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Wir sind für dich da!: Krebs und Familie - 11 Reportagen
Wir sind für dich da!: Krebs und Familie - 11 Reportagen
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eBook351 Seiten4 Stunden

Wir sind für dich da!: Krebs und Familie - 11 Reportagen

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Über dieses E-Book

Weltweit steigt die Zahl der Krebserkrankungen stetig an – es gibt kaum eine Familie, die davon nicht betroffen ist. In diesem Buch berichten renommierte Journalistinnen und Journalisten (FAZ, Süddeutsche Zeitung, ZDF, ZEIT usw.) in 11 Reportagen, wie Familien auf ihre je ganz eigene Art mit einem solchen Schicksalsschlag umgehen. Erzählt werden ergreifende und zum Teil sehr persönliche Geschichten von Krankheit, von Genesung und Tod, die Hoffnung geben, Trost spenden und Mut machen. Die Reportagen zeigen aber auch, dass Angehörige von krebskranken Menschen besondere Hilfe benötigen, auch von Seiten der Gesellschaft und Politik. Daher wird das Buch mit einer Diskussionsrunde aus Expertinnen und Experten abgerundet.
SpracheDeutsch
HerausgeberVerlag Herder
Erscheinungsdatum12. Juni 2023
ISBN9783451830846
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    Buchvorschau

    Wir sind für dich da! - Deutsche Krebshilfe

    Sarah Majorczyk

    Eine Krankheit, die alles verändert

    Der Blick ins Leben von fünf jungen Frauen in Deutschland. Sie wünschen sich ein Kind, sind schwanger oder bereits Mütter – und sie sind konfrontiert mit der gleichen, erschreckenden Diagnose: KREBS. Sie alle kämpfen mit ganz unterschiedlichen Sorgen und Gedanken – sind aber vereint in der Frage: Wie schütze ich meine Familie? Ein Bericht über Leid, Mut, Zuversicht – und Trauer.

    Sorgfältig hört Louisa (5) ihre Schwester Feli (6) mit dem roten Plastik-Stethoskop aus dem Arztkoffer ab. Sie strahlt und ruft: »Alles gut – nur noch Krebs!«

    Die krebskranke Feli (li.) mit Schwester Louisa, Mama Maren und Papa Basti

    Feli aus Frankfurt leidet an einem Hirntumor, erlitt gerade zum zweiten Mal einen Rückfall. Feli verbringt seit ihrem dritten Lebensjahr fast genauso viel Zeit mit Ärzten wie mit ihrer Familie. Mutter Maren (34) zerreißt sich, um irgendwie beiden Kindern gerecht zu werden – der totkranken Feli, die kaum Freunde haben kann, weil die Gefahr von Infektionen viel zu groß ist, und der kleinen Schwester Louisa, die oft in der Kita oder bei Bekannten »geparkt« werden muss, weil Maren versucht, alles rund um Felis Untersuchungen und Therapien herum zu organisieren.

    ***

    Jessica bekam schwanger Krebs, das Bild zeigt sie anderthalb Jahre später

    260 Kilometer weiter Richtung Norden, in Essen, sitzt die in der 34. Woche schwangere Jessica (32) beim Arzt, weil ihre Lymphknoten stark angeschwollen sind. Sie ist sicher, dass sie nur eine Grippe hat. Sie ist selbst Ärztin, kann das schließlich einschätzen. Doch dann bekommt Jessica Wehen und ihre Kollegen werden misstrauisch, wollen eine Gewebeprobe der Lymphknoten untersuchen – und finden ein sogenanntes Hodgkin-Lymphom. Lymphdrüsenkrebs.

    ***

    Als Lisa die Diagnose bekommt, hat ihr Brustkrebs bereits gestreut

    In Brandenburg geht Lisa (31) mit Rückenschmerzen zum Arzt und erfährt, dass die Ursache Metastasen sind. Ein bisher unerkannter Brusttumor, der bereits in Becken, Oberschenkel und Wirbelsäule gestreut hat. Lisa steht kurz vor einer Beförderung im Gabelstaplerunternehmen, wohnt im eigenen Häuschen mit Garten, plant zu heiraten – und Kinder zu kriegen. Sie braucht einige Wochen nach diesem Tag beim Arzt, um alles zu verarbeiten. Dann beginnt sie sich zu fragen, ob sie diesen Familien-Traum noch leben kann, wie viel Zeit ihr bleibt?

