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1. Mose (Genesis) 1-11: Die Urgeschichte Gen 1–11
1. Mose (Genesis) 1-11: Die Urgeschichte Gen 1–11
1. Mose (Genesis) 1-11: Die Urgeschichte Gen 1–11
eBook742 Seiten10 Stunden

1. Mose (Genesis) 1-11: Die Urgeschichte Gen 1–11

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Über dieses E-Book

Die biblische Urgeschichte bedenkt die Entstehung der Welt und ihrer Ordnung, das Woher des Menschen und die Ursprünge der Kultur. Sie ist Ausdruck für die in antiken Kulturen weitverbreitete und nach dem damaligen naturkundlichen Kenntnisstand durchdeklinierte Grundüberzeugung, dass alles Gegenwärtige und alles Zukünftige sein Wesen im Anfang erhalten hat. In diesem Sinne bietet die biblische Urgeschichte weniger eine Erklärung der Entstehung der Welt, sondern ist in erster Linie ein Versuch, die Erfahrung des Menschen mit sich und seiner Umwelt deutend zu verstehen. Im Zentrum dieses Nachdenkens in beispielhaften Erzählungen, zu denen sich naturkundliche, genealogische und geographische Ausführungen gesellen, steht der Mensch in seinen vielfältigen Beziehungen zum Mitmenschen, zur nichtmenschlichen Schöpfung und zu Gott.


Jan Christian Gertz legt mit seinem Werk nunmehr in zweiter Auflage eine Kommentierung der Urgeschichte vor, deren Erzählungen von Adam und Eva, Kain und Abel, der Arche Noach und dem Turmbau zu Babel wie wenige andere Literaturwerke unser Selbst- und Weltbild geprägt haben. Der Kommentar bietet Lesern und Leserinnen innerhalb wie außerhalb des Faches eine klar verständliche Synthese der bisherigen Forschung und stellt die Urgeschichte in den Kontext der Literaturen des alten Vorderen Orients.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum8. März 2021
ISBN9783647994680
1. Mose (Genesis) 1-11: Die Urgeschichte Gen 1–11
Autor

Jan Christian Gertz

Dr. theol. Jan Christian Gertz ist Professor für Altes Testament an der Universität Heidelberg.

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    Buchvorschau

    1. Mose (Genesis) 1-11 - Jan Christian Gertz

    Einleitung

    1. Inhalt, Gliederung und Abgrenzung der biblischen Urgeschichte, ihre Stellung im Buch Genesis und im Pentateuch

    Die biblische Urgeschichte bedenkt die Entstehung der Welt und ihrer Ordnung, das Woher des Menschen und die Ursprünge der Kultur. Ihre Erzählungen von Adam und Eva, Kain und Abel, der Arche Noach und dem Turmbau zu Babel haben wie wenige andere Literaturwerke unser Selbst- und Weltbild geprägt. Ihre kosmologischen und anthropologischen Vorstellungen markierten in unserem Kulturraum über die Jahrhunderte hinweg den wichtigsten Orientierungspunkt für eine naturkundliche Welterschließung. Freilich hat die biblische Urgeschichte nach und nach ihre Position als Erklärung für die Entstehung des Kosmos und der Entwicklung des Lebens wie auch als Urkunde der Geschichte der frühen Menschheit zugunsten der modernen Wissenschaften räumen müssen. Uns Heutigen mag sie daher auf den ersten Blick wie eine kulturmächtige, gleichwohl überholte Kosmologie und Geschichtsschreibung wirken, die naturwissenschaftliche und geschichtliche Unkenntnis durch schöne Geschichten ausgleicht. Das ist sie sicher auch. Doch recht verstanden ist sie zunächst einmal der Ausdruck für die in antiken Kulturen weitverbreitete und nach dem damaligen Kenntnisstand durchdeklinierte Grundüberzeugung, dass alles Gegenwärtige und alles Zukünftige sein Wesen im Anfang erhalten hat. In diesem Sinne ist die biblische Urgeschichte von vornherein nicht nur Welterklärung, sondern auch der Versuch, die Welterfahrung deutend zu verstehen. Die dazugehörige sprachliche Ausdrucksform ist der Mythos vom Uranfang, der von dem erzählt, „was niemals geschah, aber immer ist"¹.

    Im Zentrum dieses Nachdenkens in beispielhaften Erzählungen, zu denen sich naturkundliche, genealogische und geographische Ausführungen gesellen, die bereits über den Mythos reflektieren und mit der frühen Form einer naturkundlichen Weltsicht in Einklang zu bringen suchen, steht der Mensch in seinen vielfältigen Beziehungen zum Mitmenschen, zur nichtmenschlichen Schöpfung und zu Gott. Schon der Bericht über die Entstehung der Welt und ihre zeitliche wie räumliche Ordnung (Gen 1, 1–2, 3) ist ganz auf die Erfahrungswelt des Menschen hin ausgerichtet. Aussagen über die Welt vor der Schöpfung, über den Himmel oberhalb des sichtbaren Himmels oder die Tiefen des Meeres sind auf das absolut Notwendige reduziert, während die Beauftragung und Befähigung des Menschen zur Herrschaft über die Welt und die nichtmenschliche Schöpfung prominent am Ende der Schöpfungswerke stehen und breiten Raum einnehmen. Für die Erzählungen vom Paradies (Gen 2, 4–3, 24) und vom Brudermord (Gen 4, 1–16) sowie die genealogischen Notizen über die Nachkommen Kains (Gen 4, 17–24) liegt die ätiologische Ausrichtung auf die Grundgegebenheiten menschlicher Existenz noch deutlicher zu Tage. Vor dem kontrastierenden Hintergrund des paradiesischen Gartens als dem verlorenen Ort einer mühelosen und ungefährdeten Lebenssicherung und eines naiv-ungetrübten Verhältnisses zwischen Mann und Frau sowie des Menschen zu Gott beschreiben sie die Ambivalenz menschlicher Existenz: Die wesensmäßige Verbindung des Menschen mit dem Ackerboden, von dem er genommen ist (Gen 2, 7), von dem er in mühseliger Arbeit seine Nahrung gewinnt und zu dem er im Tod zurückkehrt (Gen 3, 17–19); die geschöpfliche Nähe und gleichzeitige Feindschaft zwischen Mensch und Tier (Gen 2, 18 f; 3, 15); die Freude der Geburt unter Schmerzen (Gen 3, 16); die Verkehrung menschlicher Nähe in ein Herrschaftsgefälle zwischen Mann und Frau (Gen 3, 16); die Erfahrung von Förderung oder Schädigung, die der Mensch unabhängig von seiner Leistung, gleichsam schicksalhaft erfährt und die durch diese Erfahrung hervorgebrachte tödliche Gewalt unter Brüdern (Gen 4, 1–16); die fortschreitende kulturelle Entwicklung (Gen 3, 21; 4, 17. 20–22) durch die Entdeckung des praktischen Wissens (Gen 3, 7) bei gleichzeitig abnehmender Gottesnähe (Gen 3, 24; 4, 11. 14) und zunehmender Gewalt (Gen 4, 8. 14–15. 23–24); die Möglichkeit der Weitergabe des Lebens (Gen 3, 20; 4, 1) und die dem Menschen mit der Vertreibung aus dem Paradies gesetzte Grenze des Todes (Gen 3, 22. 24).

    Mit der Todesgrenze klingt neben der ambivalenten Welterfahrung ein weiteres Bestimmungsmerkmal menschlicher Existenz an, und zwar die Unterscheidung von göttlicher und menschlicher Sphäre (Gen 3, 22). Dies wird in der Episode der sexuellen Verbindung von Göttersöhnen und Menschentöchtern nochmals aufgegriffen (Gen 6, 1–4) und in der Turmbauerzählung auch in räumlicher Perspektive entfaltet (Gen 11, 1–9).

    Grundsätzliche Aussagen zum Wesen des Menschen rahmen schließlich auch die umfangreiche Fluterzählung (Gen 6, 5–9, 17). Der unabänderliche Hang des Menschen zum Bösen und das Übermaß an Gewalttat provozieren Gottes Beschluss zur nahezu vollständigen Vernichtung allen Lebens (Gen 6, 5–7. 11–13) und bestimmen nach der Flut das resignierte Urteil des Schöpfergottes über den Menschen (Gen 8, 21). Als Gegenmythos zur Schöpfungsgeschichte, der die Schöpfung aufgrund ihrer „Verderbnis" bis an den Rand des Abgrundes der vollständigen Vernichtung führt, markiert die Sintfluterzählung einen tiefen Einschnitt. Mit ihr endet die Entstehung der Welt und der Bedingungen des menschlichen Daseins. Zugleich verkörpert sie den Auftakt der bis in die Gegenwart der Leser reichenden Epoche der Geschichte dieser Welt, hinter den es kein Zurück in die Welt des Uranfangs gibt. In dieser zweifachen Perspektive symbolisiert sie, dass die grundsätzliche Infragestellung der Schöpfung durch den Schöpfergott ein für alle Mal überwunden ist – wenn auch um den Preis einer im Kontrast zum ursprünglichen Schöpferwillen stehenden Ordnung regulierter Gewalt (Gen 8, 21–22; 9, 9–17).

