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Sterblichkeitsrate: 100 Prozent: Science-Fiction-Roman
Sterblichkeitsrate: 100 Prozent: Science-Fiction-Roman
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eBook395 Seiten4 Stunden

Sterblichkeitsrate: 100 Prozent: Science-Fiction-Roman

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Über dieses E-Book

2033: Ein neues Virus breitet sich aus Afrika kommend rasend schnell über den Erdball aus. Die Sterblichkeitsrate ist erschreckend hoch, deshalb kommt es weltweit zu Flüchtlingsbewegungen, was jedoch die Ausbreitung der Seuche nur noch mehr beschleunigt. Dann wird klar, dass die Sterblichkeit möglicherweise bei 100 Prozent liegen könnte.
Schnell wird erkennbar, dass es nicht mehr um das Überleben möglichst vieler Menschen geht, sondern vielmehr darum, dass die Menschheit überhaupt noch überlebt, wenn auch nur im Rahmen einer sehr kleinen Minderheit. Die UNO ruft daher das 10.000-Familien-Rettungsprogramm aus.
Zu diesen Familien gehören die 13-jährige Amelie und ihr 10-jähriger Bruder Finn mit ihren Eltern. Doch dann kommt alles anders als gedacht und die Kinder müssen nicht nur die Seuche überleben …
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum22. Sept. 2023
ISBN9783384027047
Sterblichkeitsrate: 100 Prozent: Science-Fiction-Roman

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    Buchvorschau

    Sterblichkeitsrate - Hauke Lenz

    Teil 1

    07.01.2033 Bergland im Westen Kameruns – Grenzgebiet zu Nigeria

    Tief im tropischen Regenwald, Morgensonnenschein, der Wald dampft die Feuchtigkeit des gestrigen Starkregens ab. Von allen Bäumen tropft es, extreme Luftfeuchtigkeit. Durchdringendes Vogelgezwitscher und Zikadengesang. In tiefer Waldwildnis ein dunkelgrün getarntes Zelt. Der Reißverschluss öffnet sich: Eine junge Frau kriecht hinaus. Sie steht auf, gähnt und streckt sich. Sie kann ein leises Lachen nicht unterdrücken, als eine Horde von Meerkatzen schreiend durch die Baumwipfel jagt. Die Frau geht einige Schritte dem gewohnten Pfad entlang, bis sie den Bach erreicht. Ein kleiner Wasserfall ergießt sich hier in einen Tümpel. Am Ufer geht sie in die Hocke und berührt gefühlvoll das klare Wasser mit ihren Fingern. Sie betrachtet ihr Spiegelbild, blickt um sich in den Wald und dann nach oben in die hohen Baumwipfel. Zwischen den dichten schattigen Bäumen erreichen hier dennoch einige Sonnenstrahlen den Talgrund und zaubern im Nebeldampf eine fantasievolle Kulisse. Sie schließt die Augen, lächelt und lauscht den unterschiedlichsten Geräuschen der zahlreichen Tiere. Die junge Frau scheint mit der unberührten Natur beinahe zu verschmelzen. So vergehen einige Minuten.

    Wieder jagen Meerkatzen durch die Bäume, während zahlreiche Vögel in beeindruckenden Tönen ein melodisches Konzert von sich geben. Die Sonne hat mittlerweile an Höhe gewonnen und verdrängt zunehmend den Morgennebel, während ihre warmen Strahlen die Wipfel der Bäume in ein leuchtendes Farbenspiel tauchen.

    Die junge Frau ist ganz bei sich, die Augen nach wie vor geschlossen, ein zufriedenes Lächeln umspielt ihr hübsches Gesicht. Da hört sie ein Knacken aus der Richtung des Pfades, leise aber hörbar. Und vertraute Schritte hinter sich, leise aber wahrnehmbar. Die Schritte verlangsamen sich. Sie hört den leisen unterdrückten Atem und bleibt reglos. Und dann schließen sich vertraute Arme um sie. Sie spürt den Kuss auf ihrem Scheitel: „Guten Morgen, meine Frühaufsteherin."

    „Guten Morgen, mein Langschläfer."

    „Sophie, stell dir vor, die Sippe muss in unmittelbarer Nähe unseres Lagers sein!"

