Mein Nachsommer
Von Sabine Schmidt
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Über dieses E-Book
Sabine (62): in Turin praktizierende frustrierte Deutschlehrerin mit Burnout; ohne Aussicht, bald in Rente zu gehen, weswegen ihr nichts anderes übrigbleibt als wenigstens so zu tun, als wäre sie schon im Ruhestand; eine Hälfte der Kassler-Zwillinge, deren Name nicht von den langen Beinen von Alice und Ellen Kessler kommt, sondern von den Kassler Rippchen mit Sauerkraut!
Gaia (60): Sabines beste Freundin, die bessere Hälfte der Kassler-Zwillinge; sie träumt davon, ihre Menopause auf Kuba mit aufregenden Gigolos zu verbringen.
Carmen (65): Best-Ager-Bikini-Model und Vamp mit Ganzkörpertätowierung, Anbeterin der Heiligen Jungfrau von Guadalupe, deren Tattoo sie aus Dankbarkeit auf ihrem Oberarm trägt, da ihr die Heilige zu ihrem mexikanischen Adoptivkind verholfen hat.
Marcello (67): Sabines Dauerverlobter trotz schlechter Vorzeichen, Lebenspartner von Sabine seit nunmehr 15 Jahren, obwohl keiner ihrer Freunde den beiden die geringste Chance gegeben hatte, länger zusammenzubleiben. Ebenso reich gesegnet mit den verschiedensten Zipperlein wie Sabine.
Homer (62): herztransplantierter Poet mit Tiefgang aus Neapel stammend, der für Sabine unvergessliche Zeilen schrieb. Hat dem Freibad, das Sabine seit Jahren zu besuchen pflegt, den Spitznamen „Hospiz“ verpasst.
Mauro, der Totengräber (51): belegt als Dauerbrenner einen das ganze Jahr für ihn reservierten Exklusivplatz auf der Sonnenseite des Freibads, stets totenbleich, Eigentümer des Bestattungsinstituts „Jubiläum“. Bietet allen Badegästen die kostensparende Doppelbestattung an!
Peter, der Waldschrat (63): Kindheitsfreund Sabines und Hochsitzer, ebenfalls Deutschlehrer in der fränkischen Diaspora, hat es geschafft, Jahre vor Sabine in Rente zu gehen. Findet sein Leben nur geglückt, wenn er sich auf Waldgänge begeben kann. Teilt mit Sabine die Leidenschaft, stundenlang gemeinsam auf einem morschen Hochsitz im Wald zu sitzen und endlos über das Leben zu philosophieren.
Franco (67): verarmter Möchtegernplayboy, lädt weibliche Badegäste gerne ins Restaurant ein, sich mit ihm eine Portion Miesmuscheln mit Kräutersauce zu teilen, wobei er die Muscheln verzehrt und die Damen die Sauce mit Brot auftunken dürfen bei vollem Genuss seiner einmaligen Persönlichkeit.
Valeria (52): Barbie-Imitatorin auf dem Abstellgleis, die jedes Jahr im Sommer von ihrem Wikinger allein zurückgelassene Strohwitwe, bringt die Badegäste des Freibads durch ihre Karaoke Einlagen zur Verzweiflung, da sie keinen einzigen richtigen Ton trifft.
Marina (61): anämische Kollegin Sabines, mit der Sabine leider in Kopräsenz zusammenarbeiten muss und die die diese leider ständig vertreten muss, da sie wegen ihrer häufigen Blutspenden fast dauernd unpässlich ist; befindet sich ständig am Rande eines Nervenzusammenbruchs
Gian-Carlo (68): Geizkragen, der mit seiner goldenen Rolex prahlt.
Sabines Mutter (83): lebt nach dem Motto wunschloses Unglück von Peter Handke
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Buchvorschau
Mein Nachsommer - Sabine Schmidt
Das Korsett
Meine Sommer verbringe ich in einem drittklassigen Schwimmbad, wo der Kalk zwischen den Fliesen herausbröckelt und damit die Pumpen verstopft. Die Duschen sind kalt, weil die Direktion sich keinen neuen Boiler leisten kann.