    Die biblische Urgeschichte wird durch die sogenannte Toledotformel „Dies sind die Toledot/Zeugungen von N.N." gegliedert. Diese nach dem hebräischen tōledōt („Familiengeschichte, „Genealogie²) benannte Formel trennt den Schöpfungsbericht als Prolog von der mit der Paradieserzählung einsetzenden Geschichte der Menschen ab (Gen 2, 4a). Im Fortgang unterteilt sie die Ereignisfolge in die „Toledot/Zeugungen Adams (Gen 5, 1), Noachs (Gen 6, 9), der Söhne Noachs (Gen 10, 1) und Sems (Gen 11, 10). Nach dieser Gliederung endet die Urgeschichte mit den Nachkommen des Noachsohnes Sem. Mit den auf Abraham hinauslaufenden „Toledot/Zeugungen Terachs (Gen 11, 27) beginnt dann nahtlos die Geschichte der Erzeltern Israels. Daneben ist noch eine zweite Abgrenzung erkennbar. In Analogie zu einigen Literaturwerken des alten Vorderen Orients, in denen der Mythos vom Uranfang die Epochen von Schöpfung und Flut umfasst, kommt auch in der Bibel die Darstellung der Anfänge schon mit dem Ende der Sintfluterzählung an ihr (vorläufiges) Ziel. Die auf die Fluterzählung unmittelbar folgenden Begebenheiten sind nämlich eher als Zeit zwischen der Urgeschichte und der Vorgeschichte des Volkes Israel zu charakterisieren. Diese Zwischenzeit ist insofern urgeschichtlich, als die Völkertafel und die Turmbauerzählung auf die gesamte Menschheit bezogen sind, die in der Turmbauerzählung sogar als handelndes Subjekt auftritt (vgl. Gen 11, 1). Auch nehmen die Unterschrift der Völkertafel und der Auftakt der Genealogie Sems jeweils die Flut zum „ereignisgeschichtlichen Ausgangspunkt ihrer Chronologie (Gen 10, 32; 11, 10). Zugleich kündigt sich in der Erzählung von Noach und seinen Söhnen der Antagonismus zwischen „Israel und „Kanaan" an. Dieser prägt die nachfolgende Darstellung der Geschichte Israels über weite Teile und stellt wie die Aufteilung der Menschheit in die ethnisch und geographisch gegliederte Welt der Völker des alten Vorderen Orients kein urgeschichtliches Thema im engeren Sinne mehr dar.³

    Die Frage der Abgrenzung der biblischen Urgeschichte berührt diejenige nach ihrer Stellung im Buch Genesis und im gesamten Pentateuch⁵. Als Beschreibung eines jeder Geschichte vorausliegenden Urgeschehens stellt sie eine in sich geschlossene Größe dar und ist auch in der Folgezeit immer wieder als solche rezipiert worden. Doch auch wenn sie die allgemeinen Menschheitsthemen anspricht und das Ursprungsgeschehen der conditio humana erzählt, so handelt es sich hierbei nicht um „die Welt oder „den Menschen im Allgemeinen, sondern stets um die Konkretion dieser Allgemeinbegriffe, also die vorfindliche Welt und den vorfindlichen Menschen. Für die biblische Urgeschichte bedeutet dies die Ausrichtung auf eine wie auch immer zu bestimmende Größe Israel. Schon die Schöpfung der Welt in sechs Tagen sowie der Gottesruhe am siebten Tag ist nach der Struktur des Sabbats ausgerichtet, auch wenn der Sabbat selbst ein Privileg Israels ist und deswegen nicht explizit erwähnt wird (s.u. zu Gen 2, 1–3). Noachs Arche ist eine Schöpfung im Kleinen und zugleich nach dem Modell des späteren Jerusalemer Tempels gestaltet (s.u. zu Gen 6, 14–16), der seinerseits die im Schöpfungsbericht dargelegte kosmische Ordnung widerspiegelt (s.u. zu Gen 2, 1–3). Sem, Ham und Jafet sind die Söhne Noachs, die mit ihrem Vater, ihrer namenlosen Mutter und ihren ebenfalls namenlosen Frauen die Flut überleben und von denen es im Anschluss an die Flut heißt: „Diese drei sind die Söhne Noachs und von ihnen aus bevölkerte sich die ganze Erde. (Gen 9, 19). Dieser Gedanke wird in der Völkertafel entfaltet (Gen 10, 1–32) und führt schließlich auf die bis Terach und Abraham reichende Genealogie Sems (Gen 11, 10–26). Am Ende der biblischen Urgeschichte steht also die spezielle Geschichte des Auszugs der Vorfahren Israels aus Ur in Chaldäa. Damit läuft das Urgeschehen auf die mit Gen 12 einsetzende Ursprungsgeschichte Israels hinaus. Besonders deutlich lässt sich diese Perspektive an den Toledotformeln aufweisen. Sie gliedern nicht allein Gen 1–11, sondern auch die Geschichte der Erzeltern Israels (Gen 25, 12. 19; 36, 1. 9; 37, 2), wobei die Geschichte des Volkes Israel in die „Toledot/Zeugungen Jakobs (Gen 37, 2) eingereiht ist, insofern Jakob den Namen Israel erhält (Gen 32, 29; 35, 10) und der Vater der zwölf Stämme Israels ist. Ferner zieht sich das mit dem Schöpfungsbericht anhebende Thema von Mehrung und Segen wie ein Leitmotiv zunächst durch die Urgeschichte und dann durch die nachfolgende Geschichte der Erzeltern und die Gründungsgeschichte des Volkes Israel: Nach der Menschenschöpfung segnet Gott den Menschen und setzt ihn als seinen Beauftragten zum Herrscher über die Erde und ihre Lebewesen ein (Gen 1, 28). Nach der Flut segnet er den Menschen abermals und richtet seinen Bund mit ihm auf (Gen 9, 1–17). Das Motiv von Segen und Bund wird dann mit Blick auf Abraham und seine Nachkommen aufgegriffen und entfaltet. Gott offenbart sich Abraham und richtet seinen Bund mit ihm und seinen Nachkommen auf. Abraham wird zum Vater vieler Völker, vor allem aber wird er zum Ahnherrn des Volkes Israel, dem die Bundeszusage und die Verheißung von Gottesgegenwart und Landgabe gelten (Gen 17). Auch Jakob werden Fruchtbarkeit und Segen zugesprochen (Gen 35), wie es sich dann für Israel in Ägypten realisiert (Ex 1, 7). Auf den Aufenthalt Israels in Ägypten weisen schließlich auch sprachliche Anklänge in der Turmbauerzählung hin (s.u. zu Gen 11, 1–9). In Verbindung mit der „Berufung Abrahams" (Gen 12, 1–3) charakterisieren diese Abrahams Auszug aus Mesopotamien als exemplarische Vorwegnahme von Israels Exodus aus Ägypten.

    2. Die Entstehung der biblischen Urgeschichte

    Schon wegen der skizzierten Verbindungslinien lässt sich die Entstehung von Gen 1–11 nicht gänzlich unabhängig von derjenigen der nachfolgenden Kapitel der Genesis und der übrigen Bücher des Pentateuchs erörtern. Darüber hinaus ist in forschungsgeschichtlicher Hinsicht zu berücksichtigen, dass die literarhistorische Analyse des Pentateuchs mit der Untersuchung der biblischen Urgeschichte eingesetzt hat und diese auch in der jüngeren Forschung vielfach noch als Paradigma für die Entstehung des gesamten Pentateuchs dient. Dies zu entfalten, kann jedoch nicht Aufgabe der Einleitung eines Kommentars zu Gen 1–11 sein. Vielmehr ist es geboten, sich auf einige wenige Seitenblicke zu beschränken. Sachlich lässt sich dies mit der in der gegenwärtigen Forschungsdiskussion zunehmend geteilten Annahme rechtfertigen, nach der Gen 1–11 in weiten Teilen in relativer Unabhängigkeit zum restlichen Pentateuch entstanden ist. Dies gilt im Übrigen in ähnlicher Weise auch für die Geschichte der Erzeltern, die Erzählung von Mose, Exodus und dem Sinai sowie der Landnahme und schließlich auch für Teile der Rechtssammlungen des Pentateuchs: Der Gesamtentwurf der von der Schöpfung der Welt bis zur Eroberung des Landes reichenden Pentateucherzählung ist wesentlich jünger als die einzelnen Überlieferungsblöcke. Diese haben in aller Regel eine eigenständige Vorgeschichte und wurden erst im Laufe ihrer Entstehung zu größeren Teilkompositionen und schließlich zum Gesamtwerk verbunden.

    In ihren Anfängen im 17. und frühen 18. Jh. war die Pentateuchforschung von der Frage nach der literarischen Einheit des Pentateuchs und mehr noch nach der Rolle Moses bei seiner Abfassung bestimmt. Die bei einer historischen Betrachtung naheliegende Frage, wie Mose im Buch Genesis über die Begebenheiten vor seiner Zeit berichten konnte, wurde mit der wirkmächtigen Annahme beantwortet, Mose habe auf Urkunden zurückgreifen können. Auch wenn die Frage nach der Mosaizität des Pentateuchs von der Forschung schon im 19. Jh. endgültig zu den Akten gelegt und in eine Literaturgeschichte anonymer Schriften aus weit späteren Epochen der Geschichte Israels überführt wurde, so hat die „Entdeckung" von zwei Urkunden in Gen 1–11 aufgrund inhaltlicher Spannungen und Doppelungen sowie sprachlicher und stilistischer Unterschiede einen bis heute gültigen Grundkonsens der Forschung begründet. Danach lassen sich in der biblischen Urgeschichte aufgrund ihres jeweiligen sprachlichen und inhaltlichen Profils und ihrer jeweiligen internen Querbezüge zwei Gruppen von Texten unterscheiden. Ihre Abgrenzung ist seit den grundlegenden Analysen von Hermann Hupfeld (1796–1866), Eberhard Schrader (1836–1908), Karl Budde (1850–1935) und Hermann Gunkel (1862–1932) mit Ausnahme einiger Details unstrittig. Das gilt auch für diejenigen Passagen, in denen die beiden Textgruppen wie in der Sintfluterzählung kunstvoll zu einem neuen Ganzen verwoben sind.