    ***

    Manuela ist unheilbar krank, gewinnt dank einer Immuntherapie Zeit

    Sie muss nun ein Hospiz finden, erklärt Manuela (42) in einem kleinen Ort nahe Göppingen ihren Söhnen Benjamin (13) und Nils (18). Einen Ort, an dem sie sterben kann. Der Krebs frisst sich so unerbittlich durch Manuelas Körper, dass sie seit Wochen nur noch liegen kann. Ob er seinen Patenonkel bitten solle, ihn zu adoptieren, fragt Benjamin und drückt die Hand seiner Mama. Irgendwo muss er ja bleiben. Seine Mutter erzieht ihn allein – und nur mit dem Bruder leben, das würde das Jugendamt wohl nicht erlauben. Manuela weint. Nicht, weil sie Angst vor dem Tod hat, sondern weil sie spürt, dass ihr Sohn an diesem Tag schlagartig erwachsen wird. Dabei sollte er doch verdammt noch mal noch Kind sein dürfen.

    ***

    Janine mit Tochter Lana – die sie trotz Brustkrebs stillen konnte

    Das kleine Baby-Händchen ruht auf Janines linker Brust während ihre Tochter trinkt. Janine (33), die im Grünen vor den Toren Münchens lebt, kann ihre Kleine nur mit einer Brust stillen – die andere hat vorher der Krebs befallen, es schießt keine Milch mehr ein. Janine ist 26 Jahre jung, als sie die Diagnose Brustkrebs bekommt. Sie kämpfte sich durch OP, Chemo, Bestrahlung, Anti-Hormontherapie – zurück ins Leben. Und sie kämpfte für das neue Leben, das sie unbedingt zur Welt bringen wollte, das sie jetzt endlich in ihren Armen hält.

    ***

    Maren mit ihrer Tochter Feli. Die Kleine leidet an einem Hirntumor

    Frankfurt – Zweimal rosa Hose, dunkle Strümpfe, blaues Shirtkleid mit Eisprinzessin-Figuren – »Heute sind wir Zwillinge«, ruft Louisa. Mittlerweile ist sie alt genug (»Fünf und halb!«), um zu merken, dass Mama und Papa sie und ihre Schwester Feli trotz der gleichen Klamotten auseinanderhalten und nur so tun, als seien sie verwechselbar.

    »Aber Mama, die Feli hat doch blaue Augen und ich braune. Und sie hat doch gar keine Haare!!«, protestiert Louisa, als Mama Maren sie mit »Feli« anspricht. Die beiden Schwestern trennt ein Jahr – und der Krebs.

    Louisa ist Felis Lieblingsspielpartnerin. Meist ist sie auch ihre einzige, denn Feli ist durch die schweren Therapien sehr infektanfällig. Deshalb finden die Schwestern Husten auch bedrohlicher als Krebs. Wenn Louisa eine Erkältung hat, dürfen sie nicht zusammen spielen. »Ich werd Arzt, dann bin ich bei Mama und Feli«, sagt Louisa.

    Einmal musste Louisa wegen Fieber in ihrem Zimmer bleiben. »Isa erträgt das unheimlich gefasst, kann sich stundenlang mit Spielen beschäftigen«, sagt Mama Maren. Wenigstens zu Hause soll Feli sich frei bewegen können, weil das im Krankenhaus oft nicht möglich ist. Innerhalb von vier Monaten war Feli zweimal auf der Isolierstation, weil ihr nach einer Hochdosis-Chemo eigene Stammzellen transplantiert wurden, um ihr Immunsystem aufzubauen.

