Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der Liebe nah - Abschied nehmen und trauern: Erfahrungen und Erkenntnisse von Fachleuten und Betroffenen
Der Liebe nah - Abschied nehmen und trauern: Erfahrungen und Erkenntnisse von Fachleuten und Betroffenen
Der Liebe nah - Abschied nehmen und trauern: Erfahrungen und Erkenntnisse von Fachleuten und Betroffenen
eBook318 Seiten4 Stunden

Der Liebe nah - Abschied nehmen und trauern: Erfahrungen und Erkenntnisse von Fachleuten und Betroffenen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Verlustschmerz gilt als der größtmögliche seelische Schmerz des Menschen. In diesem Buch erzählen 25 Frauen und Männer offen und in berührender Weise, wie sie den Tod eines nahestehenden Menschen erlebt und verarbeitet haben. Wie waren die genauen Umstände? Wie gestaltete sich ggf. eine Begleitung während des Sterbeprozesses? Wie sind diese Menschen mit dem Verlust umgegangen? Was hat ihnen im Trauerprozess geholfen und was nicht? Wir erfahren in diesen tiefgehenden Trauerporträts viel Schmerzliches und manchmal auch Traumatisches. Gleichzeitig jedoch auch viel Inniges, Liebevolles und Lichtes.
Zusätzlich zu den Trauerporträts beleuchten u.a. drei Interviews mit Fachleuten verschiedene Perspektiven zu den Themen Abschied nehmen und Trauer. Menschen, die andere in ihren Trauerprozessen begleiten oder ihre eigene Trauerbiografie erforschen möchten, werden inspiriert und fündig - ein Hoffnung machendes Buch über ein anspruchsvolles Thema, welches uns alle betrifft.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum22. Nov. 2023
ISBN9783170439870
Der Liebe nah - Abschied nehmen und trauern: Erfahrungen und Erkenntnisse von Fachleuten und Betroffenen

Ähnlich wie Der Liebe nah - Abschied nehmen und trauern

Ähnliche E-Books

Medizin für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Der Liebe nah - Abschied nehmen und trauern

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der Liebe nah - Abschied nehmen und trauern - Rébecca Kunz

    Inhalt

    Cover

    Titelei

    Geleitwort

    Widmung

    Einleitung

    I Ein Plädoyer für die Trauer

    1 Bindung, Trauerprozess und Trauer

    1.1 Ans Herz gewachsen

    1.2 Verlustschmerz und Sehnsucht

    1.3 Trauer hilft

    2 Achtsame Trauerbegleitung

    2.1 Alles darf sein

    2.2 Mitgefühl

    2.3 Verbindung

    3 Trauer und Trauma

    3.1 Großer Schrecken

    3.2 Alter Schmerz

    3.3 Es gibt Hilfe

    Quellen und Anmerkungen

    Internetadressen

    II Interviews mit Fachleuten

    Konstanze Schlitt

    Dr. Carlo Zumstein

    Regula Kaeser-Bonanomi

    III Die Trauerporträts

    1 Ich mache nur noch das, was ich möchte

    2 Ich fühle mich wie eine Trauerweide

    3 Ciao Bella!

    4 Wir nahmen von jedem einzelnen Strampelhöschen Abschied

    5 Letztlich blieb trotz Nähe eine befremdende Distanz

    6 Ich habe keine Erinnerung mehr an sie

    7 Der Bogen ist geschlossen

    8 Er ist direkt in den Himmel geschwommen

    9 Irgendwann muss man sich entscheiden

    10 Anna und Mona sind tot!

    11 Dankbarkeit ist eine Form von Abschied

    12 Vieles ist so unwichtig geworden

    13 Ein Abschied auf Raten

    14 Der Tod hat trotz allem auch etwas Zärtliches

    15 Seit diesem Tag glaube ich, dass es nach dem Tod noch etwas gibt

    16 Diese Versöhnung empfinde ich als ihr Vermächtnis

    17 Meine Frau trauert völlig anders als ich

    18 Ich habe noch etwas zu geben im Leben

    19 Wir waren innerlich etwas einsam

    20 Mama, schau, ein Sonnenbrunnen!

    21 Die Lücke bleibt

    22 Manchmal komme ich nachhause und möchte ihm etwas erzählen

    23 Hätte ich etwas besser machen können?

    24 Vielen Dank für den schönen Tag!

    25 Wir waren alle bei ihr − bis zum letzten Atemzug

    empty

    Die Autorin

    empty

    Rébecca Kunz, geboren 1958, arbeitet als Seminarleiterin und Therapeutin und wohnt in der Nähe von Bern in der Schweiz.