    Die erste Gruppe setzt in Gen 1, 1 mit dem Schöpfungsbericht ein. Zu ihr gehören ferner das Register der Zeugungen Adams, eine Version der Sintfluterzählung, der Hauptbestand der Völkertafel und die Genealogie Sems. Die Texte dieser Gruppe werden durch die Toledotformel strukturiert und sind somit deutlich auf eine Fortsetzung in der Geschichte der Erzeltern Israels hin angelegt. Entsprechendes gilt für den Schöpfungsbericht, dessen Aussagen zur räumlichen und zeitlichen Ordnung der Welt in der Darstellung der Einrichtung des Zeltheiligtums am Sinai aufgegriffen werden. Auch das Leitmotiv von Mehrung und Segen, das sich zunächst durch die Urgeschichte und dann durch die nachfolgende Geschichte der Vorfahren Israels und die Gründungsgeschichte des Volkes zieht, hat hier seinen Ausgangspunkt. Schließlich zeichnen sich die Texte dieser Gruppe wie auch ihre Bezugstexte im weiteren Verlauf des Pentateuchs durch eine eigentümliche Sprache, einen definitorischen Stil sowie durch ihr Interesse an chronologischen und genealogischen Sachverhalten aus und entwickeln mit diesen gemeinsam eine von der Schöpfung bis zur Etablierung des Kultes am Sinai reichende universalhistorische Perspektive. Die verschiedenen Modelle zur Entstehung des Pentateuchs werten diesen Befund einhellig so aus, dass sie von einem entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang der fraglichen Passagen in Gen 1–11 mit den gleichsinnigen Abschnitten in den nachfolgenden Büchern des Pentateuchs ausgehen. Aufgrund ihres sprachlichen und theologischen Profils werden diese Texte modellübergreifend als priesterschriftlich (bzw. priesterlich) bezeichnet.⁸ Weitgehende Einmütigkeit besteht auch über ihre Datierung in die erste Hälfte des 6. Jh. v. Chr. Die Texte zur Errichtung des Zeltheiligtums am Sinai stehen in einem sachlichen Zusammenhang mit dem zweiten Jerusalemer Tempel, dem 515 v. Chr. geweihten Nachfolgebau des 587/6 v. Chr. durch Nebukadnezzar II. zerstörten ersten („salomonischen") Tempels, womit freilich nicht ausgeschlossen ist, dass die gedanklichen Voraussetzungen dieses Literaturwerks zum Teil in die Zeit vor dem babylonischen Exil zurückreichen.

    Zur zweiten Gruppe gehören die Paradieserzählung, die Erzählung von Kain und Abel, die Genealogie von Kain und Set, die Episode von den Göttersöhnen und Menschentöchtern, eine zweite Version der Sintfluterzählung, die Erzählung von Noach und seinen Söhnen, einige Verse der Völkertafel sowie die Turmbauerzählung. Die Neuere Urkundenhypothese, die in ihrer maßgeblich von Julius Wellhausen (1844–1918) formulierten und später von Martin Noth (1902–1968) modifizierten Gestalt über lange Zeit geradezu unhinterfragte Gültigkeit hatte, weist diese Texte dem sogenannten Jahwisten (J) zu.⁹ Der Jahwist, der seinen Namen der Verwendung des Gottesnamens Jhwh¹⁰ verdankt, gilt als ein ehedem selbstständiges Literaturwerk aus der frühen Königszeit. Dieses habe wie die exilische oder frühnachexilische Priesterschrift (P) sowie der erst mit den Erzählungen um Abraham einsetzende und aus dem Nordreich stammende Elohist (E) die Hauptthemen der Pentateucherzählung umfasst. In einem mehrstufigen redaktionellen Prozess sei der Jahwist zunächst mit dem Elohisten zum Jehowisten (JE) und später mit der Priesterschrift und dem im Kern aus der ausgehenden Königszeit stammenden Buch Deuteronomium verbunden worden.¹¹ In der gegenwärtigen Diskussion ist die Teilhypothese eines Elohisten weitgehend aufgegeben worden. Darüber hinaus ist hinsichtlich des Jahwisten so ziemlich alles strittig: die literarische und theologische Kohärenz, die Abgrenzung und literarische Erstreckung sowie das Alter und das theologische Profil. Aus diesem Grund werden die jahwistischen Texte unter Einschluss der ehedem dem Elohisten zugeschriebenen Texte in der jüngeren Forschung zunehmend als „nicht-priesterschriftlich" (non-P) bezeichnet. Diese relativ unspezifische Bezeichnung ist darin zutreffend, dass sie das eine gemeinsame Merkmal dieser Texte benennt und alle weiteren Festlegungen meidet. Ob das Gros der nicht-priesterschriftlichen Texte vor der Verbindung mit der Priesterschrift Teil eines übergreifenden Erzählwerks gewesen ist und ob einzelne Texte älter sind als die Priesterschrift oder diese bereits voraussetzen und ergänzen, wird kontrovers diskutiert und ist jeweils im Einzelfall zu prüfen. Das gilt auch für die biblische Urgeschichte – und damit endet der eingangs genannte Konsens.

    2.1 Die Priesterschrift in Genesis 1–11

    Nach der im Kommentar entfalteten Analyse gehören in Gen 1–11 folgende Texte zur Priesterschrift: Gen 1, 1–2, 3 (Schöpfung des Himmels und der Erde); 5, 1–27. 28*. 30–32 (Toledot/Zeugungen Adams); 6, 9–22; 7. 6–7. 11. 13–16a. 17a*. 18–21. 24; 8, 1–2a. 3–5. 13a. 14–19; 9, 1–18a(. 19?). 28–29 (Toledot/Zeugungen Noachs); 10, 1–7. 20. 22–23. 31–32 (Toledot/Zeugungen der Söhne Noachs mit der Völkertafel); 11, 10–26 (Toledot/Zeugungen Sems). Gen 2, 1; 7, 24; 8, 3b; 9, 16; 10, 4b sind sekundär-priesterschriftliche Eintragungen. Die Zuweisung von Gen 9, 19 an die Priesterschrift ist unsicher.

    Die Priesterschrift ist eine vergleichsweise beständige Größe in der gegenwärtigen Pentateuchforschung. Über die Abgrenzung der im weiteren Sinne zur Priesterschrift gehörigen Texte herrscht seit Theodor Nöldeke (1836–1930) im Wesentlichen Einmütigkeit.¹² Umstritten sind hingegen die literarhistorische Differenzierung innerhalb der Priesterschrift und die damit zusammengehörigen Fragen nach der Reichweite der Priesterschrift und ihrem ursprünglichen literarischen Charakter. Die Diskussion darüber, ob die Priesterschrift ursprünglich in Dtn 34* mit Moses Tod und einem Ausblick auf die Inbesitznahme des Landes geendet hat oder – wahrscheinlicher – schon in Ex 40* mit der Errichtung des Zeltheiligtums am Sinai und dem Einzug Jhwhs in das Heiligtum, muss an dieser Stelle nicht aufgegriffen werden. In der Perspektive der priesterschriftlichen Textanteile in Gen 1–11 erscheinen jedenfalls die Ereignisse am Sinai als der Höhe- und Zielpunkt der priesterschriftlichen Erzählung, während sich für das vermutete Ende in Dtn 34* keine Rückbezüge zum Anfang in der Urgeschichte aufzeigen lassen.¹³

    Die Debatte über den ursprünglichen literarischen Charakter ist dagegen für das Verständnis der priesterschriftlichen Texte von unmittelbarer Bedeutung: Lassen sich die priesterschriftlichen Texte in Gen 1–11 als ein eigenständiger Entwurf lesen oder sind diese schon immer auf die nicht-priesterschriftlichen Texte der biblischen Urgeschichte bezogen? Auch wenn sich die Forschungsmehrheit nach wie vor dafür ausspricht, dass die Priesterschrift eine ehedem selbständige Quellenschrift gewesen ist, so hat die intensive Debatte der letzten Jahre doch einige Neujustierungen zur Folge gehabt:¹⁴ Für die priesterschriftlichen Textanteile an Gen 1–11 hat sich bei der Kommentierung die These eines sich selbst tragenden priesterschriftlichen Fadens bewährt.¹⁵ Ähnliches gilt für die Exoduserzählung. Dagegen sieht der Befund für die Erzählungen von den Erzeltern und in der Josefsgeschichte ganz anders aus und es bleibt zu überlegen, ob hier die ohnehin nur spärlich vertretene Priesterschrift nicht von vornherein die nicht-priesterschriftlichen Textanteile integriert hat. Sie wäre dann in Gen 12–50 als Bearbeitungs- oder Kompositionsschicht anzusprechen, die im Anschluss an eine eigenständig formulierte Urgeschichte eine von ihr redigierte Erzeltern- und Josefsgeschichte mit einer eigenen Darstellung der Entstehung des Volkes Israel in Ägypten und der Mosezeit fortgesetzt hat.¹⁶ Wie auch immer der Befund in Gen 12–50 auszuwerten ist, in jedem Fall bilden die priesterschriftlichen Texte in Gen 1–11 den Auftakt eines größeren, ehedem selbständigen Literaturwerks, das in der frühnachexilischen Zeit den Versuch unternimmt, „die Ursprungs- und Gründungsgeschichte des Volkes von Grund auf neu zu erzählen, um den Menschen [seiner] Generation wieder Orientierung und Hoffnung zu vermitteln"¹⁷. Im Rahmen dieser Selbstvergewisserung in einer fortwährenden Krisenerfahrung liegt der besondere Beitrag der Urgeschichte in der Betonung des souveränen Handelns des transzendenten Schöpfergottes, der im Bund mit Noach und seinen Nachkommen seinen universalen Heilswillen bekundet und sich im Fortgang der Heilsgeschichte als der Gott Israels erweisen wird.

