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Frühdiagnostik von Demenzerkrankungen: Diagnostische Verfahren, Frühsymptome, Beratung
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Frühdiagnostik von Demenzerkrankungen: Diagnostische Verfahren, Frühsymptome, Beratung
eBook342 Seiten3 Stunden

Frühdiagnostik von Demenzerkrankungen: Diagnostische Verfahren, Frühsymptome, Beratung

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Über dieses E-Book

Dieser praxisorientierte Leitfaden richtet sich insbesondere an Ärzte und Psychologen, die Patienten mit Hirnleistungsstörungen in frühen Krankheitsstadien untersuchen und behandeln. Die Forschungsergebnisse der vergangenen Jahre haben zu einer Vielzahl von diagnostischen Verfahren geführt, deren Stellenwert und Nutzen kritisch beleuchtet wird. Das Problem der Abgrenzung leichter kognitiver Störungen von beginnenden Demenzerkrankungen wird eingehend erörtert, ebenso wie das große Problem der fehlenden Krankheitseinsicht, welches eine wesentliche Limitation in der Frühdiagnostik darstellt. Der Autor widmet sich auch der Beratung von Betroffenen und Angehörigen bei der Diagnose Demenz und stellt therapeutische Behandlungsmöglichkeiten vor.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum18. Nov. 2010
ISBN9783170274181
Frühdiagnostik von Demenzerkrankungen: Diagnostische Verfahren, Frühsymptome, Beratung

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    Buchvorschau

    Frühdiagnostik von Demenzerkrankungen - Tillmann Supprian

    Abkürzungsverzeichnis

    Vorwort

    Die Vorstellung, die eigene Fähigkeit zu denken, zu planen und zu erinnern durch einen langsam fortschreitenden demenziellen Abbauprozess zu verlieren, bereitet vielen Menschen Angst. Mit zunehmendem Wissen über die Pathophysiologie, die Symptomatik und den klinischen Verlauf von Demenzerkrankungen ist auch die Hoffnung auf ursächliche Therapien verbunden. Voraussetzung für eine Behandlung ist eine möglichst frühzeitige Diagnostik mit dem Ziel einer klaren nosologischen Zuordnung und darauf aufbauenden Therapieansätzen.

    An die Frühdiagnostik demenzieller Erkrankung wird der Anspruch gerichtet, eine beginnende Demenzerkrankung von einer noch normalen altersassoziierten Vergesslichkeit zuverlässig zu unterscheiden. Darüber hinaus kommt der Frühdiagnostik ein Stellenwert bei der Differenzierung unterschiedlicher demenzieller Syndrome zu. Trotz moderner diagnostischer Verfahren wie der Labordiagnostik, bildgebenden Verfahren und neuropsychologischen Testverfahren sind der Frühdiagnostik erhebliche Grenzen gesetzt. In Bezug auf die Abgrenzung einer altersassoziierten Vergesslichkeit von einer leichten kognitiven Störung als Prodrom eines demenziellen Abbauprozesses und einer manifesten Demenzerkrankung ist festzustellen, dass es sich um einen graduellen und kontinuierlichen Übergang mit unscharfen Grenzen handelt. Erschwerend kommt hinzu, dass die demenziellen Syndrome eine erhebliche Variabilität des klinischen Verlaufs aufweisen. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch der Terminus der Demenz vom Alzheimer-Typ geprägt worden, der zum Ausdruck bringt, dass es zwar einen klinisch charakteristischen Prägnanztypen gibt, aber keine pathognomonischen Symptome, die eine sichere Diagnosestellung zu Lebzeiten der Betroffenen ermöglichen würden. Das klinische Erscheinungsbild der Demenzerkrankungen lässt keine zuverlässigen Rückschlüsse auf den neuropathologisch zugrundeliegenden Krankheitsprozess zu. Eine immer wieder beobachtete Überlappung der klinischen Syndrome lässt vom Standpunkt der Psychopathologie nur Wahrscheinlichkeitsdiagnosen zu.