    „Wie kommst Du darauf?"

    „Die verschiedenen Geräusche der anderen Tiere lassen darauf schließen. Hier ist zurzeit Bewegung im Wald und es muss in unserer unmittelbaren Umgebung sein. Lass uns schnell unsere Kameraausrüstung einsatzbereit machen. Wir dürfen keine Zeit verlieren! Doch Sophie zieht ihn zu sich herunter: „Jetzt erst einmal langsam, wir haben den ganzen Tag noch vor uns und wenn wir jetzt in Hektik ausbrechen, haben wir auch nichts dabei gewonnen. Dabei zieht sie sein Gesicht an ihres. Ihre Lippen berühren sich und auf einmal erscheint alles andere nicht mehr wichtig.

    Einige Augenblicke später: „Pierre, das hier ist echt groß. So etwas wie hier habe ich noch nie erlebt. Ich wünschte, diese Zeit würde niemals enden."

    „So geht es mir auch, Sophie. Bin ja schon auf einigen Expeditionen gewesen. Aber hier und dann auch noch alleine mit dir, das ist unbeschreiblich!" Nochmals ein inniger Kuss. Schließlich nimmt er ihre Hand und zieht sie nach oben.

    „Sophie, wir haben aber auch einen Auftrag und wollen einige Aufnahmen machen. Heute haben wir eine ganz besondere Gelegenheit. Komm, lass uns gleich starten."

    „Du alter Unruhegeist! Aber Du hast recht. Die Sippe sollte ganz in unserer Nähe sein und das dürfen wir uns wirklich nicht entgehen lassen."

    Am Zelt angekommen, macht das französische Biologenpaar die Filmausrüstung startklar. „Lass uns doch schnell noch etwas frühstücken, Pierre. Der Tag wird bestimmt wieder lang."

    „In Ordnung, danach sollten wir aber gleich aufbrechen. Wenige Minuten später machen sich die beiden mit ihrer Filmausrüstung auf den Weg. Pierre geht begeistert voraus: „In dieser Richtung müssten wir sie antreffen. Die beiden stapfen einen Hang hinauf, zunächst leicht ansteigend, dann immer steiler. Mit der Kameraausrüstung und dem Tagesgepäck im feuchtwarmen dampfigen Wald keine einfache Angelegenheit. Sophie wischt sich den Schweiß von der Stirn. Doch sie beklagt sich nicht. Beeindruckt von der schönen Morgenstimmung und der Aussicht, heute etwas ganz Besonderes zu erleben und mit der Kamera festhalten zu können, folgt sie tapfer den schnellen Schritten ihres Freundes.

    Nach einer Weile erreichen sie eine Anhöhe. Pierre duckt sich und gibt Sophie, die einige Schritte hinter ihm folgt, Zeichen unbedingt leise zu sein. Nun kommunizieren die beiden fast nur noch in Zeichensprache. Behutsam tasten sie sich weiter durch das Dickicht. Pierre zeigt nach oben und nickt. Sophie versteht, dass die Tiere in den oberen Baumbereichen ein indirekter Hinweis für das sein können, was sich vor ihnen am Boden abspielt. Sie lächelt und streckt ihren rechten Daumen nach oben. Wieder scheint es Pierre mit seiner Erfahrung von bereits mehreren Expeditionen geschafft zu haben, diese Sippe schnell und treffsicher ausfindig zu machen. Noch einige Schritte, dann kauern sich die beiden auf den Boden. Nach einigen Momenten der ruhigen Beobachtung schleichen sie noch ein paar Schritte auf ihr Ziel zu.

    Nun ist auch das Forscherpaar entdeckt worden. Die ihnen vertraute Gorilla-Sippe nimmt Kontakt zu ihnen auf. Sie begrüßen einander mit den vertrauten Lauten. Pierre und Sophie nehmen dabei ehrfürchtig eine gebückte Körperhaltung ein, vermeiden zunächst Blickkontakt. Die Gesichtsmimik und die Laute der beiden jungen Forscher stehen denen der Gorillas kaum in etwas nach. Es kommt sogar zu körperlichen Berührungen. Die großen schwarzen Riesen sind dabei unbeschreiblich zärtlich. Sophie ist dabei so gerührt, dass ihr die Tränen kommen. Geistesgegenwärtig hat Pierre seine kleine Foto-Kamera gezückt und macht ein paar Schnappschüsse von den Riesen und Sophie. Fast scheint es, als wären die Forscher ein Teil dieser Sippe.

