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Aller Tage Morgen: Historischer Roman
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eBook389 Seiten5 Stunden

Aller Tage Morgen: Historischer Roman

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Über dieses E-Book

Am Anbeginn der Geschichte Deutschlands: Die römische Armee erobert Germanien. Armin und Finn, Söhne eines mächtigen Fürsten, werden als Geiseln nach Rom verschleppt. Als Soldaten ausgebildet und in der Schlacht zu Kriegern gereift, trennen sich ihre Wege. Armin kehrt in seine Heimat zurück, um zwischen seinen germanischen Landsleuten und dem neuen, ambitionierten römischen Statthalter Varus zu vermitteln. Als die Herrschaft Roms immer grausamer wird, muss Armin sich endgültig für eine Seite entscheiden. Aber er kann die Römer nur angreifen, wenn er Varus und seine eigenen Ideale verrät - und dabei zu dem wird, was er bekämpft.
SpracheDeutsch
HerausgeberMountain & Heart
Erscheinungsdatum10. Jan. 2014
ISBN9783955776954
Aller Tage Morgen: Historischer Roman

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    Buchvorschau

    Aller Tage Morgen - Tomas Herzberger

    Geduld

    Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen.

    − Platon −

    Kapitel 1: Prolog

    1. August 12 v. Chr.

    Alle seine Tribune und Legaten hatten ihm abgeraten, sogar der Anführer seiner Leibgarde hatte ihn beschworen, seine Entscheidung zu überdenken. Die Pioniere und eine kleine Vorhut sollten zuerst die Landungsstelle sichern, überall könnten die Feinde lauern. Er würde eine hervorragende Zielscheibe abgeben. Aber Nero Claudius Drusus war von seiner Idee nicht abzubringen gewesen. Kein gemeiner Soldat, sondern er selbst sollte der Erste sein, der seinen Fuß auf feindlichen Boden setzt. Er würde in einem Atemzug mit Gaius Iulius Cäsar genannt werden, der vor fünfzig Jahren diese Tat ebenfalls vollbracht hat. Das war ein Moment für die Annalen, und er würde als Vorbild für seine Soldaten furchtlos vorangehen.

    Was er im Moment viel mehr fürchtete als ein Attentat, war das leichte Schwanken des Bootes. Vom Ufer aus hatte der Rhenus noch friedlich ausgesehen. Aber nun, da eine leichte Brise aufgekommen war, begann das Boot zu schaukeln. Bedrohlich stark. Drusus nahm einen tiefen Atemzug, um seinen brodelnden Magen zu beruhigen. Ein kotzender Heerführer wäre nicht sehr eindrucksvoll. Ob das der Grund dafür war, dass Iulius Cäsar eine Brücke über den Fluss hatte bauen lassen? Zweimal hatte er den Rhenus überquert, beide Male war der Grund die Vergeltung an germanischen Stämmen, die gallische Dörfer geplündert hatten. Es war diesen Barbaren vor fünf Jahren sogar gelungen, eine römische Legion zu besiegen. Allerdings war das mehr der Dummheit des Feldherren Marcus Lollius als dem Geschick der Germanen geschuldet. Nichtsdestotrotz würde er diese schmachvolle Niederlage nun endlich rächen.

    Mehr als das: Drusus hatte sich vorgenommen, endlich für Ruhe und Stabilität zwischen der römischem Provinz Gallien und den germanischen Stämmen auf der anderen Seite des Rhenus zu sorgen. Das war noch keinem Römer vor ihm gelungen, auch nicht Cäsar. Die römischen Feldherren hatten sich bislang darauf beschränkt, auf die andere Seite des Flusses überzusetzen, ein paar Dörfer in Brand zu setzen und die Macht Roms zu demonstrieren. Nach wenigen Wochen waren sie wieder zurück in Gallien und hatten nichts erreicht, außer den germanischen Hass auf die Römer noch weiter zu schüren. Aber das würde sich mit ihm am heutigen Tag ändern. Drusus ging nach Germanien, um dort zu bleiben.