    Sie bietet kreative, körper- und naturbasierte Methoden und Lehrgänge an, die nicht nur der Stressreduktion und Selbstermächtigung dienen, sondern die Gesundheit ganzheitlich und nachhaltig positiv beeinflussen.

    Nach einem Studium der Biologie an der Universität Bern hat sie verschiedene Aus- und Weiterbildungen, u. a. Erwachsenenbildung, Psychologische Beratung, Körpertherapie, Energetischer Schamanismus, Systemische Paartherapie, Integratives Traumatraining, Traumafokus© und Klopfen mit PEP©, absolviert.

    »Leben ist Lernen. Lernen ist Wachsen. Ich lerne und gestalte gerne, weil ich das Leben liebe.«

    www.heilender-raum.ch

    Rébecca Kunz

    Der Liebe nah – Abschied nehmen und trauern

    Erfahrungen und Erkenntnisse von Fachleuten und Betroffenen

    Verlag W. Kohlhammer

    Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    Pharmakologische Daten verändern sich ständig. Verlag und Autoren tragen dafür Sorge, dass alle gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung hierfür kann jedoch nicht übernommen werden. Es empfiehlt sich, die Angaben anhand des Beipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

    Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

    Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

    Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.

    1. Auflage 2024

    Alle Rechte vorbehalten

    © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

    Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

    Print:

    ISBN 978-3-17-043985-6

    E-Book-Formate:

    pdf:

    ISBN 978-3-17-043986-3

    epub:

    ISBN 978-3-17-043987-0

    Geleitwort

    Die Trauer gehört zu jenen Gefühlen, die in unserer heutigen Kultur einen schweren Stand haben. So wird sie oft den »negativen Gefühlen« zugeordnet – als ob es so etwas gäbe, negative Gefühle. Die Gefühle gehören zu unserem Seelenhaushalt und sind als solche weder positiv noch negativ. Entsprechend lastet auf der Trauer ein großer kultureller Druck zur Verdrängung. Die Schwierigkeit dabei ist, dass Verdrängung alles andere als eine Lösung des Problems bedeutet, weil das Verdrängte nun im Unbewussten eine oft destruktive Wirkung entfaltet.

    Häufig schon war ich entsetzt, wenn mir ältere Frauen erzählten, sie hätten beim Tod ihres Ehemannes vom Arzt ein Antidepressivum nicht angeboten, sondern ganz einfach verordnet bekommen – Verdrängung auf Kosten der Krankenkassen sozusagen.

    Unsere Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass alle und alles stets reibungslos funktioniert. Daher reagiert sie auf Störungen irritiert – die Trauer stört. Und schnell sind irgendwelche Trostworte bereit – nicht in erster Linie für die trauernde Person, sondern weil die Umstehenden deren Trauer nicht ertragen. Wer seine eigene Trauer verdrängt, hält die eines anderen ganz einfach nicht aus.

    Wer seine Trauer verdrängt, wird bei einem nächsten Trauerereignis noch heftiger reagieren, da die früher verdrängte Trauer jetzt erneut hochkommt, was den Verdrängungsdruck verstärkt – ein unheilvoller Teufelskreis. Deshalb weinten zum Beispiel vor vielen Jahren beim Tod der britischen Prinzessin Diana weltweit Millionen Menschen haltlos – tatsächlich betrauerten sie keineswegs Lady Di, die kannten sie ja bloß aus dem Fernsehen! Nein, solch ein Tod spült Ozeane von ungeweinten (verdrängten) Tränen an die Oberfläche.

    Verdrängte Trauer kann krank machen. Natürlich ist nicht jede Depression das Ergebnis verdrängter Trauer. Aber in manchen Fällen ist der Zusammenhang nicht zu übersehen. Bei Männern, nicht nur bei älteren, die mit der destruktiven Maxime groß geworden sind Männer zeigen keine Gefühle, wirkt sich dieser Mechanismus oft ebenfalls tragisch aus: Die Tränen, die Erleichterung brächten, können ganz einfach nicht fließen.