    Nach dem freundlichen Begrüßungsritual lässt das Interesse der schwarzen Riesen an Sophie und Pierre etwas nach. Routiniert wird die Filmausrüstung aufgebaut und los geht es. Durch ihre Kamera-Linse beobachten sie, wie die ihnen vertraute Sippe sich über die üppig sprießenden grünen Blätter und Sprossen hermacht. Die ganze Sippe von mehreren Tieren widmet sich nun ihrem Tagesgeschehen. Pierre und Sophie können ungehindert filmen. „Schau, wie zärtlich sie mit Baby umgehen. Und selbst Silberrücken strahlt so viel Ruhe und Feinfühligkeit aus. Es ist wie ein Wunder! Es ist so etwas Großes, das mit eigenen Augen sehen zu dürfen und teilhaben zu dürfen. Und wieder bricht Sophie gerührt in Tränen aus. Pierre schmunzelnd: „Also, wenn ich dich so sehe, dann sollten wir wohl für immer hierbleiben und nie wieder nach Europa zurückkehren.

    „Ja, für immer hier," erwidert Sophie gerührt. Dabei lässt sie sich in Pierres Arme sinken.

    Im Laufe des Tages zieht die Sippe langsam weiter. Pierre und Sophie folgen den Tieren stetig. Doch am späten Nachmittag wird es Zeit, sich zu verabschieden. Die beiden Menschen gehen behutsam auf die Sippe zu und nehmen nochmals mit Mimik, Gesten und Lauten Kontakt auf, der von der Sippe freundlich erwidert wird.

    Schließlich wenden sich Sophie und Pierre ab und sie treten den Abstieg an. „Wie eigentlich findest du in diesem undurchdringlichen Wald immer den richtigen Weg?"

    „Wie meinst du: Den richtigen Weg?"

    „Na, ich wäre jetzt da drüben abgestiegen, um unser Zelt zu suchen."

    „Das ist alles Erfahrung. Normalerweise orientiere ich mich am Sonnenstand. Falls Wolken aufziehen, habe ich immer noch den Kompass. Schließlich war mir heute Morgen klar, in welche Richtung wir aufstiegen."

    „Gib es zu, du hast bestimmt für den Notfall einen GPS-Navigator dabei?!"

    „Wozu? Wir schaffen das ohne im Allgemeinen besser. Denn wenn die Technik erst einmal ausfallen sollte, dann ist es weitaus besser, wenn man sich nach gesundem Menschenverstand orientieren kann."

    Letztendlich erreichen die beiden relativ geradlinig ihr Zelt. „Ok., ich kann wirklich nicht meckern. Das war heute wieder mal alles aus einem Guss."

    Nach dem Verstauen der Filmausrüstung holt Pierre Wasser vom nahegelegenen Bach. Sophie hat bereits den Kocher angeworfen, es wird Gemüse klein geschnitten und während der Topf vor sich hin brodelt, liegen sich die beiden in den späten Nachmittagssonnenstrahlen, die den Weg zwischen den Baumriesen nach unten gefunden haben, in den Armen und genießen zum wiederholten Male wortlos einen dieser besonderen Momente.

    11.01.2033 Bergwald nahe Nigba /Kamerun

    Das französische Biologenpaar Sophie und Pierre wandert mit schwerer Ausrüstung bepackt einem schmalen Dschungelpfad entlang, leicht abfallend, einem Bachlauf folgend. Pierre: „Es war nicht nur erlebnisreich, wir haben auch beeindruckende Aufnahmen und Beobachtungen gemacht. Sophie nachdenklich: „Ohne Frage. Und ich spüre jetzt zum ersten Mal tief in meinem Innersten, wie nahe diese Artverwandten uns stehen. Man könnte meinen, dass sie uns sogar irgendwie überlegen sind, auch wenn sie zahlenmäßig wenige sind und weniger technisiert sind als wir Menschen.

    „Wie meinst Du überlegen?"