    Eine kleine Welle brachte das Boot erneut ins Wanken und riss Drusus aus seinen Gedanken. Eine Schande, dass Cäsar die Brücke wieder hatte abreißen lassen. Er dankte den Göttern, dass er nicht in der Marine diente. Augen zu und durch! Drusus fixierte das gegenüberliegende Ufer, atmete erneut tief ein und stärkte seinen Griff um die Reling des Bootes. Mit ihm sollten mehreren Dutzend seiner besten Offiziere und dem Kommandanten seiner Leibgarde die Ehre zuteilwerden, als Erste auf germanischem Boden zu landen. Nervös blickten auch sie auf ihre geplante Landungsstelle. Und Drusus war nicht der einzige, der bleich geworden war. Immerhin etwas. Nur noch wenige Augenblicke, und diese Tortur würde vorüber sein. Das Boot landete mit Schwung auf dem flachen, kiesigen Ufer. Froh, endlich festen Boden unter die Füße zu bekommen, schwang sich Drusus über die Reling. Er war der erste Römer, der an dieser Stelle seinen Fuß auf feindliches Territorium setzte! Diese Ehre würde ihm niemand mehr nehmen können! Vom Aquilifier, einem seiner besten Soldaten, der einen Wolfspelz um Kopf und Schultern trug, ließ er sich den Legionsadler reichen. Das prächtige Symbol römischer Macht thronte schwer auf einem Stab, war aus purem Gold und hatte Jupiters Blitze in seinen Fängen. Er glänzte in der hellen Sonne. Drusus ging einige Schritte das Ufer hinauf. Der Landungsplatz war nicht ideal, es war nicht viel Platz. Nach ein paar Schritten flacher Wiese begann eine dicht bewaldete Hügelkette, rechts davon ein steiler, hoher Fels. Zu schmal für Tausende von Soldaten, die übersetzen sollten. Zumindest für ein robustes Vorauskommando und einen Brückenkopf sollte es reichen. Die Pioniere würden noch genug Zeit haben, einen besseren Landungsplatz in der Nähe zu finden oder diesen hier auszubauen. Drusus sah sich nach einer Erhöhung um und fand einen großen Felsen. Perfekt.

    Lange war Drusus nicht mehr derart aufgeregt gewesen. Er liebte solche Momente. Ihr Leben lang würden seine Soldaten davon ihren Kindern und Enkeln erzählen, wie ihr Feldherr, Nero Claudius Drusus, das Ende der germanischen Stämme einläutete. So lässig, wie es ihm seine Ehrenrüstung und sein purpurner Umhang erlaubten, kletterte Drusus auf den Fels und sah zurück auf das gegenüberliegende Ufer. Dort standen die fünfzehntausend Soldaten seiner Legionen. Das Wetter war perfekt. Die Sonne reflektierte auf den blankpolierten Rüstungen und Waffen seiner Männer und blendete ihn. Alle schauten auf ihn. Drusus genoss jede Sekunde. Er hob den Legionsadler soweit er konnte in die Höhe.

    „Quo fas et gloria ducunt!", rief er seinen Männern entgegen. Wohin Ruhm und Ehre uns führen. Dann rammte er den Adler in den Boden. Frenetisch schlugen die Römer ihre Schwerter auf die Schilde und feierten ihren Heerführer. Ein ohrenbetäubender Lärm.

    Den beiden Männern, die das ganze Spektakel von dem hohen Felsen am Rande des Landungsplatzes beobachtet hatten, stand der Mund offen. Der Aufmarsch der Legionen in perfekter Ordnung war bereits ein eindrucksvoller Anblick, aber das rhythmische Getöse, das sie verursachten, war atemberaubend. Erwin musste beinahe schreien, um sich verständlich zu machen.

    „Das muss man den Römern lassen: Sie haben ein Talent für den großen Auftritt." Hartwig winkte gelassen ab.

    „Sollen sie nur. In den Wäldern wird man sie nicht schreien hören."

    Kapitel 2: Versammlung

    11 v. Chr.

    „Das sieht man nun auch nicht jeden Tag! Die Fürsten aller Cherusker an einer Tafel. Da müssen schon die Römer an unsere Tür klopfen, damit wir mal gemeinsam essen!".

    Ingomar lachte laut und schlug seinem Bruder Segimer auf die Schulter, der beinahe seinen Krug Met verschüttete. Die sechs Fürsten der Cherusker trafen sich selten gemeinsam, stets hatte irgendjemand mit irgendjemanden Streit. Erst die Nachricht, dass eine starke römische Streitmacht auf ihr Stammesgebiet zumarschiert, hatte sie ihre Streitigkeiten vergessen lassen. Zumindest für den Moment.

