Unter Beobachtung
Von Martin M. Falken
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Buchvorschau
Unter Beobachtung - Martin M. Falken
Martin M. Falken
Unter Beobachtung
Himmelstürmer Verlag, Kirchenweg 12, 20099 Hamburg,
Himmelstürmer is part of Production House GmbH
www.himmelstuermer.de
E-mail: info@himmelstuermer.de
Originalausgabe, Frühjahr 2013
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages
Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage
Coverfoto: fotolia.de
Das Modell auf dem Coverfoto steht in keinen Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches und der Inhalt des Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Modells aus.
Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de
Printed in Dänemark
ISBN print 978-3-86361-269-6
ISBN epub 978-3-86361-270-2
ISBN pdf: 978-3-86361-271-9
Die Handlung und alle Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen wären rein zufällig.
Mein besonderer Dank geht an meinen lieben Freund, der meine Story auf langen Spaziergängen immer kritisch hinterfragt und mir gute Anregungen gegeben hat.
So wusste und wollte denn der Verwirrte nichts anderes mehr, als den Gegenstand, der ihn entzündete, ohne Unterlass zu verfolgen, von ihm zu träumen, wenn er abwesend war, und, nach der Weise der Liebenden, seinem bloßen Schattenbild zärtliche Worte zu geben.
Thomas Mann, Der Tod in Venedig
Prolog
Mein Sascha-Buch
Sascha Hachenberger. Einundzwanzig Jahre.
Studiert ab Oktober Germanistik und wird den Wohnort wechseln; sein Geld reicht für ein Zimmer im Studentenwohnheim, ich hoffe, ich erfahre bald die Adresse.
Familie: Mutter Thea ist Bankkauffrau, der leibliche Vater verstorben; sein Stiefvater Bernd Auer arbeitet als Softwareentwickler; Sascha versteht sich offenbar gut mit ihm.
Beziehung: War mit einem Mitschüler namens Nihat liiert. Sascha ist zurzeit Single.
Weiteres: Bedauerlicherweise ist Sascha kein Fan von sozialen Netzwerken. Insofern ist es schwierig, an Pics von ihm zu kommen. Eines habe ich aber aus seiner Abi-Zeitung ausgeschnitten. Auf dem Foto lächelt Sascha mich an, hat einen etwas verschmitzten Gesichtsausdruck.
Aussehen: Seine Augenfarbe ist eine grün-braune Mischung. Seine blonden Haare wirken struppig und stehen ab. Von seiner Statur ist er eher schmal. Modisch wirkt er lässig, trägt ein einfaches weißes T-Shirt, Bermuda-Shorts und graue Espadrilles. An dem Tag, an dem die Fotos gemacht wurden, war es offenbar sehr heiß - so wie Sascha selbst!
Timeline:
- Mitte Juni: Gestern hatte Sascha einen Grillabend mit seinen Freunden …
Weingummis
Meine Beine fühlten sie wie Gummi an, als ich die Uni-Bibliothek verließ. Ermüdet vergewisserte ich mich, ob ich alles dabei hatte: meinen Block, diverse Kugelschreiber und eine geleerte Wasserflasche. Als ich vor den Schließfächern stand, fielen mir die Sachen aus der Hand. Zum Glück war die Flasche nicht aus Glas, sondern aus Plastik. Ich glaubte, dass mir mein Germanistik-Studium zu viel abverlangte. Ich saß unter der Woche an Nachmittagen in der Bibliothek und dort fielen mir beim Lesen und Lernen oft die Augen zu. Dabei interessierte ich mich für Literatur, insbesondere für Thomas Mann, weshalb mich viele Kommilitonen schon schief angesehen hatten. Sie meinten, dass man ihn nicht zu Unterhaltungszwecken lesen könne, da er viel zu anspruchsvoll sei. Frustrierend war für mich, dass ich aus den wissenschaftlichen Texten, die ich in der Bibliothek las, nichts Wesentliches mitnehmen konnte. Als Bachelor-Student würde ich mich aber schon daran gewöhnen. Mit meiner Konzentration stimmte einfach irgendetwas nicht. Und heute beschlich mich eine andere Art von Müdigkeit als sonst, ich fühlte mich schwach.