    „Diese tiefe Feinfühligkeit, wie sie miteinander umgehen oder auch wie sie mit uns Menschen umgehen, obwohl sie uns kaum kennen. Diese Gastfreundlichkeit uns gegenüber und diese Neugierde, selbst uns völlig fremde Wesen kennen lernen zu wollen. Ach Pierre, wenn auch wir Menschen so mit ihnen umgehen würden!"

    „Tun wir doch."

    „Du weißt was ich meine. Die Menschheit als Ganzes, dieser ungestüme Elef – Wirbelsturm meine ich – im Porzellanladen Erde. Ich wünschte, unsere Aufnahmen und Beobachtungen könnten viele Menschen zu einem Umdenken bewegen."

    „Du hoffnungsvolle Optimistin."

    „Wo keine Hoffnung, da auch kein Weg! Wir werden viel Arbeit damit haben, unsere Aufnahmen und Beobachtungen auszuwerten. Doch ich denke, wir werden damit etwas erreichen können!"

    „Schön wäre es. Ich fürchte aber, dass wir nur minimal etwas bewirken können. Aber für deine feurige Begeisterung liebe ich dich umso mehr. Daraufhin dreht sich der vorausgehende Pierre zu seiner Freundin um und möchte sie trotz der schweren Rucksäcke und Tragesäcke, die den beiden am ganzen Körper baumeln, in seine Arme schließen, um ihr einen Kuss aufzudrücken. Doch Sophie wehrt sich protestierend: „Pierre, du nimmst mich nicht ernst! Wir können etwas erreichen, wenn wir es nur richtig anstellen! Davon bin ich überzeugt! Und jetzt gehe bitte weiter. So schwer bepackt fällt mir das Stehen noch schwerer als das Gehen.

    Schließlich kehrt das Forscherpaar nach wochenlangen Forschungs- und Dreharbeiten aus dem Dschungel ins Bergdorf Voko zurück. Doch die Begrüßung durch die Dorfbewohner fällt anders aus als sonst: Keine fröhlich entgegenlaufenden Kinder, keine Freudentänze, niemand der ihnen gastfreundlich die liebevoll zubereiteten traditionellen Speisen reicht. Stattdessen fast nur Stille. Aus einigen Hütten ist Wehklagen und Wimmern zu hören.

    „Was ist hier los?"

    „Das frage ich mich auch." Die beiden bleiben zunächst am Rande des Dorfes zögernd stehen und laden ihre schwere Ausrüstung ab, die Blicke gebannt auf das Innere des Dorfes gerichtet. Nach einem Moment der vorsichtigen Orientierung geht Sophie weiter auf die Hütten zu. Pierre möchte sie noch aufhalten, sagt jedoch nichts und folgt ihr.

    Sophie schlüpft durch den Eingang in eine der ersten Hütten und sieht, wie eine junge Mutter ihr Kind fest umschlungen in den Armen hält und weint. Daneben eine ältere Frau, die zusammengekauert auf dem Boden liegt. Daneben ein älterer Mann, auf dem Rücken liegend, überstreckt mit aufgerissenen Augen. Überall surren Fliegen und ein ungewöhnlicher Geruch. Sophie beugt sich zur jungen Mutter und legt ihr die Hand auf die Schulter. Doch die junge Frau scheint sie nicht wahrzunehmen.

    Pierre bleibt nahe einer anderen Hütte stehen. Ein etwa 10jähriger Junge steht am Eingang und kommt ihm langsam entgegen, tränenüberströmt. Der Junge sagt nichts, schüttelt nur den Kopf und bleibt starr vor Pierre mit gesenktem Kopf stehen. Pierre nimmt ihn schließlich in seine Arme. Der Junge sackt zusammen. Nichts außer Schluchzen und Tränen.

    Was war geschehen?

    18.01.2033 Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen

    „Ein neues Virus scheint sich in Teilen Afrikas auszubreiten. Entstehungsort unbekannt. Besonders betroffen scheint die äquatoriale Region. Es sollen bereits einige Menschen zu Tode gekommen sein. Genauere Opferzahlen sind nicht bekannt. Aber das Virus scheint hoch ansteckend zu sein. Die Bundesregierung hat bereits eine Reisewarnung für den gesamten afrikanischen Kontinent ausgerufen.