    Auf die Kinder-Krebsstation dürfen keine Geschwister unter vierzehn Jahren, aber Louisa und Feli können sich auf dem Flur sehen. Vorher auf der Isolierstation durfte Feli ihr Zimmer vier Wochen nicht verlassen. Louisa vermisste Feli. Und auch ihre Mama. Maren kümmerte sich um Feli, Papa Basti (34) zu Hause um Louisa.

    »Isa hat am Anfang oft nach mir gefragt, wollte vor allem, dass ich sie ins Bett bringe«, sagt Maren. »Ich habe ihr erklärt, dass ich abends so spät komme, dass sie schon schläft. Wir haben ein Foto gemacht, wie ich ihr einen Gute-Nacht-Kuss gebe, als sie schlief, und Basti hat es ihr am nächsten Morgen gezeigt«, erzählt Maren. Mittlerweile hängt das Foto über Louisas Bett. Weil Maren viele Nächte mit Feli im Krankenhaus verbringt. So ist sie trotzdem auch bei ihrer Isa.

    ****

    Baby und Glatze: Direkt nach der Geburt begann Jessica mit der Chemo

    Essen – Abtasten, Ultraschall, Gewebeproben … Keiner operiert freiwillig eine Schwangere mit Wehen, das weiß Jessica. Sie, die bis zu diesem Punkt fest daran geglaubt hat, dass alles okay ist, dass sie nur eine Grippe hat, beginnt zu ahnen, dass etwas anderes in ihrem Körper wütet. Als die Ärzte Jessica die Diagnose Lymphdrüsenkrebs, genauer gesagt Hodgkin-Lymphom, mitteilen, sagen sie ihr auch direkt, dass sie ihr Baby am nächsten Tag holen werden. Jessica ist in der 35. Woche. Sechs weitere Wochen sollte ihr kleiner Sohn eigentlich noch geschützt vor der Welt in ihr weiterwachsen. Das geht jetzt nicht mehr.

    Es ist ein Donnerstagnachmittag, an dem bei Bauingenieur Sebastian das Handy klingelt. Er weiß, dass seine Frau mit vorzeitigen Wehen ins Krankenhaus gefahren ist. Er selbst ist im Büro, muss sich abends um die zweieinhalbjährige Tochter kümmern, wollte eigentlich erst am nächsten Tag nach seiner Frau sehen. Der Anruf ändert alles. Sebastian: »Jessi sagte, dass ich die Nachbarn kontaktieren müsse, damit sie unsere zweijährige Tochter Selma am nächsten Tag von der Kita mit nach Hause nehmen, am besten zum Übernachten. Weil die Geburt morgen eingeleitet würde, bei der ich unbedingt dabei sein wollte. Weil sie Krebs habe.« Der Ingenieur tastet nach der Lehne seines Bürostuhls, setzt sich. »Vor meinen Augen ist erstmal alles verschwommen. Ich hatte sofort Angst um meine Frau und um das Baby. Dann stieg Panik in mir auf, vielleicht allein mit beiden Kindern dazustehen. Sie brauchen doch auch ihre Mama!« Sebastian schiebt die Sorgen weg, schaltet um auf Funktions-Modus. Er informiert seinen Chef, der ihn sofort nach Hause schickt, reicht zwei Wochen Urlaub ein, kontaktiert die Nachbarin, die zum Glück zusagt. Die Großmütter leben beide hunderte Kilometer entfernt im Osten.

    Dann geht alles ganz schnell. Am Freitagvormittag wird die Geburt eingeleitet, kurz nach Mitternacht kommt der kleine Leo zur Welt. 2100 Gramm leicht und 42 Zentimeter klein. »Ich war dankbar, den Süßen in den Armen zu halten – aber habe mich auch gefragt, wie nun alles weitergeht, wie lange ich das noch können werde«, sagt Jessica.

