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Dschingis Khan – Herr der Steppe
Dschingis Khan – Herr der Steppe
Dschingis Khan – Herr der Steppe
eBook664 Seiten8 Stunden

Dschingis Khan – Herr der Steppe

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Über dieses E-Book

Er kam aus der Steppe – und erschütterte die Welt!
Nach jeder gewonnenen Schlacht wächst die Streitmacht des Dschinghis Khan. Er eint die Stämme der Steppe, die sich seit Jahrhunderten bekämpft haben, gegen einen gemeinsamen Feind: das Kaiserreich China. Auf dem Ritt durch die Wüste Gobi muss der junge Feldherr lernen, eine Armee zu befehligen, der tausende Männer unterschiedlicher Rassen und Religionen angehören. Endlich erreicht er die Tore der Hauptstadt Chinas – und der eigentliche Kampf beginnt. 
»Ein großartiges Buch über die Mongolen, auch für diejenigen, die ihre Geschichte noch nicht kennen.« – Goodreads-Rezension 
»In den Details der Erzählung zeigt sich der tiefe historische Hintergrund des Autors. Eine absolut wunderbare Reihe für jeden, der an den Mongolen interessiert ist.« – Goodreads-Rezension 
»Das Tempo der Erzählung ist erbarmungslos, die Geschichte reich an Details und faszinierenden Perspektiven auf die Machtspiele und Motivationen derer, die Dschingis umgeben.« – Goodreads-Rezension
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum8. Feb. 2024
ISBN9783961545940
Dschingis Khan – Herr der Steppe
Autor

Conn Iggulden

Der britische Bestsellerautor Conn Iggulden war zunächst Englischlehrer, bevor er sich dem Schreiben zuwandte. In seinen historischen Romanen erzählt er von abenteuerlichen Ereignissen, traditionsreichen Imperien und herausragenden Persönlichkeiten. So auch in den Reihen „Dschingis Khan Saga“ und „Attika“, in denen er die Geschichte der Mongolei und Griechenlands zum Leben erweckt. Mit seiner Frau und ihren Söhnen lebt Iggulden im englischen Hertfordshire.

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    Buchvorschau

    Dschingis Khan – Herr der Steppe - Conn Iggulden

    Prolog

    Der alte Khan der Naiman zitterte in dem Wind, der über den Berg pfiff. Weit unten stellte sich die Armee, die von ihm versammelt worden war, jenem Mann entgegen, der sich den Namen Dschingis Khan gegeben hatte. Über ein Dutzend Stämme standen entlang der Ausläufer der Berge Seite an Seite mit den Naiman, während der Feind wieder und wieder angriff. Der Khan hörte zwar das Rufen und Schreien durch die klare Bergluft, doch war er beinahe erblindet und vermochte die Schlacht nicht mit eigenen Augen zu verfolgen.

    »Berichte mir, was vor sich geht«, murmelte er seinem Schamanen zu.

    Kökötschü hatte das dreißigste Jahr noch nicht erreicht, und über seine scharfen Augen hatte sich der Schatten des Schmerzes gelegt.

    »Die Dschadschirat haben die Bögen und Schwerter niedergelegt, Herr. Ihr Mut hat sie verlassen, wie du es vorausgesagt hast.«

    »Sie ehren ihn mit ihrer Furcht zu sehr«, erwiderte der Khan und zog das Deel enger um die knochige Gestalt. »Berichte mir von meinen Naiman: kämpfen sie noch?«

    Lange Zeit antwortete Kökötschü nicht, sondern betrachtete nur das wogende Gewühl der Männer und Pferde dort unten. Dschingis hatte sie überrascht: in der Dämmerung war er im Grasland aufgetaucht, obwohl er ihren besten Kundschaftern zufolge noch über hundert Göröm hätte entfernt sein sollen. Mit der Härte siegesgewohnter Männer waren seine Krieger über das Bündnis der Naiman hergefallen, und doch hatte sich eine Gelegenheit geboten, den Ansturm zum Halt zu bringen.

    Kökötschü verfluchte im Stillen die Dschadschirat, denn sie hatten so viele Männer aus den Bergen mitgebracht, dass er sogar einen Sieg gegen den Feind für möglich gehalten hatte. Dieses große Bündnis, vor wenigen Jahren noch unvorstellbar, hatte jedoch nur bis zum ersten Angriff Bestand. Danach zerbrach es durch die Macht der Angst. Die Dschadschirat hatten den Rückzug angetreten.

    Nun fluchte Kökötschü, denn er musste mit ansehen, wie sich manche der Männer, die mit seinem Khan in die Schlacht gezogen waren, nun gegen ihre Brüder wandten. Sie hatten die Seelen von Hunden, die mit dem Wind liefen, wenn er am stärksten wehte.

    »Noch kämpfen sie, Herr«, sagte er schließlich. »Sie stemmen sich gegen den Angriff. Ihre Pfeile finden Dschingis’ Männer.« Der Khan der Naiman faltete die knochigen Hände so fest, dass die Knöchel weiß wurden.

    »Das ist gut, Kökötschü, aber ich sollte zu ihnen hinuntergehen und ihnen den Mut stärken.«

    Der Schamane warf dem Mann, dem er diente, seit er das Erwachsenenalter erreicht hatte, einen aufgeregten Blick zu. »Das wäre dein Tod, Herr. Ich habe es gesehen. Deine Gefolgsleute werden diesen Hügel selbst gegen die Seelen der Toten verteidigen.« Er verbarg seine Scham. Der Khan hatte seinem Rat vertraut, doch während Kökötschü erlebte, wie die ersten Reihen der Naiman brachen, sah er seinen eigenen Tod auf den singenden Pfeilen heranschwirren. Und er wollte nur fort von hier.

    Der Khan seufzte. »Du hast mir gut gedient, Kökötschü. Ich bin dankbar. Berichte mir, was du siehst.«

    Kökötschü holte scharf Atem, ehe er antwortete.

    »Dschingis’ Brüder haben sich jetzt in die Schlacht gestürzt, einer führt einen Angriff gegen unsere Flanken. Er dringt tief in unsere Reihen vor.« Nun zögerte er und biss sich auf die Lippe. Wie eine brummende Fliege sauste ein Pfeil aufwärts zu ihnen und bohrte sich wenige Fuß vor ihnen bis zu den Federn in den Boden.

    »Wir müssen weiter nach oben steigen, Herr«, sagte er und erhob sich, ohne den Blick von dem brodelnden Gemetzel dort unten abzuwenden.

    Der alte Khan ließ sich von zwei Kriegern auf die Beine helfen. Mit kalten Mienen betrachteten sie die Vernichtung ihrer Freunde und Brüder, doch auf Kökötschüs Geste hin führten sie den alten Mann bergauf.