    Segimer war der Mächtigste unter ihnen. Er war zwar weder der stärkste noch der größte Mann seiner Sippe, aber er vereinte körperliche Kraft mit Gerissenheit wie kein Zweiter. Im Zweikampf war er seit seiner Jugend unbesiegt. Seine Augen waren stahlblau. Oft reichte sein strenger Blick, um den Zorn vieler Männer in Furcht zu verwandeln. Segimer hatte kurzes, dichtes braunes Haar und einen ebensolchen Bart, den er regelmäßig stutzte. Weniger aus Eitelkeit, sondern aus Respekt gegenüber seiner verstorbenen Frau, die seinen zotteligen Bart verabscheut hatte. Sie war im Kindbett gestorben, als sie ihren ersten Sohn Finn gebar. In vielen Kämpfen hatte Segimer für seine insgesamt fünfzigköpfige Familie das beste Acker- und Weideland weit und breit gesichert. Sein Dorf umfasste ein Dutzend Hütten und Langhäuser, die gänzlich aus Holz, Weidenruten, Lehm und Reet errichtet waren. Es war bei Weitem die größte cheruskische Siedlung innerhalb von sieben Tagesmärschen.

    Auch sein Bruder Ingomar lebte mit seiner Familie dort. Als der Jüngere unterstellte er sich bereitwillig der Führung seines Bruders. Er war von hagerer Gestalt und größer als Segimer. Sein langes, kantiges Gesicht war von wenigen Bartstoppeln verdeckt, die wie sein kurz geschorenes Haar früh ergraut waren. Ingomar war – und das schätzte Segimer an seinem Bruder - außerordentlich klug. Schon seit ihrer Jugend war Ingomar der Planer und Vorbereiter, während Segimer für die Ausführung zuständig war. Ganz gleich, ob es darum ging, das Pferd ihres Vaters für einen Ausritt zu stehlen oder kleine Kämpfe mit den anderen Jungs des Stammes – Ingomar und Segimer bildeten eine hervorragende und unzertrennliche Gemeinschaft. Sie hatten die anderen Fürsten ihres Stammes zu dieser Zusammenkunft auf ihr Gut eingeladen.

    Ihnen gegenüber saßen die Fürsten Wiegand, Thorleif, Segestes und Volkmar, der komplette Adel des cheruskischen Stammes. Sie alle kannten sich gut, da Mitglieder ihrer Sippen untereinander geheiratet und so die Familienbande gefestigt hatten. Viele von ihnen hatten Narben aus Kämpfen gegen feindliche Stämme davongetragen. Segestes fehlten zwei Finger der linken Hand. Thorleif zog ihn gerne damit auf, dass er sich diese Verletzung nicht im Kampf, sondern beim Schneiden von Gemüse zugezogen hatte. Ihm selbst fehlte das rechte Auge, was seine eindrucksvolle Erscheinung noch angsteinflößender machte. Neben den Fürsten saßen an der langen und hell erleuchteten Tafel ihre wichtigsten Vertrauten, zumeist Brüder oder Cousins. Keiner der Männer war dumm genug, sein Schwert außerhalb seiner Reichweite abzulegen. Zu oft hatte es Streitigkeiten unter ihnen gegeben, und schnell kochte das Blut. Jene, die in solchen Fällen nicht gleich die Waffe zur Hand hatten, mussten ihren Fehler mit dem Leben oder einem ihrer Gliedmaßen bezahlen. Segimer wusste, dass er genau das verhindern musste. Heute durfte es keinen Streit geben. Zu wichtig war der Anlass ihrer Zusammenkunft. Zur Feier hatte er zwei Wildschweine erlegen und zubereiten lassen. Die Krüge der Männer füllten und leerten sich schnell, aber heute würde sich niemand betrinken. Nicht allzu sehr.

    Segimer schlug mit der Faust auf den Tisch und ließ ihn erbeben. Die Gespräche am Tisch verstummten augenblicklich.

    „Ich danke euch für euer Kommen. Zwei Tage später als gedacht, aber besser spät als nie."

    „Ich lasse mir doch nicht vorschreiben, wann ich wo zu sein habe!, protestierte Thorleif. „Auch nicht von dir.

    „Umso dankbarer sind wir, dass du unserer Einladung gefolgt bist und wir dich als Gast bei uns begrüßen dürfen", entgegnete Ingomar ruhig. Niemandem war diese Spitze entgangen. Respektvoll, aber bestimmt hatte Ingomar Thorleif zurechtgewiesen.

    „Wir wollen mit euch über die Römer sprechen. Vor elf Monden haben sie den Rhein überquert. Ihr Anführer ist Nero Claudius Drusus. Er ist der Stiefsohn ihres Kaisers Augustus. Er führt ein Heer von fünfzehntausend Soldaten."

