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FUNKSPRUCH AN SCOTLAND YARD: Der Krimi-Klassiker!
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eBook321 Seiten4 Stunden

FUNKSPRUCH AN SCOTLAND YARD: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Ein Schiff geht auf die Reise. Mit einem Sarg an Bord.

Ein blinder Passagier befindet sich ebenfalls auf dem Schiff - sowie ein Mörder und eine beängstigend hübsche und intelligente Lady.

Nicht jeder überlebt die Fahrt nach Rio. Doch Käpt'n Hogarth wird sie nie vergessen...

 

Der Roman Funkspruch an Scotland Yard des schottischen Schriftstellers und Journalisten Thomas Muir (* 02. Januar 1918; † 8. Oktober 1982) erschien erstmals im Jahr 1957; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1960.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum10. Sept. 2021
ISBN9783748794059
FUNKSPRUCH AN SCOTLAND YARD: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    FUNKSPRUCH AN SCOTLAND YARD - Thomas Muir

    Das Buch

    Ein Schiff geht auf die Reise. Mit einem Sarg an Bord.

    Ein blinder Passagier befindet sich ebenfalls auf dem Schiff - sowie ein Mörder und eine beängstigend hübsche und intelligente Lady.

    Nicht jeder überlebt die Fahrt nach Rio. Doch Käpt'n Hogarth wird sie nie vergessen...

    Der Roman Funkspruch an Scotland Yard des schottischen Schriftstellers und Journalisten Thomas Muir (* 02. Januar 1918; † 8. Oktober 1982) erschien erstmals im Jahr 1957; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1960.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    FUNKSPRUCH AN SCOTLAND YARD

    Erstes Kapitel

    »Wiedersehen, Captain! Glückliche Reise und alles Gute.«

    »Danke schön, Lotse.« Kapitän Hogarth ruckte, sie schüttelten sich die Hände, dann schwang sich der Liverpooler Lotse die Brückentreppe hinab. Der Kapitän zog den Kopf noch mehr in seinen Ölmantel und ging langsam in die Steuerbordnock. Die Lichter von New Brighton waren im Regen nur verschwommen sichtbar, das Feuerschiff auf der Sandbank blinkte verschleiert.

    Das längsseits gekommene Lotsenboot hob und senkte sich auf den kurzen, weiß kämmenden Seen, im Schein seiner Positionslampen leuchtete der Gischt rot und grün, während der Wind trübselig in der Takelage summte.

    Hogarth beobachtete von oben, wie der Lotse über die Reling kletterte und seine Füße nach den Sprossen der Jakobsleiter tasteten. Wieder hatte eine Reise begonnen – nach Südamerika und zurück. Regelmäßig wie ein Autobus und ebenso langweilig. Seine Pampas, ein Frachter von 10.000 Tonnen, hatte Kabinen für einige Passagiere, die lieber gemächlich und ohne gesellschaftlichen Zwang mit 12 Meilen die Stunde als mit 20 Meilen in der gekünstelten Atmosphäre eines schwimmenden Luxushotels reisten. Früher war das Kommando so eines Luxusdampfers das höchste Ziel seines Ehrgeizes gewesen, aber jetzt dachte er anders darüber. Er bezweifelte, ob er die nötigen Fähigkeiten als gewandter Gastgeber zwischen vielen eleganten Passagieren besaß. In seinem Alter glaubte er sie sich doch nicht mehr aneignen zu können.

    Der Lotse wartete auf der untersten Sprosse der Leiter, bis sein Boot wieder emporschwang, dann trat er gewandt über und ergriff die Messingreling. Kapitän Hogarth beobachtete das Boot, bis es abgelegt hatte, dann drehte er sich um und nickte seinem Dritten Offizier zu, der bei den Maschinentelegraphen stand.

    »Volle Kraft voraus«, befahl er. Einen Augenblick schaute er noch nach dem Land hinüber, wo die Lichter jetzt durch eine Regenbö fast ganz verhüllt waren, dann seufzte er tief. Die erste Nacht in See war immer scheußlich. Morgen war es gewiss nicht mehr so schlimm, und in zwei, drei Tagen ging er wieder ganz im Bordleben auf. Dann war Agnes nur eine herzerwärmende Erinnerung im Hintergrund und eine neue Hoffnung für die Zukunft. Schmerzlich war nur die Trennung, und in diesen Minuten hätte er Menschen wie zum Beispiel den Lotsen, die ein normales Leben zu Hause führten, fast beneiden können.

