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Das purpurne Tuch
Das purpurne Tuch
Das purpurne Tuch
eBook291 Seiten3 Stunden

Das purpurne Tuch

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Über dieses E-Book

Bei Ausgrabungen im Römerlager in Haltern am See wird purpurnes Pulver gefunden, das 2000 Jahre lang in der Erde eingeschlossen war. Eine bahnbrechende Entdeckung - aber warum will der Ausgrabungsleiter diesen Fund vertuschen? Da sie ihm nicht mehr vertrauen kann, unterschlägt die Archäologiestudentin Angelina das nächste Ausgrabungsstück - und wird plötzlich von anonymen Anrufern bedroht, die von weiteren Funden wissen. Bei ihren Nachforschungen stößt Angelina auf die geheimnisvolle Geschichte einer Frau, die vor 2000 Jahren gelebt hat. Doch sie ist nicht die Einzige, die eine Sensation wittert. Schon bald fordert die Jagd auf die wertvollen archäologischen Fundstücke ein Todesopfer. Bei der Aufklärung des Falls wird Kommissarin Fey Amber nicht nur mit Habgier und Intrigen konfrontiert, sondern auch mit der unermesslichen Anziehungskraft jahrtausendealter Geschichte.
SpracheDeutsch
HerausgeberOCM
Erscheinungsdatum26. März 2018
ISBN9783942672603
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    Buchvorschau

    Das purpurne Tuch - Wolfgang Wiesmann

    Buchcover: Das purpurne Tuch

    Das purpurne Tuch

    Wolfgang Wiesmann

    1. Auflage März 2018

    © 2018 OCM GmbH, Dortmund

    Gestaltung, Satz und Herstellung:

    OCM GmbH, Dortmund

    Verlag

    OCM GmbH, Dortmund, www.ocm-verlag.de

    ISBN 978-3-942672-60-3

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.

    Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt auch für die fotomechanische Vervielfältigung (Fotokopie/Mikrokopie) und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    Inhaltsverzeichnis

    Teil I

    Gen Albion, 9 n. Chr.

    Das Gesuch

    Die Sage

    Purpurne Lippen

    Siobhan

    Der Schwur

    Die Idee

    Das Ticket

    Blei

    Die Versuchung

    Lippia

    Wolkenbruch

    Teil II

    Grabungsstätte Römerlager Haltern

    Planquadrat 17 A

    Gestern oder heute

    Aurelia

    Skandal

    Der Neue

    Die Clique

    Der Zylinder

    Kaltschweiß

    A wie ...

    Das Tuch

    Bersisch

    Patrouille

    Frühstück

    Belagerung

    Investigation

    Ungeheuerlich

    Nutellapfannkuchen

    I-Tüpfelchen

    Tatort

    Donnerwetter

    Fahndung

    Sondieren

    Routine

    Nur so

    Trennung

    Kripo-Camp

    Befreiungsschlag

    Bei Bowereit

    Italia

    Wochenende

    Sonntagabend

    Allein

    Rollercoaster

    Die Mitte

    Tatort

    Black

    Tübingen

    White

    Kulmination

    Marco

    Rückzug

    Presse

    Zwischenbilanz

    Letzte Ruhe Römerlager

    Gedrucktes

    Landmarks

    Cover

    I Gen Albion, 9 n. Chr.

    Noch perlte der Nieselregen aus ihrem Haar und tropfte über ihre Stirn auf das durchnässte Vlies aus Schafswolle, das ihr Nashtia zum Abschied unter Tränen geschenkt hatte. Sie folgte aufmerksam den Tropfen, wusste sie doch, wie weh sie tun würden, wenn es weiter abkühlte und die Zahl der sonnenlosen Tage zur Verzweiflung stiege und ihre Kleider nicht trockneten. Eis, so hatte ihr der alte Khoman mit gewetzter Zunge erzählt, krieche unter die Haut und färbe das Blut blau, bis es erstarrte. Tot wäre sie dann trotzdem nicht, denn alles Blaue berge das ewige Leben. Sie erinnerte sich an seine kleinen dämonischen Augen und wie er damals sein Haupt der Sonne entgegenreckte und mit den Händen ihre Strahlen auf sich zu fächerte.