    Absolute Stille.

    „Fünfzehntausend sagst du?, erwiderte Wiegand ungläubig. „Kann das sein?.

    „Ja, antwortete Segimer. „Viele haben diese Zahl genannt.

    „Selbst wenn wir alle unsere Krieger zusammen in die Schlacht führen, wären sie uns immer noch zahlenmäßig weit überlegen", sagte Volkmar.

    „Das ist nicht wichtig." Alle Blicke richteten sich auf Segestes, der zum ersten Mal an diesem Abend das Wort ergriff. Er war deutlich weniger muskulös und kleiner als die anderen Stammesfürsten. Er hatte keine Haare mehr, aber einen dichten grauen Bart, ein schmales Gesicht und weit abstehende Ohren. Segestes war bekannt und gefürchtet dafür, gerissen wie kein Zweiter zu sein. Stets war er darauf bedacht, anderen einflussreichen Männern Gefälligkeiten zu erweisen, um sich ihre Loyalität und Dankbarkeit zu sichern.

    „Warum soll das nicht wichtig sein?", fragte Ingomar gehässig.

    „Drusus ist jung, aber nicht dumm. Ein guter Anführer. Er hat bereits gegen viele Stämme im Süden gesiegt. Nachdem er über den Rhein gekommen ist, hat er gegen die Brukterer, Sugambrer, Usipeter und Tenkterer gekämpft. Alle wurden besiegt. Ich habe gehört, dass die Friesen und Bataver sich sogar freiwillig unterworfen haben, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen.

    „Hundesöhne", brummte Wiegand und spuckte verächtlich auf den Boden.

    Segestes fuhr fort: „Die römische Armee wurde noch nie besiegt. Sicher, sie verlieren mal ein Scharmützel, vielleicht sogar eine Schlacht wie gegen die Sugambrer. Aber niemals verlieren sie den Krieg. Innerhalb weniger Jahre haben sie Gallien überrannt, dann Britannien. Stolze Völker mit guten Kämpfern. Deswegen ist es nicht wichtig, wie viele Krieger wir in die Schlacht führen können. Wir haben keine Chance."

    „Segestes, du bist ein Feigling! Du hast noch nicht mal ein römisches Schwert zu Gesicht bekommen und willst dich schon ergeben!", rief Wiegand.

    „Du kannst mich einen Feigling nennen, aber das wird unser Schicksal nicht ändern. Wenn die Römer uns vernichten wollen, werden sie das tun. Wir werden sie nicht aufhalten können. Du und deine Krieger, ihr könnt euch den Römern entgegen stellen. Ihr werdet sicherlich tapfer kämpfen und ehrenhaft sterben. Aber deine Sippe wird ausgelöscht werden. Ohne Gnade. Männer, Frauen, Kinder. Glaub mir, ich kenne die Römer."

    „Nein, tust du nicht!, Thorleif sah Segestes wütend an. „Keiner von uns kennt die Römer, keiner hat gegen sie gekämpft! Wer weiß, vielleicht haben sie ja Angst vor uns?

    Ingomar stimmte ihm zu: „Ja, vielleicht rennen sie heulend nach Hause, wenn sie schon unseren Gesang hören. Hast du sie schon mal gesehen? Sie sind winzig! Sie kommen aus einem sonnigen Land und sind die Kälte nicht gewöhnt. Sie überleben keinen Winter hier."

    „Und du sagst, dass wir Angst vor den Römern haben sollten, weil sie die Gallier besiegt haben? Komm schon! Selbst deine Söhne könnten die Gallier besiegen, diese Froschfresser!, rief Thorleif. „Wir und fast jeder andere Stamm haben schon oft ihre Dörfer geplündert. Sie kämpfen wie Frauen! Scheiße, sogar unsere Frauen würden sie besiegen!

    „Wir haben früher gegen die Chatten, die Angrivarier und die Semnonen gekämpft. Keiner konnte uns besiegen, jeder fürchtet unsere Krieger", pflichtete Volkmar ihm bei.

    Alle Augen ruhten auf Segestes. Mit ruhiger Stimme versuchte er seinen Punkt klar zu machen.

