Über dieses E-Book
Diese Botschaft passt nicht nur perfekt zu diesem Buch, sondern ganz besonders auch zu Band 3 („Frontmann“) der Trilogie. Obwohl es sich bei beiden Romanen um eine spannende Mischung aus Realität und Fiktion handelt, basieren sie auf den wahren Erlebnissen von Max Bört, der zentralen Figur der Erzählungen. Durch kreative und packende Details werden die Geschichten so lebendig, fesselnd und authentisch geschildert, dass die Wahrheit dabei nicht aus den Augen verloren wird. Band 3 besticht zusätzlich durch nahezu originale Briefwechsel und Szenen, die das Leseerlebnis noch intensiver und glaubwürdiger machen.
Wolfgang Berg
Wolfgang Berg, geboren 1944 in Burg im Spreewald, hat dort seine Kindheit und Jugend verbracht. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern sowie Großvater von drei Enkeln. Sein Beruf ist Kaufmann, seine Hobbys sind Musik und das Schreiben. Tauchen Sie ein in die faszinierenden Welten seiner Bücher und erleben Sie spannende Abenteuer, emotionale Höhen und Tiefen sowie unvergessliche Charaktere.
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Buchvorschau
Geboren, um zu leben - Wolfgang Berg
Krieg
Wilhelmine wartete sehnsüchtig auf eine Nachricht von ihrem Mann. Es war Krieg, 1943, und er war an der Ostfront stationiert. Lange hatte er sich nicht gemeldet. In seinem letzten Brief erwähnte er die Rasputiza, eine Zeit im Herbst, in der der Regen die Landschaft unpassierbar machte und der Krieg unangenehm war. Mehr hatte er nicht mitgeteilt. Besorgt fragte sich Wilhelmine: „Ist ihm in diesem fremden Land etwas zugestoßen? Und was suchen wir Deutschen überhaupt dort?" Jeden Tag stand sie dem Briefträger gegenüber und hoffte auf ein kleines Lebenszeichen ihres Mannes.
Sie wollte auf keinen Fall einen Brief von seinen Vorgesetzten erhalten. In diesen Briefen, die vielen Müttern und Frauen das Herz brachen, hieß es meist: „Er ist für Führer, Volk und Vaterland gefallen". Eines Tages erhielt Wilhelmine die schreckliche Nachricht, dass ihr Mann in einer Schlacht sein rechtes Bein verloren hatte und die Ärzte um sein Leben kämpften. Als sie später einen Brief von ihm selbst aus dem Lazarett in Goslar erhielt, war sie überglücklich und wollte ihn sofort besuchen. Doch sie musste noch vier lange Monate warten, bis er so weit genesen war, dass sie ihn besuchen durfte. Am 23. Februar 1944 reiste sie nach Goslar, dem Tag, als ihr erster Sohn vier Jahre alt wurde. An diesem Tag beginnt auch die Geschichte von Julian Bört.
*
An einem trüben Novembertag des Jahres 1944 erblickte Julian das Licht der Welt. Er war kein Wunschkind, denn es herrschte Krieg und seine Eltern hatten kaum das Nötigste, um die bereits fünfköpfige Familie zu ernähren. Die drei Geschwister im Alter von zwei, vier und fünf Jahren litten zudem an Unterernährung. Und jetzt auch noch diese Geburt? Offiziell gab es keine Lebensmittel zu kaufen, an Kleidung und andere Dinge war erst recht nicht zu denken. Tatsächlich war Julians Existenz nur dem Zufall zu verdanken und begann bereits neun Monate vor diesem Novembertag.
*
Während der letzten Kriegstage kam es in Burg zu heftigen Kämpfen zwischen russischen und deutschen Truppen. Eine Familie mit vier kleinen Kindern, darunter Julian im Kinderwagen, befand sich mittendrin auf der Flucht. Sie hatten sich in einer Scheune auf den Wiesen zwischen Werben und Burg in Sicherheit gewähnt, doch mussten diese vermeintliche Sicherheit verlassen. Deutsche Soldaten hatten dort Stellung bezogen und lieferten sich bald ein Feuergefecht mit den Russen.
Wilhelmine und ihr Mann, dem vor nicht allzu langer Zeit das rechte Bein amputiert worden war, kämpften sich unter Artilleriebeschuss durch die Wiesen. Über Gräben und Fließe, die keine Brücken mehr hatten - sie waren gesprengt worden -, führte ihr Weg zunächst zurück in ihr Wohnhaus. In diesem Spreewaldhaus lagen sie hinter dicken Bohlen der Außenwand, die Schutz vor Einschüssen in die Wohnräume bieten sollten. Am nächsten Tag führte ihr Weg, nicht weniger gefährlich, zu einer Bekannten nach Burg Kauper.