    »Haben wir zurückgeschlagen, Kökötschü?«, fragte er mit bebender Stimme. Kökötschü wandte sich um und erstarrte. Pfeile schienen in der Luft zu hängen, als bewegten sie sich durch Öl. Die Streitmacht der Naiman war durch den Angriff in zwei Teile gespalten. Die Rüstung, die Dschingis den Kriegern der Chin abgeschaut hatte, war dem gesiedeten Leder der Naiman deutlich überlegen. Jeder Feind trug Hunderte von fingerbreiten Eisenplatten auf dickem Tuch über einem Seidenhemd. Auch wenn das Eisen einen gut gezielten Pfeil nicht aufhalten konnte, fing die Seide doch oft die Spitze ab. Kökötschü beobachtete, wie gut Dschingis’ Krieger den Pfeilhagel überstanden. Die Standarte der Merkit mit ihrem Pferdeschweif war längst gefallen und zertrampelt, und die Krieger des Stammes streckten die Waffen und gingen keuchend auf die Knie. Nur die Oirat und die Naiman kämpften wutentbrannt weiter, doch sie wussten: lange würden sie sich nicht mehr halten können. Mit dem Ende des großen Bündnisses, das geschmiedet worden war, um einem einzigen Gegner zu widerstehen, schwand alle Hoffnung auf Freiheit.

    Kökötschü runzelte die Stirn und stellte sich vor, wie seine Zukunft aussehen mochte.

    »Diese Männer kämpfen voller Stolz, Herr. Sie werden nicht fliehen, solange du ihnen zuschaust.« Hundert Krieger aus Dschingis Khans Reihen hatten den Fuß des Hügels erreicht und blickten nun hasserfüllt zu den Gefolgsleuten seines Khans hinauf. In dieser Höhe wehte der Wind mit grausamer Kälte.

    Was Kökötschü fühlte, waren Verzweiflung und Zorn. Sein Weg hatte ihn so weit geführt, nun durfte er nicht mit der kalten Sonne im Gesicht auf einem verdorrten Hügel sterben. All die Geheimnisse, die er von seinem Vater gelernt und die er sich selbst erworben hatte, konnten mit einem einzigen Schwerthieb – oder einem einzigen Pfeil nur – verloren sein. Einen Augenblick lang empfand er Abscheu gegen den alten Khan, der versucht hatte, der neuen Macht in der Steppe Widerstand zu leisten. Er war gescheitert und hatte sich damit zum Narren gemacht, gleichgültig, wie stark er einst gewesen sein mochte. Im Stillen verfluchte Kökötschü das Unglück, das ihn verfolgte.

    Der Khan der Naiman schnaufte beim Aufstieg vor Anstrengung und gab den Männern, die ihn stützten, mit schwacher Hand ein Zeichen.

    »Ich muss mich hier ausruhen«, sagte er und schüttelte den Kopf.

    »Herr, sie sind zu nahe«, mahnte Kökötschü. Die Gefolgsleute beachteten den Schamanen nicht, sondern setzten den Khan auf einem Stück Gras ab.

    »Also haben wir verloren?«, fragte der Khan. »Wie sonst sollten die Hunde von Dschingis diesen Hügel erreicht haben, wenn nicht über die Toten der Naiman?«

    Kökötschü wagte es nicht, den Gefolgsleuten in die Augen zu sehen.

    Sie kannten ebenso wie er die Wahrheit, aber niemand wollte dem alten Mann die letzte Hoffnung rauben. Unten lagen die Leichen kreuz und quer wie blutige Schriftzeichen auf dem Gras. Die Oirat hatten tapfer gekämpft, doch zuletzt waren auch sie unterlegen gewesen. Dschingis’ Armee nutzte geschickt die Schwächen in den Reihen. Kökötschü sah die Zehner- und Hundertergruppen, die über das Schlachtfeld preschten und deren Offiziere sich mit verwirrender Geschwindigkeit verständigten. Nur der überwältigende Mut der Naimankrieger bremste den Ansturm, doch das würde nicht genügen. Einen Augenblick lang schöpfte Kökötschü Hoffnung, als die Krieger sich zurück zum Fuß des Hügels durchschlugen. Aber es waren zu wenige und sie waren auch zu erschöpft: Mit dem nächsten Angriff wurden sie überrannt.

    »Deine Gefolgsleute sind bereit, für dich zu sterben, Herr«, murmelte Kökötschü. Mehr wusste er nicht zu sagen. Der Rest der Armee, die am Abend zuvor noch so strahlend und mächtig dagestanden hatte, war nun niedergeworfen worden. Er hörte die Schreie der Sterbenden.

    Der Khan nickte und schloss die Augen.

    »Ich dachte, wir würden heute den Sieg davontragen«, sagte er kaum lauter als mit einem Flüstern. »Wenn es vorüber ist, sag meinen Söhnen, sie sollen die Waffen niederlegen. Ich möchte nicht, dass sie sich für nichts opfern.«

    Die Söhne des Khans waren aber längst gefallen, als Dschingis’ Truppen über sie hinweggeprescht waren. Die beiden Gefolgsleute starrten Kökötschü an, als sie den Befehl hörten. Trauer und Wut merkte man ihnen nicht an.

    Der Ältere der beiden zog das Schwert, prüfte die Klinge, und die Adern im Gesicht und am Hals traten deutlich unter der Haut hervor.

    »Ich werde deinen Söhnen die Nachricht überbringen, Herr, wenn du mich gehen lässt.«

    Der Khan hob den Kopf.

    »Sag ihnen, sie müssen leben, Murakh, damit sie sehen, wohin Dschingis uns alle führt.«

    Murakh standen Tränen in den Augen, die er zornig fortwischte. Er wandte sich dem anderen Gefolgsmann zu und beachtete Kökötschü nicht, als wäre der Schamane überhaupt nicht anwesend.

    »Beschütze den Khan, mein Sohn«, sagte er leise. Der jüngere Mann neigte den Kopf, und Murakh legte ihm die Hand auf die Schulter und beugte sich vor, bis sich ihre Stirnen kurz berührten. Ohne Kökötschü anzusehen, der sie auf diesen Hügel gebracht hatte, schritt Murakh den Hang hinunter.

    Der Khan seufzte, seine Gedanken waren in düstere Wolken gehüllt.

    »Sag ihnen, sie sollen den Eroberer durchlassen«, flüsterte er. Kökötschü beobachtete, wie eine Schweißperle an der Nasenspitze des Khans zitterte. »Vielleicht gewährt er meinen Söhnen Gnade, nachdem er mich getötet hat.«

    Weiter unten erreichte Murakh die letzte Gruppe der Verteidiger. In seiner Gegenwart richteten sie sich noch einmal auf; erschöpft und geschlagen hoben sie die Köpfe und versuchten, ihre Angst zu verbergen. Kökötschü hörte, dass sie sich voneinander verabschiedeten, während sie leichten Schrittes auf den Feind zugingen.

    Am Fuß des Berges kam Dschingis durch das Gedränge der Krieger; seine Rüstung war mit Blut gesprenkelt.