    „Meine Brüder! Ich weiß, ihr seid tapfer und ihr würdet euch jedem Feind entgegenstellen. Aber wir kämpfen nicht gegen einen anderen Stamm. Wir kämpfen gegen die beste und größte Armee, die die Welt je gesehen hat. Man müsste schon die Krieger aller Stämme vereinen, um eine Chance zu haben. Aber das wird nicht passieren. Seht euch doch an, was in Gallien geschehen ist: Alle Stämme, die sich den Römern widersetzt haben, sind ausradiert worden. Vernichtet, vom Erdboden verschwunden. Machen wir nicht denselben Fehler! Die Fürsten, die sich mit den Römern verbündet haben, sind mächtig und reich geworden und herrschen seitdem über die anderen Stämme. Die Römer belohnen ihre Verbündeten, sie suchen vielleicht gar keinen Kampf."

    „Nein, vielleicht suchen sie keinen Kampf. Aber was du Verbündete nennst, ist nichts anderes als Sklaverei! Huren, die sich von den Römern kaufen lassen!, schrie Thorleif wütend. „Du willst dich also bücken und von den Römern in den Arsch ficken lassen? Dann geh und sieh zu, was du davon hast! Seine Hand griff nach seinem Schwert.

    Segimer stand auf und blickte Thorleif an.

    „Thorleif, pass auf, was du sagst. Du und Segestes, ihr seid beide Gäste in meinem Haus. Ich will keinen Streit. Vielleicht hat Segestes Unrecht. Aber heute soll jeder sagen, was er denkt."

    Thorleif ließ das Schwert mürrisch auf den Tisch fallen. „Meinetwegen."

    Segimer wandte sich an alle: „In einem Punkt hat Segestes Recht: Wir wissen nicht, was die Römer wollen. Kann sein, dass sie einfach nur durch unser Land ziehen und uns nicht behelligen."

    Ingomar sprang seinem Bruder zur Seite. „In dem Fall könnten wir sicherlich Handel mit ihnen treiben. Sie werden Nahrung brauchen, Felle und Holz."

    „Ja, das stimmt, sagte Segimer. „Aber vielleicht wollen Sie auch unser Land und unsere Frauen als Sklaven. Auf jeden Fall ist es wichtig, dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen. Wir müssen mit einer Stimme sprechen. Ich schlage vor, wie beobachten genau, was die Römer tun. Wenn sie Krieg wollen, können sie ihn haben. Sie werden es bitter bereuen. Aber ich werde nicht die Zukunft meiner Söhne und meiner Sippe aufs Spiel setzen und die Römer angreifen. Niemand sagte etwas, aber einer nach dem Anderen nickte zustimmend.

    „So weise kenne ich dich ja gar nicht, Bruder", flüsterte Ingomar lächelnd.

    „Es sind gefährliche Zeiten. Wenn wir jetzt nicht klug sind, dann könnte es das Ende unseres Stammes bedeuten. Aber wir brauchen den Rat und den Beistand der Götter."

    „Wir sollten ein Thing abhalten und die Götter befragen, bevor wir etwas unternehmen", schlug Wiegand vor. Alle nickten.

    „So sei es. Ingomar, schick einen Mann zu Landerun, der Seherin. Bring ihr ein Wildschwein oder ein Reh als Geschenk mit und bitte sie, morgen zu uns zu kommen", befahl Segimer seinem Bruder.

    „Dann hoffen wir mal, dass die Götter morgen Abend in Gesprächslaune sind", sagte Ingomar und verließ die Hütte, nicht wissend, dass er von sechs neugierigen Augen beobachtet wurde, die die ganze Versammlung aufmerksam belauscht hatten.

    Kapitel 3: Thing

    Wäre nicht Vollmond gewesen, hätten sie die Hand vor Augen nicht gesehen. Aber Fackeln waren nicht in Frage gekommen, damit wären sie auf jeden Fall erwischt worden. Thusnelda war die Tochter von Segestes und ein hübsches, achtjähriges Mädchen mit hellblonden Haaren. Sie hatte zwar keine Angst im Wald, aber ständig stolperte sie über Wurzeln oder kam vom Pfad ab. Sie fluchte laut. Der neunjährige Finn, ein schlanker, ebenfalls blonder Junge, drehte sich mit wütendem Blick zu ihr um: „Sei still! Wenn sie uns erwischen, bekommen wir riesigen Ärger!", flüsterte er Thusnelda zu.

    „Ach, sei du doch still! Das ist eine ganz blöde Idee! Wir dürfen nicht auf den Thing!"

    „Wenn ihr beide jetzt nicht endlich leise seid, dann bekommt ihr auf jeden Fall großen Ärger! Und zwar mit mir!", flüsterte Armin so laut wie möglich.