    Trotz dieser Unsicherheiten ist es dem erfahrenen klinischen Untersucher durchaus möglich, die Diagnose einer Demenzerkrankung mit einer hohen Treffsicherheit zu stellen. Die vorgelegte Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, typische klinische Erscheinungsbilder zu skizzieren und dem Untersucher eine Richtschnur an die Hand zu geben, mit welcher der diagnostische Prozess effizient und ökonomisch gestaltet werden kann. Der Frühdiagnostik sind methodische Grenzen gesteckt, die auch durch die Entwicklung verschiedener Biomarker in den letzten Jahren nicht überwunden werden konnten. Neben der fehlenden Krankheitswahrnehmung bei vielen Patienten, die dazu führt, dass die Betroffenen in frühen Krankheitsstadien gar nicht zur Untersuchung gelangen, sind singuläre Untersuchungen im Stadium der leichten kognitiven Störung einer Demenz nicht geeignet, eine zuverlässige Vorhersage über den weiteren Verlauf des Störungsbildes zu machen. Differenzierte neuropsychologische Tests konnten bereits in sehr frühen Erkrankungsstadien Gruppenunterschiede zwischen Personen identifizieren, die später eine Demenz entwickeln, und Personen, die keine Demenz entwickeln. Aber für die individuelle Prädiktion sind diese Tests nicht geeignet. Die bereits entwickelten Biomarker, insbesondere die mit der Alzheimer-Pathophysiologie in Zusammenhang stehenden Liquorparameter, sind für ein breites Screening in der Bevölkerung nicht geeignet.

    Neben der häufigen Alzheimer-Demenz sind eine Reihe weiterer Demenzformen klinisch gut charakterisiert. Die unterschiedlichen Muster der klinischen Erscheinungsbilder und der diagnostischen Merkmale erlauben im Sinne einer Mustererkennung in vielen Fällen eine Differenzierung der Demenzsyndrome und eine Einordnung mit einer befriedigenden diagnostischen Sicherheit.

    Einleitung

    Der demografische Wandel führte in den westlichen Industrienationen bei steigender Lebenserwartung und sinkenden Geburtenraten in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung. Der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung wuchs, die Lebenserwartung stieg und in der Folge findet sich nun eine höhere Prävalenz von Demenzerkrankungen. Schätzungen zur Häufigkeit der Demenzerkrankungen sind abhängig von den gewählten diagnostischen Kriterien. Zählt man leichte und mittelschwere Demenzformen hinzu, so liegt in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig bei ca. 1,2 Millionen Menschen eine Demenzerkrankung vor. Bickel (2000) schätzt, dass sich gegenwärtig ca. 200 000 demenzielle Neuerkrankungen pro Jahr entwickeln, davon entfallen ca. 120 000 Fälle auf die Alzheimer-Erkrankung. Frauen sind in Folge ihrer höheren Lebenserwartung mit ca. 70 % der Erkrankungen stärker betroffen.

    Unter den Demenzerkrankungen ist die Alzheimer-Demenz (AD) mit ungefähr 60–70 % die häufigste Form. Andere sind

    die sog. gemischten Demenzen, bei denen vaskuläre und neurodegenerative Anteile zusammenwirken,

    die vergleichsweise seltenen reinen vaskulären Demenzformen, die wiederum in verschiedene Subtypen unterteilt werden können,

    die Parkinson-Demenz und die Demenz mit Lewy-Körperchen,

    die Gruppe der frontotemporalen lobären Degenerationen und

    andere seltenere Demenzformen bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen.

    Nicht nur bei der AD, auch bei anderen Demenzformen spielt das Lebensalter als wichtigster Risikofaktor eine entscheidende Rolle. Der demografische Wandel führt nicht nur zu einer Zunahme der AD, sondern auch zu einer Zunahme anderer Demenzformen. Sehr seltenen Erkrankungen wie der Creuzfeldt-Jakob-Erkrankung kommt zwar in der Differentialdiagnostik ein wichtiger Stellenwert zu, die Relevanz für die langfristige Versorgung und gesundheitsökonomische Aspekte ist wegen der großen Seltenheit der Erkrankung hingegen eher gering. Der größte Anteil der Demenzerkrankungen wird auch künftig auf die Demenz vom Alzheimer-Typ zurückzuführen sein, so dass sich die Ausführungen im Folgenden maßgeblich an dieser Demenzform orientieren werden.