    »Volle Kraft voraus«, wiederholte er. »Kurs Nord 88 West, Geschwindigkeit 12 Knoten.«

    »Nord 88 West, Geschwindigkeit 12 Knoten, Sir«, wiederholte der Dritte Offizier Polworthy pflichtgemäß, wobei er die Hebel der Telegraphen bediente und nach der Uhr sah, um die Zeit ins Schiffstagebuch einzutragen. »Scheußliche Nacht, Sir.«

    »Ja. Scharf Ausguck halten lassen und nicht alles Vertrauen allein auf Radar setzen.«

    »Jawohl, Sir.« Polworthy sah ein wenig gekränkt aus. Als schneidiger junger Offizier und Reserveleutnant der Kriegsmarine empfand er die leiseste Andeutung, dass er irgendetwas nicht allein könne, wie einen Vorwurf.

    Unten im grellerleuchteten Maschinenraum gaben die Telegraphen das doppelte Klingelzeichen, das den Beginn der Reise ankündigte. Der Zweite Maschinist Forsyth betrachtete den Fahrstufenanzeiger mit finsterer Miene – wie einen persönlichen Feind.

    »Wieder eine blöde Reise angefangen«, sagte er laut genug, dass man es durch das Rattern und Stampfen der Dieselmotoren hören konnte, die allmählich auf volle Touren kamen. »All right, Ellison, 120 Umdrehungen. Generator Nummer 3 einschalten und 2 abstellen. Seewacheneinteilung. Die erste haben Sie.«

    Während der Vierte Maschinist Ellison seine bis Mitternacht dauernde Wache begann, verließ Forsyth den Kontrollstand und kletterte langsam die stählernen Leitern empor. Auf der mittleren Plattform blieb er stehen und lauschte mit geübtem Ohr auf die verschiedenen Geräusche, unter denen, als sie zu einer Symphonie der Kraft anschwollen, die Luft im Maschinenraum heftig vibrierte. Befriedigt von dem, was er hörte, stieg er auf die obere Plattform, in Höhe der Zylinderköpfe, wo die Kipphebel die Ventile mit gleichmäßigem Geklapper öffneten und schlossen. Nach einem Blick auf die zentrifugal arbeitenden Ölreiniger und nachdem er einen Schraubenschlüssel aufgehoben hatte, der trommelnd auf den Eisenplatten tanzte, erstieg er die letzte Treppe bis zur Eingangsplattform, zog seine Arbeitshandschuhe aus und trat in den Gang zu den Wohnkammern der Maschinisten. Während er den ersten kühlen Luftzug genoss, der ihn nach dem warmen Öldunst im Maschinenraum fast wie ein Schock traf, sah er eine Gestalt aus der Dunkelheit auf dem Bootsdeck auftauchen.

    »Hallo, Funker, macht die Arbeit Spaß?«, rief er ihm zu.

    »So sehen Sie aus!« Griffiths, Erster Funker an Bord, blieb auf seinem Wege zum Funkraum stehen. »Habʼ mir bloß mal die Passagiere angesehen. Lauter alte Krähen. Weiß der Himmel, wo wir die herkriegen. Wird ja wahrhaftig auf jeder Reise schlimmer.« Er schwang sich zur Treppe herum und eilte hinauf.

    Die von ihm so hart Kritisierten befanden sich im Salon und suchten einander beim Kaffee nach dem Mittagessen näher kennenzulernen. Es saßen dort ein Geistlicher, der sich salbungsvoll kameradschaftlich gab, ein Geschäftsreisender mit simplem Gesicht und seine Frau sowie eine große schlanke Dame in mittleren Jahren mit glänzenden Augen und unzweifelhaft gutem Geschmack in ihrer Kleidung.

    »Bei Beginn einer Seereise muss ich immer an Paulus denken«, sagte Reverend Trevor Cragshaw salbungsvoll, indem er seine Kaffeetasse drehte. »An die unglaublichen Strapazen seiner Reisen im Vergleich zu unserem in jeder Weise gepolsterten Luxus.«

    Einen Moment schwiegen alle aus Respekt vor diesen tiefsinnigen Gedanken, bis der Handlungsreisende in ziemlich energischem Ton sagte: »Ganz richtig, Padre, in den Zeiten von Paulus und Jonas war die Gefahr, auf See umzukommen, nicht gering. Ich hoffe, wir haben hier keinen Jonas an Bord und...«

    Er brach mitten im Satz ab, da seine Frau, die ein böses Gesicht machte, ihm unter dem Tisch gegen sein Schienbein trat. Was hatte er denn Unrechtes gesagt?