    Armin war acht Jahre alt und deutlich größer als sein Bruder Finn. Während Finns Haar so blond war wie das ihrer verstorbenen Mutter, waren Armins Haare dunkler, eher wie das ihres Vaters Segimer. Beide hatten sie von ihm die strahlend blauen Augen geerbt. Da er sich am besten im Wald auskannte, führte er die kleine Gruppe durch die Nacht zum Thing. Bei Tag war er schon oft da gewesen, aber er hatte noch nie an einer der heiligen Versammlungen teilnehmen dürfen.

    „Ich will auf jeden Fall dabei sein. Unsere Väter werden die Götter fragen, ob wir in den Krieg gegen die Römer ziehen. Also seid jetzt beide leise und kommt mit!", zischte Armin Finn und Thusnelda zu.

    Beide nickten widerwillig und folgten Armin weiter in den dunklen Wald. Bald standen die Bäume so dicht, dass fast kein Mondlicht mehr den Boden erreichte. Aber Armin kannte sich gut aus. Der mächtige Fels, die hohe, in die Luft ragende Wurzel, der Baum mit dem dicken Stamm, der kleine Bachlauf - all das waren ihm sichere Anhaltspunkte. Sie folgten dem kleinen Pfad, bis sie an ein mächtiges Felsmassiv kamen. Dort verließen sie den Pfad, der sich durch die Felsen hindurch zum Versammlungsplatz schlängelte, und kletterten die Felsen empor. Oben angekommen, krochen sie an den Rand der Felsen und schauten vorsichtig nach unten. Das Thing war ein großer Platz umgeben von hohen Klippen. Auf ihm standen mehrere Pfähle, einige so hoch wie drei Männer. Auf ihren Spitzen steckten die bleichen Schädel von Kühen, Hirschen und Menschen. In der Mitte erhob sich ein mannshoher Altar aus Erde, der mit Ästen und Weidenruten an den Seiten gesichert war. Viele Fackeln tauchten die Szene in ein unheimliches Licht und warfen riesengroße Schatten der gut zwanzig Menschen an die nackte Felswand. Armin erblickte seinen Vater in der Mitte des Platzes, nahe am Altar. Er trug das Fell und das Geweih eines Hirsches auf Kopf und Schultern. Nicht aus Eitelkeit; Hirsche waren den Cheruskern heilig. Segimer zeigte seine herausragende Position unter den Cheruskern. Neben ihm standen die anderen Fürsten, auch Segestes. Nur Ingomar war nirgends zu sehen.

    Aus dem Wald kam eine Frau geritten. Ihre lange Robe war ebenso weiß wie der Schimmel, auf dem sie ritt. Das musste die Seherin Landerun sein. Sein Vater hatte ihm erzählt, dass sie eine mächtige Magierin sei, die mit den Göttern in Kontakt stehen würde. Sie lebte einsam in einer Hütte am Rande des Moores. Wie das Thing war das Moor ein heiliger Platz. Die Stammesangehörigen besuchten sie regelmäßig und brachten ihr Speisen, Tiere oder Waffen, um diese den Göttern zu opfern und um Beistand oder Rat zu ersuchen. Armin hatte die Geschichten über die Götter immer gemocht. Er war begierig darauf, ihre Macht mit eigenen Augen zu erleben. Vielleicht endlich heute.

    Niemand sprach mehr. Landerun stimmte einen rhythmischen Gesang an, in dem sie die Götter um Gehör bat. Wie auf ein stummes Kommando stimmten die umstehenden Männer mit ein und wiederholten einzelne Wörter im Chor. Es war gespenstisch. Plötzlich tauchte am Waldrand ein Licht auf, das schnell näher kam. Es war eine Fackel, getragen von einer schmalen Gestalt. Sie machte nicht das geringste Geräusch und schien eher zu schweben als zu gehen.

    „Wer ist das?", flüsterte Finn neben Armin.

    „Es ist eine Frau!, antwortete Thusnelda erstaunt. „Sie ist wunderschön!

    „Sie ist nackt!"