Ich rieb meine Augen, hob alle meine Sachen auf, schaute auf die Uhr und stellte fest, dass ich mich beeilen musste: „19 Uhr!", murmelte ich. Ich hatte noch zwei Minuten Zeit, um meine Sachen zu packen und zur Haltestelle zu rennen. Als ich mein Schließfach mit der Ziffer 79 öffnete, zuckte ich zusammen, weil neben meiner Tasche und meiner schwarzen Lederjacke eine Packung Weingummis darin lag … Erneut rieb ich meine Augen.
„Hey, Sascha!", rief eine männliche Stimme. Hinter mir tauchte Richard, ein Kommilitone, auf. Obwohl er ein Strebertyp mit schwarzem Brillengestell war und mit seinen dunkelgrauen Klamotten seriöser als so mancher Professor gekleidet war, konnte ich ihn gut leiden. Der Lehramtsstudent hatte mich in einem unangekündigten Seminar-Test abschreiben lassen. Zum Dank lud ich ihn danach auf mehrere Glas Bier im Uni-Bistro ein. Er wurde lockerer, erzählte mir hemmungslos seine Lebensgeschichte, von seinem Liebeskummer, den er wegen seiner 30 Jahre älterer Nachbarin hatte. Was für ein schräger Typ, dachte ich. Schräg, aber interessant. Interessant deshalb, weil er in seiner Freizeit Fallschirm springt. Das änderte mein Bild vom spießigen Deutsch- und Physikstudenten, der jede Klausur mit Bravour bestand und mit einem Anzug in die Uni kam. So kam es, dass wir uns öfter auf ein Bier verabredeten und ich ihm auch Episoden aus meinem Leben erzählte, unter anderem auch, dass ich in der zwölften Klasse drei Monate mit einem türkischen Mitschüler zusammen war, von dem ich mich dann im gegenseitigen Einvernehmen getrennt hatte. Meine Beziehung zu Nihat war nie intensiv und nach einigen Monaten spürten wir beide, dass die Luft raus war. Ein interessierter Zuhörer wie Richard fragte mich dann, ob Nihat als Homosexueller in seiner Familie keine Probleme hatte. Doch das war es wider Erwarten nicht, denn als ich einmal zu Nihats gastfreundlicher Familie kam, wurde ich sehr herzlich willkommen geheißen. Als ich von den türkischen Familienfesten erzählte, hörte Richard immer aufmerksam zu. Ein guter Freund, dachte ich. Ein Freund, mit dem ich gerne rede, mit dem ich aber nie etwas anfangen würde.
„Ja, hab lange gelernt!, antwortete ich, nachdem ich mit meinen Gedanken wieder in der Gegenwart war. „Bin aber verdammt müde.
„Hast du einen Verehrer?", fragte er.
„Nicht, dass ich wüsste…", antwortete ich. Ich war völlig verwirrt und starrte immer wieder auf die Weingummis.
„Lass uns noch ein Bier trinken gehen!", schlug Richard vor.
„Heute nicht mehr!, erwiderte ich. „Hab doch gesagt, dass ich müde bin.
„Oh!, sagte Richard. „Bin jetzt weg, wollte dich nicht stören!
Er klang enttäuscht und ging Richtung Ausgang. Ich packte meine Sachen in meine Tasche. Vor der Packung mit den Weingummis hatte ich Angst, Angst, sie anzufassen. Dennoch holte ich sie heraus und wog sie in meinen Händen.
Wer legt mir Weingummis ins Schließfach? Und vor allem: Wie kommt derjenige an mein Schließfach?, fragte ich mich.
Ich steckte die Weingummis in meine Tasche, verließ das Gebäude, um schnell zur Haltestelle zu rennen. Im Bus versuchte ich nicht weiter darüber nachzudenken, betrachtete die braunen Herbstblätter, die unregelmäßig auf die Erde fielen. War das ungemütlich! Ich wollte nur noch in mein Zimmer und mich einschließen.