    Die Beschreibung spezifischer neuropathologischer Veränderungen bei einem klinisch prägnanten Erkrankungsbild einer präsenilen Demenz durch Alois Alzheimer im Jahre 1906 (Alzheimer, 1907) begründete eine Ursachenforschung, die sich auf zerebrale Amyloidablagerungen und damit verbundene sekundäre neurodegenerative Mechanismen fokussierte. Die sog. „Amyloidhypothese stellte in den vergangenen Jahrzehnten den zentralen Zugangsweg zum Verständnis der Alzheimer-Pathophysiologie dar. Ausgehend von der physiologischen Bildung des Amyloidvorläufer-Proteins (engl. „amyloid-precursor-protein, APP), dessen physiologische Rolle noch nicht vollständig aufgeklärt ist, wurden enzymatische Mechanismen aufgedeckt, die zur Bildung toxischer Peptide führen: Aβ1–40 und Aβ1–42. Die Bildung dieser toxischen Amyloidfragmente aus dem APP stellt bis heute die wichtigste Hypothese in der Pathophysiologie der AD dar. Andere pathologische Befunde, wie die intrazelluläre Tauphosphorylisierung mit der Bildung von Neurofibrillen, werden als sekundäre Prozesse eingeordnet. Neuropathologische Charakteristika der AD sind damit extrazelluläre Amyloidablagerungen sowie intraneuronale neurofibrilläre Bündel. Während die extrazelluläre Amyloidablagerung eine hohe Variabilität aufweisen kann, findet sich ein charakteristisches Verteilungsmuster der intrazellulären neurofibrillären Bündel, die von Braak und Braak (1991) als Grundlage für eine neuropathologische Stadieneinteilung der AD herangezogen wurde. Der neurotoxische Effekt der Aβ-Peptide und die Bildung von Amyloidplaques sowie die Hyperphosphorilierung von tau-Protein, die zur Neurofibrillenbildung führt, unterliegen offenbar genetischen sowie umweltbedingten Einflüssen. Dabei kommen oxidativem Stress, entzündlichen Prozessen und zerebrovaskulären Veränderungen erhebliche Bedeutung zu (Blennow et al. 2006).

    Der neurodegenerative Prozess der Demenzerkrankung scheint einen langsam progredienten Verlauf zu nehmen, der sich wahrscheinlich über Jahrzehnte entwickelt. Neuronaler Zelluntergang und synaptische Dysfunktion infolge der toxischen Amyloidablagerungen können offenbar über viele Jahre bis Jahrzehnte durch synaptische Plastizität und Adaptation kompensiert werden. In dieser klinisch unauffälligen (sog. „präklinischen) Phase kommt es bereits zur histopathologisch fassbaren Zellschädigung, ohne dass kognitive oder mnestische Funktionsstörungen klinisch erkennbar wären. Kommt es dann durch zunehmenden Ausfall relevanter Neuronenverbände zu Funktionsdefiziten, so führen diese zwar zu messbaren Leistungseinbußen aber nicht gleich zu einem ausgeprägten Demenzsyndrom. Für diese Übergangsphase von kognitiven Dysfunktionen ohne das schwere Bild einer deutlichen Demenzerkrankung mit einer Leistungsbeeinträchtigung in Alltagsfertigkeiten hat sich im deutschen Sprachraum der Begriff „leichte kognitive Störung, im englischen der Begriff „mild cognitive impairment" (MCI) entwickelt. Die leichte kognitive Störung ist eine Übergangsphase von altersgemäßer, kognitiv-mnestisch normaler Leistungsfähigkeit zu einer Demenzerkrankung. Im Zentrum der Frühdiagnostik steht daher die leichte kognitive Störung, die als Vorstufe bzw. Frühform einer Demenzerkrankung aufgefasst werden kann.