    In Wahrheit ist Trauer die gesunde Reaktion auf einen Verlust. Das heißt auch, Trauer heilt den Schmerz des Verlustes.

    Gewiss, den Trauerprozess zu durchleben kann schmerzhaft sein. Wer sich ihm aber stellt, wird im Laufe der Zeit eine tiefe Entwicklung durchmachen, eine Entwicklung in Richtung Entfaltung der Persönlichkeit, Reifung bis hin zu wahrer Weisheit. C.G. Jung verstand das Durchleben der Trauer als einen Schritt auf dem Weg der Individuation, der Selbstwerdung des Menschen.

    Jeder Mensch verarbeitet erlittene Verluste auf eigene Weise. So hat die – gelebte – Trauer so viele Gesichter wie es Menschen gibt. Gemeinsam ist ihnen allen aber eines: Sie geben ihrer Trauer Raum.

    Mit viel Einfühlungsvermögen hat Rébecca Kunz mit Menschen über ihre Wege durch die Trauer gesprochen. In den Berichten entfalten sich vor uns Menschenschicksale in ihrer unverwechselbaren Individualität und damit mit ihrem je einzigartigen Trauerweg. Von einer sehr einfachen, aber gleichwohl gehaltvollen Sprache bis hin zu hoher Differenziertheit oder reflektierter Spiritualität begegnen wir einer großen Vielfalt.

    Menschen erzählen von ihren oft schier unerträglich schmerzhaften Erfahrungen – und von ihrem Reifen, Bewusstwerden, von ihrer Heilung auch, von ihrer Trauer als Lebensschule. So bleibt die Trauer nicht eine abstrakte, allenfalls interessante Theorie, sondern sie wird konkret und lebendig, sie macht betroffen.

    Diese Porträts machen Mut, den eigenen Weg zu suchen und zu gehen. So ist ein berührendes Buch entstanden. Ich wünsche ihm die breite Beachtung, die es verdient.

    Gabriel Looser, Dr. theol., Bern

    Widmung

    Für Melvin, Meret und Melina in Verbundenheit. Ihr habt mich so vieles über das Leben und mich selbst gelehrt. Für dieses Elixier bin ich dankbar.

    Einleitung

    Jeder Mensch stirbt eines Tages, hinterlässt eine Lücke und Menschen, die ihn vermissen. Abschied und Trauer sind ein Alltagsgeschehen. Es ist sinnvoll, sich darüber auszutauschen und voneinander zu lernen.

    Oft macht nur schon die Vorstellung von Trauer Angst. Doch gerade das Basisgefühl Trauer hilft, mit der Zeit über einen schmerzlichen Verlust hinwegzukommen oder zumindest angemessen und würdevoll damit leben zu lernen. So wird echte Trauer zur Gnade. Wer Gnade erfährt, ist weich, offen sowie sich und der Liebe nah. Menschen, die solchermaßen präsent sind, leuchten von innen heraus; das macht sie schön. An dieser inneren Schönheit, die oft trotz des außerordentlich tiefen Verlustschmerzes nach außen strahlt, durfte ich während der bewegenden Gespräche mit 25 Menschen teilhaben. Ich habe die Porträtierten in ihrem Trauerprozess nicht begleitet; umso dankbarer bin ich für das Vertrauen, das sie mir entgegengebracht haben.

    Diese Porträts bilden das Herzstück des Buches. Das Ringen in der Not und die erlangte Weisheit vieler Trauernder sprechen in berührender Weise für sich selbst. Ich kommentiere und bewerte das Erzählte nicht. Ein Teil bleibt Staunen über die Reifungsmöglichkeiten der menschlichen Seele.

    Jeder Mensch ist einzigartig und hat eine Lebensgeschichte, die ihn prägt. Somit verlaufen nicht nur Sterbeprozesse, sondern auch Trauerprozesse verschieden. Auch wenn es einige Übereinstimmungen im Umgang mit einem Verlust geben mag, gibt es kein richtiges oder falsches Trauern.