    Die junge Frau trug nicht einen Fetzen Stoff. Je näher sie dem hell erleuchteten Thing kam, desto mehr konnte Armin erkennen. Sie hatte langes, braunes Haar, das fast vollkommen glatt bis zu den Rundungen ihres Hinterns reichte. Das Licht der vielen Feuer tanzte auf ihrer makellosen Haut. Obwohl er schon viele Frauen nackt gesehen hatte, spürte Armin bei diesem Anblick zum ersten Mal in seinem Leben ein Kribbeln in seinem Bauch und zwischen seinen Lenden. Sein Atem ging schneller. An einer Leine schien die junge Frau ein Tier hinter sich herzuziehen. Armin konnte nicht erkennen, was es war. Auf einmal zog ihn eine mächtige Kraft an seiner Schulter und schleuderte ihn nach hinten.

    Armin rollte den Felsen hinab, ehe er liegen blieb. Gerade als er aufstehen wollte, prallte Finn mit voller Wucht auf ihn. Die beiden Jungs brauchten einige Augenblicke, um sich von der Überraschung und den schmerzhaften Folgen ihres unsanften Abgangs zu erholen. Wo sie gerade noch gelegen hatten, stand Ingomar in voller Größe und blickte wütend auf Thusnelda herab.

    „Wehe, du schlägst mich! Das darfst du nicht! Mein Vater ist Segestes, der tötet dich!", schrie Thusnelda frech.

    „Du kannst von Glück sagen, dass du nicht zu meiner Sippe gehörst, du Göre. Ansonsten würde ich dir jetzt eine Abreibung verpassen wie den beiden hier!"

    Er verpasste Armin und Finn eine schallende Ohrfeige, von der ihnen schwindlig wurde. Ingomar schubste alle drei Kindern den Felsen hinunter. Mertus, der Mutter der Erde, sei Dank, war dort viel weiches Moos. Ingomar brachte sie ohne Rücksicht zum Thing und führte sie zu Segimer. Als die kleine Gruppe erschien, verstummte der Gesang.

    „Die drei Bälger hatten sich auf dem Felsen dort oben versteckt und alles beobachtet. Segestes, die Kleine hier sagte, sie wäre deine Tochter. Stimmt das?"

    „Ja, leider, sagte Segestes verdrießlich. „Thusnelda, komm zu mir!

    „Nein!", Thusnelda verschränkte die Arme und stampfte auf den Boden. Wütend ging Segestes auf sie zu und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht, so dass sie im hohen Bogen zu Boden fiel.

    „Nein!"

    Segestes hielt inne und sah sich um. Armin sah ihn wütend an.

    „Immerhin bin ich nicht der einzige, dessen Kinder nicht zu gehorchen scheinen", sagte Segestes.

    Jeder in der Runde lachte. „Segimer, falls das Schaf nicht ausreichen sollte, könnten wir unsere Kinder vielleicht den Göttern opfern. Allerdings weiß ich nicht, ob die Götter dankbar dafür wären."

    Wieder Gelächter.

    „Jungs, darüber werden wir später reden. Jetzt ab zurück ins Dorf!", befahl Segimer seinen Söhnen.

    Doch Landerun fiel ihm ins Wort: „Nein, lass sie bleiben! Es ist ihre Zukunft, um die es hier geht."

    „Aber …", setzte Segimer an.

    „Kein Wort mehr! Sie bleiben", sagte Landerun mit ruhiger, aber kräftiger Stimme. Niemand außer ihr hätte es gewagt, Segimer in diesem Tonfall Befehle zu erteilen. Aber es waren die Götter, die durch Landerun sprachen. Und den Göttern gehorchte man besser.

    Armin, Finn und Thusnelda setzten sich am Rand des Platzes hin und beobachteten die Zeremonie, die Landerun nun fortsetzte. Die junge, nackte Frau führte ein Schaf an den Altar, an dem Landerun wartete. Wieder bemerkte Armin ein Kribbeln zwischen seinen Beinen, dass ihm fremd, aber nicht unangenehm war. Doch das Gefühl verschwand schlagartig, als Landerun aus ihrer Robe einen langen, gebogenen Dolch zog und dem Schaf mit einer schnellen Bewegung die Kehle durchschnitt. Das Tier gab keinen Laut von sich. Eine Fontäne Blut schoss aus der Wunde und spritzte auf die junge Frau. Schnell war sie über und über mit Blut besudelt. Unbeeindruckt hielt sie das Schaf fest und beobachtete, wie das Leben aus dem Tier wich. Thusnelda, Armin und Finn hatten schon oft miterlebt, wie ein Tier getötet, ausgenommen und gehäutet wurde, aber bei diesem Anblick drehte sich ihnen der Magen um. Trotzdem konnten sie ihren Blick nicht von dem faszinierenden Schauspiel abwenden.