    Die Geschwindigkeit des neurodegenerativen Prozesses unterliegt einer starken interindividuellen Variabilität und wird neben genetischen Faktoren mit großer Wahrscheinlichkeit auch durch Umwelteinflüsse beeinflusst. Es gibt offenbar rasche Verlaufsformen, die zum Auftreten sog. „präseniler Demenzen" führen. Hierunter werden Demenzerkrankungen verstanden, die bereits vor dem 60. Lebensjahr klinisch manifest werden. Andere Verläufe scheinen sehr langsam zu erfolgen und erst im sehr hohen Lebensalter zu einem diagnostizierbaren Demenzsyndrom zu führen. Dabei sind unterschiedliche Verlaufsformen des neurodegenerativen Prozesses denkbar. Diese werden anhand der Abbildungen 1a–c vereinfachend illustriert. In Abbildung 1a ist die Annahme eines stetigen und linearen neurodegenerativen Prozesses dargestellt. Hypothetisch könnte der neurodegenerative Prozess einem linearen Verlauf folgen, mit Beginn im mittleren Lebensalter und linearem Fortschreiten des kognitiven Abbauprozesseses. Alternativ wäre auch ein kurvenförmiger Verlauf denkbar, wie er in Abbildung 1b dargestellt ist. Im jüngeren und mittleren Lebensalter kommt es nur zu einem langsamen neurodegenerativen Geschehen, das gegen Ende des mittleren Lebensalters eine allmähliche Beschleunigung erfährt. Auch dieser nichtlineare Verlauf ist rein hypothetisch und kann derzeit weder klinisch noch neuropathologisch verifiziert werden. Aus der klinischen Beobachtung lassen sich auch ganz andere Verlaufsformen hypothetisch herleiten. Ein solcher nichtstetiger Verlauf des neurodegenerativen Prozesses ist in Abbildung 1c dargestellt. Nach einer zunächst linearen Phase kommt es in Folge eines zeitlich scharf umgrenzten Ereignisses (X) zu einer relativ plötzlichen Beschleunigung des Prozesses. Ein solches Ereignis könnte z. B. ein Schädel-Hirn-Trauma oder eine schwere somatische Erkrankung darstellen.

    Abb. 1a–c:

    Darstellung von unterschiedlichen Modellen des neurodegenerativen Prozesses bei der Alzheimer-Demenz. Linearer Prozess (1a), Akzeleration (1b) und nichtlinearer Verlauf (1c) nach einmaligem Ereignis (X).

    Alle in den Abbildungen 1a–1c dargestellten Verlaufskurven sind hypothetisch und können nur als Modelle dienen. Tierexperimentelle Untersuchungen zum Verlauf des neurodegenerativen Prozesses sind nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragbar. Die relative Beschleunigung des neurodegenerativen Vorgangs mit einer klinisch deutlichen Verschlechterung wird gelegentlich bei postoperativen deliranten Syndromen beobachtet. Es steht außer Zweifel, dass der kontinuierliche neurodegenerative Prozess durch exogene Einflüsse moduliert werden kann. Die recht unterschiedlichen Verlaufskurven, wie sie in Längsschnittstudien mit neuropsychologischen Verfahren dargestellt wurden (Amieva et al. 2008), spiegeln nicht den tatsächlichen neurodegenerativen Prozess wider, sondern können durch andere Einflussfaktoren überlagert worden sein.

    Aufgrund der dargelegten Überlegungen zum Verlauf des neurodegenerativen Prozesses ist nachvollziehbar, dass einmalige Untersuchungen des kognitiv-mnestischen Leistungsprofils nicht zur Frühdiagnostik geeignet erscheinen. Sie können zwar einen Absolutwert wiedergeben, aber erlauben keine Aussage über die Geschwindigkeit einer Leistungsminderung über die Zeit. Insbesondere in der Frühdiagnostik erscheint die Durchführung von zeitlich getrennten Messungen des Leistungsprofils angebracht, um eine Abschätzung der Geschwindigkeit des kognitiv-mnestischen Abbauvorgangs vornehmen zu können. Aufgrund der skizzierten nichtlinearen Verlaufskurven bleiben aber auch die zweizeitigen Untersuchungen mit einem hohen Maß an Unsicherheit behaftet. Erschwert wird das Ganze noch durch passagere Phasen der Stabilisierung und sogar in gewissen Grenzen durch Phasen einer Reversibilität. Hierauf wird im Abschnitt der leichten kognitiven Störungen noch weiter einzugehen sein.