    In meinem Plädoyer für die Trauer betrachten wir, wie Trauer mit Bindung zusammenhängt und mit welchen Gefühlslagen und Schwierigkeiten ein Mensch im Trauerprozess konfrontiert werden kann. Gar nicht so selten kommen Trauer und Trauma zusammen. Das macht einen Trauerprozess noch anspruchsvoller und anstrengender, als er ohnehin oft schon ist. Zudem: Viele Menschen sind gehemmt in der Begegnung mit Trauernden und haben Angst, etwas falsch zu machen oder etwas Unpassendes zu sagen. Es ist hilfreich, wenn wir verstehen und einordnen können, weshalb etwas so schwer ist, wie es eben ist, worauf es in der Begleitung von Betroffenen ankommt und wann therapeutische Unterstützung angebracht ist.

    Die drei darauffolgenden Interviews mit Fachleuten aus ganz unterschiedlichen Berufsfeldern zeigen das Thema Trauer in einem größeren psychologischen sowie spirituellen Zusammenhang. Dr. Carlo Zumstein, einer dieser Fachleute, ist bedauerlicherweise und unerwartet kurz vor Drucklegung dieses Buches verstorben.

    Menschen, die mit Trauernden zu tun haben, beruflich oder privat, finden in diesem Buch wertvolle Inspiration, ein tieferes Verständnis und vielleicht sogar einen neuen Zugang zur Trauer.

    Die Lektüre lädt ein, sich zu fragen: Wo stehe ich mit meinen Erfahrungen zum Thema Abschied und Trauer? Warum bewegt mich gerade dieses und jenes Porträt ganz besonders? Welche Aspekte der 25 Trauer-Protokolle berühren den eigenen Transformations- und Selbstheilungsprozess gerade jetzt am ehesten?

    Als Autorin habe ich höchsten Respekt für die porträtierten Menschen, die uns Einblicke in ihr Innerstes gewähren.

    Ich hoffe und wünsche mir, dass auch Sie, liebe Lesende, sich berühren lassen und ermutigt werden, Ihre eigene oder die Trauer eines Gegenübers leichter zu thematisieren – und zu fühlen. Damit mehr Liebe in den Alltag einfließen kann.

    Rébecca Kunz, im August 2023

    I Ein Plädoyer für die Trauer

    Die Trauerporträts von 25 Menschen geben uns Einblicke in ganz verschiedene, berührende und emotional oft auch sehr herausfordernde Abschieds- und Trauerprozesse. Die Erfahrungen der Betroffenen können uns dabei helfen, uns in Trauernde einzufühlen und im Umgang mit ihnen achtsamer zu werden. Es lohnt sich für uns alle, uns mit unserer Endlichkeit und der eigenen Trauerbiografie auseinanderzusetzen. Das Leben wird dadurch intensiver und reicher.

    In den folgenden drei Kapiteln gehe ich – zumindest in Kurzform – als Biologin und Therapeutin auf einige Punkte ein, die in anderen Trauerbüchern wenig thematisiert werden. Bewusst integriere ich dabei spirituelle Erfahrungen sowie Traumawissen.

    1 Bindung, Trauerprozess und Trauer

    Zusammenfassung Kapitel 1

    Menschen sind soziale Wesen und verbinden sich naturgemäß mit einigen anderen Menschen sehr tief. Der Verlust eines solchen geliebten Menschen verursacht zuerst einmal große innere Aufruhr. Dieser hohe Stresspegel betäubt anfänglich meist sowohl den Verlustschmerz als auch die Angst vor einer Zukunft ohne diesen Menschen.

    Wir können nicht verhindern, dass sich das Leben manchmal schmerzhaft zeigt. Nicht nur körperliche, sondern auch seelische Schmerzen können äußerst weh tun. Der Verlustschmerz gilt als der größte seelische Schmerz. Er ist im Trauerprozess dominant, und es gilt, ihn anzuerkennen und zu würdigen.

    Wenn wir den Verlustschmerz vom Basisgefühl Trauer unterscheiden, kann das den Trauerprozess insgesamt positiv beeinflussen. Gefühlte Trauer hilft, einen Verlust allmählich anzunehmen. Die Schmerzen werden weniger.

    Trauer ist das Gefühl mit dem größten Tiefgang. Trauer kann uns anderen gegenüber öffnen, jedoch auch uns selbst gegenüber. Trauer hilft, den Verlust zu akzeptieren, uns nicht mehr gegen ihn zu wehren. So können wir uns allmählich für etwas Größeres öffnen. Auf diese Weise kann uns die Trauer mit ihrer Transformationskraft zeigen, dass eine Verbindung zu einem geliebten Menschen in einer ganz neuen, freieren Art auch über den Tod hinaus bestehen bleibt.

