Großmutter Erde: Die Heilige Quelle von Süderbrarup und das Thorsberger Moor
Von Jens Nielsen
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Über dieses E-Book
Wasser ist ein Heiligtum. Es predigt das Urgesetz des Lebens. Geheimnisvolle Orte mit einem natürlichen Zauber haben die Menschen schon von jeher fasziniert, aber auch mit Ehrfurcht erfüllt. In vorchristlicher Zeit galten besonders das klare fließende Wasser und im speziellen die Quellen als heilig. Man schrieb ihnen vielerlei Kräfte zu und suchte das Göttliche in ihnen. Als lebensnotwendiges Element wurde das Wasser selbst geradezu vergöttert, versorgte es doch die Menschen, die Tiere und den Boden mit lebensspendender Flüssigkeit. In der an Geschichte, Sagen und Kirchen zwar reichen, an nachweisbaren Naturheiligtümern aber eher armen Region der Landschaft Angeln hat sich der Autor mit einem Forschungsprojekt auf die Suche nach einem besonders ungewöhnlichen und faszinierenden kultischen Ort begeben, dessen Geschichte und Ausstrahlung noch heute viele Menschen in seinen Bann zieht. Es ist die Heilige Quelle von Süderbrarup, im südlichen Teil der Landschaft Angeln, im Kontext mit dem als Opfermoor überregional bekannten nahegelegenen Thorsberger Moor. Allein die Süderbraruper Quelle gilt als Ort, an dem wohl über Jahrhunderte eine zunächst pagane wie auch später christlich-religiöse Verehrung des Wasserheiligtums stattgefunden hat. Auch ist anzunehmen, dass das Volk der Angeln zeitweilig die Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin Nerthus hier verehrte. Ob die dazu zelebrierten kultischen Handlungen jedoch tatsächlich mit der Heiligen Quelle in Süderbrarup in Verbindung standen, soll in diesem Buch näher erforscht werden. Nachweise gab es darüber bisher keine. Weiterhin werden wissenschaftliche Fakten mit faszinierenden Sagen und Legenden der Landschaft Angeln in Einklang gebracht, welche sich noch immer wie ein unsichtbar filigranes Netz über das Land spannen. Zudem werden die zum Teil lange in Vergessenheit geratenen Geschichten und Überlieferungen rund um die außergewöhnlichen Kultplätze der Vorzeit in Süderbrarup wieder in Erinnerung gerufen und wissenschaftlich eingeordnet, um auch nachfolgenden Generationen die Möglichkeit zu bieten, in Kontakt mit der sinnspendenden Geschichte dieser außergewöhnlichen Orte zu treten. In Süderbrarup spürt man noch immer förmlich am eigenen Leib, dass man sich im Mittelpunkt bedeutsamer historischer Begebenheiten befindet.
Jens Nielsen
Jens Nielsen, 1969 in Schleswig geboren, gelernter Pädagoge, lebt als Museums- und Kulturpädagoge und mittlerweile hauptberuflich als Publizist in Kiel. Vorher jahrzehntelange Selbständigkeit mit seiner Agentour Zeitensprung im Bereich Museumspädagogik und Living history. Er war freier Mitarbeiter u.a. im Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte Schloss Gottorf in Schleswig und im Landesmuseum für Volkskunde im Freilichtmuseum Molfsee bei Kiel. Es erschienen von Nielsen zunächst in loser Reihenfolge zahlreiche kunsthistorische Kirchenführer im Auftrag der jeweiligen Kirchengemeinden im gesamten Bundesgebiet. Ab 2019 brachte er Werke im eigenen Auftrag zu historischen, zunächst auf die Stadtgeschichte Schleswigs bezogene Themen heraus. Seit 2021 folgen geschichtliche Themen aus allen Sparten und Regionen. Großmutter Erde. Die Heilige Quelle von Süderbrarup und das Thorsberger Moor ist die Dokumentation eines Forschungsprojekts mit dem sich der Autor im Jahr 2023 beschäftigt hat.