    Experten aus aller Welt machen sich derzeit unter größten Sicherheitsvorkehrungen auf den Weg in die betroffenen Gebiete, um neue Erkenntnisse zu gewinnen und um das Virus schnell unter Kontrolle zu bringen. Eine erneute Pandemie soll auf jeden Fall verhindert werden."

    Prof. Hartung/Hamburg: „Wir werden nicht zulassen, dass es erneut zu einer unkontrollierten Ausbreitung über den ganzen Erdball kommt, wie etwa 2020 mit Covid-19. Daher haben wir die extra dafür vorgesehen Task-Forces aus aller Welt in Alarmbereitschaft versetzt und ich kann ihnen versichern, wir werden diesmal schnell handeln. Uns fehlen noch genauere Erkenntnisse. Doch wir werden diesmal auf internationaler Basis gemeinsam miteinander zusammenarbeiten und offen miteinander kommunizieren, um gemeinsam den unbekannten Gegner gezielt ins Fadenkreuz zu nehmen. Wir haben also gute Chancen, diesmal rechtzeitig einzugreifen, so dass die Opferzahlen aller Wahrscheinlichkeit nach sehr begrenzt bleiben werden.

    Die betroffenen afrikanischen Staaten sind dabei äußerst kooperativ. Somit können wir fürs Erste zurecht zuversichtlich sein!"

    21.01.2033 Murrhardt / Schwäbisch-Fränkischer Wald (nahe Stuttgart)

    Die bewaldeten Berge rings um die Kleinstadt Murrhardt sind in dichte Regenschleier getaucht. Der kühle Nieselregen hält bereits seit 2 Tagen an. Obwohl es Mittag ist, ist es so düster, dass in den meisten Häusern Licht brennt. Schulkinder schlendern mit ihren schweren Rucksäcken nach Hause.

    Drei Viertklässler gehen nebeneinander her, die Blicke nachdenklich auf den Boden gerichtet. Der kleine Lian dabei empört: „Dieses Wochenende wird es schon wieder nichts mit unserem Treffen! Meine Mama mosert ständig herum, dass ich lernen soll. Die Lernproben in der 4. Klasse wären die allerwichtigsten überhaupt und ich soll lernen, lernen, lernen! In den Winterferien wäre da auch noch Zeit für unser Treffen. Aber ich habe einfach keine Lust mehr. Ich will einfach wieder das machen, was ich will! Will mich mit euch in das neue „Empire-Game einloggen und dann endlich loslegen!

    „Was meinste wie es mir geht, erwidert Paul, „ist bei mir auch nicht großartig anders. Mich fragt in letzter Zeit sogar mein Papa ab, obwohl es den bislang nicht die Bohne interessiert hat, was wir in der Schule so treiben. Dabei hat mein Papa sonst immer erzählt, als er noch klein war, hat er jede Gelegenheit genutzt, um draußen seine Kumpels zu treffen und Fußball zu spielen, egal ob es noch Hausaufgaben gibt oder schon wieder so eine blöde Probe geschrieben wird!

    Lian: „Warum müssen die Erwachsenen immer so spießig sein und uns jeden Spaß verbieten?! Wenn man immer nur über seinen Schulsachen sitzt, wird man dabei auch nicht schlau! Paul: „Genau. Und mein Papa hat mir früher selbst erzählt, dass die beste Schule das wirkliche Leben ist. Dabei hat er dann auch seinen Job gefunden und sein erstes Geld verdient: 1000 Euro! Lian: „Wenn ich mal groß bin, werde ich Spiele-Entwickler. Und um das werden zu können, muss ich eben diese Spiele auch umso besser können!"

    Paul: „Was meinst denn du, Finn? Finn: „Ich weiß nicht so recht. Lust hätte ich auch, mit euch zu zocken. Aber die jetzige Zeit ist wirklich wichtig. Ich verstehe auch die Erwachsenen. Die wollen uns eine gute Zukunft ermöglichen, dass wir mal was Gescheites studieren und so. Und dass wir nicht die gleichen Fehler machen wie sie. Dass wir die Welt nicht weiter kaputt machen und die Pflanzen und Tiere eine Überlebenschance bekommen. Lian lachend: „Du alter Streber! Wenn man dich reden hört, genau wie meine Mama. Kannst ja gerne zu ihr gehen. Sie wird dich bestimmt mögen! Und dafür gehe ich zu deiner Familie. Deine Familie ist ja ganz anders, sagt man. Eure Eltern sollen da viel weniger streng sein und ihr dürft viel mehr selbst entscheiden, ist das wahr?"