    1.1 Ans Herz gewachsen

    Wir sind soziale Wesen und leben seit jeher in Gemeinschaften, das gibt uns größtmöglichen Schutz und Sicherheit. Zudem lässt uns diese Zugehörigkeit Dinge tun, die wir allein nicht wagen oder schaffen würden. Wir lernen mit- und voneinander, sind kooperativ und helfen uns gegenseitig. Kurz: Wir sind in vielerlei Hinsicht aufeinander angewiesen und verbunden.

    Es war zu Urzeiten für ein Individuum der sichere Untergang, wenn es aus der Gemeinschaft ausgestoßen wurde oder verloren ging. Unsere Gene funktionieren noch praktisch gleich wie in der Steinzeit, und der Drang, uns zu verbinden und dazuzugehören, ist tief in unserem Stammhirn angelegt. Umgekehrt schützen und retten wir, wenn wir die Wahl haben, in einer Gefahrensituation zuerst unsere Nächsten. Wie zu Urzeiten erhöht die Verbindung mit anderen Menschen auch heute noch unsere innere Sicherheit und auch heute noch macht uns ein drohender Bindungsverlust sehr viel Angst. Wir wollen die Menschen, mit denen wir eng verbunden sind und die wir lieben, nicht verlieren.

    Im Mutterleib sind wir körperlich mit unserer Mutter eng verbunden. Bei der Geburt stellt die Natur alles zur Verfügung, damit diese Verbindung zur Mutter und die der Mutter zu uns weiter anhält. Das ist hormonell gesteuert. Unsere Mutter oder eine andere nahe Bezugsperson, die Zugang zu ihren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen hat, kann sich selbst und somit auch uns als Säugling regulieren, denn das können wir aufgrund unseres noch unreifen Hirns noch nicht selbst. Die Mutter geht auch fein abgestimmt auf unsere Bedürfnisse ein. Gefühlte Sicherheit und eine Beheimatung in unserem Körper sind eng daran gekoppelt, ob unser ausgedrücktes Unwohlsein richtig interpretiert wird und unsere unterschiedlichen Bedürfnisse angemessen befriedigt werden. Eine sichere Bindung ist die Folge. Unser Nervensystem reift und wir können im Laufe der Jahre unsere innere Erregung, die bei Gefahr, Unwohlsein oder bei Gefühlen wie z. B. Wut entsteht, immer besser selbst regulieren. Außer wir haben übermäßig Stress – dann brauchen wir uns gegenseitig auch als Erwachsene noch immer zur gegenseitigen Regulation. Das ergibt Sinn.

    Vertrauensvolle Kontakte können wir schon im ersten Lebensjahr auch mit ein paar wenigen anderen Menschen erleben. In einer prekären Situation wenden wir uns jedoch für unsere Regulation immer an die Bezugspersonen, mit denen wir am engsten verbunden und die am feinfühligsten sind. Eltern, die kaum Zugang zu ihrem eigenen Körper haben, können uns, und das ist die Kehrseite, wenig Sicherheit und Körperwohlgefühl vermitteln (1).

    In der Obhut von nahestehenden, ausgeglichenen und wohlwollenden Bezugspersonen fühlen wir uns sicher und aufgehoben. Mit dieser gesicherten Basis wächst unsere Neugier auf das Leben. Wir entwickeln ein Streben nach Autonomie und erweitern neugierig unseren Radius. Unsere entgegengesetzten Bedürfnisse nach Sicherheit einerseits und Autonomie andererseits sind somit im Gleichgewicht. In dieser Balance können wir uns gemäß unseren Begabungen entfalten. Tiefe, sichere und vertrauensvolle Bindungen geben uns den Boden, auf dem unser Leben gründet.

    Wichtig: Das hier Beschriebene ist das Ideal. Es gibt auch ein Gut genug an Fürsorge und elterlicher Feinabstimmung, jedoch auch ein Zuwenig.