    Vier Tage verbringt die junge Familie im Krankenhaus-Familienzimmer in einer Blase des Glücks. Sie lernen sich kennen, erfühlen jeden Zentimeter des neuen, winzigen Körpers, spenden Wärme und Nähe. Jessica beginnt zu stillen, weil es das Beste für ihr Baby ist, sie ihm jeden Schutz mitgeben möchte, den sie geben kann. Und weil die Ärzte ihr sagen, sie hätte Zeit, bevor sie mit der Therapie anfangen müsse. Nach vier Tagen beginnen für Jessica die vielen Untersuchungen, die rausfinden sollen, in welchem Stadium ihr Krebs ist.

    Eine Woche später steht fest: der Krebs ist weiter fortgeschritten als gedacht, die Tumormasse drückt bereits auf die Luftröhre, wird Atemnot verursachen. Jessica hat nur wenig Zeit. Sie muss sofort mit der Chemo beginnen. Weil das Gift auch in die Muttermilch übergehen würde und weil sie mittlerweile schon sehr schwach ist, stillt sie ab. Gerade als ihr Leo sich ans Trinken gewöhnt hatte. Sicher, es gibt wunderbare Flaschennahrung, aber für Jessica ist es trotzdem sehr schmerzlich, ihrem Baby nicht das geben zu können, von dem sie als Ärztin weiß, dass es das Beste für ihn wäre. Ihr selbst geht es da aber schon so schlecht, dass sie es kaum noch aus dem Bett schafft.

    Erst jetzt bekommt Jessica Angst. Um sich – vor allem aber um ihre Familie.

    ****

    Lisa musste sich vom Traum verabschieden, Kinder zu bekommen

    Brandenburg – Als die Ärztin zu Lisa sagt, sie könne nichts mehr für sie tun, rennt Lisa wütend aus dem Zimmer. Wenn die meint, sie kann mein Leben nicht retten, dann hat sie die Rechnung ohne mich gemacht – das waren damals Lisas Gedanken. So absurd es klingt, als nächstes denkt Lisa daran, dass sie übermorgen mit Freunden zum Frühstücken verabredet ist und sich so etwas doch nicht nehmen lassen wird!

    »Bis bei mir einrastete, dass es irgendwann – und zwar irgendwann bald – kein Übermorgen mehr geben würde, hat es Monate gedauert«, sagt die junge Frau.

    Die Ärztin vermittelt Lisa, zum Glück, nach NRW, ans Brustzentrum des Huyssenstifts der Kliniken Essen-Mitte, wo sie sehr wertvolle Hilfe findet.

    Die Chemo greift nicht, dafür aber Hormontherapie und Antikörper.

    Normalerweise nimmt man die Kombination nur ein Jahr lang, Lisa bekommt sie vier Jahre – aber ihr Krebs ist ruhig, wächst nicht weiter, macht keine Schmerzen mehr. Es weiß nur keiner, wie lange das so weitergeht. Denn langsam häufen sich die Nebenwirkungen. Die Antikörper gehen schwer auf die Niere, machen sie durchlässig wie einen Kaffeefilter. Lisa verliert zu viel Eiweiß, schwemmt auf, ist oft geschwächt, hat Hitzewallungen wie in den Wechseljahren.

    Lisa arbeitet in einem Gabelstapler-Unternehmen, will gerade die Abteilung wechseln, um Karriere zu machen, hat ein Haus mit Garten, drei Fernseher – und einen Freund, den sie heiraten, mit dem sie eine Familie gründen möchte. Aber plötzlich hat sie das Gefühl, sie gehört nicht mehr in dieses Leben.

    Alles war bestens geplant, aber scheint jetzt undenkbar. Kinder? Selbst wenn das unter der Therapie gehen würde oder unter einer anderen, würde sie Kinder in die Welt setzen wollen, die eventuell bald ihre Mutter verlieren?

    Lisa spürt, dass sie das nicht kann. Sie möchte das Haus verkaufen und zurück von Brandenburg zu ihrer Familie ins 400 Kilometer entfernte Bamberg ziehen. Wieder Tochter sein, statt Mutter zu werden. Lisas Freund will aber so weitermachen wie vorher. »Irgendwann habe ich gemerkt, dass mein Freund nicht loslassen kann – weder das Leben im schönen Haus noch mich. Vielleicht wollte ich ihm die ständige Angst ersparen. Zumindest habe ich mir das eingeredet«, erzählt Lisa. Ein Jahr nach der Diagnose trennt Lisa sich von dem Mann, den sie ursprünglich heiraten und mit dem sie eine Familie gründen wollte, und geht zurück nach Franken, nach Hause.