    „Na ja, kann man so nicht sagen. Auf jeden Fall kennst du meine Schwester nicht, zumindest nicht wirklich. Wenn die irgendeine Idee im Kopf hat oder irgendwas will, dann macht die voll auf Terror. Und es gibt nur noch Ärger und Geschrei. Dabei ist die schon fast 13. Und so kriegt sie dann immer, was sie will. Fast immer."

    „Und was ist mit dir? Finn leise: „Ich auch. Papa meint, ich wäre schon so vernünftig und da hätte ich mir auch eine Belohnung verdient.

    Paul frötzelnd: „Also ein echter Streber unser Finn, sogar auch bei Mami und Papi! Lian: „Und erst recht folgsam, wenn die große Schwester Befehle gibt!

    Die beiden Jungs lachen wild drauf los, während Finn ein etwas betretenes Gesicht macht. Nach einigen Augenblicken hat er sich gefangen und entgegnet entschieden: „Ihr könnt mir wirklich glauben, auch ich würde lieber in einer normalen Familie leben, auch wenn ich dabei nicht so viel über meine Schulsachen selbst entscheiden dürfte! Und trotzdem finde ich vieles, was in der Schule drankommt, wirklich spannend und ich will noch mehr erfahren!"

    Lian legt seinen Arm um Finn: „Ist schon ok. Wir mögen dich auch so. Dafür kannst du uns ja immer mal wieder was abschreiben lassen. Und du bist ja auch nie ein Spielverderber, wenn wir mal was Tolles zusammen machen."

    Am Ortsrand angekommen sieht man die Streuobstwiesen, hauptsächlich mit Apfelbäumen bestanden, die sich bis an den nahegelegenen Waldrand erstrecken. Von dort an steigt der Mischwald in den Nebeldunst hinauf. Überall Pfützen und es tropft von allen Bäumen, auch in den Vorgärten der ruhig gelegenen Wohnsiedlung. Kaum ein Auto auf der Straße, obwohl es Freitagmittag ist. Finn erreicht das kleine Reihenhaus. Das Küchenfenster ist gekippt, dahinter Licht und Brutzeln. Man kann die Kartoffelpuffer bis nach draußen riechen.

    Finn schließt leise die Haustüre auf und schiebt sich langsam in den Flur. Miauend läuft ihm die Katze entgegen und schlüpft an ihm vorbei schnell nach draußen. Doch bevor er die Haustüre schließt, hat die Katze bereits Kehrtwende gemacht und ist wieder drinnen. Diesmal schmiegt sie sich an Finn und schnurrt. Finn lädt den schweren Schulrucksack ab und setzt sich zu dem rötlichen Kater auf den Boden. Er legt seine Arme um das schnurrende Tier, drückt sein Gesicht in das weiche Fell und lächelt vergnügt. Die beiden schmusen ein Weilchen, da öffnet sich die Küchentüre, das Brutzeln wird lauter, das Licht geht im Flur an und Mama lehnt im Türrahmen: „Hallo meine beiden Schmusetiger. Endlich Wochenende, mir reicht es auch nach dieser Woche. Jetzt wollen wir es uns doch erst einmal gemütlich machen. Na, Hunger? Kannst du es bereits riechen? Finn, der immer noch sein Gesicht ins Katzenfell geschmiegt hat: „Ja, super, Kartoffelpuffer!

    „Dann zieh dich aus und komm herein. Du kannst gleich schon etwas essen. Bei Amelie wird es heute etwas später. Dafür können wir beide uns schon mal auf die frischen warmen Köstlichkeiten stürzen."

    Finn lässt die schnurrende Katze los, setzt sich sogleich an den Tisch und bekommt die erste Ladung Kartoffelpuffer mit Apfelmus auf seinen Teller.

    „Hmm lecker!"