    »Jonas gehörte allerdings in eine frühere Epoche, Mr. Wilkins«, berichtigte der Geistliche lächelnd die chronologische Ordnung, »aber damit ziehen wir die Beurteilung des Alten Testaments auf das Niveau gesellschaftlicher Unterhaltung. Ich glaube, wir brauchen die Frage nicht zu untersuchen, ob die Geschichte von Jonas buchstäblich zu nehmen ist...«

    »Nein, das brauchen wir nicht«, stimmte ihm die große Dame schnell bei. »Kritik an der Bibel kommt mir immer so unnütz vor – ebenso wie der Streit um die Frage, wer Shakespeares Stücke geschrieben hat. Wir sollten beides hinnehmen, wie es ist, und dafür dankbar sein.«

    »Da kann ich Ihnen nur voll und ganz beistimmen, Miss Torrens. Erlauben Sie mir...« Cragshaw lehnte sich mit seinem Feuerzeug über den Tisch. »Freue mich sehr, dass Sie so denken.«

    Jane Torrens hob die stark gewölbten Brauen ein wenig, in ihren Augen schimmerte es. »Aus gewissen biblischen Episoden ist eigentlich ein Vorurteil gegen Geistliche an Bord von Schiffen entstanden«, sagte sie durch den Rauch ihrer Zigarette.

    Cragshaw lachte mit tiefer Stimme und fuhr nachdenklich fort: »Ich möchte gern mal wissen, wieweit sich dieser Aberglaube beim modernen Seemann noch gehalten hat... Aha, da kommt ja der Mann, der uns aufklären kann« – er wandte sich an den Ersten Offizier, einen ernsten jungen Mann mit kantigem Gesicht, der an der Salontür erschien. »Kommen Sie doch mal, Herr Steuermann, und sagen Sie uns, ob es heutzutage noch als Pech für ein Schiff betrachtet wird, wenn ein Geistlicher an Bord ist. Auf meine Gefühle brauchen Sie keine Rücksicht zu nehmen, ich kann’s vertragen.«

    Fenby, der Erste Offizier, beinah zwei Meter groß, trat in den Salon. Sein nasses Ölzeug glitzerte. »In gewisser Hinsicht, ja«, gab er zu, »wenn man es heutzutage natürlich auch nicht mehr so ernst nimmt, sondern mehr von der scherzhaften Seite.«

    »Freut mich, das zu hören.« Cragshaw lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und lächelte nachsichtig. »Wenn wir in einen Sturm geraten, werde ich also vermutlich nicht über Bord geworfen, um die Elemente zu versöhnen?«

    »Nein, ich glaube nicht, dass es so weit kommen würde«, sagte Fenby steif. Es ärgerte ihn, als Herr Steuermann angeredet und gleich am ersten Abend in See von einem Geistlichen, der sich dabei noch schneidig vorkam, verspottet zu werden. »Wir pflegen über Passagiere nicht so leichthin zu disponieren.« In seinem Gesicht war zu lesen, dass er am liebsten leider gesagt hätte.

    »Dem fehlt es leider an Humor«, bemerkte Cragshaw, als der Erste Offizier hinausgegangen war, um seine Runden auf den oberen Decks fortzusetzen. »Ist wohl bei Seeleuten meistens so, denn sie leben eigentlich in einem engen Gesichtskreis.«

    Fenby begab sich durch den Gang an der Backbordseite zur Kammer des Zweiten Maschinisten. Forsyth hatte schon gebadet und es sich mit einer Zigarette auf dem Sofa bequem gemacht.

    »Hallo, Jim, wie gehtʼs?«, begrüßte er ihn. »Nimm Platz.«

    »Lausig«, antwortete Fenby kurz, indem er sich an das Waschbecken lehnte und eine Zigarette anrauchte.