Die Eltern werden später nicht über die schrecklichen Erlebnisse sprechen - können - es kommt ihnen nicht über die Lippen. Und die Kinder? Die haben es Gott sei Dank vergessen. Aber ein Satz von Wilhelmine, den sie in ihren Memoiren zitiert, spricht Bände: „Ich möchte es mir ersparen, über einzelne schreckliche Erlebnisse zu berichten."
Nachkriegsjahre
Ich habe das Dritte Reich nicht bewusst erlebt und auch den Beginn der neuen Zeit mit dem von den Russen diktierten Kommunismus nicht. Meine ersten Erinnerungen habe ich an Trebendorf. Dorthin zog es meine Eltern nach dem Krieg, um in der Landwirtschaft Fuß zu fassen.
In späteren Jahren erkannte ich, wie hart sie gearbeitet haben, um erfolgreich zu sein. Ich realisierte, dass ihre körperliche Konstitution gegen diesen selbst auferlegten Zwang sprach, dass aber die Hungersnot sie dazu zwang und - ihre Kinder. Ihnen sollte das erlebte Leid einmal erspart bleiben, es sollte ihnen besser gehen als den Generationen vor ihnen.
*
„Mama, hatte ich Jahre später Wilhelmine gefragt: „Wie war das damals in der ersten Zeit in Trebendorf, als ich krank war und ständig in dem Bett liegen musste? Ich kann mich nur noch an ein großes Mädchen erinnern, das sich sehr um mich bemüht hatte.
Wilhelmine erzählte: Es war ein dunkler, feuchter Raum, in dem dein eisernes Gitterbett direkt neben der Eingangstür stand. Der ursprünglich weiße, poröse Lack des Bettgestells saugte die hohe Luftfeuchtigkeit wie ein Schwamm auf. Er verlieh dem Bettchen, an das du ständig wie gefesselt lagst, ein gelblich-braunes Aussehen. Ohne fremde Hilfe konntest du dieses Bett nicht verlassen. Weit über dir drang spärliches Licht durch das einzige Fenster des Zimmers.
Die Wand rings herum war schadhaft, abgefallene Putzflächen gaben die Sicht auf feuchte, rote Mauersteine frei. An der noch intakten Wand haftete dunkelgrüne, aufgeplatzte Ölfarbe. Darauf suchten sich Schwitzwasserrinnsale ihren Weg. Sie entstanden, wenn ich früh Feuer machte, durch die plötzliche Hitze der eisernen Kanone. Ich hatte diesen Ofen, bevor ich die Wohnung verließ, mit Rohbraunkohle befeuert. Dort, wo der Putz fehlte, versiegten die Wasserspuren in dem roten Zigelstein. An anderen Stellen hatten sie von der Decke bis zum Boden wieder freie Bahn.
Irmgard, das Schulmädchen, erzählte, dass du gern durch die Gitterstäbe des Bettchens gegriffen hattest. Dann strichst du über die feuchte Wand und lecktest das Wasser von deinen Händen.
Ich hatte wenig Zeit für dich, übergab die Aufgabe deiner Umsorgung deinen Brüdern. Aber die spielten lieber mit den anderen Kindern irgendwo draußen, als sich um dich Kleinen zu kümmern.
Aber Irmgard hat sich wirklich liebevoll um dich gekümmert. Es ist erstaunlich, dass du dich an sie noch erinnern kannst. Nach der Schule spielte sie mit dir und brachte dir sogar das Laufen bei, das du in den Wirren der Nachkriegszeit verlernt hattest. Zu Weihnachten sah die Welt bei dir schon ganz anders aus. Davon hatte ich dir ja schon erzählt.
„Ja, Mama."
Heiligabend 1947
Im Foyer des Schlosses standen die Trebendorfer dicht gedrängt und lauschten den Worten des Pfarrers. Ich harrte neben meiner Oma aus, ersehnte den Weihnachtsmann nach der Messe. Doch meine Oma sang und betete begeistert mit dem Herrn Pfarrer um die Wette, und es schien kein Ende in Sicht. Stolz trug sie dabei ihren Rosenkranz, diese Gebetskette mit einem Kreuz und 59 Perlen, über ihrem Mantel.
Als kleines Kind verstand ich nichts von all dem und konnte auch den Sinn der Lieder und Gebete nicht erfassen. Später erkannte ich jedoch, dass es sich bei diesem jahrhundertealten Vokabular um fromme Wünsche handelt, die das Wohlergehen der Kinder sowie den Frieden auf Erden zum Ziel haben. Mir wurde aber auch klar, dass diese Wünsche seit Menschengedenken nicht erfüllt wurden. Mit seinen Gebeten wollte der Pfarrer seinen Zuhörern erneut Frieden schenken, nicht ahnend, dass er zumindest für mich und alle Deutschen recht behalten sollte. Mit Ausnahme meines 18-monatigen Militärdienstes, in dem wir den Krieg gegen den „Klassenfeind" probten, wurden die kleinen und großen Konflikte in Deutschland weitgehend friedlich ausgetragen.
