Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Genie und Gendarm: Wenn eine Theologie amtlich wird am Beispiel von Benedikt XVI.
Genie und Gendarm: Wenn eine Theologie amtlich wird am Beispiel von Benedikt XVI.
Genie und Gendarm: Wenn eine Theologie amtlich wird am Beispiel von Benedikt XVI.
eBook112 Seiten1 Stunde

Genie und Gendarm: Wenn eine Theologie amtlich wird am Beispiel von Benedikt XVI.

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die Beurteilung des Synodalen Wegs durch die römische Kurie ist nur zu verstehen, wenn man die Theologie von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. in den Blick nimmt. Die deutsche Kirche – so sein Vorwurf - versucht ein Lehramt der Theologen zu installieren. Sie verunsichert damit die einfachen Gläubigen und macht Kirchenreform zu einem elitären akademischen Projekt. Es erstaunt, dass Benedikt XVI., der zu den Reformern auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil gehörte, zu dieser negativen Sicht kommt.
Für Erich Garhammer, der bei Ratzinger studierte, steckt dahinter auch eine biographische Erfahrung, nach welcher der Begriff "Reform" für den jüngst verstorbenen Benedikt XVI. etwas Bedrohliches und sogar Zerstörerisches wurde.
SpracheDeutsch
HerausgeberEchter Verlag
Erscheinungsdatum1. Sept. 2023
ISBN9783429066246
Genie und Gendarm: Wenn eine Theologie amtlich wird am Beispiel von Benedikt XVI.
Autor

Erich Garhammer

Dr. Erich Garhammer ist Professor für Pastoraltheologie an der Universität Würzburg.

Mehr von Erich Garhammer lesen

Ähnlich wie Genie und Gendarm

Ähnliche E-Books

Christentum für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Genie und Gendarm

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Genie und Gendarm - Erich Garhammer

    Prolog

    Ich habe bei Joseph Ratzinger in Regensburg studiert und 1977 Examen gemacht. Ich gehörte zum letzten Diplomkurs, den er betreute und prüfte. Für mich war Joseph Ratzinger ein theologisches Genie. Ohne zu übertreiben: Ich habe selten in meinem akademischen Leben solche brillanten Vorlesungen gehört. Der Professor betrat den Hörsaal, zückte sein Heft, in dem die handgeschriebene Vorlesung festgehalten war, und dozierte frei. Es wäre uns nie in den Sinn gekommen, eine Vorlesung ausfallen zu lassen. Wir freuten uns bereits auf die nächste Stunde. Stets baute er in seine Vorlesungen die neuesten Publikationen ein, mit denen er sich dann auseinandersetzte.

    In der Schöpfungslehre erinnere ich mich an das Buch von Jacques Monod „Zufall und Notwendigkeit". Er fasste nicht nur Inhalt und These zusammen, er lieferte stets eine Beurteilung mit, die das Neue, aber auch die Grenzen der Neuerscheinung aufzeigte. Ich erinnere mich auch an einen Gastvortrag von Paul Ricœur. Ricœur, ein international angesehener Philosoph, trug in französischer Sprache vor, Ratzinger übersetzte die Vorlesung synchron. Auch die Fragerunde und Diskussion meisterte er zweisprachig. Spätestens da war uns klar: Nicht nur eine theologische Begabung, sondern auch ein sprachlicher Könner stand hier am Pult.

    Meine zweite Erfahrung mit Joseph Ratzinger: Er öffnete mir den akademischen Weg in die Theologie. Als ich mich für den pastoralen Dienst in der Diözese Passau entschieden hatte, begegnete ich Joseph Ratzinger beim bayrisch-österreichischen Priestertreffen im Stift Reichersberg in Oberösterreich. Er war in der Zwischenzeit zum Erzbischof von München und Freising berufen worden. In Reichersberg stand er der Vesper vor, predigte und hielt einen Vortrag. Bei der anschließenden Einkehr im Stiftskeller des Klosters ging ich auf ihn zu und begrüßte ihn. Neben ihm saß der Bischof von Passau, Dr. Antonius Hofmann. Und dann tat Ratzinger etwas, was ich nie erwartet hätte. Er sagte zu Bischof Hofmann: Herr Garhammer hätte bei uns in Regensburg in jedem Fach promovieren können, aber er entschied sich für Passau. Hofmann war nicht nur stolz, sondern er dachte meinen akademischen Weg weiter. Er stellte mich gegen den Widerstand des Domkapitels für das Weiterstudium und zur Promotion an der Universität Regensburg frei.

    Der Passauer Priester Konrad Baumgartner war dort gerade von Eichstätt kommend auf den Lehrstuhl für Pastoraltheologie als Nachfolger von Josef Goldbrunner, bei dem ich studiert hatte, berufen worden. Er wurde mein Doktorvater. Meine Dissertation über die Kirche des 19. Jahrhunderts und über Kardinal Karl August Graf von Reisach und seine Bedeutung für die Seminargeschichte öffnete mir die Augen für das „Dunkelfeld" der Kirche, für den Schatten, den ich in meinem Studium nicht zu sehen bekommen hatte.

    Kardinal Reisach hat die Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts wesentlich geprägt. Er hat die Seminarausbildung der Priester gegen die Universitätstheologie in Stellung gebracht. Ignaz von Döllinger hat er als Konzilstheologen auf dem Ersten Vatikanum verhindert. Die Gelehrtenversammlung in München St. Bonifaz 1863 hat er mit dem Stigma der Häresie versehen und den Begriff des „ordentlichen Lehramts eingeführt, um künftig gegen solche Kongresse einschreiten zu können. Er war zusammen mit seinem Generalvikar Friedrich Windischmann ein „Höriger der Seherin von Altötting, Louise Beck. Diese wurde von den Redemptoristen gegen den Jesuitenorden instrumentalisiert. Ein Opfer war Johann Michael Sailer, der als „Apostat" gebrandmarkt werden sollte (Garhammer 2022).