    »Soso. Griffiths hat mir schon gesagt, dass ihm die Passagiere noch weniger gefallen als sonst. Keine einzige nette Portion in dem ganzen Verein.«

    »Weiß Bescheid. Höchstens die nicht mehr ganze junge Miss Torrens, die vor ungefähr zwanzig Jahren ein Pfundsmädchen gewesen sein muss. Sieht aber auch jetzt noch recht lecker aus – hübsches Gesicht, schöne Figur und versteht, sich schick anzuziehen. Aber doch wohl ein bisschen zu reif für’n Flirt auf dem Bootsdeck. Beinah beängstigend, möchte ich sagen.«

    »Altere Jungfer also. Gefährlich. Finger weg«, murmelte Forsyth.

    »Und dann ist da noch der gräuliche Padre, der immer den herzhaften Mann markiert und wissen will, ob Leute seines Schlages einem Schiff Unglück bringen.«

    »Das tun sie.«

    »Aber bestimmt!« Fenby pustete mit Wucht eine Rauchwolke aus. »Und wenn du das Schlimmste wissen willst – wir haben außerdem eine Leiche an Bord.«

    »Was? Eine Leiche?«

    »Tatsache.« Fenby nickte, als mache es ihm Spaß, Gruseln zu erregen. »Irgendein brasilianischer Protz, der in heimatlicher Erde begraben sein will. Liegt einbalsamiert in einem mit Blei abgedichteten Sarg im Postraum. Wir sind der reinste Leichenwagen auf dieser Reise.«

    »Da kann ja allerlei passieren.«

    »Wird es auch. Denk an meine Worte.«

    »Die Seefahrt ist sowieso nur was für Bekloppte.«

    »Eine der klassischen Wahrheiten auf dieser Welt.«

    In melancholischem Schweigen rauchten sie ein paar Minuten, dann drückte Fenby seine Zigarette aus und nahm seine Taschenlampe. »Na, ich will mich an Deck nochmals umsehen und dann in die Koje. Eine üble Nacht, der Wind wird wohl bis morgen früh noch auffrischen. Hoffe, dass der verflixte Pastor seekrank wird und ordentlich kotzen muss.« Forsyth reckte sich gähnend. »Ein Pfaffe und eine Leiche«, wiederholte er, während er seinen Bademantel abwarf und sich auf den Rand seiner Koje setzte. »Hoffentlich haben sie den Toten auch richtig einbalsamiert, sonst explodiert er uns womöglich noch!«

    »Wie soll ich das wissen! Bin doch kein Beerdigungsinstitut. Habe den Empfang des Sarges bescheinigt und keinerlei Instruktionen bekommen.«

    Mit dieser heiteren Bemerkung verließ Fenby die Kabine und schritt durch den Gang aufs dunkle Achterdeck. Im Schein der Positionslaterne am Großmast sah er dünn den Regen rieseln. Das lauter gewordene Heulen des Windes in der Takelung mischte sich mit dem tiefen Gebrumm der Ventilatoren. Das Schiff stampfte, langsam steigend und fallend, über die kurzen Seen, die gegen seinen überhängenden Bug klatschten, ohne ihm etwas anhaben zu können.

    Den Kopf gegen den Wind geneigt, kontrollierte Fenby schnell die Ladeluken, ob sie gut dicht und ordentlich verkeilt waren. An der Heckreling lieb er stehen, spürte das Wirbeln der Schrauben, die das immer länger werdende weiße Kielwasser erzeugten, und lauschte auf das unregelmäßige Geräusch der Ruderketten.

    Wieder nach vorn gehend, kletterte er die Treppe zum Bootsdeck hinauf. Durchs Bullauge des Funkraums sah er, dass Griffiths einen Spruch aufnahm, ging aber, ohne ihn zu stören, an den aufgeblockten Rettungsbooten entlang. Hier fiel ihm im tastenden Strahl seiner Taschenlampe etwas auf, das ihn veranlasste, stehenzubleiben. Die Schnüre an der Persenning über Boot Nr. 3 waren am hinteren Ende gelöst, doch das Segeltuch selbst lag richtig.

    Nanu! Er hob die lose Ecke hoch und leuchtete in das Boot. Wie er schon halb erwartete, entdeckte er auf den Planken eine zusammengeduckte Gestalt mit einem erschrockenen Gesicht.