Ich habe schon vor Jahren die Freude an meiner Arbeit als Deutschlehrerin verloren. Da meine Rente von Tag zu Tag in weitere Ferne rückt, bin ich gezwungen, sie schon jetzt auf der Arbeit auszuleben. Wie das geht? Meine Arbeitsvermeidungstechnik funktioniert so: Ich müsste eigentlich einen Nachhilfesommerkurs in Deutsch geben für meine Schüler, die im September die Nachprüfung machen müssen. Dazu habe ich jedoch keine Lust, also habe ich es an die jungen Kollegen delegiert, die noch fit sind, damit sie auf diesem Gebiet wichtige Erfahrungen sammeln. Sollen die sich doch anstrengen, den Faulenzern etwas einzubläuen! Es ist mir schnurzegal, wenn meine Schüler durchfallen. Mit Burnout in der Schule zu überleben, ist eine Kunst, die keiner kann – außer mir.
Statt eines Lehrkörpers habe ich einen Leerkörper. Bei mir geht nichts mehr. Die guten Vorsätze sind weg. Das Äußerste, wozu ich in der Lage bin, ist im Liegestuhl am Swimmingpool zu liegen und mich meinen Sommerbüchern zu widmen. Bis jetzt habe ich schon Seit er sein Leben mit einem Tier teilt
von Bodo Kirchhoff, Das späte Leben
von Bernhard Schlink und Feuer,
von Marie Pourchet verschlungen .Nur beim Lesen vergesse ich meine Leiden und wenn ich weiter an meinem Schulhasserbuch schreibe.
Ich muss meinem Frust Luft machen, sonst ersticke ich. Ich bin mit meiner Weisheit am Ende. Es geht nicht mehr viel, so ausgepowert wie ich bin. In mir ist nur noch die Rebellion gegen dieses unmenschliche System Schule übriggeblieben. Das ist nicht viel zum Leben, aber definitiv zu viel zum Sterben. Jedenfalls habe ich jetzt noch nicht die Absicht, von dannen zu gehen.
Ich stelle mir vor, dass ich ein uraltes Haus mit einem großen Garten besitze, wo ich zusammen mit meinem Hund und meiner Katze lebe. Morgens trinke ich auf der Veranda meinen Kaffee, dann gehe ich mit dem Hund im Wald spazieren, später erledige ich leichte Gartenarbeit und anschließend lese ich an einem schattigen Plätzchen ein Buch von Sigrid Nunez, meiner Lieblingsautorin.
Nach 50 Jahren Tablettensucht kann ich endlich meinen riesigen Vorrat an Schmerzmitteln und Entzündungshemmern in den Müll schmeißen.
Doch diese Zukunft ist verbaut – anstatt diese Rentenidylle zu leben, bin ich wie viele Ältere aus der Generation der Babyboomer gezwungen, bis ans bittere Ende zu malochen.
Ich habe Teilzeit beantragt, was das Schulamt mit der Begründung abgelehnt hat, dass Lehrermangel herrsche und jeder Pädagoge in Vollzeit gebraucht werde. In solch schwierigen Zeiten sollten vor allem wir Lehrer den anderen ein Vorbild sein und Opfer bringen! Das ist leichter gesagt als getan.
Als ich diese Hiobsbotschaft erhielt, dass ich noch mindestens fünf Jahre arbeiten muss, bevor ich in Rente gehen kann, befiel mich die pure Verzweiflung. Von diesem physischen Ort Schule würde ich mich nie mehr entfernen. Ich war dazu verdammt, hier in der Hölle endgültig zugrunde zu gehen. An diesem Schicksal konnte ich persönlich überhaupt nichts ändern.
Nach Jahren der tiefsten Verzweiflung, in denen mein Gesundheitszustand zusehends schlechter wurde und ich mich in Turin bei meiner Tätigkeit als Lehrerin durch den Berufsalltag quälen musste, kam mir die Erleuchtung: Was wäre, wenn ich so täte, als ob ich die Rente schon erreicht