    Kökötschü spürte, wie der Blick des Mannes über ihn glitt. Schaudernd legte er die Hand auf den Griff seines Messers. Würde Dschingis einen Schamanen verschonen, der seinem Khan die Kehle aufgeschlitzt hatte? Der alte Mann saß mit hängendem Kopf da, sein Hals wirkte erschreckend dünn. Vielleicht konnte Kökötschü durch eine solche Tat sein eigenes Leben retten. Im Augenblick erfüllte ihn nur diese verzweifelte Angst vor dem Tod.

    Dschingis stand eine ganze Weile lang still und starrte nach oben. Kökötschü nahm die Hand vom Messer. Er kannte diesen kalten Krieger nicht, der mit der Morgensonne aus dem Nichts erschienen war. Daher setzte er sich neben seinen Khan und sah zu, wie die letzten Naiman hinabstiegen, um zu sterben. Er sprach einen alten Schutzzauber, den ihn sein Vater gelehrt hatte. Damit konnte er die Feinde auf seine Seite ziehen. Offensichtlich lösten die gesungenen Worte die Anspannung des alten Khans.

    Murakh war der Erste Krieger der Naiman und hatte an diesem Tag noch nicht gekämpft. Mit einem schrillen Schrei stürzte er sich auf Dschingis’ Männer und scherte sich nicht um seine Verteidigung. Die letzten Naiman stürmten ihm hinterher, ihre Erschöpfung schien verflogen. Ihre Pfeile warfen Dschingis’ Männer zu Boden, doch erhoben sie sich rasch wieder, brachen die Schäfte ab, zeigten die Zähne und setzten ihren Angriff fort. Während Murakh den Ersten, der sich ihm entgegenstellte, töten konnte, drängte ein ganzes Dutzend anderer auf ihn ein. Unter ihren Hieben färbte sich seine Brust rot.

    Kökötschü setzte seinen Gesang fort und riss die Augen auf, als Dschingis in ein Horn stieß und seine Männer von den keuchenden Überlebenden der Naiman abließen.

    Murakh lebte noch und stand benommen da. Kökötschü sah, dass ihm Dschingis etwas zurief, doch er verstand die Worte nicht. Murakh schüttelte den Kopf, spuckte Blut auf den Boden und hob das Schwert. Nur wenige Naiman standen noch auf den Beinen, alle waren verwundet, ihr Blut rann an den Beinen hinab. Auch sie hoben die Klingen, schwankten jedoch bei der Anstrengung.

    »Ihr habt tapfer gekämpft«, rief Dschingis. »Ergebt euch jetzt, dann heiße ich euch an meinen Feuern willkommen. Ich werde euch in Ehre aufnehmen.«

    Murakh grinste ihn an und zeigte die roten Zähne. »Ich spucke auf die Ehre des Wolfes«, sagte er.

    Dschingis saß ruhig auf seinem Pferd, ehe er endlich mit den Schultern zuckte und die erhobene Hand nach unten riss. Seine Reihen stürmten weiter vor, und Murakh und die anderen wurden wieder von den feindlichen Kriegern umringt.

    Oben auf dem Hügel erhob sich Kökötschü. Sein Gesang blieb ihm in der Kehle stecken, als Dschingis vom Pferd sprang und den Aufstieg begann. Die Schlacht war zu Ende. Hunderte Tote hatte der Kampf gefordert, Tausende hatten sich ergeben. Kökötschü kümmerte ihr Schicksal jedoch nicht.

    »Er kommt«, sagte er leise und schaute den Hügel hinunter. Sein Magen zog sich zusammen, die Muskeln in den Beinen zitterten wie ein Pferd, das von Fliegen geplagt wird.

    Der Mann, der die Steppenstämme unter einem Banner vereint hatte, schritt zielstrebig und mit ausdrucksloser Miene bergauf. Kökötschü bemerkte, dass seine Rüstung verbeult war und einige Metallschuppen nur noch an dünnen Fäden hingen. Der Kampf war hart gewesen, und trotzdem kam Dschingis mit geschlossenem Mund herauf, als wäre er nicht im mindesten außer Atem.

    »Haben meine Söhne überlebt?«, fragte der Khan im Flüsterton und brach damit sein Schweigen. Er streckte die Hand aus und packte Kökötschü am Ärmel seines Deels.

    »Nein«, antwortete Kökötschü, plötzlich verbittert. Die Hand rutschte ab, der alte Mann sank in sich zusammen. Während der Schamane zuschaute, richtete der alte Khan die milchigen Augen aufwärts, und mit einem Mal strahlte seine Haltung wieder Kraft aus.

    »Dann lass diesen Dschingis kommen«, sagte der Khan. »Was kann mich jetzt noch erschüttern.«

    Kökötschü erwiderte nichts, er konnte den Blick nicht von dem Krieger losreißen, der da den Hügel heraufstieg. Der Wind fuhr ihm kalt in den Nacken, und nie zuvor hatte er ihn süßer gespürt. Er hatte Männer im Antlitz des Todes gesehen; er hatte sie getötet, hatte ihre Seelen mit dunkelsten Riten vertrieben. Jetzt entdeckte er seinen eigenen Tod in den sicheren Schritten des Mannes, und einen Augenblick lang wäre er der Versuchung fast erlegen und davongerannt. Doch nicht der Mut ließ ihn verweilen. Er war ein Mann der Worte und der Zaubersprüche – unter den Naiman hatte man ihn mehr gefürchtet als seinen Vater. Zu fliehen bedeutete mit der gleichen Unabwendbarkeit den Tod, mit der sich der nächste Winter heranschlich. Kökötschü hörte das Sirren, als Murakhs Sohn das Schwert zog, aber es tröstete ihn nicht. Der Gang des Zerstörers flößte ihm Ehrfurcht ein.

    Keine Armee hatte ihn jemals aufgehalten. Der alte Khan hob den Kopf und blickte ihm entgegen, spürte den Feind auf die gleiche Weise, wie sein blindes Auge noch immer die Sonne erspähte.

    Dschingis blieb stehen, als er die drei Männer erreichte. Dann sah er sie an. Er war groß, seine Haut glänzte gesund und ölig. In den Augen, gelb wie die von Wölfen, entdeckte Kökötschü kein Erbarmen. Während der Schamane erstarrt dastand, zog Dschingis das Schwert, an dem Blut trocknete. Murakhs Sohn trat einen Schritt vor und stellte sich zwischen die beiden Khane. Dschingis blickte ihn gereizt an, der junge Mann zuckte zusammen.

    »Geh nach unten, Junge, wenn dir dein Leben lieb ist«, sagte Dschingis. »Heute sind genug Menschen von meinem Volk gestorben.«

    Der junge Krieger schüttelte wortlos den Kopf, und Dschingis seufzte. Mit einem harten Hieb schlug er das Schwert zur Seite, mit der anderen Hand stieß er dem Jungen den Dolch in die Kehle. Und während das Leben aus Murakhs Sohn wich, fiel er Dschingis mit offenen Armen entgegen. Dschingis grunzte, als er den Körper auffing, und stieß ihn von sich. Kökötschü schaute zu, wie die Leiche den Hang hinunterrollte.