    ****

    Göppingen – Bei Manuela, alleinerziehende Mutter von zwei Teenager-Jungs, beginnt der Kampf gegen den Krebs genauso wie bei Lisa – mit einem Arztbesuch wegen Rückenschmerzen. Der Hausarzt verschreibt Krankengymnastik. Doch innerhalb von vier Wochen verliert die technische Assistentin fast zehn Kilo Gewicht. Krankenhaus, Ultraschall, Darmspiegelung. Die Ärzte finden einen elf Zentimeter großen Tumor, der operativ entfernt und mit einer Chemo bekämpft wird.

    Manuela mit ihren Söhnen, als sie noch klein waren; heute sind sie Teenager

    Ein Jahr lang scheint alles gut – nur der rechte Arm von Manuela schmerzt oft und heftig. Wieder Krankengymnastik, wieder keine Besserung. Irgendwann entnehmen die Mediziner eine Probe und stellen fest: Erneut Krebs.

    Das Problem: niemand kann herausfinden, wo er herkommt, und die Ärzte bezweifeln nun, dass der ursprüngliche Tumor wirklich aus dem Darm stammte. CUP nennen es Experten, wenn sie keinen Ursprung für Krebs finden, der sich im Körper ausbreitet, »Cancer of Unknown Primary Site«. Statistische Lebenserwartung: ein halbes Jahr. Fünf Mal wird Manuela operiert, jedes Mal bangen ihre Söhne an ihrem Bett. »Man denkt nicht wirklich nach, man ist einfach da«, meint Nils, der ältere. Dann aber sagen Manuela die Mediziner, dass die Metastasen in ihrem Körper schneller nachwachsen, als sie sie entfernen können, dass die beiden verabreichten Chemos nicht mehr helfen, dass sie anfangen müsse, loszulassen.

    »Ich hatte keine Angst um mich, aber um meine Jungs. Wer sollte für sie da sein? Niemand liebt sie doch so wie ich«, sagt Manuela auch heute noch unter Tränen. Manuela bittet ihre Jungs zu sich. »Mama hat gesagt, dass sie ein Hospiz suchen muss und was das ist. Ein Ort, an dem wir uns von ihr verabschieden müssen. Ob wir das wollen, hat uns keiner gefragt«, sagt Benjamin, der jüngere, fast trotzig. Manuela wird nicht dabei sein können, wenn der Kleine die Schule beendet, der Große einen Ausbildungsplatz sucht. Sie werden auf sich gestellt sein. »Kein Problem«, sagt Nils, der Große, ganz schlicht. »Wir packen das.« Die Stärke ihrer Kinder verhindert, dass Manuela in diesem Moment, in dem sie eigentlich nur noch fallen möchte, zusammenbricht. Wo sollen ihre Jungs hin? Nach der Geburt ihres zweiten Sohnes verschwand der Vater aus dem Leben der drei. Er ist mittlerweile neu verheiratet, hat zwei weitere Kinder, Kontakt besteht nur sporadisch. Manuela ruft ihn an, bittet um seine Hilfe. Der Vater kommt, besucht die Jungs – aber die beiden zu sich nehmen, wenn Manuela stirbt? Das steht außer Frage.