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Buchvorschau
Großmutter Erde - Jens Nielsen
Abb. 1: Die Heilige Quelle von Süderbrarup heute, Foto: Harksen, Andreas, privat
1. Die heilkräftige Quelle von Süderbrarup – ein mystischer Ort
„Auf der Koppel Boykil bei Süderbrarup befindet sich eine Quelle. Schon in heidnischer Zeit bestand sie, und ihr Wasser war für mancherlei Gebrechen heilbringend. Von weit und breit strömten die Kranken herbei und fanden ihre Gesundheit wieder. Nach Einführung des Christentums wurde die Quelle dem Jacobus geweiht und große Wallfahrten haben den Grund zu dem noch jetzt bestehenden Brarupmarkt gelegt, der regelmäßig Ende Juli stattfindet"²
Geheimnisvolle Orte mit einem natürlichen Zauber haben die Menschen schon von jeher fasziniert - aber auch mit Ehrfurcht erfüllt. In vorchristlicher Zeit galten besonders das klare fließende Wasser und im speziellen die Quellen als heilig. Man schrieb ihnen vielerlei Kräfte zu und suchte das Göttliche in ihnen. Als lebensnotwendiges Element wurde das Wasser selbst geradezu vergöttert, versorgte es doch die Menschen, die Tiere und den Boden mit lebensspendender Flüssigkeit. Die vielfach durch Bräuche, sowie durch Mythen, Sagen und Legenden ausgedrückte Verehrung des kostbaren Elements Wasser würden sich wohl zu allen Zeiten und in allen Epochen der Menschheitsgeschichte wiederfinden lassen, wenn man deren Überlieferungen überall habhaft werden könnte.
Die ältesten Funde, die auf einen Kultplatz an einer Quelle hinweisen, gehen bis in das mittlere Paläolithikum zurück. In El-Guettar in Tunesien wurde in den 1950-er Jahren eine etwa 30.000 bis 40.000 Jahre alte Ansammlung von Wurf- und Schleuderkugeln aus dieser Zeit gefunden, die in Fachkreisen als Hermaion von El Guettar bekannt wurde. Die steinernen Kugeln lagen pyramidenförmig aufgeschichtet, zusammen mit Tierknochen und Silexsplittern, neben einer seit langem versiegten Quelle. Sie werden deshalb als Opfergaben für ein mögliches Quellheiligtum gedeutet.³
Abb. 2: Die Göttin Nerthus, Aus: Doepler, Emil, Ranisch, Wilhelm, Walhall, die Götterwelt der Germanen, Martin Oldenbourg Verlag, Berlin, 1905, Seite 11Abb. 2: Die Göttin Nerthus, Aus: Doepler, Emil, Ranisch, Wilhelm, Walhall, die Götterwelt der Germanen, Martin Oldenbourg Verlag, Berlin, 1905, Seite 11
In jeder Zivilisation und in jeder Religion haben Wasserrituale auch heute noch ihre Bedeutung. Wasserheiligtümer in Form von heiligen Brunnen oder Quellen sind noch immer in allen Teilen der Erde zu finden, wenn man speziell nach ihnen Ausschau hält. Sie waren von jeher symbolisch eng mit der Entstehung jeglichen Lebens verbunden. Quellen, die aus dem Schoß der Mutter Erde entsprangen, waren über Generationen Orte, die es besonders zu verehren und auf vielfältige Art zu schützen galt. Oftmals entfalteten sie an besonders magisch anmutenden Plätzen ihre Wirkung.
Doch es wurden nicht nur Wasserheiligtümer in Verbindung mit ins Auge fallenden geologischen Formationen verehrt. Besonders die Quellen, welche als heilkräftig galten, erfuhren von den Menschen im höchsten Maße Verehrung. Ihre erfahrbare Heilwirkung erstreckte sich nicht nur auf körperliche Gebrechen, so vermutet man. In vielen Fällen konnte von ihnen wohl auch eine wohltuende Wirkung über den Geist ausgeübt werden.⁴
In der an Geschichte, Sagen und Kirchen zwar reichen, an nachweisbaren Naturheiligtümern aber eher armen Region der Landschaft Angeln habe ich mich mit einem Forschungsprojekt auf die Suche nach einem besonders ungewöhnlichen und faszinierenden kultischen Ort begeben. Dessen Geschichte und Ausstrahlung hat mich schon seit vielen Jahren in seinen Bann gezogen: Ich möchte von der Heiligen Quelle von Süderbrarup im südlichen Teil Angelns schreiben. Ein Ort an dem wohl über Jahrhunderte eine pagane wie auch christlich-religiöse Verehrung eines Wasserheiligtums stattgefunden hat.
