Tiere, Pflanzen, Sensationen - Phantastische Fabeln
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Über dieses E-Book
Wo in klassischen Fabeln die richtige Ordnung vorgeführt wird, erkennen wir hier: es ist kompliziert.
Hoffnung im Chaos spendet Solidarität über Gattungsgrenzen hinweg.
Survival of the queerest.
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Winteraustreiben: Phantastischer Jugendroman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenUrban Fantasy going Queer Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
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Rezensionen für Tiere, Pflanzen, Sensationen - Phantastische Fabeln
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Buchvorschau
Tiere, Pflanzen, Sensationen - Phantastische Fabeln - Jasper Nicolaisen
© 2022 Ach je Verlag
Ein Imprint des Amrûn Verlags
achje.amrun-verlag.de
Coverzeichnung: posiputt
Umschlaggestaltung im Verlag
ISBN E-Book 978-3-95869-514-6
Printed in the EU
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
v1/22
Jasper Nicolaisen
Tiere, Pflanzen, Sensationen
– Fabeln –
Tiere
A
Ein Ameisenbär verpasst den Zug und steht mit dem einsetzenden Abend etwas ratlos in einer vermutlich westdeutschen Kleinstadt. Wie in vielen unserer Städtchen ist auch hier das Bahnhofsgebäude stillgelegt, sodass der Ameisenbär nicht einmal eine Pommes o.ä. kriegen kann, bevor in zwei Stunden der wirklich letzte Zug fährt. Weiterhin etwas ratlos bummelt er durch das kaputtsanierte Bahnhofsumfeld. Plötzlich Musik und rote Lauflichter: ein »Bahnhofskino«, das liebenswert altmodische Sexfilmchen annonciert. Schmunzelnd löst der Ameisenbär ein Ticket. Welche harmlosen Frivolitäten hier wohl geboten werden? Einmal, vor vielen Jahren, hat er ein solches Lichtspielhäuschen besucht, leicht angetrunken, als Student (Ästhetik). Es riecht wie damals nach Putzmittel und unterschwellig nach Baumblüte. In den wenigen Sitzreihen tatsächlich Herren im Regenmantel. Auf der Leinwand erwartbare Bilder. Jetzt ereignet sich etwas Skurriles: Der Ameisenbär beginnt zu weinen, als ihm bei dem Gedanken, die Herren säßen vielleicht seit damals, seit seiner Studentenzeit hier, das Verstreichen der Lebenszeit bewusst wird, und Tränen rollen seine Nase entlang. Leider ragt diese Nase bis in die nächste Sitzreihe, sodass das salzige Nass dem Vordermann in den Nacken tropft. Dieser, wohl, denkt der Ameisenbär, eine andere Flüssigkeit vom Hintermann auf ihn vertropft wähnend, dreht sich um und hat im Zwielicht unheimliche Ähnlichkeit mit dem alten Mathelehrer des Ameisenbären. Verwirrt und beschämt sucht der Ameisenbär das Weite, um draußen Popcorn zu erstehen. Lange schon hat niemand mehr nach Popcorn gefragt, der Spermaauffeudler muss erst gegen das Gerät treten, bis es rumpelnd anspringt. Da erkennt der Ameisenbär in ihm einen alten Schulkameraden. Fluchtartig verlässt er die Szene, ohne zu sagen, ob »süß« oder »salzig«. Völlig durchgefroren, verfasst er später noch im Zug einen geharnischten Artikel gegen die Verödung unserer Innenstädte, der seiner Karriere als Ästhetiker noch schwer schaden soll.
B
Eine Biene brummt bang auf der mit Blattgold bezogenen Barockbühne Bauzen herum und »bringt« ein buntes Bizet-Potpourri. Banausige Beisitzer des Bastelvereinsvorstands Bauzen beäugen die bacarolensatte Performance blass und bitten (beiseite) um Barbusiges. Nur der Berichterstatter des »Blattes« ist begeistert und betitelt »Buntes« barsch: »Schwanengesang einer Biene«. Vor Ärger über das ungelenke Bild mehr noch als über den ausbleibenden Applaus erwacht die Hummel, die nur geträumt hat, eine Biene zu sein. Erst, als sie einer Freundin den Traum erzählen will, fällt ihr auf, dass sie die dummen Alliterationen eigentlich noch mal auf »H« umträumen müsste. Davon verfinstert sich ihre Laune so sehr, dass später am Nachmittag eine Kindergärtnerin, die ihrer Gruppe die Weisheit »Hummeln stechen nicht« vorbetet, barmend eines Besseren belehrt wird.