    ****

    München – Janine bereitet sich als Schwimmerin gerade auf die Olympischen Spiele vor, als sie nach einem Training einen Knoten in der Brust ertastet. »Kurz darauf saß ich in einem Kreis von Ärzten, die diskutierten, wie sie mein Leben retten konnten: OP-Methode, Bestrahlungs-Dauer, Chemo-Mittel, Antihormon-Therapie. Als ich fragte, welche der Behandlungen ich denn bekommen solle, war die erschreckende Antwort: ›Alle‹.«

    Janine posiert nach der Chemo mit ihrer Perücke

    Auch das Thema Familienplanung, über das sich Janine bis dahin wenig Gedanken gemacht hat, außer dass sie weiß, irgendwann Kinder zu wollen, wird nun im Kreis der Ärzte diskutiert. Eine Chemotherapie kann zu Unfruchtbarkeit führen. Die Mediziner empfehlen Janine, damals Single, vor der Therapie Eizellen einfrieren zu lassen. Dafür hätten über mehrere Wochen Zellen mit Hormonen stimuliert werden müssen. »Ich hatte das Gefühl, diese Zeit nicht zu haben, wollte den Krebs so schnell es ging bekämpfen. Rückblickend habe ich mich oft gefragt, ob das richtig war, aber damals hatte ich vor allem Angst.« Janine entscheidet sich stattdessen für eine Behandlung, die zwar als weniger sicher gilt, aber keine Zeit frisst: Ihre Eierstöcke werden während der Chemo geschützt – durch ein winziges, per Spritze in den Bauch gesetztes Implantat, das sich alle drei Monate selbst auflöst.

    Janine kämpft sich durch die anstrengenden Therapien, schließt die Behandlung mit einer fünfjährigen Antihormongabe ab. Ihr Tumor wuchs durch weibliche Hormone, also bekommt ihr Körper Stoffe, damit nicht zu viele Hormone produziert werden.

    Währenddessen ist Kinderkriegen nicht möglich, denn die Medikamente versetzten Janine in die Wechseljahre. »Seit vier Jahren bin ich jetzt mit Alex verheiratet. Dass Kinderkriegen für mich ein Problem werden könnte, habe ich ihm direkt beim Kennenlernen beigebracht, er war aber zum Glück sehr verständnisvoll«, sagt Janine. »Wir haben schon damals gesagt, wir probieren es nach Abschluss der Therapien und wenn es nicht klappt, denken wir über Adoption nach«, erklärt Alex (37).

    Vielleicht ist es diese Entspanntheit, die Janines Eierstöcken geholfen hat, wieder anzuspringen. Denn trotz Schutz bei der Chemo war nicht klar, ob das klappt. Gleich im ersten Monat, nachdem sie die Behandlung beendet hat, bekommt Janine wieder normal ihre Regelblutung, hat von Beginn an einen regelmäßigen Zyklus – und ein Jahr nach Ende der Therapie wird sie schwanger!

    ****

    Frankfurt – Wenn Papa Basti sich zu Hause um Louisa kümmert, die kleine Schwester von Feli, die gegen einen Hirntumor kämpft, und mit Mama viel Zeit im Krankenhaus verbringt, dann spielt er eher Fang-die-Louisa mit der Kleinen als Prinzessin. »Manchmal sag ich einfach Mama zu Papa«, sagt Louisa aber und strahlt. Basti trägt’s mit Fassung. »Wir haben viel Spaß zusammen, aber Mädchen brauchen halt auch ihre Mama. Und wenn ich als solche tauge, ist es doch bestens«, sagt Basti. Wenn Feli zu Hause ist, versucht Maren sich besonders um Lousia zu kümmern. »Ich hole sie dann mal allein von der Kita ab, gehe mit ihr Eis essen. Das genießen wir beide sehr.«

    Feli wird oft mit Geschenken überhäuft, nicht jeder denkt aber daran, auch ihrer Schwester Louisa etwas mitzubringen. »Wir sammeln dann alles zusammen und geben es beiden. Sie spielen ja eh gemeinsam mit den meisten Sachen«, sagt Basti. »Ich habe nicht das Gefühl, dass Louisa sich vernachlässigt fühlt, aber man muss schon auf ein paar Dinge achten«, erklärt Maren.

    Louisa ist wesentlich stärker als ihre zarte, kranke Schwester. Sie flitzt durch die Wohnung, passt aber auf Feli auf, weil sie weiß, dass die oft hinfällt. Gleichgewichtsprobleme durch Tumor und Therapie. Die heftige Chemo hat Feli außerdem schwerhörig gemacht. Wenn Feli laut »Wie bitte?« ruft, weil sie etwas nicht versteht, krabbelt Louisa nah an sie ran, fast Nase an Nase, und wiederholt laut, was sie ihr sagen möchte.