    Die priesterschriftliche Urgeschichte ist literarisch weitgehend einheitlich; Ergänzungen der noch selbständigen Priesterschrift beschränken sich auf wenige (Teil-)Verse.¹⁸ Dies schließt freilich nicht aus, dass die Texte eine längere Vorgeschichte haben. So lässt sich für den Schöpfungsbericht vermuten, dass der Priesterschrift eine Aufzählung von Gottes Schöpfungstaten vorgegeben war. Eine genaue Abgrenzung dieser „Vorlage ist allerdings kaum noch möglich. Sehr wahrscheinlich stammt sie ihrerseits schon aus priesterlichen Kreisen und ist somit ein Indiz dafür, dass die in frühnachexilischer Zeit konzipierte Priesterschrift auf älteren priesterlichen Traditionen und Vorstellungen aufruht. Ähnliches gilt wohl auch für die Genealogien in Gen 5 und 11 sowie die Völkertafel in Gen 10. Die Überschrift „Dies ist das Register der Toledot/Zeugungen Adams und erkennbare Nahtstellen in Gen 5, 1–3; 11, 10–11 legen die Vermutung nahe, dass die Priesterschrift ihre Erzählstoffe in ein vorgegebenes „Toledotbuch eingeschrieben hat. Für die Völkertafel wird man an überkommene Listen von Handelspartnern oder dergleichen zu denken haben. Darüber hinaus steht die Priesterschrift in einem breiten Traditionsstrom der Religions- und Literaturgeschichte des alten Vorderen Orients, dessen Gedankenwelt sie eigenständig aufnimmt und weiterdenkt. Gänzlich ungewiss ist dagegen, ob die Priesterschrift die mutmaßlich älteren nicht-priesterschriftlichen Texte in Gen 1–11 gekannt hat und auf diese reagieren wollte. Der in der Forschung gelegentlich festgestellte „dialogische Charakter der biblischen Urgeschichte lässt sich jedenfalls für die priesterschriftlichen Texte im Verhältnis zu den nicht-priesterschriftlichen Texten nicht aufzeigen. Er ist eher das Ergebnis redaktioneller Tätigkeit.

    2.2 Der nicht-priesterschriftliche Textanteil in Genesis 1–11

    Seit Mitte der 70er Jahre des 20. Jh. wird die Neuere Urkundenhypothese zunehmend in Frage gestellt. Zwar spielt sie in der exegetischen Diskussion nach wie vor eine gewichtige Rolle, im Detail wird sie aber mit derartig großen Unterschieden vertreten, dass kaum noch von einem einheitlichen Modell gesprochen werden kann. Auch konnten sich in Anknüpfung wie Widerspruch zur Neueren Urkundenhypothese weitere Entstehungsmodelle etablieren. Besonders strittig ist in dieser zuweilen unübersichtlichen Forschungslage die literarhistorische Einordnung der nicht-priesterschriftlichen Texte. Dies liegt in erster Linie daran, dass diese innerhalb wie außerhalb der Urgeschichte in sprachlicher und theologischer Hinsicht wesentlich disparater sind als die Priesterschrift und zahlreiche Inkohärenzen aufweisen. Dieser Befund wurde im Rahmen der Neueren Urkundenhypothese für Gen 1–11 eine Zeit lang mit der Annahme mehrerer Rezensionen des Jahwisten erklärt.¹⁹ Nachhaltiger wirkten Erklärungen, die von späteren Überarbeitungen eines jahwistischen Grundbestandes sowie der Verarbeitung vorjahwistischer Quellen durch den Jahwisten ausgehen.²⁰ Dass die dem Jahwisten zugeschriebenen Texte keinen geschlossenen Erzählzusammenhang bilden, wird zumeist auf die redaktionelle Verbindung mit der Priesterschrift zurückgeführt, die der Redaktion als Grundlage gedient habe.²¹

    Die grundsätzliche Differenzierung in vorgegebene Materialien, einen Kernbestand und spätere, zum Teil auch nachpriesterschriftliche Ergänzungen lässt sich in unterschiedlicher Akzentuierung und Interpretation auch in der gegenwärtigen Diskussion vielfach beobachten. Besonders auffällig ist jedoch die Verschiebung der relativen Chronologie zwischen der Priesterschrift und den meisten nicht-priesterschriftlichen Texten in Gen 1–11. Nach der Neueren Urkundenhypothese sind die nicht-priesterschriftlichen Textanteile in Gen 1–11 fast durchweg älter als die spätexilisch oder frühnachexilisch datierte Priesterschrift. Diese Einschätzung hat sich grundlegend gewandelt. In einer Reihe neuerer Untersuchungen wird die These vertreten, die nicht-priesterschriftlichen Passagen in Gen 1–11 seien von vornherein als eine Ergänzung zur Priesterschrift konzipiert worden.²² Diese nachpriesterschriftliche Redaktion habe sich vorgegebener, zum Teil auch vor-priesterschriftlicher Traditionen bedient und sei als programmatischer Vorbau zu Gen 12 ff entworfen worden. So wird etwa in der Paradieserzählung in Gen 2, 4–3, 24 eine midraschartige Reflexion zum priesterschriftlichen Schöpfungsbericht in Gen 1, 1–2, 3 erkannt, die aus spätweisheitlichskeptischer Anschauung und vor dem Hintergrund negativer geschichtlicher Erfahrungen in der nachexilischen Zeit die optimistische Sicht der Priesterschrift korrigiere. Ihr Hauptanliegen sei es, zu erklären, wie die sehr gute Schöpfung (Gen 1, 31) so sehr verderben konnte, dass Jhwh sich genötigt sah, sie ins uranfängliche Chaos zurückzustoßen.²³

    Von dieser grundsätzlichen Umkehrung der literarhistorischen Verhältnisse sind solche Erklärungsansätze zu unterscheiden, die an der These einer nicht-priesterschriftlichen Version der Urgeschichte festhalten, die erst nachträglich mit den priesterschriftlichen Texten verbunden worden ist. In diesem Fall wird zumeist mit weitreichenden Bearbeitungen des nicht-priesterschriftlichen Kernbestandes durch eine (nach-)priesterschriftliche Redaktion gerechnet. Das kann auch die Ergänzung um eine oder gleich mehrere Erzählungen einschließen, ohne dass dieses Urteil jedoch auf den gesamten nicht-priesterschriftlichen Textbestand in Gen 1–11 ausgedehnt wird.²⁴ Die Ergebnisse dieser Analysen unterscheiden sich im Detail und in der Gesamtschau mitunter recht deutlich. In der Regel zählen zum Grundbestand der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte zumindest die Paradieserzählung, die Brudermorderzählung samt der genealogischen Auflistung der Nachkommen Kains und Sets sowie eine nicht-priesterschriftliche Version der Sintfluterzählung.²⁵ Ausgangspunkt für diese Auffassung, die auch in diesem Kommentar geteilt wird, sind altbekannte Beobachtungen zur Quellenscheidung in Gen 1–3: Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht und die nicht-priesterschriftliche Paradieserzählung sind zwei in sich geschlossene Texte mit einem markanten sprachlichen Profil, die beide auf jeweils unverwechselbare Weise das göttliche Schöpfungshandeln thematisieren, sich aber in der Gesamtszenerie wie in der Abfolge der Schöpfungswerke widersprechen. Beide Texte geben in der Grundsubstanz keine gegenseitige Kenntnis- oder Bezugnahme zu erkennen. Einige wenige Angleichungen, die gerne für eine redaktionelle Herkunft der gesamten Paradieserzählung angeführt werden, lassen sich hingegen leicht von der Erzählsubstanz als Nachträge ablösen. Gerade weil sich die Spannungen, die durch die kanonische Abfolge von Schöpfungsbericht und Paradieserzählung entstehen, auch auf Nebenzüge erstrecken und sich nicht mit der unterstellten Intention einer midraschartigen Kommentierung von Gen 1, 1–2, 3 erklären lassen, darf die Annahme einer redaktionellen Verbindung von zwei ehedem unabhängig voneinander überlieferten Texten nach wie vor als die einfachere und deshalb zu favorisierende Erklärung gelten. Vergleichbar ist der Befund für die teilweise parallelen Genealogien in Gen 4, 17–26* und Gen 5, 1–32* und für die Fluterzählung in Gen 6, 5–9, 17, wofür an dieser Stelle auf die Kommentierung verwiesen werden kann.