    „Wie war denn heute dein Schultag?"

    „Wie immer. Zum Schluss viele Hausaufgaben, obwohl doch Wochenende ist! Aber spannend, was wir über den Wald gelernt haben. Stimmt es, als du und Papa noch zur Schule gegangen seid, damals hat es das ganze Jahr immer wieder viel geregnet und der Wald soll damals im Frühling und Sommer ganz grün gewesen sein, sagt Frau Vasel. War das wirklich so?"

    Finns Mutter setzt sich nun auch an den Tisch und nickt dabei nachdenklich: „Ja, so war das damals. Wenn der Frühling kam und im April die Laubbäume die leuchtend grünen Blätter trieben, begann eine wunderschöne Zeit. Es regnete zwar öfters, doch mindestens genauso oft gab es Sonnenschein. Wenn wir Kinder mal durch den Wald zogen, konnten wir die frische Walderde, Moder und Pilze riechen. Es gab die verschiedensten Blumen und Insektenarten. Auch im Wald gab es mehr Baumarten als heute. Und viel mehr Singvögel zwitscherten vor allem morgens und abends in den Bäumen. Es war etwas ganz Besonderes, was selbst wir Kinder bewunderten."

    „Und warum ist es heute nicht mehr so?"

    Finns Mutter langsam sprechend: „Das ist ein kompliziertes Geschehen. Gerade wir Erwachsenen haben vieles falsch gemacht und tun dies auch weiter, leider. Du weißt ja, dass wir den CO2-Ausstoß viel früher hätten reduzieren sollen. Doch jede Staatsregierung meinte damals, so schnell ginge das nicht. Und warum sollten wir zuerst etwas für die Umwelt tun, während die anderen sich mehr Zeit lassen würden oder manche Staaten gar nicht mitmachen würden? So ging viel wertvolle Zeit verloren. Und erst als es selbst in Mittel- und Nordeuropa zu Dürreperioden kam, was bis dahin kaum der Fall gewesen war, kam es bei uns in Europa zu einem Umdenken. Doch bis es zu einem entschiedenen Handeln kam, verschenkte man noch viel kostbare Zeit."

    „Heißt das, dass es jetzt zu spät ist, um unsere Natur zu retten?"

    „Aber nein, Finn. Auf jeden Fall lohnt sich umweltbewusstes Handeln immer. Wir können noch viel retten und werden dies auch tun. Jetzt können wir froh sein, dass wir wenigstens einmal einen regenreichen Winter haben."

    „Und hat es früher auch im Sommer viel geregnet?"

    „Ja. Es gab zwar auch Sonne und Hitze. Doch dann gab es immer einmal wieder ein kräftiges Gewitter, so dass der meiste Regen des Jahres sogar in den Sommermonaten fiel."

    „Und im Winter gab es Schnee und Eis, sogar bei uns unten im Murrtal!?"

    „Ja, teils so viel Schnee, dass wir den Weg zur Straße frei schaufeln mussten. Wenn du willst, kann ich dir heute Abend mal unsere alten Fotos zeigen."

    „Ja, gerne!"

    Finn sitzt bereits an seinen Hausaufgaben, als seine Schwester Amelie nach Hause kommt. Aufgeregtes Rufen im Flur: „Mama, Mama, wo bist du, Mama?!"

    „In der Küche mein Schatz. Es gibt etwas Leckeres. Amelie stürmt durch die offene Küchentür und ohne Luft zu holen: „Mama, Lisa hat gemeint, dass ich in den Winterferien mit ihr und ihrer Familie nach Österreich zum Skifahren mitkommen kann. Sie haben ein Ferienhaus gebucht, hoch oben in den Bergen. Da darf ich doch bestimmt mit?! Bitte Mama!

    „Jetzt erst einmal langsam. Ziehe bitte deine Schuhe aus und lege deine nassen Sachen ab, dann können wir in Ruhe beim Essen alles besprechen."

    Amelie wie aus der Maschinen-Pistole geschossen: „Och man, sag bitte gleich, dass ich mitkann! Bitte, bitte, bitte!"

    „Amelie, wenn du dich ausgezogen hast, dann erzähle mir doch erst einmal in Ruhe, wie das Lisa gemeint hat, ob das alleine ihre Idee ist, ob ihre Eltern überhaupt davon wissen und so weiter."