    Für meine Studien konnte ich die Akten im Vatikanischen Archiv einbeziehen und auswerten. Während meiner Archivrecherchen wohnte ich im Kolleg des Campo Santo. Zwei Begebenheiten sind mir in Erinnerung geblieben. Als ich am Campo ankam, öffnete mir der dortige Gastpriester die Pfortentür mit dem Ausruf: „Sie sehen aber nicht wie ein Priester aus! Ich gab spontan zur Antwort: „Sie schon! Von Anfang an wurde deutlich, dass wir theologisch und menschlich unterschiedliche Planeten bewohnten. Als der Verantwortliche für die Erstellung der Gutachten für das „nihil obstat" hatte er später Gelegenheit, von seiner negativen Sicht Gebrauch zu machen.

    Beim Frühstück saß ich mit Kardinal Ratzinger zusammen. Neben dem Austausch von Neuigkeiten aus unserer gemeinsamen bayerischen Heimat interessierte mich natürlich seine Aufgabe als Präfekt der Glaubenskongregation. Ich sagte ihm: „Herr Kardinal, ich beschäftige mich gerade mit dem 19. Jahrhundert, vor allem mit der Rolle von Kardinal Reisach. Und da begegne ich vielen Gutachten, die in Ihrer Vorgängerbehörde über Theologen angefertigt wurden. Am meisten getroffen hat mich das Gutachten von Clemens Maria Hofbauer, das er über Johann Michael Sailer erstellte. Es war vernichtend. Ohne ihn persönlich zu kennen, bezog er sich dabei ausschließlich auf Gerüchte und verhinderte ihn damit 1819 als Bischof von Augsburg. Und dieses Gutachten ist später Sailer beim Seligsprechungsprozess von Hofbauer noch einmal zum Verhängnis geworden. Weil ein künftiger Seliger ohne Makel sein muss, wollte man Johann Michael Sailer, der als Bischof von Regensburg gestorben war, sogar noch posthum auf den Index setzen. Ich stellte Kardinal Ratzinger dann neugierig die Frage: „Ist Ihnen nicht manchmal bange bei solchen angeforderten Gutachten, Menschen nicht gerecht zu werden? Ich war gespannt auf seine Meinung und seine Position. Und ich bekam von Ratzinger zur Antwort: „Man weiß ja nicht, wie ohne solche Interventionen der Weg und die Entwicklung von Sailer verlaufen wäre." Nun war mir klar: Die neue Aufgabe hatte den Theologen Ratzinger geschluckt.

    Als ich im Jahre 1991 den Ruf auf den Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Homiletik in Paderborn bekam, wurde mir meine kritische kirchenhistorische Sicht zum Verhängnis. Die Glaubenskongregation, der Joseph Ratzinger als Präfekt vorstand, leitete ein negatives Gutachten an die Bildungskongregation weiter, die mir das „nihil obstat" versagte. Weil aber gleichzeitig Erzbischof Johannes Degenhardt von Paderborn Eugen Drewermann die Lehrerlaubnis entzogen hatte, wollte er keinen zweiten Konfliktfall riskieren – weder für sich noch in der Öffentlichkeit. So reichte er mir das Gutachten der Glaubenskongregation weiter mit der Bitte um Stellungnahme. Dabei schlug er einige Sätze vor, auf die es ankommen würde.

    Was ich erst seit kurzem weiß: Im Hintergrund war Bischof Karl Lehmann von Mainz eingeschaltet worden, der für eine deeskalierende Problemlösung sorgte. Er riet zu einer „emotionsfreien Stellungnahme zu den Bemerkungen aus Rom. Jede Gegenpolemik, sosehr sie menschlich verständlich wäre, sollte vermieden werden. Er riet ferner dazu, ich sollte einräumen, dass ich aus heutiger Sicht manchen Artikel differenzierter schreiben würde. Dann folgte in seinem Schreiben an Erzbischof Degenhardt vom 9. Juni 1992 eine deutliche Kritik an den römischen Bemerkungen: Sie vernachlässigen den Eindruck der Qualifikationsarbeit und beziehen sich meist auf kleinere Arbeiten und überschätzen diese. Bei der kritischen Besprechung der Stellen sei keinerlei Wohlwollen zu erkennen, immer werden die Äußerungen aus dem Zusammenhang gerissen, sehr negativ gewendet und auch entsprechend interpretiert, nicht selten auch entstellt. Die Bemerkungen seien sehr beckmesserisch und von oben herab geschrieben. Und dann sein Wunsch und seine Klage an seinen Amtsbruder: „Ich hoffe, dass alles gut geht. Wir brauchen ja ungeheuer viel Zeit für diese Dinge. Ich würde auch im Schreiben noch einmal darauf hinweisen, dass Du am 1. August 1991 geschrieben hast und dass es nun fast neun Monate sind, bis Du eine Stellungnahme erhalten hast. Erst recht dauert es nochmal länger, bis der ganze Vorgang abgeschlossen ist. Dies ist schlechterdings unzumutbar – ganz besonders, wenn wir es mit staatlichen Stellen zu tun haben! Du bist ja noch der eigene Herr im Hause. Damit spielte Lehmann darauf an, dass Degenhardt Magnus Cancellarius einer kirchlichen Fakultät war.

    Ich konnte mich – Erzbischof Degenhardt und Bischof Lehmann sei Dank – zu den Unterstellungen, die der Gutachter aus mir durchschaubaren Gründen verantwortete, verhalten und sie ausräumen. Meine Ent-Täuschung über meinen ehemaligen Lehrer Joseph Ratzinger, der

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1