20 Märchenpoesien für Alt und Jung: Neufassung beliebter Hausmärchen in Vers und Reim
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So blieben manche wirklich interessanten Fragen ungeklärt:
Ob die Königin dem hilfreichen Rumpelstilzchen das versprochene Kind nicht hätte überlassen müssen? Wieso der liebe Gott nicht wusste, wo sein verlorener Schemel war? Warum der dumme Hans als "Hans im Glück" bezeichnet wird?
In diesem Märchenbuch habe ich es meinen unterdrückten Kindheitsfragen ermöglicht, sich neu zu stellen - und sie mir und allen interessierten Großen und Kleinen zu beantworten.
Aber vielleicht findet ihr da und dort eine andere, eine bessere Antwort?
Paul Georg Bernecker
Paul G. Bernecker, geb. 1937, Wien. Ausbildung: Abgeschlossener Schulabbruch, Werbekaufmann, Verlagskaufmann. Managementausbildungen (Österr., Schweiz, USA). Berufe: Kundenbetreuer (Werbeagentur), Stv. Werbeagenturleiter, Werbeleiter (int. Nahrungsmittelkonzern), Österreich-Geschäftsführer (int. Mischkonzern), Verlagsleiter und Verleger. Seit dem Pensionsantritt 1997 freier Schriftsteller in Wien. Persönliche Entwicklung vom fragenden Atheisten zum fragenden und schließlich findenden Christen. Familie: Verwitwet; neu verpartnert; zwei Kinder, drei Enkel.
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Buchvorschau
20 Märchenpoesien für Alt und Jung - Paul Georg Bernecker
Für
Ylva, Cosima, Felix
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Rumpelstilzchen
oder: Vom lieblosen Rechthaben
Des Kaisers neue Kleider
oder: Das Lächerliche der Eitelkeit
Dornröschen
oder: Die Reise in die Erlösung
König Drosselbart
oder: Der gebrochene Hochmut
Die Bremer Stadtmusikanten
oder: Ist Böses gegenüber Bösen recht?
Tischchen deck dich
oder: Vom blinden Vertrauen
Der alte Großvater und der Enkel
oder: Das gewonnene Mitgefühl
Der Gevatter Tod
oder: Die Folgen des Wortbruchs
Der Meisterkater
oder: Heiligt der Zweck wirklich die Mittel?
Der selbstsüchtige Riese
oder: Eine Seelenentwicklung
Hans im Glück
oder: Die Zufriedenheit der Einfalt
Der Schneider im Himmel
oder: Vom Versuch, den 'Lieben-Gott' zu spielen
Der Mann im Mond
oder: Starrsinn macht unbeweglich
Die Schildbürger
oder: Den Dummen zu spielen, macht dumm
Das blaue Licht
oder: Von innerer Unordnung zur Ordnung
Seltsamer Spazierritt
oder: Die fehlende Eigenmeinung
Die Scholle
oder: Neid macht hässlich
Die Prinzessin auf der Erbse
oder: Von der Wehleidigkeit
Die zwei Brüder
oder: Wunder des inneren Lebenskampfes
Die kleine Meerjungfrau
oder: Das Gemüt sucht seine Seele
Ausklang
oder: Das Märchen in uns
Bildnachweis
Autorenverzeichnis
Vorwort
Meine Kindheit fiel in eine Zeit, in der es für ein Kind nicht selbstverständlich war, die Eltern jederzeit spontan anzusprechen, denn nur allzu rasch handelte man sich die Rüge ein, „jetzt sprechen die Erwachsenen." Beim Essen herrschte für Kinder ohnedies ein striktes Redeverbot.
In dieser wenig kommunikationsfördernden Atmosphäre war ich als Kind bestrebt, möglichst nur „wichtige Aussagen zu machen und nur „vernünftige
Fragen zu stellen.
So blieben manche wirklich interessante Fragen ungeklärt:
Ob die Königin dem hilfreichen Rumpelstilzchen das versprochene Kind nicht hätte überlassen müssen; wieso der liebe Gott nicht wusste, wo sein verlorener Schemel war;
warum der dumme Hans als „Hans im Glück" bezeichnet wird.