    Als das Schaf endgültig tot war, legten es Landerun und die junge Frau auf den Erdaltar. Landerun schlitzte dem Schaf den Bauch auf und entnahm die Eingeweide. Die junge Frau zog das ausgeweidete Schaf vom Altar und brachte es zwei der anwesenden Krieger, die dem Tier Kopf und Hufe abhackten und die Haut abzogen. Die Hufe nahm die junge Frau mit und verschwand so leise, wie sie gekommen war, wieder in der Dunkelheit des Waldes. Den Kopf spießte einer der Männer auf einen langen Pfahl und rammte ihn in den Boden. Währenddessen zerteilte der andere das Fleisch des Tieres und bereitete es über dem lodernden Feuer zu. Alle Anwesenden konzentrierten sich auf Landerun. Hochkonzentriert blickte sie auf die Eingeweide des Schafes und murmelte Unverständliches vor sich hin. Ihre Augen weiteten sich. Erschrocken sah sie hinüber zu Armin, Finn und Thusnelda. Wieder auf die Eingeweide. Die Furcht und Überraschung in ihrem Blick blieben. Sie winkte die Kinder heran.

    „Ihr drei! Kommt her!"

    Armin und Finn blickten ungläubig zu ihrem Vater. Mit einem schnellen Kopfnicken befahl er ihnen, Landeruns Bitte umgehend nachzukommen. Langsam erhoben sich Armin, Finn und Thusnelda und gingen vorsichtig hinüber zu Landerun, als könnte sie bei jedem Schritt der Blitz treffen. Der Gestank der warmen Schafseingeweide war bestialisch. Thusnelda wendete sich angewidert ab, aber Landerun zog sie noch näher zu sich, beugte sich über sie und begutachtete neugierig ihr Gesicht. Ihre Nase, ihren Mund, die Augen und Ohren. Besonders intensiv studierte sie die Hände. Dieselbe Prozedur wiederholte sie bei Finn und anschließend bei Armin. Armin war sich sicher, noch nie in seinem Leben eine so alte Frau gesehen zu haben. Ihre Haut war voller Falten, ihre Hände zitterten leicht und sie hatte kaum noch Zähne. Sie musste mindestens sechzig, vielleicht sogar siebzig Jahre alt sein. Unglaublich, dass ein Mensch so alt werden konnte! Und sie roch nicht viel besser als die Eingeweide. Schnell wurde es ihm zu bunt und er riss sich los, aber mit erstaunlicher Kraft und Schnelligkeit packte Landerun seine Arme und tastete seine Hände ab. Endlich ließ sie von ihm ab. Schnell rannten Thusnelda, Finn und Armin zurück auf ihre Plätze möglichst weit weg von Landerun.

    „Und? Was siehst du Landerun? Was ist mit unseren Kindern?", fragte Segimer.

    Landerun ließ sich Zeit, bis sie antwortete. „Die Zeichen sind nicht eindeutig. Ich sehe, dass diesen drei Kindern eine große Zukunft bestimmt ist. Sie werden mächtig werden. Ihre Entscheidungen und ihre Taten werden über die Zukunft der Cherusker bestimmen. Mehr noch, sie werden für das Schicksal aller Stämme verantwortlich sein."

    Armins Herz machte einen Satz. Er war von den Göttern auserwählt worden! Er würde ein großer Anführer sein.

    „Der Kampf gegen einen großen Feind wird ihr Leben bestimmen", sagte Landerun.

    „Die Römer?", fragte Wigand.

    „Wie können die Römer das Schicksal aller Stämme beeinflussen? Sie leben weit entfernt von hier, selbst ich kenne sie nur aus Erzählungen!", wandte Thorleif ein.

    „Werden wir diesen Kampf gewinnen?", fragte Segestes.

    „Das steht nicht geschrieben. Wie wir alle werden auch sie für ihre Taten und deren Folgen selbst verantwortlich sein. Aber die Götter haben diese drei Kinder dazu auserwählt, große Taten zu begehen. Niemand weiß, welche Folgen ihre Entscheidungen haben werden."

    „Na toll, deswegen liebe ich Orakel so sehr. Du stellst eine ganz einfache Frage und bekommst statt einer Antwort ein Scheiß-Rätsel", flüsterte Segimer Ingomar zu.

    „Vielleicht war das Schaf auch bloß krank", sagte Ingomar, woraufhin Segimer ihn böse anschaute und sich

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