    Khoman lungerte im Hafen herum, immer auf der Suche nach leichter Arbeit, aber eigentlich lockten ihn die Almosen, die ihm römische Händler und hochgestellte Bürger zusteckten. Manchmal verdiente er einen Tageslohn, wenn mal wieder ein italienischer Siedler in Karthago gelandet war und Hab und Gut mitsamt Familie mitgebracht hatte, um in der Nähe der Thermen und des Odeons eines der stattlichen Häuser zu beziehen. Als ausgedienter Seefahrer kannte Khoman sich im Hafen aus. Schnell organisierte er Eselskarren und eine Schar streunender Halbwüchsiger, um den Transport der Güter und der Gemahlin des römischen Neubürgers in Karthago zu gewährleisten.

    Khoman schwärmte für Farben. Purpur sei ihre Königin, philosophierte er. Blau war reserviert für das Dach der Welt und seine Meere. Rot gehörte der Sonne. Alle anderen Farben standen den Menschen zu. Aber – so habe er selbst gesehen – hätten manche von ihnen blaue Augen und rotes Haar. Vor denen müsse man sich in Acht nehmen, weil sie an falsche Götter glaubten. Dann blickte er zum Horizont und ein verschmitztes Lächeln kroch über seine sonnengegerbte Haut, denn er wusste, dass die heimlich geplante Reise nach Britannien, von der sie ihm im Vertrauen erzählt hatte, ohne ihn stattfinden würde.

    Ein eisiger Wind zog auf. Sie sah trotzig auf ihre Hände, bevor sie abrupt unter ihrem Umhang verschwanden. Die Vorboten von Khomans Weisheit verschafften sich unmissverständlich Raum, eroberten das Schiff still und ohne Gegenwehr. Immer häufiger versanken die kleinen Tropfen nicht mehr im Stoff ihres Gewandes, sondern klammerten sich aneinander zu einer Schicht aus schillernden Kristallen. Sie richtete ihren Blick auf die Sterne und sah den Mond in voller Blässe, kalt wie der Schiffsboden und ihre Füße. Der Mond war ein mächtiger Verbündeter auf See. Das wusste sie aus eigener Erfahrung und aus Erzählungen der Männer, aber nun klagte sie das bleiche Himmelsauge der Komplizenschaft an. Warum huldigte er dem Eis in dieser sternenklaren Nacht, so dass sie sich mehr vor dem blauen Tod fürchtete als vor dem, der ihr bevorstand? Leider musste sie in den letzten Tagen öfter an Khoman denken, als ihr lieb war. Aber hatte er nicht alle Wetter überlebt? Was war es also, das sie fürchtete? Das Eis war fremd, während sie das Wasser wie eine Heldin durch viele stürmische Manöver zu beherrschen gelernt hatte. Das Fremde war unberechenbar und wenn es stark war, waltete ein Gott darüber. Wie es schien, war dieser Gott ihnen nicht wohlgesinnt und könnte gar die Mission zum Scheitern bringen. Einen Augenblick spürte sie Erleichterung bei dem Gedanken, ihrem Opfertod zu entrinnen, doch welches Schicksal ereilte sie stattdessen?

    Sie entstammte dem edlen Blut eines Kriegsfürsten aus Iberien, wurde als Kind von dort verschleppt und diente als Sklavin bei einer römischen Aristokratenfamilie in Karthago. Mit zwölf ließ sie sich die Haare stutzen und heuerte unter dem Namen Carruso als Schiffsjunge an. Seit vier Jahren segelte sie über die Meere. Dem Tod hatte sie mehrfach ins Auge gesehen, sodass er ihr keine Panik mehr einjagte, doch einem eisigen Gott wollte sie nicht in die Hände fallen.

    Mit der Kälte hatte auch die Stimmung an Bord einen Tiefpunkt erreicht. Mit jedem Tag, den sie die Küste Galliens entlanggekrochen waren, war es stiller geworden. Selbst Kafur, dessen Mund einen ständigen Singsang oder eine unwahre Geschichte von sich gab, stöhnte, dass ihm die Kehle schmerzte. Mit jedem Wort, so hatte er sich entschuldigt, rieb es wie Feuer in seinem Schlund. Er musste sich schonen, da er am Opfertag zu singen hatte.