In diesem Märchenbuch habe ich es meinen unterdrückten Kindheitsfragen ermöglicht, sich neu zu stellen – und sie mir und allen interessierten Großen und Kleinen zu beantworten.
Aber vielleicht findet ihr da und dort eine andere, eine bessere Antwort?
P. G. Bernecker
Wien, im April 2024
Rumpelstilzchen
oder: Vom lieblosen Rechthaben
nach einem Volksmärchen aus der Sammlung der Brüder Grimm
Nicht nur Märchenkönigstöchter
sind oft schön. Denn gar nicht schlechter
trifft es Handwerks-, Bauernkinder:
Schönheit gibt es dort nicht minder!
Nehmt hier diesen Müllermeister:
Er war arm, doch froh umkreist' er
in Gedanken und mit Blicken
seine Tochter voll Entzücken.
Sie war schön. Als einst der König
mit ihm sprach, verwirrt' ein wenig
sich sein Geist; er sagt' pathetisch
(oder unbewusst prophetisch?):
„Meine Tochter spinnt sogar
Stroh zu Gold." – „Nun, wunderbar!
Bring sie auf mein Schloss; am besten
morgen gleich! Ich will sie testen!"
Auch das Mädchen schwieg verzagt.
Heut hätt jedes Kind gesagt:
„Herr, mein Vater ist von Sinnen!
Wer kann Gold aus Stroh gewinnen?"
Angstvoll vor des Königs Macht
ward die Tochter hingebracht,
dort, vom König selbst begleitet,
zu der Kammer hingeleitet
die zuvor mit Stroh gefüllt.
(Endlich ein vertrautes Bild!)
Unvertraut des Königs Wort:
„Hier das Stroh – die Spindel dort;
spinn mir nachts das Stroh zu Gold!
Andernfalls dein Köpfchen rollt."
Schloss die Türe zu und ging.
Angst, ja Todesangst umfing
jetzt das Mädchen, und sein Jammer
klang verzweifelt aus der Kammer.
Tut sich da der Türspalt auf?
Wendet sich des Schicksals Lauf?
„Warum weinst du, Müllerskind?"
Klein und alt, wie Zwerge sind,
stand ein Männchen in dem Raum.
War es Wirklichkeit? War's Traum?
Schluchzend klagte sie ihr Leid.
„Gold aus Stroh? Ich weiß Bescheid –
doch verlang ich einen Lohn!"
„Nimm es, es gehört dir schon!"
Gern gab sie ihr Halsband her.
Schnurr ging's, schnurr – und immer mehr:
Spulen Goldes, die sich mehrten
und den Raum vom Stroh entleerten.
Früh am Morgen kam der König
und erstaunte gar nicht wenig
als er das Vollbrachte sah.
Aber auch die Gier war da!
Gier ist Krankheit, schwer zu heilen;
sie verhindert faires Teilen,
peitscht als Hunger jeden Sinn.
Gier bleibt hungrig im Gewinn,
denn sie giert, dass er sich mehre.
Gier entspringt der Liebeleere.
Daran krankt' des Königs Wesen.
Wird die Schöne ihn erlösen?
Neu stellt' er sie auf die Probe;
neu bedrohte sie der grobe
Herrscher, denn er wollt' sie zwingen,
ihm noch mehr an Gold zu bringen.
Noch viel größer war die Kammer
als zuvor – und groß der Jammer!
So wie in vergangner Nacht,
hat der Zwerg das Werk vollbracht;
ja, sein Können hat erneut
sie aus größter Not befreit.
Wieder drang er auf den Lohn
und ging mit dem Ring davon.
Jetzt muss endlich Ruhe sein!
Doch des Königs Gier sagt „Nein!"
Diesmal war's ein großer Saal
voller Stroh. „Bin dein Gemahl,
wenn du mir's zu Golde spinnst!"