    Ruhig wischte Dschingis sein Messer ab und schob es in die Scheide an der Hüfte zurück. Plötzlich wurde seine Erschöpfung erkennbar.

    »Ich hätte die Naiman in allen Ehren aufgenommen, wenn du es nur gewollt hättest«, sagte er.

    Der alte Khan starrte ihn mit leeren Augen an.

    »Du hast meine Antwort gehört«, erwiderte er mit fester Stimme. »Und nun schickt mich zu meinen Söhnen.«

    Dschingis nickte. Sein Schwert senkte sich, wie es schien, ganz langsam herab.

    Die Klinge trennte dem alten Khan das Haupt von den Schultern, der Kopf rollte daraufhin den Hügel hinunter. Der sitzende Körper zuckte unter der Wucht des Hiebs, neigte sich jedoch nur leicht zur Seite. Kökötschü hörte, wie das Blut auf den Fels spritzte, denn plötzlich waren seine Sinne zu neuem Leben erwacht. Er erbleichte, als Dschingis sich ihm zuwandte, vor Verzweiflung sprudelten die Worte aus ihm heraus.

    »Du darfst das Blut eines Schamanen nicht vergießen, Herr. Du darfst es nicht. Ich bin ein Mann mit Macht, einer, der die Macht versteht. Richte deine Klinge gegen mich, und du wirst sehen, meine Haut ist aus Eisen. Lass mich stattdessen in deine Dienste treten. Lasse mich deinen Sieg verkünden.«

    »Wie gut hast du dem Khan der Naiman gedient? Hierher hast du ihn geführt, wo er sterben musste«, entgegnete Dschingis.

    »Habe ich ihn nicht fort von der Schlacht gebracht? In meinen Träumen sah ich dich kommen, Herr. Ich habe dir den Weg bereitet, so gut ich konnte. Liegt nicht die Zukunft der Stämme in dir? Ich spreche mit der Stimme der Geister. Ich stehe im Wasser, während du auf der Erde und im Himmel stehst. Nimm mich in deine Dienste auf.«

    Dschingis zögerte, seine Klinge verharrte. Der Mann vor ihm trug ein dunkelbraunes Deel über dem Hemd und der Hose. Es war mit gestickten Mustern verziert, mit purpurfarbenen Wirbeln, die von Fett und Schmutz beinahe schwarz gefärbt worden waren. Kökötschüs Stiefel waren mit einem Seil gebunden, sie sahen aus, als hätte ihr Vorbesitzer keine Verwendung mehr für sie gehabt.

    Doch die Augen in seinem dunklen Gesicht funkelten.

    Dschingis erinnerte sich, wie Eeluk von den Wölfen den Schamanen seines Vaters getötet hatte. Vielleicht hatte Eeluk genau an jenem blutigen Tag vor so vielen Jahren damit sein Schicksal besiegelt. Kökötschü beobachtete ihn und wartete auf den Hieb, der sein Leben beenden würde.

    »Ich brauche keinen weiteren Geschichtenerzähler«, sagte Dschingis. »Schon jetzt habe ich drei Männer, die behaupten, für die Geister zu sprechen.«

    Kökötschü bemerkte jedoch die Neugier im Blick seines Gegenübers und zögerte nicht.

    »Sie sind Kinder, Herr. Erlaube mir, es dir zu beweisen«, sagte er. Und ohne die Antwort abzuwarten, zog er ein schlankes Stück Stahl hervor, das ungeschickt an einem Horngriff befestigt war. Er spürte, wie Dschingis das Schwert hob, daher hielt er ihn mit der freien Hand zurück und schloss die Augen.

    Mit großer Willensanstrengung verscheuchte der Schamane den scharfen Wind und die kalte Angst aus seinen Gedanken. Er murmelte die Worte, die ihm sein Vater eingebläut hatte, und er spürte, dass sich die Ruhe der Trance jäher und schneller einstellte, als er selbst es erwartet hatte. Die Geister waren in ihm, ihre Liebkosung verlangsamte seinen Herzschlag. Binnen eines einzigen Augenblicks befand er sich an einem anderen Ort.

    Dschingis riss die Augen auf, als Kökötschü den Dolch an den eigenen Unterarm führte und sich die Klinge ins Fleisch drückte. Der Schamane zeigte kein Anzeichen von Schmerz, während das Metall durch den Arm glitt, und gefesselt sah Dschingis zu, wie die Spitze die Haut auf der anderen Seite anhob.

    Schwarz zeigte sich das Metall, als es hindurchstieß, und Kökötschü blinzelte langsam, fast träge, während er die Klinge wieder herauszog.

    Er sah dem jungen Khan in die Augen, nachdem er das Messer herausgezogen hatte. Dschingis starrte unverwandt auf die Wunde. Kökötschü holte tief Luft, spürte, wie die Trance immer mehr von ihm Besitz ergriff, bis sich in allen Gliedern eine große Kälte ausgebreitet hatte.

    »Siehst du Blut, Herr?«, flüsterte er und kannte die Antwort schon.

    Dschingis runzelte die Stirn. Er schob das Schwert nicht in die Scheide zurück, trat jedoch vor und strich grob mit dem Daumen über die ovale Wunde in Kökötschüs Arm.

    »Nein. Das ist eine nützliche Fähigkeit«, räumte er widerstrebend ein. »Kannst du sie mich lehren?«

    Kökötschü lächelte und fürchtete sich nicht mehr.

    »Die Geister kommen nur zu dem, den sie ausgewählt haben, Herr.«

    Dschingis nickte und trat zurück. Selbst in diesem kalten Wind stank der Schamane wie eine alte Ziege, und der Khan wusste nicht, was er von dieser eigenartigen Wunde, die nicht blutete, zu halten hatte.

    Schnaubend strich er mit den Fingern über seine eigene Klinge und schob sie dann in die Scheide.

    »Ich schenke dir ein Jahr, Schamane. Das ist Zeit genug, damit du deinen Wert unter Beweis stellen kannst.«

    Kökötschü fiel auf die Knie und drückte das Gesicht auf den Boden.

    »Du bist der große Khan, wie ich es vorhergesagt habe«, antwortete er, und Tränen liefen durch den Staub auf seinen Wangen. Nun verließ ihn die Kälte der wispernden Geister. Gleich darauf zog er den Ärmel über den rasch größer werdenden Blutfleck.

    »Der bin ich«, antwortete Dschingis. Er blickte nach unten, wo die Armee seine Rückkehr erwartete. »Die ganze Welt wird meinen Namen hören.« Bei den nächsten Worten war seine Stimme so leise, dass Kökötschü die Ohren spitzen musste.

    »Dies ist nicht die Zeit des Todes, Schamane. Wir sind ein Volk, und unter uns wird es keine Kämpfe mehr geben. Ich werde uns alle voranbringen. Wir werden Städte erobern und durch neue Länder reiten. Frauen werden weinen, und es wird ein Wohlklang in meinen Ohren sein.«

    Er betrachtete den unterwürfigen Schamanen und runzelte die Stirn.