    Louisa gibt ihrer krebskranken Schwester Feli einen Kuss

    Trotzdem ist Feli die große Schwester, das Vorbild. »Isa klettert besser, ich bin besser im Malen«, sagt Feli. Wenn die beiden zusammen Geschenke unterm Tannenbaum zeichnen, hilft Feli Louisa, die Schleife aufs Papier zu kriegen. »Du musst hier zwei Kreise machen und dann da einen Strich«, erklärt Feli. »Ich schaff das nicht«, mault Louisa – und strahlt, wenn Feli sie lobt: »Ist doch wunderbar!«

    Louisa und Feli durchleben mit Malstiften und Arztkoffer die gemeinsamen Momente, die ihnen der Krankheitsalltag gewährt. Sie messen sich wie andere Geschwister, aber stützen sich auch. Sieht man sie gemeinsam spielen, ist man um eines besonders froh: dass beide noch zu jung sind, um Todesangst zu fühlen und sich umeinander zu sorgen. Denn wenn Krebs bei Kindern wiederkommt, dann gibt es für Ärzte kein klares Gerüst mehr, was sie tun können. Dann können sie nur probieren und hoffen.

    *****

    Essen – Als Jessica ihren kleinen Sohn in den Armen hält, vergisst sie für einen kurzen Moment, dass sie sich nicht nur um dieses neue Leben kümmern, sondern auch um ihr eigenes kämpfen muss. Doch die Ärzte holen sie schnell und unerbittlich in diese Realität zurück. Sie können nicht anders. Der Krebs breitet sich in Jessicas Körper rasanter aus, als sie zunächst vermutet hatten. Schon wenige Tage nach der Geburt bekommt Jessica hohes Fieber und nimmt fast jeden Tag ein Kilo ab – beides gehört zur sogenannten B-Symptomatik des Tumors, der in ihr wuchert.

    Als ihr Sohn zehn Tage jung ist, beginnt Jessica mit der Chemo. Aber sie wird immer schwächer. Ihr Baby trägt Jessica mit besonderer Vorsicht, aus Sorge, dass ihre Kräfte sie verlassen. Meist nimmt es der Vater.

    Leos Mama bekam schwanger Krebs – mittlerweile ist er ein kerngesundes Kleinkind

    Jessica verlässt das Krankenhaus, macht die Therapie ambulant. Ihr Mann Sebastian ist noch eine Woche bei ihr zu Hause, dann geht er wieder arbeiten – und steht trotzdem nachts mehrmals auf, um den kleinen Leo mit der Flasche zu füttern. Jessica ist zu schwach, wird einmal sogar in der Küche ohnmächtig, als sie eine Milch anrührt. »Wenn so etwas funktionieren muss, dann entwickelt man Bärenkräfte«, sagt Sebastian, der in dieser Zeit mit seinen Ängsten allein bleibt. Seine Kinder brauchen ihn, seine Frau beschwichtigt, »alles wird gut«. Pendelnd zwischen Job und Familienorganisation, sieht er kaum noch seine Freunde.

    Jessica beginnt zu Hause, die Krankheit mit einem Plan systematisch zu bekämpfen. Über den Verband alleinerziehender Mütter und Väter besorgt sie sich eine Not-Mutter als Hilfe für den Haushalt und die zweieinhalb Jahre alte Tochter. In solchen Situationen unterstützen diese auch, wenn man nicht wirklich alleinerziehend ist. Die Krankenkasse bewilligt eine Hilfe für acht Stunden täglich. Außerdem hängt am Kühlschrank eine Liste mit Freunden, die bereit sind zu helfen, wenn beispielsweise die Not-Mama sich um den Kleinen kümmert und jemand die Große aus der Kita holen muss, weil sie krank geworden ist. Oder wenn Jessica selbst zu einer Untersuchung oder einem Chemoblock muss.

    Jessica steht all das

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