Auch hier im Schloss herrschte eine friedliche und feierliche Stimmung. Bei den Liedern „Stille Nacht und „O du fröhliche
bewegten sich sogar meine Lippen. Die festliche Stimmung und der herzergreifende Gesang ergriffen mich so sehr, dass ich meine eigene Melodie anstimmte. Offensichtlich hatte ich aber nicht den richtigen Ton getroffen, denn meine Oma zischte: „Julian, pst - sei leise!"
Ich nahm mir die Mahnung zu Herzen, hielt mich artig am langen Mantel meiner Oma fest und musterte die vielen Besucher. Dann erkundeten meine Blicke das Areal des Raumes und verweilten kurzzeitig an einem riesigen Elefantenkopf. Ich wusste damals nicht, dass dieser Kopf, dessen Rüssel und die Stoßzähne drohend in den Raum hinein ragten, eine Jagdtrophäe des ehemaligen Besitzers dieses Schlosses, Gneomar von Natzmer, war.
Der verbrachte dieses Weihnachtsfest nicht mehr in seinem Domizil. Er war in diesem Teil Deutschlands nicht erwünscht und längst in den Westen Deutschlands geflohen. Davon wusste ich natürlich damals auch noch nichts und es wäre mir da sicher auch egal.
Jedoch ließ mir der furchteinflößende Elefantenkopf nicht unberührt. Sofort wandte sich mein Blick von ihm ab. Ich drängte mich an meine Großmutter und übertönte mit meiner schrillen Stimme die Predigt des Pfarrers. Die Oma hatte keine andere Wahl, als mich unter ihren Arm zu klemmen und gemeinsam mit meinen Brüdern nach Hause zu gehen.
Dort wartete der Weihnachtsmann. Es war der Förster mit seinen immer knallroten Wangen, seiner roten Knollennase, den langen weißen Haaren und einem passenden Bart dazu und alles Natur. Der übernahm gern diese Aufgabe, brauchte weder Schminke noch ein Kostüm. Sich in dieser schweren Nachkriegszeit wieder einmal richtig satt essen zu können, war dann sein Weihnachtsgeschenk.
Für mich war alles wieder in bester Ordnung. Bis zum Schlafengehen spielte ich mit meinem Geschenk, einem Pferdestall mit Pferden. Mein Vater hatte dieses Kunstwerk geschnitzt, von dem ich später erfuhr, dass solch künstlerische Begabung ihm nicht zu eigen war. „Not macht erfinderisch", fügte er noch hinzu. Trotzdem war für mich dieses Spielzeug das Schönste meiner Kindheit. Und mindestens ebenso schön war das Sitzen unter dem Weihnachtsbaum. Vater spielte Geige und alle anderen sangen die Weihnachtslieder mit, selbst der Weihnachtsmann, Förster Wodtke.
Die neue Wohnung
Nachdem ich monatelang in zwei kalten und feuchten Räumen untergebracht war, kam mir die neue Wohnung wie ein Luxusappartement vor. Interessant war die Futterküche im Erdgeschoss. Hier wurde das Wasser mit einer handbetriebenen Schwengelpumpe aus dem Brunnen geholt. Die Kochmaschine, der mit Holz und Kohle befeuerte Herd, sorgte neben seiner eigentlichen Funktion auch für wohlige Wärme im Winter. Der Raum war außerdem mit Dämpfer, Rübenschneider, Zentrifuge und anderen bäuerlichen Geräten ausgestattet.
In dieser Futterküche hing ständig ein undefinierbarer Geruch. Möglicherweise war es darauf zurückzuführen, dass hier Futter für die Schweine zubereitet wurde. Unter der Woche kochte Wilhelmine hier auch das Essen für die Familie. Obwohl das Essen sich nicht großartig vom Futter für die Schweine unterschied, schmeckte es dennoch köstlich. Solange es genug Kartoffeln, Rüben und Kohl gab, um den immer vorhandenen Hunger zu stillen, war alles in bester Ordnung.
Mein Vater hatte ein Geheimnis, das er vor mir und meinen Geschwistern verbarg. Während der Nacht hatten wir Kinder keinen Zugang zur Futterküche, denn Vater brannte oft zu dieser Zeit heimlich seinen eigenen Kartoffelschnaps. Auf diese Art und Weise konnte er ein zusätzliches Einkommen für unsere große Familie erwirtschaften.
Wenn in dieser Futterküche die Instrumentalgruppe ihre Probe hatte, rückte er schon mal