    Als Kind bauen wir zunächst mit einigen wenigen Bezugspersonen eine vertrauensvolle Bindung auf. Später wählen wir zunehmend selbst, mit wem wir uns tiefer verbinden möchten. Im besten Falle sind das Menschen, die uns guttun, emotional verlässlich sind und uns in unserem Wachstum und unserer Entwicklung stimulieren. So können wir in Einklang mit unseren Grundbedürfnissen aufwachsen und später gemäß dem eigenen Potenzial unsere Begabungen in die Welt tragen. Wir verbinden uns, wie gesagt im Idealfall, mit Menschen aus unserer Familie sowie mit Menschen, mit denen wir uns befreunden. Wir wachsen einander ans Herz und spüren, dass wir diese engen, vertrauten Herzensverbindungen brauchen. Diese brauchen wir ausnahmslos alle. Wir brauchen nicht hunderte, jedoch ein paar wenige Menschen, mit denen wir eng verbunden sind. Das sind unsere Nächsten; mit ihnen teilen wir ganz Persönliches, wir lassen uns gegenseitig an Beglückendem und an Schwierigem teilhaben. Wir vertrauen ihnen und sie vertrauen uns. Wir dürfen so sein, wie wir sind, auch wenn es uns nicht gut geht. Außerhalb des Kreises mit den allernächsten Menschen sind da weitere Freundinnen und Freunde, mit denen wir Nähe erleben. Dazu kommen gute Bekannte, die wir mögen und mit denen wir gemeinsame Hobbys oder konstruktive Arbeitsbeziehungen pflegen. Der Kontakt mit letzteren kann durchaus auch herzlich sein, jedoch sind wir etwas weniger vertraut mit ihnen, und die Kontakte sind eher situationsgebunden. Auch wenn jemand aus dem Kreis unserer Bekannten stirbt, schmerzt uns das. Der Schmerz ist jedoch weniger heftig und die Schmerzphase kürzer, als wenn wir einen Menschen aus unserem inneren oder sogar dem innersten Bindungsradius verlieren.

    Nähe mit anderen zu erleben ist seelische Nahrung. Nicht jeder Mensch braucht gleich viel davon, und in unterschiedlichen Stimmungen oder Lebenssituationen ist der Kontaktwunsch und das physische Bedürfnis nach Nähe verschieden. Wichtig für uns alle ist jedoch die Nähe zu uns selbst. So können wir auch mit anderen nährende Nähe, also Intimität, erleben, ohne uns selbst dabei zu verlieren.

    Im Kontakt zu einem Menschen, der uns ans Herz gewachsen ist, fühlen wir uns geborgen. Nach einem tiefen Gespräch, einem vertraulichen Austausch sind wir tief genährt. Diese Nahrung und das gegenseitige Vertrauen brauchen wir, damit wir erfüllt leben, uns entwickeln und reifen können. Das heißt nicht, dass wir dabei immer einer Meinung sein müssen mit einem Menschen unseres Vertrauens, sondern wir sind offen und neugierig für neue Sichtweisen über das Du und das Ich. Ganz gemäß der bekannten Aussage des Philosophen Martin Buber, dass der Mensch am Du zum Ich wird.

    Das jedenfalls gelingt bevorzugt, wenn wir als Kind sicher gebunden waren und somit ein tragfähiges Fundament in uns tragen. Leider sind etwa 45 % der Menschen in unseren Breitengraden als Kind nicht sicher gebunden. Bei Erwachsenen beträgt der Anteil mit unsicherer Bindung noch immer über 40 % (2). Es liegt auf der Hand: Ein als Kind sicher gebundener Mensch entwickelt einen sicheren Bindungsstil, ein unsicher gebundener Mensch weniger. Die Unsicherheit kann sich verschieden zeigen und ist graduell unterschiedlich. Wie viel oder wie wenig Bindungssicherheit wir als Kind erlebt haben, beeinflusst unsere privaten und beruflichen Beziehungen und, auch wenn ich mich hier wiederhole, ganz wichtig: Sie beeinflusst die Beziehung zu uns selbst! Gerade in einem Trauerprozess kann das von Bedeutung sein. In ▸ Kapitel 3.3 gehe ich näher darauf ein.