    Carruso kauerte sich nieder und lehnte sich neben Kafur an die Planken des Schiffs. Es wäre nur zu natürlich gewesen, sich gegenseitig zu wärmen, besonders, da sich zwischen ihnen eine Freundschaft angebahnt hatte. Der zuletzt verstrichene Sommer war der sechzehnte in Carrusos Leben und ihre weibliche Anmut war, trotz ihrer Mannsgewänder und ihrer Bemühungen sich maskulin zu geben, kaum mehr zu verbergen. Manchmal, in unbeobachteten Momenten, und nur wenn es dunkel war und der Mond zur Sichel schrumpfte, fasste sie an ihre Brüste und gestand sich ein, dass auch die Lust in Anwesenheit so vieler Männer nicht immer leicht zu kontrollieren war. Seit Monaten spürte sie, wie sich den Blicken mancher Seefahrer Verlockung beimischte. Zwischen Verlegenheit und Unwissenheit versuchte sie, ihr männliches Auftreten nicht zu verletzen.

    Kafur neigte sich ihr zu, aber nur durch eine leichte Drehung seines Kopfes, der bis auf einen Schlitz zum Atmen vollständig von einer Fellmaske verhüllt war. In gewisser Weise teilte er Carrusos Schicksal. Als keltischer Stammesführer wurde er von den Römern nach verlorener Schlacht nordöstlich der Alpen gefangen genommen und sollte wegen seines barbarischen Aussehens und seiner hünenhaften Statur zum Gladiator ausgebildet werden, konnte aber vorher fliehen. Seitdem verdiente er sich seinen Sold als kundiger Navigator auf Schiffen, die vor allem zwischen Karthago und Iberien kreuzten. Oft hatte er Flottenverbände der Römer zu aufständischen Regionen entlang der iberischen Mittelmeerküste geführt, aber auch das kalte Meer an der Westküste bis hoch nach Britannien war ihm vertraut.

    Fünfundzwanzig Goldstücke hatte ihm Assuman, das Oberhaupt der Reisenden, in einem Ledersäckchen in die Hände gedrückt. Das reichte für den Rest seines Lebens, ohne je wieder schwankende Planken betreten zu müssen. Als er eingewilligt hatte, wusste er allerdings nicht, dass sie ihn auch ausgewählt hatten, weil er Kelte war. Als sie bereits Tage auf See waren, wies Assuman ihn in die Mission der Reise ein:

    „Drei Punische Kriege sind verloren. Augustus hat das zerstörte Karthago neu aufgebaut, aber das stolze Volk der Phönizier wurde zerschlagen. Sieh mich an, Kafur! Vor dir steht der letzte Nachfahre der Barkas. Von Generation zu Generation haben wir das Erbe Hannibals verehrt und überliefert. Sein Heldentum und sein Ruhm im Kampf um das phönizische Reich sollen für die Nachwelt erhalten bleiben. Dafür stehe ich mit meinem Leben. Das römische Imperium verschlingt alles in seinem gierigen Rachen und wird der Geschichtsschreibung seinen Stempel aufdrücken. Hannibal starb vor 190 Jahren. Sein Angedenken schwindet unter der fremden Kultur. Mischehen, Besetzung, Vertreibung und Sklaverei haben unser Volk unkenntlich gemacht und nun bin ich es, der kinderlos vor einer unlösbaren Aufgabe steht. Sieh mich an, Kafur! Ich habe bemerkt, dass deine Augen Carruso öfter suchen, als es nötig wäre. Beschäme dich nicht und wisse, dass du sie am Ziel unserer Reise den Göttern opfern wirst. Bedauere sie nicht, denn sie kennt ihr Schicksal. Sie ist meine letzte Hoffnung darauf, Hannibals Vermächtnis durch einen lebenden Nachfolger im Blute in die Zukunft zu führen. Sie wird mit ihrer Jugend die Götter betören, dass sie mir als Lohn Frauen schicken, die mir Söhne gebären."

    Kafur hatte nicht widersprochen und somit sein Einverständnis erklärt, Carruso von seiner männlichen Begierde zu verschonen und sie am Ziel ihrer Reise zu töten. Würde er Carruso nicht töten, stünden zwanzig Krieger bereit, um Assumans Befehl auszuführen, oder sie würden ihm mit dem Tod drohen, wenn er sich widersetzte. Ein Kelte sollte den Opfertod vollstrecken und Stonehenge in Albion war das Ziel ihrer Reise.