    »Raus da!«, befahl er schroff. Ein blinder Passagier! Hier konnte er seinem Ärger über das Leben im allgemeinen Luft machen. »Ein bisschen fix, du schleichende Hafenratte. Zum Donnerwetter, bildest du dir eigentlich ein, hier...?«

    Er hielt inne, als das Gesicht zum Vorschein kam, denn darüber sah er einen dichten Schopf langer schwarzer Haare, und die Figur schloss jeden Irrtum aus.

    »Ein Mädchen!« Er pfiff leise vor Erstaunen. »Das ist doch die Höhe!«

      Zweites Kapitel

    »Leuchten Sie mich doch nicht dauernd so an, um Gottes willen!« Das Mädchen kletterte steif aus dem Boot an Deck. Sie trug Bluejeans und eine Wolljacke und hatte eine vollgestopfte Einkaufstasche bei sich, die von dem im Boot angesammelten Wasser ganz durchnässt war. Sie zitterte vor Kälte, ihr frostblaues Gesicht war ganz schmutzig, doch ihre Augen begegneten seinem Blick mit mürrischem Trotz.

    »Was haben Sie hier zu suchen?«, fragte Fenby kurz.

    »Na, was meinen Sie wohl?«, gab sie zähneklappernd zurück.

    »Diesen Ton fangen Sie gefälligst mit mir gar nicht erst an.« Für ihn war ein blinder Passagier ein blinder Passagier, einerlei, ob männlich oder weiblich. »Sie haben sich gewaltig geirrt, wenn Sie denken, so durchzukommen. Los, ich bringe Sie jetzt zum Kapitän, der wird Ihnen schon die Meinung sagen!«

    »Mir ist alles ganz egal, wenn ich nur warm werden kann.« Das Mädchen behielt den verstockten Ton bei, obgleich es am ganzen Körper bebte. »Meine Güte, sind die Bretter in dem Boot aber hart! Und nass ist’s da – mein ganzes Zeug ist ruiniert!«

    »Was haben Sie denn erwartet – Schaumgummipolster und Zentralheizung? Ein bisschen dalli jetzt, hier geht der Weg.«

    »Schon gut, deshalb brauchen Sie mich nicht zu befummeln!« Sie riss, wild und zornig wie ein Raubtier, ihren Arm los, den er angefasst hatte. »Ich hab vor Ihnen keine Angst und vor Ihrem Kapitän auch nicht. Überhaupt vor nichts! Lassen Sie gefälligst diese Beleuchterei mit Ihrer Lampe. Haben Sie noch nie ein Mädchen gesehen?«

    Fenby biss die Zähne zusammen. Er hatte schon allerlei Sorten blinde Passagiere erlebt, aber dieser Typ war ihm neu, mit dem kam er nicht gleich klar.

    »Wenn Sie keinen besseren Ton finden, werden Sie noch in Ketten gelegt«, drohte er ihr an, während sie, die Köpfe vor dem treibenden Regen gebeugt, übers Bootsdeck gingen.

    »Oder kielgeholt oder an den Mast gebunden und ausgepeitscht!«, sagte sie höhnisch lachend. »Mit solchem Gerede können Sie doch mich nicht dumm machen. Das gab’s mal zu Nelsons Zeiten.«

    Leider heute nicht mehr, dachte Fenby ergrimmt, war aber klug genug, das Thema fallenzulassen. Sie waren auf der Kapitänsbrücke angelangt. Das Mädchen nicht aus den Augen lassend – er hatte gehört, dass blinde Passagiere manchmal plötzlich an die Reling gerannt und über Bord gesprungen waren –, klopfte Fenby an die Tür zur Kajüte.

    »Herein!... Nun, Mr. Fenby? Herrje, was bringen Sie denn da?«

    »Blinder Passagier, Sir, aus Boot 3.« Fenby schubste das Mädchen vor sich in den hellbeleuchteten Raum. Es stolperte, bockig wie ein ungezogenes Kind, hinein.

    Kapitän Hogarth schwang sich in seinem Schreibtischsessel herum und nahm vor Staunen die Pfeife aus dem Mund.

    »Ein Mädchen!«

    »Wie haben Sie das denn erraten?«, sagte sie frech. In ihrem dunklen Haar glitzerten Regentropfen, als sie es aus der Stirn zurückwarf, ihr Körper straffte sich kampfbereit.

    »Wie heißen Sie?«, fragte Hogarth, seine Pfeife ablegend.