    Neurologisch gesehen, erlebt unser Hirn im Zusammensein mit eng verbundenen Menschen, die uns Sicherheit, Wohlgefühl und nicht zuletzt Inspiration geben, immer wieder Kohärenz oder Ausgeglichenheit. Manchmal zeigt sich das Leben von der stürmischen Seite und der Alltag läuft sozusagen aus dem Ruder. In solchen Situationen lassen wir unser übererregtes Nervensystem bevorzugt von Menschen unseres Vertrauens beruhigen. Oder umgekehrt: Wir beruhigen sie, die Menschen unseres Vertrauens, wenn sie es brauchen. Das Zauberwort dazu heißt Co-Regulation. Die innerlich weniger erregte Person bietet der übererregten Person ihre innere Ruhe und Ausgeglichenheit an. Das hilft. Das kann zum Beispiel in schlichtem Zuhören oder in einer stillen Umarmung geschehen. Biologisch gesehen wird dabei unser Sicherheitsbedürfnis mithilfe des ventralen Vagusnervs reguliert und befriedigt (3). So können wir den Boden wieder finden, wenn wir dysreguliert sind und gerade ein inneres Erdbeben – ein Seelenbeben – erleben.

    Menschen, die nah verbunden sind und neben vielen Lebensfreuden auch ihre seelischen Schmerzen teilen, sind sich in schwierigen Lebenssituationen das heilsame Elixier Nummer Eins. Kurz: Gelebte Verbindungen sind heilsam. Abrupte Bindungsabbrüche hingegen verstören. Der Tod eines geliebten Menschen scheint ein schmerzhafter Bindungsabbruch für immer zu sein. Doch stimmt dieser düstere Schein?

    1.2 Verlustschmerz und Sehnsucht

    Wenn jemand stirbt, mit dem wir uns tief verbunden und vieles zusammen geteilt haben, tut uns dieser Verlust sehr weh. Dieser Mensch in seiner physischen Form fehlt. Wie viel Schönes hätten wir noch zusammen erleben und uns darüber austauschen können! Geteilter Schmerz und vor allem auch geteilte Freude hätten uns noch viel Nähe beschert! Wie viel stimulierende Wachstumsimpulse hätten wir noch gegenseitig empfangen und geben können! War diese gelebte Nähe, diese Vertrautheit doch gegenseitige und überaus kostbare innere Nahrung. Das Wegfallen dieses geliebten Menschen kann uns nicht nur Schmerz, sondern auch Angst bereiten; nicht zuletzt dadurch, weil diese tiefe Verbindung zu unserer inneren Sicherheit beigetragen hat. Letztere ist jetzt bedroht und so viel anderes scheint verloren.

    Der Verlust eines Menschen, mit dem wir nah verbunden waren, trifft uns in unserem ganzen Wesen und verunsichert uns zuerst einmal zutiefst. Einen geliebten Menschen zu verlieren, jagt den Stresspegel in höchste Höhen und zeigt, dass sich unser Nervensystem in einer hochgradigen inneren Erregung befindet. Biologisch gesehen ist das erklärbar und sinnvoll: Durch die Stresshormone bleiben wir fähig, uns bei einer äußeren Bedrohung selbst am Leben zu erhalten, uns zu retten. Unser Nervensystem schaltet dabei sofort auf den Überlebensmodus. Vielleicht existiert noch ein Anteil in uns, der gegen außen gut handlungsfähig ist und wir funktionieren in einer Art Trance.

    Es kann sich schon bald ein Abgrund aus Angst vor uns auftun: Wie soll ich weiterleben ohne diesen Menschen? Überlebe ich die tsunamiartigen Schmerzwellen, die ich erahne oder schon spüre? Spülen sie mich ins Bodenlose?

    Vielleicht fragen wir uns, wie wir mit dieser hohen inneren Erregung aus Stress und Angst überhaupt umgehen können. Von Bedeutung ist jetzt, ob ein Mensch unseres Vertrauens da ist oder jemand um Hilfe angefragt werden kann, der uns bei der Regulation unseres übererregten Nervensystems hilft. Wenn beides nicht der Fall ist und uns alles zu viel wird, schützt uns unser Nervensystem auf seine eigene Weise, doch das hat seinen Preis: Unsere Eigenwahrnehmung wird reduziert, obwohl die innere Erregung noch immer da ist. Wir fühlen nun kaum mehr etwas, außer einem dumpfen inneren Druck. Oft wird dieser Zustand noch begleitet von einer Art Gehirnnebel und einem düsteren Gedankenkarussell. Das zieht uns noch weiter hinab und zeigt, dass wir die Verbindung zu uns selbst, auch zu unserem Körper, ein großes Stück weit verloren haben. Wir fallen in dieser hohen Stresssituation manchmal in ein Kinder-Ich zurück und damit auch in alte, im Erwachsenenleben wenig dienliche

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1