    „Ha, man, wenn meine beste Freundin mich fragt, ob ich mitgehen will, natürlich will ich das! Ihre Eltern sind bestimmt einverstanden!"

    „Bestimmt?"

    „Ganz bestimmt!"

    „Wenn du deine Schuhe und Jacke ausgezogen hast, lass uns doch in Ruhe reden."

    „Ach Mensch, wenn du so anfängst, dann weiß ich doch gleich, dass du mich nicht mitfahren lassen willst, weil du immer nur willst, dass ich wie ein kleines Kind mit Mami, Papi und meinem kleinen Bruder zusammen einen superlangweiligen Familienurlaub machen soll! Ach, vergiss es!"

    Finn hört, wie im Flur erst ein Schuh, dann der andere Schuh gegen den Fußboden gepfeffert wird, wie wütende schnelle Schritte die Treppe hoch gestapft kommen und wie die Türe des Nachbarzimmers lautstark zuknallt, so dass das ganze Haus zu wackeln scheint. Gleich darauf geht die Musikanlage an, laut, richtig laut. Finn steckt sich die Finger in die Ohren und seufzt.

    Nun sind nochmals schnelle Schritte auf der Treppe zu hören. Die Türe des Nachbarzimmers wird aufgerissen, die Szenerie gewinnt nun Richtig Fahrt: „Lass mich in Ruhe!"

    „Amelie, stell bitte die Musik leiser, Amelie! Sehr wütend: „Lass mich in Ruhe!

    „Amelie, wir können über alles reden, ich habe ja nicht ,nein‘ gesagt. Stell doch bitte die Musik leiser! Amelie schreiend: „Was hast du gesagt?! Dabei wird die Musik noch lauter gedreht. Wütende Schritte stürmen ins Zimmer hinein. Zeterndes Geschrei. Die Musik ist auf einmal aus, das Geschrei einer Mädchen- und einer Frauenstimme durchdringt nun das ganze Haus. Finn hat die Finger tief in den Ohren und denkt sich: „Armer Kater, was der hier bei uns immer alles aushalten muss. An seiner Stelle wäre ich schon längst weggelaufen."

    Wieder wird die Türe das Nachbarzimmers zugeknallt. Wütende Schritte stapfen nach unten und man hört dabei Mama rufen: „Die Musikanlage ist erst einmal weg! Wenn man sich benimmt wie ein Kleinkind, dann muss man auch leben wie ein Kleinkind!"

    Finn hört, wie nebenan seine Schwester zu heulen anfängt und wütend mit Stiften auf ihren Schreibtisch trommelt. „Und die wird bald schon 13, ich glaube es ja nicht!"

    Schließlich kehrt Ruhe und Frieden ein, welch eine Erholung für alle im Haus.

    Am Abend sitzen Amelie, Finn und deren Eltern alle beisammen am Esstisch in der Küche. Die Mama: „Amelie, du brauchst doch nicht gleich so auszurasten, wie heute Mittag. Wir müssen eben erst einmal alles klären."

    „Ist schon ok., erwidert Amelie ruhig und leise. Der Papa: „Wieso, was war denn heute wieder los?

    „Amelie ist mal wieder völlig aus der Haut gefahren, als sie mich fragte, ob sie in den Winterferien mit Lisa und ihrer Familie in den Skiurlaub kann. Als ich ihr noch keine verbindliche Antwort geben konnte, ist sie dann völlig ausgerastet."

    „Und ich habe mir so doll die Finger in die Ohren gestopft, dass mir jetzt noch die Ohren weh tun."

    „Halt die Klappe, Finn! brummelt Amelie. „Selber!

    „So ihr beiden, jetzt hört ihr mal bitte auf, damit wir jetzt mal sachlich sprechen können. Ich habe bereits mit Lisas Mutter telefoniert. Sie hätte dies bereits mit ihrem Mann besprochen, so dass es vollkommen in Ordnung wäre, wenn Amelie mitfahren würde."

    „Und ich werde mal wieder vor vollendete Tatsachen gestellt", erwidert Papa. „Nein, jetzt eben wollen wir dich fragen, ob dies auch für dich

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