    »Brenda Cairns.«

    »Wie sind Sie an Bord gekommen?«

    »Über die Gangway, als die Gelegenheit günstig war, und dann ins Rettungsboot.«

    »Warum?«

    »Dieselbe dämliche Frage, die dieser Offizier schon gestellt hat.« Brenda kam aus dem Gleichgewicht, als das Schiff jetzt leicht schlingerte. Sie lehnte sich breitbeinig gegen die Kajütenwand. »Ich habe von England die Nase voll, deshalb wollte ich’s mit Südamerika probieren.«

    Hogarths graue Augen unter den weißlichen Brauen blickten sie kalt wie der Atlantik an. »Sie glauben also, auf diese Weise einfach kostenlos rüberzukommen, wie?«, fragte er. »Lassen Sie sich eins gesagt sein, mein junges Fräulein: Sie werden dort nicht an Land gehen dürfen, aber auf der ganzen Reise, hin und zurück, werden Sie für uns eine sehr unangenehme Belastung sein, und nachher übergebe ich Sie in England der Polizei.«

    »Ich gehe aber nicht nach England zurück.« Sie verkniff wütend den Mund. »Ich werde in Südamerika genauso an Land gehen, wie ich an Bord gekommen bin, denn ich kriege immer meinen Willen.«

    »Mit dieser Tonart kommen wir nicht weiter.« Der Kapitän hob zornig die Stimme. Er erinnerte sich ähnlicher Debatten mit seiner Tochter, in denen sie, beide hartnäckig, über das Ich werde und Das wirst du nicht kaum hinausgekommen waren. »Sie benehmen sich ja wie eine Zehnjährige, der man den Hintern versohlen müsste. Wissen Sie denn, wie es jungen Mädchen in Südamerika geht, wenn sie auf sich allein angewiesen sind?«

    »Oje, mit solchem Unfug brauchen Sie mir nicht zu kommen!« Sie zog verächtlich einen schiefen Mund. »Von dem Mädchen mit den süßen Unschuldsaugen, das in einem Bordell endete...«

    »Nun reicht’s mir!« Kapitän Hogarth schlug mit der geballten Faust auf den Tisch, sein Gesicht lief rot an. Er erhob sich. Klein, stämmig und breitschultrig, mit schon dünnem, ergrautem Haar, stand er vor ihr. »Was haben Sie denn bloß für eine Erziehung genossen?«

    »Gar keine!« Brenda zuckte die Achseln und lachte freudlos. »Habe mich selbst hochgeschleppt im Leben und beide Augen weit aufmachen gelernt. Sie können mir nichts Neues erzählen.«

    Hogarth war es peinlich, dass sein Erster Offizier mit absichtlich ganz ausdruckslosem Gesicht im Hintergrund blieb.

    »Sind Sie denn Waise?«, fragte er.

    »Nein. Meine Eltern sind geschieden, und ich bin vor zwei Jahren abgehauen, weil ich unerwünscht war. Das heißt, ich war ihnen immer unerwünscht, weil ich eigentlich gar nicht zur Welt kommen sollte, wie meine Mutter mir freundlicherweise einmal erklärt hat. Sie schien zu glauben, ich sei nur geboren, um sie zu ärgern. Vielleicht bin ich das auch. Habe mir nie Illusionen gemacht, schon als kleines Kind nicht.«

    Der Kapitän räusperte sich kräftig. »So darf aber ein junges Mädchen nicht sprechen«, sagte er. »Wo kann ich Ihre Eltern erreichen?«

    »Könnte ich Ihnen nicht sagen. Über Mutter habe ich zuletzt erfahren, dass sie mit einem alten Kerl, einem früheren Kolonialwarenhändler, zusammen lebte. Die wäre bloß froh, wenn sie wüsste, dass ich mich davongemacht habe, aber diese erfreuliche Nachricht soll sie nicht kriegen.«

    »Und Ihr Vater?«, fragte Hogarth weiter, trotz seiner Erbitterung geduldig.