    Aus den genannten Gründen wird in verschiedenen Entstehungsmodellen an der These eines mit der Paradieserzählung eröffneten Literaturwerkes festgehalten. Dessen Reichweite und damit der Auslegungshorizont sind jedoch umstritten: Die Annahme einer ursprünglichen Zusammengehörigkeit des nicht-priesterschriftlichen Textbestandes in der Urgeschichte und in der Erzelterngeschichte gehört zu den Grundlagen der klassischen Hypothese eines Jahwisten. Mit von Rads Genesiskommentar wurde sie zum Schlüssel für die Herausarbeitung des literarischen und theologischen Profils dieser Quellenschrift.²⁶ Nach von Rad ist die Voranstellung der Urgeschichte vor die mit Gen 12, 1–3 einsetzende „Heilsgeschichte das originäre Werk des Jahwisten: „[Es] fehlen […] Anzeichen dafür, daß der Jahwist hier schon einer vorgegebenen Tradition folge. Diese Schau ist so einmalig, und man glaubt jenem noch Lockeren der ganzen Komposition das Wagnis des ersten Wurfes noch abfühlen zu können²⁷. Die theologische Konzeption der aus sehr verschiedenen Elementen zusammengesetzten Komposition entfalte sich im Zusammenspiel zweier gegenläufiger Bewegungen, dem „lawinenartigen Anwachsen der Sünde²⁸ einerseits und dem „heimliche[n] Mächtigwerden der Gnade²⁹ in Gottes vergebendem Heilshandeln andererseits. Lediglich in der abschließenden Turmbauerzählung wirke das Gericht auf den ersten Blick wie das letzte Wort. Doch deute dies auf die charakteristische Verzahnung von jahwistischer Urgeschichte und Erzelterngeschichte hin, insofern die Berufung Abrahams in Gen 12, 1–3 auf die offene Frage nach dem „Verhältnis Gottes zu seiner empörerischen, nun aber in Splitter zerschlagenen Menschheit³⁰ antworte und zugleich eine partikulare Segensgeschichte in universaler Ausrichtung eröffne. Die Rede vom „lawinenartigen Anwachsen der Sünde hat jedoch zunehmend Widerspruch erfahren.³¹ Insbesondere die Sintfluterzählung fügt sich nur schlecht in die aufgezeigte Kompositionslinie. Die im Flutprolog in Gen 6, 5–8 festgestellte Totalität der Sünde und die Härte des Gerichts, das beinahe zur totalen Vernichtung der Menschheit führt, sowie die am Ende der Flut in Gen 8, 20–22 zugesagte gnädige Entkoppelung von menschlicher Schuld und göttlicher Reaktion entziehen sich der vermeintlichen Steigerungslogik.³² Auch fällt es im Vergleich mit der Flutgeschichte schwer, in der Turmbauerzählung das abschließende „gnadenlos[e] Gottesgericht über die Menschheit"³³ zu sehen.

    In Auseinandersetzung mit von Rad wurde daher die These der ursprünglichen Selbständigkeit der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte entwickelt.³⁴ Auf diese These führt vor allem deren große thematische und kompositionelle Geschlossenheit. Obgleich die nicht-priesterschriftliche Urgeschichte von einem feinmaschigen Netz an Querverweisen durchzogen ist, weist sie im Kernbestand nicht über sich hinaus. Hiermit korrespondiert, dass im Kernbestand der nicht-priesterschriftlichen Erzählungen von den Erzeltern nirgends auf die Urgeschichte Bezug genommen wird. Vor allem für Gen 12, 1–3, den vermeintlichen Ziel- und Fluchtpunkt der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte, ist das Fehlen eines derartigen Rückverweises auffällig. Ferner unterscheiden sich die „Weltentwürfe und Problemhorizonte³⁵: Die Urgeschichte schildert den Menschen als Ackerbauern mit existentieller Bindung an seine Scholle (vgl. Gen 2, 5; 3, 23). Hingegen zeichnen die Erzählungen von den Erzeltern das Idealbild eines halbnomadischen Daseins, was wiederum in der Perspektive der Urgeschichte als Fluchexistenz erscheinen muss (vgl. Gen 4, 11 f). Zudem sind die Verheißungen an die Patriarchen nicht als Gegenbewegung zu den in der Urgeschichte herausgestellten Daseinsminderungen menschlichen Lebens entworfen. Selbst das Ziel des Exodus, die Sesshaftwerdung in einem „Land, fließend von Milch und Honig (Ex 3, 8; Dtn 26, 9 u. ö.), ist nicht als Überwindung der Fluchdimension von Gen 3–4 gekennzeichnet.

    Dementsprechend lässt sich die nicht-priesterschriftliche Urgeschichte besser verstehen, wenn sie als eigenständige Komposition und nicht als unselbständiger Vorbau zu den Erzählungen von den Erzeltern Israels gelesen wird. Es bleibt die Frage nach ihrem Umfang. Die gängige, sich vom kanonischen Endtext und der Auslegungsgeschichte her nahelegende Abgrenzung lässt sie mit der Turmbauerzählung in Gen 11, 1–9 enden.³⁶ Angesichts des für biblische Erzähltexte üblichen Achtergewichts ist es jedoch nur schwer vorstellbar, dass eine in Juda, in Israel oder im Kreise der babylonischen Diaspora verfasste Urgeschichte ausgerechnet mit der Notiz geendet haben soll „Darum nennt man ihren Namen Babel, denn dort vermengte Jhwh die Sprache der ganzen Menschheit. Und von dort hat Jhwh sie über die ganze Erde zerstreut (Gen 11, 9). Verstärkt wird diese Einschätzung durch die Schwierigkeiten, der unterstellten Abfolge von Schöpfung, Flut und Turmbauerzählung eine Analogie aus der Literatur des alten Vorderen Orients zur Seite zu stellen, zu der die nicht-priesterschriftliche Urgeschichte ansonsten eine deutliche Affinität erkennen lässt.³⁷ Dagegen ist die Konzentration auf die Themen „Schöpfung und „Flut" gut belegt.³⁸ Dies spricht wie die kompositionelle Geschlossenheit von Gen 2, 4–8, 22* eher für ein Ende mit dem Abschluss der Fluterzählung.³⁹ Diese Annahme wird durch das Ergebnis der literarischen Analyse bestätigt. Wie im Kommentar dargelegt, liegen die Querbezüge innerhalb des durch Gen 2, 4b und Gen 8, 20–22 gesetzten Rahmens auf einer anderen, und zwar älteren literarischen Ebene als diejenigen, welche die Texte einbinden, die auf die Sintfluterzählung folgen und die wohl bereits die Verbindung mit der Priesterschrift voraussetzen. Auf dieser Linie wird im Folgenden innerhalb des nicht-priesterschriftlichen Textes zwischen einer ehedem selbständigen Urgeschichte und einer nachpriesterschriftlichen Redaktion unterschieden. Der Verfasser der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte wird als weisheitlicher Erzähler bezeichnet.

    2.2.1 Die ehedem selbständige Urgeschichte des weisheitlichen Erzählers

    Der ehedem selbständigen Urgeschichte des weisheitlichen Erzählers werden folgende Texte zugerechnet: Gen 2, 4b–3, 24* (Paradieserzählung; ohne Angleichungen an P in Gen 2, 20*; 3, 14* und durch die Erweiterung des Gottesnamens Jhwh zu Jhwh-Gott sowie ohne die Paradiesgeographie und das Motiv vom Lebensbaum); 4, 1–5. 8b–26a; 5, 28*. 29 (Kain und Abel; Kainiten und Setiten); 6, 5–7a*. 8; 7, 1a. 2. 3b–5. 16b. 10a. 12. 17b. 22*. 23*; 8, 2b. 6. 8–12. 13b. 20–22 (Sintflut). Gen 2, 7aα*. 9(b*?). 10–15; 3, 19b. 22. 23a*. 24; 4, 6–8a; 8, 7 sind sekundäre Passagen, deren redaktionsgeschichtliche Einordnung und Verhältnisbestimmung zur Priesterschrift zum Teil recht unsicher ist.

    Das so abgegrenzte Literaturwerk umfasst die Themen Schöpfung und Flut und bildet ein judäisches Pendant zu den mesopotamischen Mythen vom Uranfang. Seine kompositorische Höhenlinie ist schnell skizziert. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Geschichte der Krise und ihrer Überwindung sowie eine Beschreibung der ambivalent wahrgenommenen Erfahrungswirklichkeit als Folge schuldhafter Daseinsminderungen. Diese Geschichte setzt mit der wider den Willen des Schöpfergottes erlangten Fähigkeit des Menschen ein, sich zwischen dem Guten und dem Schlechten, dem Lebensförderlichen und Lebensfeindlichen, zu entscheiden. Am Beispiel der Brudermorderzählung illustriert sie die Wahl des Schlechten, wie sie sich ungeachtet aller kulturellen Errungenschaften im Lied des Lamech verfestigt. Mit dem im Prolog der Sintfluterzählung über die Menschheit ausgesprochenen Urteil und dem darin begründeten Entschluss, die Erschaffung des Lebens grundsätzlich in Frage zu stellen, erfährt die Krise ihre äußerste Zuspitzung, der dann in der Bestandszusage des Schöpfergottes nach der Flut die Auflösung folgt: Der Bestand der Erde ist vom menschlichen Tun entkoppelt, die Ambivalenz menschlichen Lebens ist nicht aufgehoben, wohl aber in die Schöpfungsordnung integriert. Als Geschichte der grundsätzlichen Infragestellung der Schöpfung und der Überwindung dieser Krise bietet die Fluterzählung den kaum überbietbaren Höhepunkt und zugleich Abschluss eines Erzählwerks, das mit der Erschaffung des menschlichen Lebens und der Grundsituation seiner Ambivalenz einsetzt. Überdies ist dieser Abschluss mit seiner Bestandszusage auf die Lebenswirklichkeit seiner Autoren und Leser hin formuliert, und zwar ohne dass dies einer weiteren Entfaltung bedarf.