Unter dem Titel „Großmutter Erde – die Heilige Quelle von Süderbrarup und das Thorsberger Moor" ist es mein Wunsch, die faszinierenden Geschichten und Fakten rund um diesen außergewöhnlichen Kultplatz der Vorzeit wieder mehr in Erinnerung zu rufen. Ich möchte mit diesem Buch auch nachfolgenden Generationen die Möglichkeit bieten, in irgendeiner Form in Kontakt mit der sinnspendenden Geschichte dieses außergewöhnlichen Ortes zu treten.
Die Zeit der Sagen und Legenden der Landschaft Angeln spannt sich noch immer wie ein Netz über das Land. In Süderbrarup spürt man förmlich am eigenen Leib, dass man sich – den alten Erzählungen zufolge – im Mittelpunkt bedeutsamer historischer Begebenheiten befindet. Doch sind solche Sagen oder Überlieferungen niemals nur allein fantasievolle Dichtungen. Sie sind immer auch der Versuch, den historischen Kern einer wahren Begebenheit für die Nachwelt zu erhalten.
Ein Quellheiligtum, so wie in Süderbrarup, könnte ein Element eines großen übergeordneten Heiligtums gewesen sein, um dort eine bestimmte Funktion innerhalb der Rituals-Abläufe zu erfüllen. Man denke da zum Beispiel an eine rituelle Reinigung oder an eine Heilung durch die Einnahme des Wassers. Auch an kleine Votivgaben an der Quelle ist zu denken. Womöglich wurde das kostbare Nass in ausgesuchten Nächten um Mitternacht, oder vor Sonnenaufgang und in feierlicher Stille geschöpft. In Süderbrarup war in alten Zeiten offenbar aber nicht nur das heilende Wasser, sondern sogar die Quelle selbst, ein Objekt der Verehrung. Süderbrarup war immer und in allen Epochen bewohnt. Warum eigentlich? Was hat oder hatte dieser Ort zu bieten?
Doch kann bei dieser Quelle nicht nur auf Grund der Überlieferung davon ausgegangen werden, dass es sich bei diesem Ort um einen alten, über Generationen genutzten, Kultplatz gehandelt hat. Auch die bedeutsamen Fundergebnisse in Süderbrarup und in den angrenzenden Regionen lassen diese Annahme durchaus zu. Eindeutige Beweise am möglichen Austrittsort der Quelle fehlen aber bisher. Um die Quelle herum wurden zwar Gruben mit Holzkohle aus der älteren römischen Kaiserzeit ausgegraben, als Beweis für einen Kultplatz reicht das jedoch allein nicht aus. Trotzdem sollten die eher kargen Grabungsergebnisse nicht dazu führen, die Theorie des Vorhandenseins eines gewesenen Heiligtums aufzugeben. Das Betreten der Heiligen Quelle in vorchristlicher Zeit - außerhalb der möglichen Festtage - und damit ein Großteil des Jahres, dürfte als tabu gegolten haben. Vielleicht hatte es dereinst sogar unter Strafe gestanden.
Der angenommene Zeitraum der Nutzung der Quelle als möglichen Kultplatz muss zunächst auf das 1. Jahrhundert vor bis maximal in das 6. Jahrhundert nach Christus eingegrenzt werden. Da der hier lebende Volksstamm der Angeln um das Jahr 450 und bis in das 6. Jahrhundert nach Christus mit den Sachsen nach Britannien auswanderte, ist eine darüber hinausgehende Nutzung direkt danach vorerst fraglich. Erst mit der Entstehung der ersten christlichen Kirchen ist eine kontinuierliche Nutzung wieder anzunehmen.