    Kafur schaute an den Haaren seiner Fellmaske vorbei und sah Carrusos Atem im Nebel. Er erinnerte sich daran, was Assuman ihm unter vier Augen gesagt hatte und schaute auf das anmutige Gesicht des vermeintlichen Jünglings neben ihm. Er würde Carruso töten, wie es geplant war. Ob ihr Tod einen Sinn machte, lag nicht in seiner Hand, aber er würde seine Rolle ehrenvoll und den Regeln entsprechend ausüben. Nur einen Wunsch hatte er. Sie sollte keine Schmerzen erdulden.

    „Hier! Nimm!", hörte Carruso ihn sagen. Sein krächzender Bass war für die Mitreisenden nicht zu überhören, zumal der aufkommende Nebel alle Sinne der Seefahrer anspannte. Kafur schob ihr zwei graue Fellstücke über den Schiffsboden zu.

    „Kaninchen, vom Koch. Wickel es um deine Waden, dann kann die Kälte nicht hoch."

    Carruso nahm das Geschenk, krempelte ihr Gewand bis zu den Knien hoch und befestigte die Felle mit Lederriemen um ihre Waden. Als sie das Gewand wieder über ihre Beine stülpen wollte, griff Kafur ihre Hand und legte etwas hinein.

    „Klemm es zwischen deine Beine, jede Nacht."

    Carruso war zu neugierig, als nur seinem Rat zu folgen. Sie schaute sich die kleine Figur an und sah eine Frau mit ausladenden Brüsten. Auch das Hinterteil prahlte mit üppigen Kurven. Nun wusste sie, was Kafur in den letzten Tagen so ausdauernd geschnitzt hatte, wenn er gelangweilt am Mast stehend darauf gewartet hatte, dass der schlafende Wind von kräftigen Böen vertrieben wurde. Er flüsterte:

    „Assuman will Kinder. Wenn du vor die Götter trittst, sei bereit, denn sie werden dich schwängern. Dein Kind bekommt Assuman durch den Leib einer anderen Frau. Du huldigst den Göttern, wenn sie sehen, dass du gut vorbereitet bist. Nichts schätzen sie so sehr, als dass man an sie denkt. Dein Opfertod bedeutet ihnen nichts. Sie werden sich über dich hermachen und dich mit Kindern überschütten, Kinder, die ganz Rom verändern werden."

    Kafurs Worte munterten sie auf. Sie würde bei den Göttern wohnen und ihre Kinder würden ihr irdisches Leben vollenden. Sie stülpte das Gewand über die Knie und steckte die Figur in ihre Gürteltasche.

    „Du glaubst, dass mich die Götter schwängern? Und ich werde viele Kinder haben?"

    „Assuman hat dich auserwählt. Was glaubst du, warum? Er hat es mit vielen Frauen getrieben, aber keine wurde schwanger. Er trägt die Bürde der Vererbung. Seine Sippe stirbt aus, Rom regiert. Mit Assuman würden die Phönizier ihren letzten Stammesfürsten und Erben des großen Hannibal verlieren. Er muss nach einer anderen Lösung suchen. Du bist jung, schön und hast Mut bewiesen. Du bist anders. Jetzt erbittet er göttlichen Beistand, schickt dich zu ihnen, damit sie ihn mit Nachkommen belohnen."

    „Aber warum fahren wir nach Stonehenge?"

    „Die Götter der Karthager haben versagt. Assuman hat sich von ihnen abgewandt. Er hat in Griechenland studiert, soviel ich weiß. Pytheas von Massilia sprach vor bereits 300 Jahren über die Insel Albion. Himilkon, ein berühmter Seefahrer aus Karthago, hat es angeblich lange vor uns dorthin geschafft. Im Landesinnern befindet sich ein Zirkel aus Felsen. Es heißt, dass mächtige Götter diesen Zirkel als Tor in unsere Welt benutzen. Wir fahren mit dem Schiff über einen Fluss bis hinauf nach Stonehenge. Dort soll es passieren."

    „Wirst du es sein?"

    „Mein Schwert wird dich töten."