    Die Zuschreibung an einen weisheitlichen Erzähler nimmt die vielfach vorgebrachte Einschätzung einer weisheitlichen Prägung der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte und hier insbesondere der Paradieserzählung auf:⁴⁰ Die in Gen 2, 4–3, 24 durch das Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis eröffnete Möglichkeit der Unterscheidung zwischen dem lebensförderlichen Guten und dem lebenshinderlichen Schlechten ist nach 1Kön 3, 9. 12 „nichts anderes als praktizierte Weisheit⁴¹. Darüber hinaus ist die in vielen Facetten entfaltete Thematik menschlicher Erkenntnis samt der damit zusammenhängenden Frage nach der Möglichkeit gelingenden Lebens angesichts der Ambivalenz der Welterfahrung eine spezifisch weisheitliche Problematik. Das gilt ebenso für die Reflexion menschlichen Lebens und Handelns in Relation zu Gott und Welt, wie sie die gesamte nicht-priesterschriftliche Urgeschichte durchzieht. Gleichwohl sollte die Zuschreibung an einen weisheitlichen Erzähler nicht zu eng im Sinne „weisheitlicher Trägerkreise oder einer gattungsspezifischen Zuweisung der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte verstanden werden. Die Teilhabe an weisheitlichen Themen und der weisheitlichen Gedankenwelt kann auch etwas weniger spezifisch in den Kontext der gelehrten Welt der Schreiber weisen.⁴² In diese Richtung deutet auch der souveräne Umgang mit den Bildungsstoffen des alten Vorderen Orients. Sie zeigt eine Intellektualität und Textkenntnis, wie sie vornehmlich in der Schreiberausbildung beheimatet war. Von besonderem Interesse ist dabei die nicht-priesterschriftliche Version der Sintfluterzählung. Sie verrät nicht nur eine allgemeine Vertrautheit mit den mesopotamischen Stoffen, sondern bezeugt höchstwahrscheinlich die konkrete Kenntnis von Texten aus Mesopotamien, die dem weisheitlichen Erzähler als Anregung und Exempel für die Formulierung der eigenen Gotteskonzeption gedient haben. Anders als die stark von assyrischen Texten beeinflusste deuteronomisch-deuteronomistische Literatur ist die Urgeschichte aber nicht durch eine Abgrenzung gegenüber dem Fremden geprägt. Vielmehr ist ihre Rezeption der mesopotamischen Traditionen unbeschadet aller Eigenständigkeit der judäischen Lesart durchweg positiv. Die Ursprünge dieser Textkenntnis können versuchsweise mit den Hofschreibern während der langen Regierungszeit des Königs Manasse von Juda (694–640 v. Chr.) oder deren Nachfolgern in Verbindung gebracht werden. Hierfür sprechen neben der geschilderten Art und Weise der Rezeption nicht zuletzt die intensiven Kontakte des Jerusalemer Hofes zu den neuassyrischen Oberherren.

    Damit ist die schwierige, wenn nicht unlösbare Aufgabe der Datierung der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte angesprochen. In jüngerer Zeit wurde der Hinweis auf ihre weisheitliche Prägung dahingehend konkretisiert, dass sie eine besondere Nähe zur späten Weisheit aufweise.⁴³ Doch der weisheitliche Erzähler setzt andere Akzente. Es geht im Unterschied zu den Hauptstimmen der späten Weisheit weder um eine offenbarungstheologische Aufwertung der Weisheit noch um die Begrenztheit menschlicher Erkenntnis, die nach Hiob 28 und Pred 3, 11; 8, 6 f. 17 dem Menschen einen Zugang zur göttlichen Weisheit verwehrt. Die Erkenntnisfähigkeit wird nicht an die Frömmigkeit gebunden und das Erkennen wird auch nicht mit der Befolgung der Tora in eins gesetzt. Vielmehr hat der Mensch nach der Paradieserzählung mit dem Essen der verbotenen Frucht generell und ohne Einschränkung die Fähigkeit der Unterscheidung zwischen dem lebensförderlichen Guten und dem lebenshinderlichen Schlechten erlangt. Problematisiert werden dagegen die Folgen dieser an sich positiv bewerteten Fähigkeit und der mit ihr gegebenen Freiheit zur Entscheidung.⁴⁴ Damit ist ein Hauptthema der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte angestimmt, und zwar die Ambivalenz der Wirklichkeitserfahrung. Die Einordnung der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte in die späte Weisheit bleibt daher unsicher.

    Auch eine vor allem aus dem Erzählzug der Übertretung des göttlichen Gebots hergeleitete Nähe zur deuteronomisch-deuteronomistischen Theologie hilft hinsichtlich der literarhistorischen Einordnung nicht weiter. Die in der Diskussion genannten Motivkombinationen, etwa das Hören auf Gottes Stimme, die Furcht vor Gott, die Androhung von Strafe für den Ungehorsam gegenüber dem göttlichen Verbot, sowie das angeführte Vokabular sind zu unspezifisch für den Nachweis eines deuteronomisch-deuteronomistischen Einflusses.⁴⁵ Auch ist es kaum vorstellbar, dass ein durch deuteronomischdeuteronomistische Texte geprägter Autor es sich hätte nehmen lassen, die grandiose Verhörszene nach der Entdeckung der Übertretung des göttlichen Verbots mit einer ausführlichen Predigt über Gehorsam und Ungehorsam gegenüber den guten Geboten Gottes anzureichern und dadurch zu verderben.

    Eine gewisse literarhistorische Orientierung ermöglichen hingegen unheilsprophetische Anklänge in der Sintfluterzählung des weisheitlichen Erzählers. Die Vorstellung von der Reue Gottes und die illusionslose Sicht des Menschen setzen die Unheilsprophetie des 8. und 7. Jh. v. Chr. voraus, wobei jedoch nicht primär an konkrete Textkenntnis (vgl. Hos 11; Jer 18), sondern eher an konzeptionelle Übereinstimmungen zu denken ist.⁴⁶ Grundsätzlich wird für die literarhistorische und theologiegeschichtliche Einordnung der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte auch ihr sehr komplexes Gottesbild zu bedenken sein. Es sind sehr unterschiedliche Wahrnehmungen Gottes, die in dem einen Gott Jhwh zusammengedacht werden: der gute Schöpfergott, der strafende und fürsorgliche Gott, der aus Barmherzigkeit rettende Gott, der Gott, der sich angesichts der Bosheit der Menschen göttliche Selbstbeschränkungen auferlegt. Dieses Nebeneinander der verschiedenen Perspektiven ist in einer sehr frühen Epoche der Religions- und Literaturgeschichte des antiken Israel schlechterdings nicht denkbar.

    2.2.2 Die nachpriesterschriftliche Redaktion

    Die Redaktion ist für die Verbindung der Priesterschrift mit der Urgeschichte des weisheitlichen Erzählers verantwortlich. In diesem Zusammenhang stehen Angleichungen der Paradieserzählung an den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht durch die Erweiterung des Gottesnamens Jhwh zu Jhwh-Gott, durch die Toledotformel in Gen 2, 4a und durch Einträge in Gen 2, 20*; 3, 14* sowie ausgleichende Notizen in der Sintfluterzählung in Gen 6, 7aα*.βγ; 7, 1b. 3a. 8–9. 10b. 17a*. 22*. 23a*. Die Abschnitte Gen 6, 1–4 (Göttersöhne und Menschentöchter); 9, 18b(. 19?). 20–27 (Noach und seine Söhne); 10, 8–19. 21. 24–30 (Erweiterungen der priesterschriftlichen Völkertafel) und 11, 1–9 (Turmbauerzählung) sind für den jetzigen Kontext geschrieben und setzen die übrigen nicht-priesterschriftlichen Texte und deren Verbindung mit der Priesterschrift voraus. Das schließt freilich nicht aus, dass sie im Einzelfall auf älterem Traditionsgut aufruhen, auch wenn sich dieses nicht mehr trennscharf abgrenzen lässt. Hinzu kommen weitere Nachträge zur Urgeschichte des weisheitlichen Erzählers in Gen 2, 7aα*. 9(b*?). 10–15; 3, 19b. 22. 23a*. 24; 4, 6–8a; 8, 7. Wie erwähnt, ist deren redaktionsgeschichtliche Einordnung und Verhältnisbestimmung zur Priesterschrift zum Teil recht unsicher.

    Die der Redaktion zugewiesenen Texte gehen sicher nicht auf eine Hand oder einen einstimmigen Redaktionsvorgang zurück. Zum einen lassen einige der als redaktionell qualifizierten Abschnitte in sich noch Spuren späterer Bearbeitungen erkennen. Dies gilt etwa für die Auffüllung der bereits redaktionell überarbeiteten Völkertafel in Gen 10 um weiteres geographisches Material. Zum anderen setzen die redaktionellen Texte zum Teil eigene Akzente, die sie unbeschadet der erkannten Querbezüge aus dem Kreis der anderen redaktionellen Texte herausheben. Ihr Profil gewinnen die redaktionellen Texte jeweils durch ihre Bezüge auf den Nahkontext sowie die Einbeziehung von Problemhorizonten, die weit außerhalb der Urgeschichte liegen. Dies wird im Kommentar im Einzelnen dargelegt. Für das Profil der redaktionellen Endgestalt der biblischen Urgeschichte kann auf das erste Teilkapitel dieser Einleitung zurückverwiesen werden.