Auch wenn mit Durchsetzung des Christentums in diesem Land die Verehrung von Heiligen Quellen vielerorts zunächst streng verboten worden war, erkannten die Missionare alsbald, dass sich die Menschen in dieser Region nicht ohne weiteres von ihren angestammten Bräuchen trennen würden. So wurden die paganen Wasserkulte an den alten Quellen pragmatisch mit einem neuen christlichen Kontext überdeckt. Dieses an anderen Stellen nachgewiesene Vorgehen kann auch für die Heilige Quelle in Süderbrarup angenommen werden.
Abb. 3: Süderbrarup, Notgeld Gutschein über 2 Mark, 1920, mit Erntegöttin, Foto: privatAbb. 3: Süderbrarup, Notgeld Gutschein über 2 Mark, 1920, mit Erntegöttin, Foto: privat
Doch obwohl auch hier die Quelle unter dem Einfluss des Christentums als bedeutsamer Wallfahrtsort erneut zu Ehren gelangte, wird die Erinnerung an sie als Wasserheiligtum in unserer Zeit im Ort Süderbrarup fast stiefmütterlich behandelt.
Einige behaupten, die Quelle sei seit langem versiegt und ihre Nutzung für die Menschen für immer verloren. Andere halten den Austrittsort der Quelle lediglich für verschüttet. Sie selbst soll aber noch immer aktiv sein und im Verborgenen auf ihre Wiedererweckung warten.
Der Bezug zum Wasser als Quelle des Lebens und der Kultur scheint schon seit der Industrialisierung in vielen Bevölkerungsschichten verloren gegangen zu sein. Doch ist es schon seit einiger Zeit wieder wahrnehmbar, dass das lebensspendende Nass in seiner symbolischen Bedeutung, mit seiner Kraft und seinen heilenden Fähigkeiten in Teilen unserer Gesellschaft wieder mehr ins Bewusstsein gerückt wurde.
Wasser wird nicht mehr nur überall als Konsumartikel begriffen, welches man zu jedem Zeitpunkt und in unbegrenzten Mengen zur Verfügung hat. Es gerät zunehmend ins Bewusstsein, dass die seit langem vorherrschende Einstellung zum Wasser, rücksichtsloser Ausbeutung, Verschwendung und Zerstörung des Lebenselements Platz gemacht hat.⁵ Die Wertschätzung des Wassers hat, jetzt wo in der Zukunft ein Mangel des kostbaren Elements droht, eine neue Stufe erreicht. Und auch die Wertschätzung für magische und mystische Heiligtümer unserer Altvorderen erfährt eine neue Aufmerksamkeit. Zunehmend mehr Menschen sind auf der Suche nach alten Traditionen und nach Antworten auf ihre spirituellen Fragen.
Und so kommt auch die Quelle von Süderbrarup – auch wenn man ihren Austrittsort aktuell noch nicht auszumachen vermag – wieder in den Genuss der Aufmerksamkeit von zahlreichen Einheimischen und vom Menschen, die um ihren Wert wissen.
In der Vorstellung eines noch vorhandenen Heiligen Wassers findet die Quelle noch immer eine zum Teil öffentlich, zum Teil aber auch heimlich ausgetragene Verehrung.
Der Anziehungskraft dieser mystischen Stätte in Süderbrarup und ihres Umfeldes kann man sich auch heute tatsächlich nur schwer entziehen. Das gilt vor allem dann, wenn die untergehende Abendsonne des Spätsommers oder das Licht des Herbstes die umliegenden Bäume und Felder in ein besonderes Licht taucht und so die Fantasie noch einmal zusätzlich angeregt wird.
Jens Nielsen, im Herbst 2023
2. Wegbeschreibung zur Heiligen Quelle
in Süderbrarup
Die Heilige Quelle liegt, vom berühmten Thorsberger Moor ausgehend, etwa 700 m östlich am westlichen Ortsrand von Süderbrarup. Um vom Moor aus zur Quelle zu kommen, muss man der Straße nach Norderbrarup bis kurz vor die die Straße kreuzenden Bahngleise folgen. Danach rechts abbiegen