    Palmer et al. (2008) führten eine Populationsuntersuchung mit einer Kohorte von 1 417 älteren Menschen (75–95 Jahre) durch, die nicht an einer Demenz erkrankt waren. Bei einer Nachuntersuchung drei Jahre später hatten 152 Menschen eine Alzheimer-Demenz entwickelt. Lediglich die Hälfte dieser Gruppe hatte bei der Eingangsuntersuchung drei Jahre zuvor von subjektiven Gedächtnisproblemen berichtet und mehr als ein Drittel hatte keine fassbaren Defizite in den neuropsychologisch untersuchten kognitiven Domänen gezeigt. Nur ca. 40 % der Demenzpatienten hatten in der Eingangsuntersuchung sowohl subjektive Gedächtnisprobleme als auch domänen-spezifische kognitive Defizite gezeigt. Diese Untersuchung weist darauf hin, dass Frühsymptome und kognitive Defizite nicht bei allen Menschen zu detektieren sind, die eine Alzheimer-Demenz entwickeln.

    Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für eine adäquate Frühdiagnostik der Demenzerkrankung vom Alzheimer-Typ eine Quantifizierung der pathophysiologisch zugrundeliegenden Amyloidprozessierung zu wünschen wäre, verbunden mit einer Darlegung der zeitlichen Dynamik des neurodegenerativen Prozesses. Es erscheint leicht nachvollziehbar, dass die klinisch messbaren Veränderungen der kognitivmnestischen Leistungsfähigkeit dem neurodegenerativen Prozess zwar folgen, aber erst erkennbar werden, wenn bereits erhebliche Schädigungen des ZNS eingetreten sind. Eine wirkliche Frühdiagnostik müsste demnach im Erwachsenenalter durchgeführt werden, dann, wenn sich erste Amyloidablagerungen entwickeln. Molekularbiologische Methoden, die eine solche Frühdiagnostik bei großen Fallzahlen ermöglichen würden, sind derzeit nicht in Aussicht. Die Frühdiagnostik, die heute klinisch möglich ist, bewegt sich im Bereich der leichten kognitiven Störung im Übergang zur beginnenden Demenzerkrankung. Für die Differentialdiagnostik demenzieller Syndrome ist neben dem klinischen Erscheinungsbild von entscheidender Bedeutung, in welchem Lebensalter sich die Erkrankung manifestiert. Die AD ist zwar in der Gruppe der Menschen > 65 Jahre die häufigste Demenzform, in der Gruppe der präsenilen Demenzen (< 65 Lebensjahre) entspricht die Häufigkeit der AD aber in etwa der Anzahl der frontotemporalen lobären Degenerationen, d. h. in dieser Altersgruppe hat die letztgenannte Demenzform einen viel höheren Stellenwert (Ratnavalli et al. 2002). Bei jungen Patienten spielen nun wiederum ganz andere Erkrankungen in der Differenzialdiagnostik eine Rolle, so dass eine Einteilung in „youngonset dementia (YOD) für Patienten im Alter von 17 bis 45 Jahren, in „early-onset dementia (EOD) für Patienten im Alter von 46 bis 64 und „late-onset dementia" (LOD) für Patienten > 65 Jahre vorgeschlagen wurde (Kelley et al. 2009).

    1 Das Problem der Krankheitseinsicht bei Demenzerkrankungen

    Die Vorstellung einer Frühdiagnostik von Demenzerkrankungen ist geknüpft an die Vorstellung, dass die Betroffenen entweder aus eigenem Anlass oder aufgrund der Veranlassung durch Dritte eine Untersuchung in Gang bringen. Tatsächlich sieht man in einer Gedächtnissprechstunde nur einen Anteil von Menschen, die aufgrund subjektiv wahrgenommener Leistungsdefizite selbstbestimmt eine diagnostische Abklärung initiiert haben. Bei diesen Betroffenen handelt es sich meist um Menschen mit einem hohen prämorbiden Intelligenzniveau, bei dem ein kritisches Reflektieren über die eigene Leistungsfähigkeit im Vergleich zu Menschen der gleichen Altersgruppe besteht. Dem gegenüber steht aber ein großer Anteil von Menschen, die ihre Leistungsdefizite nicht wahrnehmen und die auch selbst nicht darauf gekommen wären, eine Gedächtnisuntersuchung zu veranlassen. Das Phänomen der gestörten Krankheitswahrnehmung bei Demenzerkrankungen, aber auch bei anderen psychischen Erkrankungen ist lange bekannt und auch als ein Kernelement der Demenz eingeordnet worden (Scheller 1965). Babinski prägte 1914 den Begriff der „Anosognosie, womit er das Phänomen beschrieb, dass sich Patienten mit rechtshemisphärischer Schädigung des Gehirns ihrer linken Körperhälfte nicht bewusst zu sein schienen. Die gestörte Krankheitswahrnehmung primär neurologischer Symptome wird heute als „Neglect bezeichnet. Der Begriff der Anosognosie beschreibt die Nichtwahrnehmung oder inadäquate Wahrnehmung einer Erkrankung und ist damit weiter gefasst als der Neglect. Bei der Erforschung von gestörter Krankheitswahrnehmung bei neuropsychiatrischen Erkrankungen ist inzwischen eine begriffliche Vielfalt entstanden, die einer Klärung bedarf.