C
Ein Chamäleon steht mit einem Köfferchen in der Hand auf dem leeren Flur vor einem Klassenzimmer und folgt mit dem einen Auge einer Fliege, während es mit dem anderen Auge die Tür im Auge behält, auf der ebenfalls ein Chamäleon, allerdings aus Holz, prangt. »Was für eine absurde Situation«, denkt das Chamäleon. »Fehlt nur noch, dass auch das -- übrigens recht geschmacklose -- Holzchamäleon auf jener Tür der Fliege mit dem Auge folgte, indem es hier Auge in Auge mit mir steht.« Beinahe ärgerlich schnappt es nach der Fliege und zermalmt sie zwischen feuchten und harten Kiefern. Welche Ironie, dass das Beutetier holzig schmeckt! Angewidert verzieht das Schuppenkriechtier das Gesicht, was, wie es sich sogleich eingesteht, keineswegs nur an der mangelhaften Fliege liegt. Gleich wird es auf ein vorher verabredetes Stichwort die Tür öffnen, mit seinem Köfferchen ins Klassenzimmer der Chamäleongruppe spazieren und dabei singen: »Gestatten, Chamäleon! Ich beginne mit ›C‹. Doch entscheidet das ›H‹ über Wohl und Weh. Gestatten Chamäleon, willkommen, ihr Kinder! Greift rasch nun zum Tuschkasten, malt bunte Bilder!« So geht es jedes Jahr am ersten Schultag, und jedes Jahr ärgert sich das Chamäleon über das schlecht dahinhoppelnde Liedchen und überlegt, das Köfferchen stehenzulassen und einfach abzuhauen. Aber als Hartz 4-Aufstocker ist es auf das Geld angewiesen. Da entsteht ein Geräusch am Ende des Ganges. Typisch Kaninchen! Zu spät zur Kaninchengruppe. Was es wirklich über Kaninchen denkt, darf das Chamäleon nicht sagen, dafür sind die Meinungskorridore zu eng, so eng, denkt es bitter, wie dieser Schulflur. Es stellt das Köfferchen ab, zieht ein Handy aus der Hosentasche und tippt, ein Auge auf den Bildschirm gerichtet, einen Tweet über Umvolkung, während es mit dem anderen Auge die Tür im Auge behält. Morgen wird der Tweet von mehreren hochrangigen opinion leaders neurechter Zirkel geretweeted worden sein, in einem Jahr wird das Chamäleon bildungspolitische Referent der AfD-Fraktion in seinem Bundesland sein, in zehn Jahren wird es in einem dreckigen, langwierigen Krieg für irgendwas mit Deutschland fallen und sich kurz vor dem Verbluten noch mal sehr nach der holzigen Fliege zurücksehnen. Jetzt aber fällt das Stichwort, jetzt ergreift es die Türklinke mit der Zunge, jetzt packt es noch einmal das Köfferchen und macht seinen ungeliebten Job.
D
Ein Dachs erwartet in seiner Höhle die Rollenspielgruppe zum vierzehntägigen Treffen. Er hat nicht nur besonders schmackhaften Käsekuchen mit Blaubeeren gebacken und Fliedertee gebraut, er hat auch den Schauplatz des für den heutigen Abend angesetzten Abenteuers, die Trollhöhlen, als Modell vorbereitet und sämtliche dort hausenden Monstren durch handbemalte Miniaturen versinnbildlicht. Besonders prächtig geraten ist der Trollkönig, eine wunderbare Monstrosität mit Eberhauern und borstenbewehrter Rüstung aus schillernden Insektenpanzern, die auf einem untoten Grabeswurm mit Eisatem reitet. Der Dachs isst in Erwartung der Gäste schon mal ein Stück Käsekuchen und denkt beim Kauen, dass ihm der Trollkönig wirklich besonders gut gelungen ist. Fast, denkt er, ist das herrliche Monster zu schade, um von den Freunden gemeuchelt zu werden. Dieser Gedanke zieht einen untoten Rattenschwanz anderer Gedanken nach sich: Sind diese Freunde überhaupt seine Freunde, wenn sie leichthin die Monster vernichten, an denen er im schlechten Licht seiner Behausung mit zitternder Klaue gepinselt hat? Schlechtes Licht herrscht hier allerdings! Der Dachs stellt den Teller mit dem angebissenen Käsekuchen beiseite. Es ist auch gar kein so guter Käsekuchen. In seine Behausung, er ahnt es mehr, als dass