    »Du sollst leben, Schamane. Ich habe es dir versprochen. Erhebe dich von den Knien, und komm mit mir hinunter.«

    Am Fuß des Berges nickte Dschingis seinen Brüdern Katschiun und Khasar zu. Beide hatten, seit sie vor Jahren begonnen hatten, die Stämme zu vereinen, großes Ansehen errungen, und doch waren sie noch jung. Katschiun lächelte, als sein Bruder auf ihn zukam.

    »Der Schamane der Naiman«, antwortete Dschingis.

    Ein anderer Mann führte sein Pferd nahe heran und stieg ab, wobei er den Blick nicht von Kökötschü wandte. Arslan war einst Waffenschmied im Stamm der Naiman gewesen, und Kökötschü erkannte ihn sofort. Der Mann war ein Mörder, erinnerte er sich, den man aus dem Stamm verstoßen hatte. Es überraschte ihn nicht, einen wie ihn in Dschingis’ engster Umgebung zu finden.

    »Ich kenne dich«, sagte Arslan. »Ist dein Vater also gestorben?«

    »Vor Jahren schon, Eidbrüchiger«, erwiderte Kökötschü, aufgebracht über den Ton.

    Jetzt begriff er, dass er das unter den Naiman mühsam erworbene Ansehen verloren hatte. Bislang waren ihm nur wenige Männer entgegengetreten, ohne den Blick zu senken, denn sie fürchteten, der Untreue beschuldigt und seinen Messern und seinem Feuer ausgeliefert zu werden. Kökötschü sah dem Verräter in die Augen. Der würde ihn schon kennenlernen.

    Dschingis beobachtete die Spannung zwischen den beiden Männern mit einer gewissen Belustigung.

    »Beleidige ihn nicht, Schamane. Nicht den ersten Krieger, der sich mir angeschlossen hat. Und es gibt keine Naiman mehr, keine Bindungen an Stämme. Ich habe sie mir alle unterworfen.«

    »Ich habe es in den Visionen gesehen«, gab Kökötschü sofort zurück. »Du wurdest von den Geistern gesegnet.«

    Bei diesen Worten wurde Dschingis’ Gesicht hart.

    »Deren Segen war wenig nützlich. Die Armee, die du hier siehst, habe ich durch Stärke und Kampfkraft gewonnen. Wenn die Seelen unserer Väter uns geholfen haben, dann so im Geheimen, dass ich es nicht bemerkt habe.«

    Kökötschü blinzelte. Der Khan der Naiman war ein Gläubiger gewesen und leicht zu lenken. Dieser neue Mann stand seinem Einfluss längst nicht so offen gegenüber. Trotzdem fühlte sich die Luft in seiner Lunge wunderbar an. Er lebte, und das hatte er vor einer Stunde noch nicht zu hoffen gewagt.

    Dschingis wandte sich an seine Brüder und beachtete Kökötschü nicht länger.

    »Die neuen Männer sollen mir heute Abend, wenn die Sonne untergeht, ihren Eid leisten«, sagte er zu Khasar.

    »Verteile sie unter den anderen, damit sie das Gefühl bekommen, zu uns zu gehören, und nicht denken, sie seien nur der geschlagene Feind. Aber sei vorsichtig. Ich möchte nicht ständig aufpassen müssen, ob mir jemand ein Messer in den Rücken rammen will.«

    Khasar neigte den Kopf, ehe er durch die Reihe der Krieger davonschritt, bis dorthin, wo die Besiegten knieten.

    Kökötschü sah, wie Dschingis mit seinem jüngeren Bruder Katschiun ein Lächeln voller Zuneigung tauschte. Die beiden Männer waren Freunde, das sah man, und Kökötschü versuchte, alles in sich aufzusaugen, was er nur konnte. In den folgenden Jahren könnte sich jede Einzelheit als wichtig erweisen.

    »Wir haben das Bündnis vernichtet, Katschiun. Habe ich es dir nicht gleich gesagt?«, frohlockte Dschingis und klopfte ihm auf die Schulter. »Deine Reiter mit den gepanzerten Pferden kamen zur rechten Zeit.«

    »Wie du es mich gelehrt hast«, erwiderte Katschiun, erfreut über das Lob.

    »Mit den neuen Männern verfügen wir über eine ganze Armee, die durch die Steppe reiten kann«, fuhr Dschingis immer noch lächelnd fort. »Endlich ist also die Zeit gekommen, den Pfad festzulegen.« Er dachte einen Augenblick lang nach.

    »Schicke Reiter in alle Richtungen, Katschiun. Sie sollen jede Wandererfamilie und jeden kleinen Stamm aufsuchen. Alle sollen im nächsten Frühjahr zum schwarzen Berg kommen, zum Fluss Onon. Dort finden wir eine weite Ebene vor, auf der unser ganzes Volk Platz hat. Wir werden uns versammeln und auf den Ritt vorbereiten.«

    »Welche Botschaft soll ich ihnen überbringen?«, fragte Katschiun.

    Und Dschingis sagte leise: »Sag ihnen, sie mögen zu mir kommen.

    Sag ihnen, Dschingis ruft sie zur Versammlung. Niemand wird sich jetzt noch gegen uns stellen. Sie können sich mir anschließen, oder sie können ihre letzten Tage damit verbringen, am Horizont nach meinen Kriegern Ausschau zu halten. Teil ihnen das mit.« Er blickte sich zufrieden um. In sieben Jahren hatte er mehr als zehntausend Mann um sich geschart. Mit den Überlebenden der bis eben noch verfeindeten Stämme hatte er diese Zahl nun fast verdoppelt. In der Steppe gab es niemanden, der seine Führerschaft anfechten konnte. Er wandte den Blick von der Sonne im Osten ab und stellte sich die großen, reichen Städte der Chin vor.

    »Tausend Generationen lang haben sie Zwietracht unter uns gesät, Katschiun. Sie haben uns so lange aufeinander gehetzt, bis wir nur noch wie wilde Hunde waren. Aber das gehört der Vergangenheit an. Ich habe uns vereint, alle – und so werden sie nun bald zittern. Denn dazu werde ich ihnen allen Grund geben.«

    Erster Teil – Kapitel 1

    In der Dämmerung des Sommerabends erstreckte sich das Lager der Mongolen meilenweit in alle Richtungen, und trotzdem wirkte die große Versammlung auf der weiten Ebene im Schatten des schwarzen Berges winzig. Die Gers, die mongolischen Zelte, überzogen das Land wie Tupfen, so weit das Auge reichte. Tausende Feuer erhellten die Erde. Jenseits davon zupften die Herden aus Pferden, Ziegen, Schafen und Yaks in ihrem unstillbaren Hunger das Gras vom Boden. An jedem Morgen wurden sie zum Fluss und zu guten Weidegründen getrieben, an jedem Abend kehrten sie zu den Gers zurück. Obwohl Dschingis für Frieden sorgte, nahmen Spannungen und Misstrauen ständig zu. Ein solches Heer hatte man niemals zuvor gesehen, und allzu leicht fühlte man sich von der schieren Zahl der Menschen bedrängt. Man wohnte eng mit Kriegern zusammen, die man nicht kannte, und so kam es zu Beleidigungen, wenn auch manche nur eingebildet waren. Trotz strengen Verbotes traten an den Abenden junge Männer zum Kampf gegeneinander an. Im Morgengrauen fanden sich dann stets ein oder zwei Leichen – es waren die jener Leute, die sich lang gehegtem Groll hingegeben hatten oder eine alte Rechnung begleichen wollten. In den Stämmen machten Gerüchte die Runde, während man darauf wartete zu hören, aus welchem Grund man sie so fern ihres eigenen Landes versammelt hatte.