Denn er dachte an Verdienst:
„Ist sie auch nur Müllersmaid –
reicher hätt' ich nie gefreit,
schafft sie mir doch Gold wie Heu."
Wieder kam der Zwerg vorbei.
„Ach, ich kann dir nichts mehr geben,
nicht einmal mein armes Leben!"
Unser Männchen wusste Rat:
„Bist du Königin im Staat,
gibst du mir dein erstes Kind."
Kam der Vorschlag zu geschwind?
Hatte sie denn eine Wahl?
Was zählt „Später? Was „Einmal
?
Jetzt ist Not; jetzt gilt Entscheiden!
Sie sagt' „Ja", konnt's nicht vermeiden.
Schnurr – das Männchen spann dahin,
machte sie zur Königin!
Als sie wirklich übers Jahr
einen Königssohn gebar,
war vergessen und verdrängt,
dass der Knabe schon verschenkt –
nicht verschenkt: vom Zwerg erworben
(wenn er nicht bereits verstorben).
Da! Entsetzen, Unheil, Jammer,
stand der Zwerg in ihrer Kammer!
Fordert' unnachgiebig-hart,
was ihm einst versprochen ward.
Alles hat sie ihm geboten,
Geld, Gold, Land – doch nichts vom Toten
nahm er an! Es blieb sein Streben
mit dem Menschenkind zu leben.
Endlich hörte er auf's Flehn,
doch nicht ernsthaft, wie wir sehn:
„Musst dich von dem Kind nicht trennen,
kannst du meinen Namen nennen.
Deine Chance! Sei bereit –
du hast nur drei Tage Zeit!"
Erster Tag: Die Mutter nannte
alle Namen, die sie kannte.
Zweiter Tag: Die Boten kamen,
nannten viele seltne Namen,
die sie vor dem Männchen las.
Keiner passte; kein Wort saß!
Letzter Tag: Ein Bote schildert:
„In dem Grenzwald, der verwildert
eine Tagesreise weit,
sah ich in der Dämmerzeit
einen Wichtel tanzen, springen,
hörte ihn die Worte singen:
'Heute back ich, morgen brau ich,
dann hol ich das Königskind!
Ach, wie gut, dass niemand weiß,
dass ich Rumpelstilzchen heiß!'"
Siegessicher kam der Kleine,
siegessicher fragt' ihn seine
Gegnerin und Königin:
„Kralawatschi? „Plodengrin?
„Rumpelstilzchen??" – Ha, das saß!
Nicht im Ernst und nicht im Spaß
hat der Zwerg sich das gedacht,
was die Königin vollbracht!
Haltlos fing er an zu schrein:
„Das gab dir der Teufel ein!"
(denn auch Zwerge, Hexen, Geister
fürchten ihn als bösen Meister.)
Da der Zwerg 'sein' Kind verlor,
lodert' wilder Zorn empor,
stampfte auf – sein ganzes Bein
fuhr tief in den Grund hinein!
Zog den andren Fuß jetzt bei,
packt' ihn – riss sich selbst entzwei!
Sagt, war das nicht ungerecht?
Handelte die Mutter schlecht,
ihm das Kindlein nicht zu geben?
Sie versprach's doch für ihr Leben!
„Was versprochen, muss man halten!" –
lehren uns das nicht die Alten?
Ja, das gilt im Allgemeinen,
aber hier, so will's uns scheinen,
war das 'Ja' in Not erpresst –
deshalb gilt's nicht! Das steht fest.
War das Rumpelstilzchen böse?
Sicher nicht. Doch Seelengröße,
unbelohnt im Notfall stützen,
unentgeltlich andren nützen
war ihm wirklich nicht gegeben.
Herzensenge nahm sein Leben.
Wie erging's der Königin
nach dem wilden Neubeginn?
Wie verhielt sich ihr Herr König?
Blieb die Gier? Wir wissen wenig.
Nehmen wir das Beste an:
Ihren liebeleeren Mann
konnte sie mit Lieb behandeln:
Das ist Stroh in Gold