    Carruso nahm die hölzerne Figur aus ihrer Tasche, umschloss sie mit beiden Händen und presste sie so fest, dass es schmerzte. Dann hielt sie die Figur hoch und schaute Kafur an.

    „Ich werde tun, wie du mir geheißen hast. Niemand anderen als dich wünsche ich mir als letzten Begleiter für den Abschied."

    Kafur richtete sich auf, blickte kontrollierend in alle Richtungen und setzte sich wieder.

    „Wir nähern uns dem Land. Der Nebel wird dichter. Der Boden auf dem Festland ist kalt und nass. Das nährt den Nebel. Die Nacht werden wir ruhig segeln."

    Carruso befühlte ihre Oberschenkel und legte die Figur dazwischen. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Kam die Wärme, die sich in ihrem Körper ausbreitete, von ihm, dem kühnsten Mann an Bord, der mit seiner Fellmaske nicht unbedingt heldenhaft aussah? Sie folgte ihrem Gefühl, nahm seine breite raue Pranke und schob sie behutsam unter ihr Gewand. Nichts sonst in seinem Gesicht regte sich, als sie seine Hand an ihre Brüste legte, aber seine Augen sprachen Feuer.

    II Das Gesuch

    Sie segelten geräuschlos durch dichten Nebel, am Kiel ein Späher, um das Schlimmste zu verhindern. Es war nicht ausgeschlossen, einen Felsen zu rammen oder an steilen Klippen zu zerschellen. Sie kreuzten in unbekannten Gewässern. Es herrschte wachsames Abwarten. Alle an Bord waren sensibilisiert, denn in der windstillen Nacht war das Schiff plötzlich von unerwartet hohen Wellen erfasst worden. Doch bevor die Wellen an den Rumpf des Schiffes geprallt waren und es seitwärts schaukelten, ertönten monströse Laute, die nur von Seeungeheuern stammen konnten. Kafur hatte die Besatzung und die Reisenden beruhigt, bestätigte allerdings die Befürchtung, dass es Seeungeheuer waren. Gigantische Fische, die Wasserfontänen spuckten und keine Scheu kannten. Im Morgengrauen wagten dann einige über Bord aufs Wasser zu schauen, aber der Nebel vereitelte die Suche nach Ungeheuern.

    Kafur hatte sich nach dem nächtlichen Schrecken wieder neben Carruso gesetzt. Sie hatte ihn gefragt, ob er sich nicht vor Assuman fürchte, denn er wisse ja, dass sie als Jungfrau zu den Göttern gehen müsse und sein Schicksal auch davon abhänge, wie gut er seinen Auftrag erfüllte. Kafur hatte nur gelächelt und seine Hand wieder unter ihr Gewand geschoben.

    Als es hell wurde, legte sich der Nebel und ein Schwarm Stare kündete Land an. Wind kam auf und straffte die Segel. Kafur ging zum Steuermann und gab ihm Instruktionen. Sie suchten Land, flache Ufer und eine Flussmündung. Assuman sprach mit Kandahar, dem Kommandanten seiner Soldaten.

    „Du hast gehört, was Kafur gesagt hat. Albion ist nicht mehr fern. Wir gehen bald an Land. Bisher gab es keine Möglichkeit zur Flucht, doch Kafur und Carruso haben sich angefreundet und könnten versuchen, sich der Mission zu entziehen. Ich kann Kafur nicht gefangen nehmen, muss ihm offiziell vertrauen, sonst bringt der Kelte es fertig, unser Vorhaben im Alleingang zu durchkreuzen. Ich brauche ihn lebend und gefügig, bis er seinen Dienst erfüllt hat. Über sein weiteres Schicksal werde ich zu gegebener Zeit mit dir reden."

    „Mein Herr, du wirst mir zustimmen, dass manche der von dir auserwählten Männer alt und unerfahren im Umgang mit der Waffe sind."

    „Meine Begleiter sind Freunde, die sich dem Erbe Hannibals verpflichtet fühlen. Kafur kennt sie nicht, aber sie wissen über ihn Bescheid. Das macht sie stark und er zollt ihnen Respekt, jedenfalls bis jetzt."

    „Unterschätz das Mädchen nicht. Sie wird ihn bezirzen."

    „Ich wache Tag und Nacht über sie. Überlass das mir."