    In der Mitte dieser Armee aus Zelten und Karren stand das Ger von Dschingis. Es war eines, wie man es in der Steppe nie gesehen hatte.

    Anderthalbmal so hoch wie die übrigen, doppelt so weit im Durchmesser, war es aus stärkerem Material gebaut, als es die Weidengeflechte der anderen Gers waren. Die Konstruktion schien schwierig und ließ sich nicht leicht zerlegen. Daher war sie auf einen riesigen Karren gebaut, den acht Ochsen zogen. Wenn der Abend nahte, lenkten Hunderte von Kriegern ihre Füße dorthin, um mit eigenen Augen das zu sehen, von dem sie bislang nur gehört hatten.

    Das Innere des großen Gers wurde von Hammeltalglampen erhellt, die einen warmen Schein auf die Anwesenden warfen und stickige Luft erzeugten. An den Wänden hingen seidene Kriegsbanner, aber Dschingis verachtete jegliche Zurschaustellung von Reichtum und saß auf einer einfachen Holzbank. Seine Brüder lagen auf Stapeln aus Pferdedecken und Sätteln. Sie tranken und schwatzten.

    Vor Dschingis saß ein nervöser junger Krieger, der von seinem langen Ritt zu diesem riesigen Heer noch schwitzte. Die Männer um den Khan herum schienen ihm wenig Beachtung zu schenken, doch der Bote wusste, dass sich ihre Hände niemals weit von ihren Waffen entfernten. Wegen seiner Anwesenheit wirkten sie weder besonders wachsam noch beunruhigt, trotzdem waren sie stets zum Kampf bereit. Sein Volk hatte eine Entscheidung getroffen, und er hoffte, die Ältesten wussten, was sie taten.

    »Wenn du deinen Tee getrunken hast, werde ich mir deine Botschaft anhören«, sagte Dschingis.

    Der Bote nickte und stellte die flache Schale auf den Boden zu seinen Füßen. Er schluckte den Tee, schloss die Augen und trug vor: »Dies sind die Worte von Bartschuk, Khan der Uiguren.«

    Die fröhliche Unterhaltung um ihn herum verstummte, während er sprach, und er wusste: alle hörten ihm zu. Seine Nervosität wuchs.

    »Dschingis Khan, mit großer Freude habe ich von deinem Ruhm gehört, Herr. Uns wird das Warten lang, denn wir wollen dein Volk kennenlernen und uns erheben. Die Sonne ist aufgegangen. Der Fluss ist vom Eis befreit. Du bist der Gurkhan, der uns alle führen wird. Meine Kraft und mein Wissen widme ich dir.«

    Der Bote hielt inne und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Als er die Augen öffnete, sah ihn Dschingis fragend an, und vor lauter Angst sank ihm der Mut.

    »Die Worte klingen gut«, sagte Dschingis, »aber wo sind die Uiguren? Sie hatten ein Jahr Zeit, um hierherzukommen. Wenn ich sie erst holen muss ...« Er ließ die Drohung unausgesprochen.

    Der Bote antwortete rasch. »Herr, es hat Monate gedauert, allein die Karren für die Reise zu bauen. Seit vielen Generationen haben wir unser Land nicht mehr verlassen. Fünf große Tempel mussten in Teile zerlegt werden, Stein um Stein, und jeder einzelne Brocken musste eine eigene Zahl bekommen, damit man die Tempel wieder zusammensetzen kann. Allein für unsere Schriftrollen brauchten wir ein Dutzend Karren. Ein solcher Zug geht nicht schnell vonstatten.«

    »Ihr verfügt über Schrift?«, fragte Dschingis und beugte sich interessiert vor.

    Der Bote nickte ohne Stolz.

    »Seit vielen Jahren schon, Herr. Wir haben die Schriften der Völker im Westen gesammelt, wann immer wir sie erstehen konnten. Unser Khan ist sehr gebildet und hat sogar Abschriften von Werken der Chin und der Xi Xia angefertigt.«

    »Dann werde ich hier also Gelehrte und Lehrer begrüßen?«, fragte Dschingis. »Werdet ihr mit Schriftrollen kämpfen?«

    Der Bote errötete, die Männer im Ger lachten.

    »Wir haben viertausend Krieger, Herr. Sie werden Bartschuk folgen, wenn er sie führt.«

    »Sie werden mir folgen, oder ihr Fleisch wird auf dem Gras verrotten«, erwiderte Dschingis. Einen Augenblick lang starrte ihn der Bote an, dann senkte er den Blick auf den polierten Holzboden und schwieg.

    Dschingis unterdrückte seine Gereiztheit.

    »Du hast mir nicht gesagt, wann sie kommen werden, diese uigurischen Gelehrten«, sagte er.

    »Sie könnten nur wenige Tage hinter mir sein, Herr. Ich bin vor drei Monaten losgeritten, und sie waren fast zum Aufbruch bereit. Es kann nicht mehr lange dauern, daher bitte ich um Geduld.«

    »Viertausend Krieger lohnen das Warten«, sagte Dschingis leise und dachte nach. »Beherrschst du die Schrift der Chin?« »Ich bin des Lesens nicht mächtig, Herr. Mein Khan kann ihre Worte verstehen.«

    »Steht in diesen Schriftrollen geschrieben, wie man eine Stadt aus Stein einnehmen kann?«

    Der Bote zögerte, und er spürte das Interesse der Männer um ihn herum.

    »Von so etwas habe ich noch nicht gehört, Herr. Die Chin schreiben über Philosophie, über die Worte von Buddha, Konfuzius und Laotse. Über den Krieg schreiben sie nicht, oder wenn doch, dann haben sie uns den Zugang zu diesen Rollen nicht gewährt.«

    »Dann sind sie für mich nicht von Wert«, fauchte Dschingis. »Hol dir etwas zu essen, und pass auf, dass du mit deiner Prahlerei keinen Streit anfängst. Die Uiguren werde ich mir anschauen, wenn sie endlich eingetroffen sind.«

    Der Bote verneigte sich tief, ehe er das Ger verließ, und atmete erleichtert auf, sobald er die verrauchte Luft hinter sich gelassen hatte. Erneut fragte er sich, ob sein Khan wusste, was er mit seinen Worten versprochen hatte. Die Uiguren waren nicht mehr ihre eigenen Herren.