    »Der sitzt entweder im Gefängnis oder hat sich totgesoffen.« Sie warf den Kopf zurück. »Nein, ich habe gar keinen Verwandten, den es die Bohne interessiert, was ich jetzt mache oder nicht mache.«

    »Hm.« Kapitän Hogarth lockerte mit dem Zeigefinger seinen Kragen und stapfte in der Kajüte auf und ab. Plötzlich wandte er sich ihr wieder zu. »Folgendes merken Sie sich nun gefälligst, mein Fräulein. Ich bin, wie für alle Personen an Bord, auch für Sie verantwortlich. Sie haben sich auf meinem Schiff versteckt – das ist dasselbe wie Einbruch in ein Haus. Schlimmer noch, denn ich kann nicht einfach die Polizei anrufen, sondern muss Sie für fast drei Monate verpflegen und unterbringen und obendrein aufpassen, dass Sie nicht heimlich an Land gehen. Das ist also Ihre Lage – Sie haben Anklage wegen einer Straftat zu erwarten. An Bord befinden Sie sich im Arrest, und das bleibt so, bis wir wieder in Liverpool sind. – All right, Mr. Fenby«, wandte er sich an seinen Ersten Offizier, »nehmen Sie sie mit nach unten, schließen Sie sie in eine leere Kabine ein und lassen Sie ihr etwas zu essen geben.«

    »Jawohl, Sir.«

    Kapitän Hogarth blieb, nachdem sie hinausgegangen waren, noch eine Weile nachdenklich stehen. Er ging dann auf die untere Brücke hinaus und sah nach dem Wetter. Die Augen vor dem Wind und Regen zusammenkneifend, blickte er gewohnheitsmäßig ringsum bis zum Horizont, ging wieder in seine Kajüte und drückte auf eine Klingel.

    Ein Steward, ein glatter bleicher Jüngling mit unruhigem Blick, erschien verdächtig schnell.

    »Hinter der Tür gehorcht, Symons?«, fragte Hogarth.

    »Nein, Sir.« Der Steward machte ein gekränktes Gesicht.

    Hogarth musterte ihn einen Moment und sagte: »Bestellen Sie dem Chief, er möchte so bald wie möglich mal zu mir kommen.«

    »Ay, ay, Sir.«

    Der Schiffsingenieur George Appleton, traditionsgemäß Chief genannt, ein großer Mensch Anfang der Sechzig, kam schon nach wenigen Minuten. Mit seinen gekrümmten Schultern und dem vorgereckten Kopf sah er aus, als müsse er ewig durch niedrige Türen gehen. Das Drillichjackett, mit zwei Reihen verblichener Ordensbänder, hing an seinem hageren Körper wie an einem Kleiderbügel.

    »Eine dumme Geschichte, eine ganz dumme Geschichte«, bemerkte er, als er über den Vorgang mit Brenda Cairns unterrichtet war. Er rieb seine lange knochige Nase.

    »Könnte uns an Bord böses Theater machen... Ja, bloß einen zum Einschlafen, danke schön.«

    Der Kapitän schenkte zwei Whiskey mit Soda ein und schob Appleton ein Glas zu.

    »Das ist ja das Schlimme, Chief.« Er ließ sich in seinen Stuhl fallen, lockerte sein Jackett und blickte finster auf den grünen Seidenschirm seiner Schreibtischlampe. »Der junge Symons verdreht schon jetzt seine schmalzigen Augen nach ihr, und wenn wir an die Küste kommen, müssten wir sie tatsächlich anbinden, dass sie uns nicht an Land entwischt. Hat mir doch ins Gesicht gesagt, sie ließe sich von mir nicht halten.«

    »So eine ist das? Da würden wir ja Arger mit der Einwanderungsbehörde kriegen.«

    »Eine kolossale Geldstrafe wegen illegaler Einwanderung – die mir vom Gehalt abgezogen wird!« Der Kapitän nickte grimmig. »Glaube kaum, dass die Reederei die bezahlen würde.«

    Sie tranken schweigend und nachdenklich. Frauen an Bord waren eine vertrackte Sache, und dieser Fall eröffnete viele unerfreuliche Perspektiven.

    »Na, ich werde jedenfalls an die Reederei funken«, entschied sich Hogarth schließlich. »Kann ja sein, dass die Person von der Polizei gesucht wird. Der traue ich schon zu, dass sie wegen einer Straftat ausgerückt ist.«

    Appletons Gesicht hellte sich auf. »Vielleicht hat sie mit dem Juwelendiebstahl von vierzigtausend Pfund zu tun, über den sich die Zeitungen so aufregen«, meinte er. »Habe es gerade heute Abend gelesen: das Landhaus von Lady Canlin total ausgeraubt, und keine Spur

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