andererseits die, auf familiärer Sozialisation und Kapitalausstattung beruhende, klassische Reproduktionsthese Bourdieus durch den Effekt sekundärer, feldspezifischer Sozialisation zu ergänzen.
[17] 2 Das deutsche Bildungssystem
Die Verteilung der Positionen im Erwerbsleben sowie der Lebenschancen von Menschen finden in modernen Gesellschaften überwiegend über das Bildungssystem statt. Bildung bestimmt die Erwerbschancen, den beruflichen Status und das Einkommen von Individuen sowie deren Wissen, Kulturfertigkeiten und Aspekte politikrelevanten Handelns