    Er blickte sich im Lager um und sah die Feuer, die meilenweit in allen Richtungen flackerten. Auf ein Wort des Mannes, dem er gerade gegenübergetreten war, würden diese Krieger aufbrechen. Vielleicht hatte der Khan der Uiguren keine andere Wahl.

    Hoelun tauchte das Tuch in den Eimer und legte es ihrem Sohn auf die Stirn. Schon immer war Temuge schwächer als seine Brüder gewesen, und zusätzlich wurde er auch noch häufiger krank als Khasar und Katschiun, von Temudschin ganz zu schweigen. Sie lächelte schief, als ihr einfiel, dass sie ihren Sohn jetzt »Dschingis« nennen sollte. Das Wort hieß Ozean und beschrieb – über seine eigentliche Bedeutung hinaus – ganz wunderbar den Ehrgeiz ihres Ältesten. Dabei hatte er in seinen sechsundzwanzig Jahren das Meer noch nie zu Gesicht bekommen. Sie selbst allerdings auch nicht.

    Temuge bewegte sich im Schlaf und zuckte zusammen, als sie seinen Bauch mit den Fingern abtastete.

    »Jetzt ist er ruhig. Vielleicht verlasse ich dich für eine Weile«, sagte Börte.

    Hoelun betrachtete die Frau kalt, die Temudschin zum Eheweib genommen hatte. Börte hatte ihm vier wunderbare Söhne geschenkt, und eine Zeit lang hatte Hoelun gedacht, ihr Verhältnis sei wie das von Schwestern oder wenigstens freundschaftlich. Früher war die jüngere Frau voller Leben und Unternehmungsgeist gewesen, doch böse Erlebnisse hatten tief in ihrem Inneren, wo man es nicht sehen konnte, schlimme Spuren hinterlassen. Hoelun wusste, mit welchen Augen Temudschin den ältesten Jungen betrachtete. Er spielte nicht mit dem kleinen Dschotschi und beachtete ihn so gut wie gar nicht. Börte hatte gegen das Misstrauen angekämpft, doch es war gewachsen wie ein Spalt im Holz, wenn man einen Eisenkeil hineintreibt. Es half auch nicht viel, dass die drei anderen Jungen die gelben Augen ihres Vaters geerbt hatten. Dschotschis waren dunkelbraun, im Dämmerlicht wirkten sie so schwarz wie sein Haar. Und während Temudschin die anderen abgöttisch liebte, kam Dschotschi stets zu seiner Mutter gerannt, weil er die Kälte im Gesicht seines Vaters nicht verstand, wann immer ihn dieser anblickte. Hoelun sah, wie die junge Frau zur Tür schaute: ohne Zweifel dachte sie jetzt an ihre Söhne.

    »Du hast Dienerinnen, die sie ins Bett bringen«, schalt Hoelun. »Wenn Temuge erwacht, brauche ich dich hier.«

    Während sie sprach, strichen ihre Finger über die dunkle Erhebung in der Leistengegend. Solche Verletzungen hatte sie schon gesehen, bei Männern, die zu schwere Lasten gehoben hatten. Der Schmerz lähmte zwar, aber die meisten hatten sich erholt. Temuge schien ein solches Glück jedoch nicht zu haben. Seit er erwachsen geworden war, hatte er niemals so wenig wie ein Krieger gewirkt.

    Im Schlaf zeigte er das Gesicht eines Dichters, und dafür liebte sie ihn. Vielleicht hätte sein Vater sich darüber gefreut, was für Männer aus den anderen geworden waren, sie hingegen hatte stets eine besondere Zuneigung für Temuge gehegt. Vom Wesen war er nicht so hart, obwohl er genauso viele Grausamkeiten wie die anderen hatte ertragen müssen. Sie seufzte und spürte Börtes Blick im trüben Licht auf sich liegen.

    »Vielleicht wird er gesund«, sagte Börte. Hoelun zuckte zusammen. Ihr Sohn bekam in der Sonne Ausschlag, und er trug selten eine Klinge, die größer war als ein Messer zum Essen. Sie hatte nichts dagegen eingewandt, als er begonnen hatte, die Geschichte der Stämme zu erforschen, die er mit solcher Geschwindigkeit erlernte, dass die anderen über sein Gedächtnis staunten. Nicht jeder konnte dazu geboren sein, mit Waffen und Pferden umzugehen, redete sie sich ein. Natürlich hasste er den Hohn und die Sticheleien, die er für seine Arbeit erntete, obwohl sich nur wenige in Dschingis’ Gegenwart über ihn ausließen. Temuge sprach nicht über die Beleidigungen, und das war auch eine Form von Mut. An diesem mangelte es keinem ihrer Söhne.

    Beide Frauen sahen auf, als sich die kleine Tür des Gers öffnete. Hoelun runzelte die Stirn, denn nun trat Kökötschü ein und neigte den Kopf. Mit brennenden Augen erfasste er die reglose Gestalt ihres Sohnes, und sie bemühte sich, ihre Abneigung nicht zu zeigen, wobei sie diese Reaktion selbst nicht recht verstand. Der Schamane hatte etwas an sich, das ihr durch Mark und Bein ging, und die Boten, die er schickte, beachtete sie nicht. Einen Augenblick lang richtete sie sich auf, während Empörung und Müdigkeit in ihr rangen.

    »Ich habe dich nicht rufen lassen«, sagte sie kalt. Kökötschü schien ihren Ton gar nicht wahrzunehmen.

    »Ich habe einen Sklaven geschickt, da ich einen Augenblick deiner Zeit in Anspruch nehmen möchte, Mutter des Khans. Vielleicht ist er noch nicht eingetroffen. Das ganze Lager spricht über die Krankheit deines Sohnes.«

    Hoelun spürte, wie sein Blick auf ihr lag, während der Mann auf die förmliche Begrüßung wartete und sie erneut Temuge betrachtete. Stets beobachtete er alles, als hielte tief in ihm jemand Wache. Sie hatte gesehen, wie er sich in den innersten Kreis um Dschingis drängte – und sie mochte ihn einfach nicht. Die Krieger rochen nach Schafskäse, Hammelfett und Schweiß, doch das war für gesunde Männer ganz üblich. Kökötschü stank jedoch nach fauligem Fleisch, und ob dieser Gestank seiner Kleidung oder seinem eigenen Körper entströmte, wusste sie nicht zu sagen.

    In Anbetracht ihres Schweigens hätte er das Ger verlassen sollen, denn sonst riskierte er, dass sie nach den Wachen rief. Stattdessen wagte er es schamlos, einfach weiterzusprechen, weil er sicher war, sie würde ihn nicht fortschicken.

    »Ich besitze Heilkräfte, wenn du mir nur erlaubst, ihn zu untersuchen.«

    Hoelun versuchte, ihren Widerwillen zu unterdrücken. Der Schamane der Olkhun’ut hatte erfolglos für Temuge gesungen.