    Der Mann am Kiel drehte sich zu den Reisenden um und rief: „Land in Sicht!"

    Kafur riss die Fellmaske vom Kopf, ging ans Heck und übernahm das Ruder. Carruso sah ihm voller Stolz nach und freute sich, einen Freund zu haben, der einen Kopf größer war als alle anderen.

    Einen Augenblick verharrte die Freude in ihr, verwandelte sich dann aber nicht in Trübsal über die bevorstehende Trennung, sondern in Mut. Sie entfernte die hölzerne Fruchtbarkeitsgöttin zwischen ihren Schenkeln und steckte sie in ihren Umhang. Dann stand sie auf und sah an sich herab. Die beiden Kaninchenfelle waren von ihren Waden hinuntergerutscht und stülpten sich über ihre Schuhe. Assuman beobachtete ihren schlurfenden Gang. Als sie vor ihm stand, band sie die Felle fest und zupfte ihr Gewand in Position.

    „Wirst du mir einen letzten Wunsch gewähren?", fragte sie ergeben.

    „Gerne. Doch dazu müsste ich ihn kennen."

    „Schenke ihm sein Leben."

    Assuman reagierte nicht. Lag darin bereits die Antwort? Sie sah ihn an, als wollte sie nur eine Bestätigung, dass ihre Frage einen wahren Kern getroffen hatte.

    „Du sprichst von Kafur? Warum sollte ich nach seinem Leben trachten? Wir befinden uns auf einer Reise, die das Leben zu neuer Kraft erweckt. Du bist unsere Botin an die Götter, die deinem Charme und deiner Tugend nicht widerstehen werden."

    Carruso drehte sich zum Heck des Schiffes und blickte auf Kafur, dann wieder in Assumans angespanntes Gesicht.

    „Dein Ziel ist Stonehenge. Dort rufst du andere Götter als die deinen an und hoffst, dass Kafur mich nach meinem Tod zu ihnen geleitet. Du unterwirfst dich den Göttern als Fremder und bist klug genug, ihnen treffliche Geschenke zu machen. Du opferst einen Kelten, damit du als der Überlegene dastehst. Gleichzeitig huldigst du den Göttern, indem du mir einen Begleiter zur Seite stellst, der mich auch im Tode sicher zu ihnen führt, hat er doch uns alle bis nach Stonehenge gebracht. So zeigst du, wie sehr du an die Mission und die Götter glaubst. Aber deine Rechnung geht nicht auf. Die Götter wollen, dass Kafur lebt. Er ist ein mächtiger Kriegsfürst."

    Assumans Stirnfalten glätteten sich und ein großzügiges Lächeln machte sich breit.

    „Du bist eine kluge Frau, aber dein junges Temperament ist noch ungestüm. Darum will ich dir nachsehen, dass du die Fantasie der Wahrheit vorziehst. Ich habe dich lange vor unserer Fahrt beobachten lassen. Wir wussten schon vor vielen Monden, dass du eine Frau bist und kennen deinen mutigen und tadellosen Werdegang. Niemand anderes wäre geeigneter für unsere Mission gewesen. Deine Familie in Andalusien wurde von uns reich beschenkt. Dieses Abkommen zwischen dir und mir wurde erfüllt. Wisse, mein Kind, ich habe dich in mein Herz geschlossen und sehe dich hier vor mir, als wärest du meine eigene Tochter."

    „Dann hast du alles, was du wolltest. Lass Kafur am Leben und mich allein das Tor zu den Göttern durchschreiten."

    „Dich krönt edler Mut, aber hüte dich davor, in überhitzter Eile Kafur deine Reinheit zu schenken. Das wird er nicht überleben und deine Sippe in Andalusien auch nicht."

    Carruso wandte sich ab. Assuman hatte versucht sie einzuschüchtern, drohte mit Vergeltung, heuchelte ihr den bewundernden Vater vor und schmeichelte ihr, damit sie sich der Mission nicht vorzeitig entzog. Es war aussichtslos für sie, das Ritual ihrer Opferung mitbestimmen zu wollen. Wenn Assuman vorgesehen hatte, Kafur auch zu opfern, dann würde es geschehen. Blieb Assuman eine Wahl? Er musste das Beste tun, für ihn ging es um alles oder nichts. Aber nicht nur für

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