    3. Die biblische Urgeschichte im Rahmen der Literaturen des alten Vorderen Orients

    Aufbau und Inhalt der biblischen Urgeschichte sind nicht auf das Alte Testament beschränkt. Dies war für einige Erzählungen und Motive schon in der Antike bekannt und musste dort als das geradezu Natürliche gelten. Wie hätte denn ein universales Ereignis wie die Sintflut keinen Eingang in die Erinnerung der gesamten von Noach abstammenden Menschheit finden können? Doch erst mit der Wiederentdeckung und Entzifferung der keilschriftlichen Originaldokumente seit dem 19. Jh. wurde deutlich, wie eng die biblische Urgeschichte mit den mesopotamischen Überlieferungen verbunden ist. Als George Smith 1872 erstmals den Originaltext einer mesopotamischen Fluterzählung präsentierte, war dies eine wissenschaftliche und gesellschaftliche Sensation.⁴⁷ Die Ähnlichkeiten zur biblischen Sintfluterzählung waren so auffällig, dass die Annahme eines entstehungsgeschichtlichen Zusammenhangs unabweisbar war. Damit schloss sich der Kreis zu dem jüdisch-römischen Historiker Flavius Josephus, der bereits im 1. Jh. n. Chr. Noach mit den Fluthelden der mesopotamischen Überlieferung identifiziert hatte (Jos.Ant. I, 93). Mit der Erschließung einer immer größeren Anzahl an Originaltexten setzte sich in der Folgezeit schnell die Einsicht durch, dass es sich bei der Fluterzählung wie bei den anderen aus den mesopotamischen Mythen bekannten Inhalten in Gen 1–11 um keine genuin israelitischen Traditionen handelt. Dies legt im Übrigen auch der biblische Text nahe, lokalisiert die biblische Urgeschichte doch die meisten ihrer Erzählungen selbst in der Region von Euphrat und Tigris. Die Frage, welche Texte die biblischen Autoren gekannt und für ihre eigenen Werke verwendet haben, ist im Einzelfall jedoch genauso schwierig zu beantworten wie diejenige nach den Rezeptionswegen und den Gründen für die Aufnahme des fremden Traditionsguts.

    Für die biblische Urgeschichte werden zumeist drei große mesopotamische Epen als vorbildgebende Parallelen genannt, das Gilgamesch-Epos, das Atram asis-Epos und das Marduk-Epos Enuma Eliš:

    1. Das Gilgamesch-Epos war im gesamten alten Vorderen Orient bis in die hellenistische Zeit hinein bekannt.⁴⁸ Es reflektiert am Beispiel des herausragenden Herrschers und Helden Gilgamesch die Suche des Menschen nach dem Leben angesichts von Tod und Endlichkeit. Einzelzüge des Epos wie die Schlange, die dem Helden das Kraut der Unsterblichkeit entwindet, oder die Erschaffung des Wildmenschen Enkidu aus Lehm und seine in Stufen vollzogene „Menschwerdung vom „Wildling zum „Kulturmenschen" werden immer wieder mit der Paradiesgeschichte des weisheitlichen Erzählers in Gen 2, 4–3, 24 in Verbindung gebracht. Besondere Aufmerksamkeit verdient indes die Fluterzählung der elften Tafel des Epos, die ihrerseits ein Exzerpt aus dem Atram asis-Epos ist. Die Übereinstimmungen mit der biblischen Fluterzählung reichen bis in die Details. Sie lassen sich schwerlich allein mit der Aufnahme des Plots einer Erzählung von einer großen Flut erklären, sondern beruhen höchstwahrscheinlich auf Textkenntnis.

    2. Das altbabylonische Atram asis-Epos ist neben der Fluterzählung auch deshalb von besonderem Interesse, weil es zudem die aus der biblischen Urgeschichte bekannte Abfolge von (Menschen-)Schöpfung und Flut bietet.⁴⁹ Nach dem Atram asis-Epos wurden die Menschen erschaffen, um den Göttern die Arbeit abzunehmen und um sich um deren Versorgung zu kümmern. Die Vermehrung der Menschheit führt jedoch zum Konflikt mit den Göttern, die daraufhin die Menschen erst mit Plagen und dann in letzter Konsequenz durch eine Sintflut zu vernichten suchen. Am Ende der Flut ist das Verhältnis der Götter untereinander und der Götter zu den Menschen grundsätzlich geklärt. Die Götter sind auf die Versorgung durch die Menschen angewiesen, weshalb der abermalige Versuch ihrer Vernichtung unklug wäre.

    3. Das wohl aus der Regierungszeit Nebukadnezars I. (ca. 1120–1098 v. Chr.) stammende und durch zahlreiche Textvertreter aus der ersten Hälfte des 1. Jt. v. Chr. belegte babylonische Marduk-Epos Enuma Eliš erzählt von der Erschaffung und Ordnung der Welt und preist den Aufstieg des babylonischen Stadtgottes Marduk zum Götterkönig.⁵⁰ Die Darstellung der Welt vor ihrer Erschaffung weist eine Reihe von motivischen Anklängen an den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht in Gen 1, 1–2, 3 auf.

    Die drei genannten Texte gehören nach der Anzahl sowie der zeitlichen und geographischen Streuung ihrer Textvertreter zu den bekanntesten Literaturwerken des alten Vorderen Orients. Ausweislich einiger Bruchstücke des Gilgamesch-Epos aus dem israelitischen Meggido und Emar am mittleren Euphrat sowie einer mittelbabylonischen Rezension des Atram asis-Epos in Ugarit waren diese beiden Epen in der Levante bekannt.⁵¹ Passagen des Marduk-Epos Enuma Eliš und des Gilgamesch-Epos sind auf sogenannten Schultafeln belegt. Das Abschreiben und Memorieren dieser beiden Werke war offensichtlich Bestandteil des Curriculums der Schreiberausbildung in Mesopotamien. Daher liegt es durchaus nahe, dass auch judäische Schreiber, die für eine diplomatische Laufbahn die Sprache und Schrift der politischen und kulturellen Hegemonialmacht zu erlernen hatten, zumindest in Grundzügen mit ihnen vertraut waren. Hinzu kommt, dass es sich um literarische Kompositionen handelt, die auf älteren Erzählstoffen und Überlieferungen beruhen, weswegen einzelne Erzählzüge und Motive auch auf anderen Überlieferungswegen zu den biblischen Autoren gelangt sein können.

    Unbeschadet der möglichen, im Fall der Sintfluterzählung sogar höchst wahrscheinlichen Kenntnis der mesopotamischen Texte durch judäische Schreiber ist gleichwohl in jedem Einzelfall sehr genau zu prüfen, inwieweit sich die Ähnlichkeiten mit Text- oder Stoffkenntnis erklären lassen oder ob diese lediglich auf einer ähnlichen Weltsicht oder einem ähnlichen Welterleben beruhen. Dies sei im Vorgriff auf die Kommentierung an einigen wenigen Beispielen illustriert: Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht in Gen 1, 1–2, 3 teilt Vorstellungen, Motive und Sprachformen mit einer ganzen Reihe von mesopotamischen, ägyptischen und griechischen Texten. Hinzu kommt eine große Nähe zu kosmologischen Vorstellungen des Ezechielbuches, das wiederum enge Verbindungen zu mesopotamischen Texten aufweist. Damit befindet sich der priesterschriftliche Schöpfungsbericht in einem ganzen Netzwerk an Texten, zu denen sich Beziehungen oder Gemeinsamkeiten feststellen lassen. So erinnert seine strenge Systematik in der Ordnung der Lebewesen nach Stamm, Gattung und Art deutlich an die Naturphilosophie der Vorsokratiker, für die sich ihrerseits Berührungen mit neuassyrischen Kommentaren zu den klassischen mythischen Texten Mesopotamiens aufweisen lassen. Dieser Befund spricht gegen eine einlinige Herleitung des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts aus dem Enuma Eliš. Eher sind die Verfasser der Priesterschrift grundsätzlich in einem maßgeblich von Mesopotamien inspirierten ostmediterran-nahöstlichen Kultur- und Wissenschaftsraum zu verorten.⁵²

    Auf einem vergleichbaren Welterleben dürfte hingegen die Vorstellung der Erschaffung Adams und von Gilgameschs Gefährten Enkidu aus Lehm beruhen (vgl. Gen 2, 7; Gilgm I, 101–112). Sie erklärt sich wie die korrespondierende Aussage, dass der Mensch im Tode (wieder) zu Staub oder Lehm wird (vgl. Gen 3, 19; Gilgm X 68 f u. ö.), hinreichend mit der Anschauung der in weiten Teilen des alten Vorderen Orients einschließlich Israels geübten Praxis, den Körper Verstorbener zu bestatten und nicht zu verbrennen. Auch für die Schlange in Gen 3, die immer wieder mit dem Gilgamesch-Epos in Verbindung gebracht wird, muss keine Übernahme des mesopotamischen Stoffes angenommen werden. Der Auftritt der Schlange in den beiden Texten unterscheidet sich im Detail recht deutlich. Ferner gelten Schlangen kulturübergreifend als besonders klug und erscheinen obendrein in der Ikonographie des antiken Israel häufig in Verbindung mit heiligen Bäumen. Die Schlange ist daher auch ohne das Vorbild des Gilgamesch-Epos dafür prädestiniert, den Menschen zum Genuss der verbotenen Frucht vom Baum der Erkenntnis zu verführen – was eine Bekanntschaft des weisheitlichen Erzählers mit dem Gilgamesch-Epos keineswegs ausschließt.