    »Sei willkommen in meinem Heim, Kökötschü«, sagte sie schließlich. Die Anspannung fiel von ihm ab, und sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass nun etwas Unangenehmes folgen würde.

    »Mein Sohn schläft. Der Schmerz ist groß, wenn er wach ist. Also möchte ich seine Ruhe nicht stören.«

    Kökötschü durchquerte das kleine Ger und hockte sich neben den beiden Frauen hin. Beide wichen unwillkürlich vor ihm zurück.

    »Heilung ist für ihn wichtiger als Ruhe, glaube ich.« Kökötschü betrachtete Temuge, beugte sich vor und roch an seinem Atem. Hoelun zuckte voller Mitleid zusammen, als der Schamane die Hände ausstreckte und Temuges nackten Bauch in der Umgebung der Verhärtung abtastete, doch sie hielt ihn nicht zurück. Temuge stöhnte im Schlaf, und Hoelun hielt den Atem an.

    Nach einer Weile nickte Kökötschü.

    »Du solltest dich darauf gefasst machen, alte Mutter, dass dieser Mann sterben wird.«

    Hoelun packte den Schamanen am dünnen Handgelenk. Ihre Kraft überraschte ihn.

    »Er hat sich den Bauch verrenkt, Schamane. Das habe ich schon oft gesehen. Selbst bei Pferden und Ziegen, und stets sind sie wieder gesund geworden.«

    Kökötschü löste ihre zitternden Finger mit der anderen Hand von seinem Arm. Die Angst in ihren Augen gefiel ihm. Die Angst verlieh ihm Macht über sie, über den Körper und die Seele. Wäre sie eine junge Mutter der Naiman gewesen, er hätte vielleicht danach getrachtet, sich im Tausch gegen die Heilung des Sohnes leiblich mit ihr zu vergnügen, doch in diesem neuen Lager musste er den großen Khan beeindrucken. Er verzog keine Miene.

    »Siehst du, wie dunkel der Knoten ist? Es ist eine Wucherung, die man nicht herausschneiden kann. Wenn sie sich auf der Haut befände, dann würde ich sie vielleicht ausbrennen, doch hier reichen die Klauen bis in den Magen und die Lunge. Sie frisst ihn von innen auf und wird nicht eher Ruhe geben, als bis er tot ist.«

    »Du irrst dich«, fauchte Hoelun.

    Und doch standen ihr die Tränen in den Augen.

    Kökötschü senkte den Blick, damit sie das triumphierende Funkeln nicht bemerkte.

    »Ich wünschte, es wäre so, alte Mutter. Solche Wucherungen habe ich schon früher gesehen, und ihr einziges Streben ist das Fressen. Sie wird an ihm nagen, bis beide gemeinsam dahinscheiden.« Um seine Worte zu betonen, drückte er auf die Schwellung. Temuge zuckte zusammen und wurde mit einem scharfen Atemzug wach.

    »Wer bist du?«, fragte Temuge keuchend den Schamanen. Er wollte sich aufsetzen, schrie jedoch vor Schmerz und fiel auf das schmale Bett zurück. Er zog die Decke hoch, um die Blöße zu bedecken, und die Röte stieg ihm in die Wangen, weil ihn Kökötschü prüfend musterte.

    »Wenn es keine Hoffnung gibt, Schamane, warum bist du dann noch hier?«, fragte sie. »Andere Männer und Frauen brauchen deine Heilkräfte.« Verbitterung schwang in ihrer Stimme mit, über die Kökötschü gewiss nicht erfreut war.

    »Zweimal habe ich in meinem Leben gegen das gekämpft, was ihn auffrisst. Dazu muss man ein dunkles Ritual durchführen, das auch für den Mann, der es vollzieht, Gefahren birgt. Und natürlich für deinen Sohn. Ich sage dir dies nur, damit du nicht verzweifelst, aber Hoffnung wäre töricht. Betrachte ihn als tot, und falls ich ihn retten kann, darfst du dich freuen.«

    Hoelun überlief ein Schauer, als sie dem Schamanen in die Augen blickte. Er roch nach Blut, fiel ihr auf, obwohl auf seiner Haut keine Spur davon zu sehen war.

    Bei dem Gedanken, er würde sich an ihrem Sohn zu schaffen machen, ballte sie die Hände zu Fäusten, dennoch hatte er ihr mit seinem Gerede über den Tod Angst eingejagt, und nun war sie ihm hilflos ausgeliefert.

    »Was verlangst du von mir?«, flüsterte sie.

    Er saß still da und dachte nach.

    »Ich muss meine gesamte Kraft aufbringen, um die Geister zu deinem Sohn zu führen. Dazu brauche ich eine Ziege, die die Wucherung aufnimmt, und eine zweite, um ihn mit Blut zu reinigen. Die notwendigen Kräuter habe ich. Ansonsten kann ich nur hoffen, dass ich stark genug bin.«

    »Und wenn nicht?«, fragte Börte plötzlich.

    Kökötschü holte tief Luft und blies sie durch die Lippen. »Wenn meine Kräfte versagen, während ich gerade mit dem Gesang beginne, werde ich überleben. Sollte ich jedoch bereits am Schluss sein und die Geister ergreifen mich dann, dann werdet ihr sehen, wie ich aus meinem Körper gerissen werde. Der Leib wird noch eine Weile leben, doch ohne die Seele ist es nur leeres Fleisch. Es ist eine ernste Angelegenheit, alte Mutter.«

    Hoelun blickte ihn an, ihr Misstrauen erwachte von neuem. Was er sagte, klang einleuchtend, doch seine flinken Augen beobachteten unablässig, wie seine Worte aufgenommen wurden.

    »Hol zwei Ziegen, Börte. Schauen wir uns an, was er kann.«

    Draußen war es dunkel, und während Börte die Tiere holte, wischte Kökötschü rasch Temuges Brust und Bauch mit einem Tuch ab. Als er dem jungen Mann die Finger in den Mund steckte, wachte dieser erneut auf und starrte ihn erschrocken an.

    »Lieg still, Junge. Ich helfe dir, wenn ich genug Kraft habe«, erklärte Kökötschü.

    Er sah sich nicht um, als die meckernden Ziegen hereingebracht wurden, denn seine ganze Aufmerksamkeit galt dem jungen Mann in seiner Obhut.

    Mit der Gemessenheit eines Rituals holte Kökötschü vier Messingschalen aus seiner Robe und stellte sie auf den Boden. Er schüttete in jede ein graues Pulver und zündete es mit einem Span aus dem Herd an. Bald schlängelten sich weiß-graue Rauchfäden in die Höhe und lagen dick in der Luft. Kökötschü atmete tief ein und füllte seine Lunge. Hoelun hustete hinter vorgehaltener Hand und wurde rot im Gesicht. Vom Rauch wurde ihr schwindelig, aber sie wollte ihren Sohn nicht mit diesem Mann

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