    Das Problem der gestörten Krankheitswahrnehmung ist komplex, da psychophysische Prozesse auf verschiedenen Ebenen involviert sein können. So kann einerseits ein primär sensorisches Defizit bestehen, das den Betroffenen die Wahrnehmung (engl. „monitoring) unmöglich macht. Darüber hinaus kann neben der sensorischen Ebene auch die kortikale Repräsentation der Defizite und ihre bewusste Verarbeitung durch kognitive Beeinträchtigungen eingeschränkt werden. So erscheint es denkbar, dass zwar Defizite in der Leistungsfähigkeit wahrgenommen werden, diese in ihrer Bedeutung und Tragweite aber nicht verstanden und insofern nicht realisiert werden. Auf einer dritten Ebene ist es möglich, dass Defizite zwar wahrgenommen und erkannt werden, dass aber Verdrängungsprozesse entstehen, die einer dauerhaften Bewusstwerdung entgegenstehen. Solche Prozesse können durch schamhaftes Erleben des eigenen Leistungsversagens begünstigt werden und sind von einer tatsächlichen Störung der Selbstwahrnehmung häufig nur schwer abzugrenzen. Im englischen Sprachraum hat sich für die gestörte Krankheitseinsicht bei Demenzerkrankungen der Terminus „unawareness etabliert, der im Wesentlichen das Unvermögen, die eigenen Defizite wahrzunehmen, beschreibt. Mit dem Begriff „loss of insight wird weniger die Seite der gestörten Sensorik als vielmehr die der unzureichenden kognitiven Verarbeitung der erlebten Defizite beschrieben. Eine Verleugnungstendenz wird mit dem Ausdruck „denial of illness beschrieben. Das Konzept des „Meta-Gedächtnisses" beruht auf der Vorstellung eines Wissens über Erinnerungsstrategien und deren Überwachung. Es bezeichnet die Fähigkeit, über eigene Gedächtnisleistungen- und strategien kritisch zu reflektieren. Dabei könnte eine beeinträchtigte Krankheitswahrnehmung in engem Zusammenhang sowohl mit der Selbstwahrnehmung als auch mit der Selbstkontrolle der eigenen kognitiven Leistungsfähigkeit stehen (Correa et al. 1996). Bei der Alzheimer-Demenz sind Beeinträchtigungen der Krankheitswahrnehmung bereits in frühen Stadien der Erkrankung gut dokumentiert (Clare 2004).

    Retzt-Junginger et al. (2005) untersuchten bei Alzheimer-Patienten eine qualitative sowie eine quantitative Beurteilung ihrer eigenen Gedächtnisleistungen und der ihrer Bezugspersonen. Die qualitative Gedächtnisbeurteilung (persönliche Einschätzung der Veränderung der eigenen Gedächtnisleistung) erwies sich als unabhängig von aktuellen Leistungsdefiziten, während die Genauigkeit quantitativer Leistungsvorhersagen bezogen auf die eigene Gedächtnisleistung mit zunehmenden kognitiven Beeinträchtigungen abnahmen.

    Es werden heute drei verschiedene Methoden zur Erfassung von Krankheitseinsicht bei Alzheimer-Demenz nach begonnener Erkrankung differenziert. Unterschieden wird

    die Erfassung durch das klinische Urteil durch einen erfahrenen externen Untersucher,

    der Vergleich der Einschätzungen

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