    Schon diese Beispiele machen deutlich, dass die biblischen Verfasser in der Regel aus der ganzen Fülle von Vorstellungen schöpfen konnten, wie sie in den Literaturen des alten Vorderen Orients belegt sind, und dass sie sich nur im Einzelfall für uns erkennbar an einen bestimmten Text angelehnt haben. Die kaum zu bezweifelnde Vertrautheit der Verfasser der biblischen Urgeschichte mit den mesopotamischen Stoffen sollte demnach nicht gegen eine Erklärung der Texte aus dem eigenen, ganz allgemein von der Kultur des alten Vorderen Orients geprägten Milieu ausgespielt werden. Dies gilt nicht nur für die Herkunft der Stoffe, sondern auch und vor allem für die in ihnen angesprochenen Problemstellungen.

    Der vergleichende Blick auf die Überlieferungen der anderen Völker wurde und wird häufig mit der Frage nach dem Geltungsanspruch der biblischen Überlieferung verbunden. Den einen verbürgt die Existenz paralleler Überlieferungen die Historizität der biblischen Darstellung. Den anderen dient sie als Beweis dafür, dass die biblische Überlieferung keinen Anspruch auf Originalität erheben kann, womit vielfach ihre Anerkennung als Offenbarungszeugnis grundsätzlich in Frage gestellt wird. Besonders heftig wurde die Auseinandersetzung um das Verhältnis der biblischen Urgeschichte zu den übrigen Literaturen des alten Vorderen Orients im sog. „Babel-Bibel-Streit geführt, der 1902 durch einen Vortrag des Assyriologen Friedrich Delitzsch (1850–1922) in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. und den Spitzen von Hof, Wissenschaft und Kirche ausgelöst wurde und der die deutsche Öffentlichkeit gut zwei Jahre erregt über die Zuordnung von „Babel und „Bibel" diskutieren ließ.⁵³ Delitzsch vertrat die These, dass das Alte Testament und hier besonders die biblische Urgeschichte eine wenig originelle Adaption mesopotamischer Traditionen sei, behauptete im Laufe der Auseinandersetzung immer stärker die kulturelle, sittliche und religiöse Überlegenheit der babylonisch-assyrischen Kultur gegenüber dem Alten Testament und bestritt schließlich jeglichen Nutzen des Alten Testaments für das Christentum.

    Weit differenzierter fiel das Urteil der von Wellhausen beeinflussten Forschung und der Religionsgeschichtlichen Schule aus, die beide ebenfalls die Einbindung des Alten Testaments in die Welt des alten Vorderen Orients betonten, zugleich aber gegenüber Delitzsch und anderen Vertretern des Panbabylonismus die Eigenständigkeit der Religion und Kultur des antiken Israel hervorhoben. So stellte Karl Budde die Frage nach der Vermittlung der mesopotamischen Stoffe und Traditionen und konstatierte, dass ein massiver Einfluss der mesopotamischen Kultur auf Israel lediglich für die Zeit der assyrischen Vorherrschaft über Syrien-Palästina im 8. und 7. Jh. v. Chr. und während des babylonischen Exils im 6. Jh. v. Chr. nachweisbar sei. Die Aufnahme der Sintfluterzählung in die biblische Urgeschichte gehöre in die assyrische Zeit und zeichne sich dadurch aus, dass die von den assyrischen Eroberern übernommene Erzählung unter dem Vorzeichen der eigenen Religion und ihrer Vorstellung von dem einzigen und gerechten Gott rezipiert worden sei.⁵⁴ Nach Hermann Gunkel, dem vielleicht profiliertesten Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule, ist Israel hingegen nicht direkt, sondern vermittelt über die Kultur der kanaanäischen Stadtstaaten im Zuge seiner Sesshaftwerdung und der Staatenbildung mit den mesopotamischen Mythen in Kontakt gekommen.⁵⁵ Im Laufe der Zeit habe Israel das übernommene Gut als ein eigenes angenommen und in einem innerisraelitischen Läuterungsprozess in ein zunehmend verständigeres Nachdenken über Gott und Welt überführt. Für das Verständnis der biblischen Urgeschichte folgt hieraus, dass diese nach Gunkel anders als bei Delitzsch nicht auf der Kontrastfolie der mesopotamischen Texte zu lesen ist. Die damit gewonnene Eigenständigkeit der biblischen Texte beruht jedoch auf einer sehr voraussetzungsreichen These zur Frühgeschichte Israels und den Anfängen der alttestamentlichen Literaturgeschichte, die sich nur schwer mit dem gegenwärtigen Stand der Forschung vereinbaren lässt. Aus diesem Grund wird eher der älteren Einschätzung Buddes zuzustimmen sein, der die Kenntnis der genuin mesopotamischen Stoffe mit der neuassyrischen und später neubabylonischen Oberherrschaft und den damit verbundenen Kulturkontakten in Verbindung bringt. Damit rückt aber die Frage nach dem Grund für die Rezeption der mesopotamischen Traditionen ins Zentrum.

    Eine gängige Erklärung hat insbesondere den Schöpfungsbericht in Gen 1, 1–2, 3 als antibabylonische Polemik verstehen wollen.⁵⁶ Doch schon der gänzlich unpolemische Tonfall der priesterlichen Verfasser weckt Zweifel an dieser These. Die immer wieder angeführte Benennung von Sonne und Mond als Lampen (Gen 1, 14–19) zielt nicht auf die Abwertung der babylonischen Astralgottheiten. Sie steht vielmehr im Kontext einer im gesamten östlichen Mittelmeerraum seit dem 7. Jh. v. Chr. zu beobachtenden Bemühung, die Einsichten einer neuen Auffassung von Naturbeobachtung in die tradierten Vorstellungen zu integrieren (s.u. zur Auslegung von Gen 1, 14–19).

    Jüngere Arbeiten haben die polemische Lesart dahingehend modifiziert, dass sie die biblische Urgeschichte zur Gänze oder in Teilen nach dem Muster postkolonialer Literaturtheorie als einen „Gegentext" verstehen, der sich die Literatur der Hegemonialmächte durch Mimikry und Inversion subversiv angeeignet hat.⁵⁷ Auch diese Deutung hat zur Voraussetzung, dass sich die biblischen Verfasser durchweg unmittelbar auf die mesopotamischen Texte beziehen und sich von diesen abgrenzen wollen. Beide Annahmen sind jedoch nicht unproblematisch, und der am Einzelfall zu führende Nachweis, dass die biblischen Texte als „Gegentexte konzipiert worden sind, bleibt schwierig. Ist es wirklich evident, dass die biblischen Verfasser die Vertreibung aus dem Garten Gottes in Mesopotamien lokalisiert haben, um den Makel auszugleichen, innerhalb der antiken Zivilisationen ein politisch unterlegener Spätling zu sein?⁵⁸ Stimmt diese Interpretation zu der ätiologischen Ausrichtung der Paradieserzählung des weisheitlichen Erzählers, der den Garten Gottes auch nach der Vertreibung „in mythischer Ferne im Wonneland (Gen 2, 8) belässt und dessen Aussagen über die Ambivalenz menschlichen Lebens und den Hang des Menschen zum Bösen (Gen 6, 5; 8, 21) allen Menschen gelten? Fraglich ist auch, ob bei der Rede vom Menschen als Ebenbild Gottes (Gen 1, 26–28) die Kritik an den Herrschaftsansprüchen der mesopotamischen Großkönige im Vordergrund gestanden hat.⁵⁹ Auch hier liegt eine immanente Erklärung näher. Die Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen und seinem Herrschaftsauftrag gehört zu den Transformationen religiöser Vorstellungen, die das Nachdenken über den Verlust von König, Land und Tempel im Exil hervorgebracht hat. In diesem Fall sind es königsideologische Vorstellungen, welche die Könige in Jerusalem in der einen oder anderen Weise mit dem gesamten alten Vorderen Orient geteilt haben werden und die von den Verfassern der Priesterschrift in die Anthropologie überführt wurden. Dass das Resultat dieser Transformation auch herrschaftskritisch gelesen werden kann, lässt sich kaum bezweifeln, doch spielt die Herrschaftskritik in der priesterschriftlichen Urgeschichte selbst keine Rolle. Interessant ist schließlich auch die Gegenprobe. Eindeutig polemischer Natur ist die Erzählung von Noach und seinen Söhnen in Gen 9, 18–29. Die Polemik dieses sehr spät in die biblische Urgeschichte aufgenommenen Textes richtet sich freilich nicht gegen Babylon, sondern gegen die „Kanaanäer. Die Stoßrichtung dieser Polemik und derjenigen in vergleichbaren Passagen in der Völkertafel steht ganz im Dienst des im Alten Testament breit entfalteten Gegensatzes von „Israel und „Kanaan".

    Trotz dieser kritischen Rückfragen sollte jedoch nicht von vornherein ausgeschlossenen werden, dass sich die biblischen Verfasser mit ihrem Mythos vom Uranfang zu den ihnen bekannten Überlieferungen Mesopotamiens und damit zur intellektuellen Leitkultur positiv wie negativ ins Verhältnis gesetzt haben. So lässt sich für die Erzählung vom Turmbau zu Babel mit guten Gründen vermuten, dass diese auf ein Spottgedicht gegen Babylon und seinen Tempelturm zurückgeht. Andererseits zeigt ausgerechnet die Sintfluterzählung, mithin die einzige Passage der biblischen Urgeschichte, für die sich mit einiger Sicherheit von einer Textkenntnis der mesopotamischen Überlieferung ausgehen lässt, dass es ihren Verfassern nicht um eine kritische Auseinandersetzung mit der fremden Vorlage ging, sondern um die Klärung der

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