Ein bisschen verliebt
Um drei Uhr morgens lag ich immer noch wach. Ich suchte vergeblich nach einer Erklärung für die Tatsache, dass jemand mein Schließfach geöffnet hatte. Wie auch immer er es angestellt hatte, er schien ausgesprochen raffiniert zu sein. Oder sie? Nein, ich war mir sicher, dass ein Mann die Weingummis in mein Schließfach gelegt hatte. Und ich glaubte auch zu wissen, dass es Richard gewesen war. Richard! Sein Auftauchen, kurz nachdem ich mein Schließfach geöffnet hatte, war zwar kein Beweis, aber es machte ihn verdächtig. Ob er doch schwul war und sich in mich verliebt hatte? Er weiß ja auch, dass ich schwul bin … An und für sich war es nicht schlimm, wenn er mich lieben und mir kleine Geschenke machen würde. Gruselig fand ich nur, dass derjenige, vielleicht Richard, in der Lage ist, verschlossene Schließfächer zu öffnen und sie unauffällig wieder zu verschließen.
Von meiner sexuellen Orientierung wussten außer ihm noch meine Freunde Kai, Jenny und ihr neuer Freund Claudio. Demnach waren es nicht viele Kontakte, die ich nach meinem Umzug im letzten Monat noch hatte, aber ich pflegte sie dafür umso intensiver. Kai war mir am Vertrautesten; ihn kannte ich seit zwölf Jahren. Mit seinen Eltern zog er eines Sommers in die Straße meiner Eltern und ging ins gleiche Gymnasium wie ich. Unsere Freundschaft war eine typische Jungenfreundschaft: Joints, laute Musik … Nein, das Interesse für Mädchen teilten wir nicht! In diesem Zusammenhang war unsere Freundschaft also doch nicht so typisch. Als Kai mit 18 Jahren eine Phase hatte, die von One-Night-Stands geprägt war, schwärmte er mir immer wieder vor, wie aufregend es sei, mit wechselnden Geschlechtspartnerinnen Sex zu haben.
„Ich weiß, dass es aufregend ist. Aber ich bevorzuge Geschlechtspartner" sagte ich. Ich erinnerte mich noch genau an die Mathe-Stunde, in der ich mich bei Kai outete. Der glatzköpfige Herr Weiß brachte uns gerade Wahrscheinlichkeitsrechnung bei.
„Partner? Also heißt das, dass du schwul bist?", fragte Kai mich völlig perplex.
„Nein, Veganer!, antwortete ich genervt. „Ja, selbstverständlich bin ich schwul! Jetzt hör aber besser zu, sonst verhaust du die nächste Arbeit wieder!
Damit war das Thema für Kai abgeschlossen und wir konnten uns danach offen über unser Sexleben unterhalten, auch wenn bei mir mehrere Monate lang Ebbe war. Immerhin konnte ich Kai aber sagen, welchen Mitschüler ich süß fand, welcher Lehrer für eine Nacht interessant wäre und mit welchem Schauspieler ich gerne mal in die Sauna gehen würde. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich eines Tages auch mit Kai an der gleichen Uni studieren würde, wenn auch zwei völlig verschiedene Studiengänge. Er fühlte sich in der Welt des Maschinenbaus sichtlich wohl.
Jenny war eine treue Seele. Sie hatte immer gewusst, dass ich auf Männer stehe, wie sie stets behauptete. Kai musste bei ihr geplaudert haben, da sie kurz nach meinem Coming-out bei ihm anmerkte, ob ich am Abi-Ball lieber mit Jason tanzen wolle, einem attraktiven US-Amerikaner, dessen Vater den Gerüchten zufolge Multimillionär war. „Wäre doch eine gute Partie!", meinte Jenny. Dass ich währenddessen mit Nihat zusammen war, hatte sie nicht mitbekommen. Manchmal war sie recht naiv.
Claudio lernte Jenny erst kurz nach ihrem Abitur im Mai kennen und damit auch mich. Eines Abends trafen wir uns im Haus meiner Eltern zum Grillen, während meine Mutter mit meinem Stiefvater auf Reisen war. Unter Partylichtern tranken, aßen und lachten wir auf unserem Kunstrasen, den meine Mutter mit Bedacht pflegte, zumindest mehr als ihr widerspenstiges Haar. Obwohl Claudio Italiener war, hatte er blaue Augen. Es war einfach faszinierend, ihm immer wieder in seine Augen zu schauen und dabei sein dunkelhäutiges Gesicht und seine glänzend schwarzen Haare anzusehen. Er trug ein hellblaues T-Shirt mit einem V-Ausschnitt, der seine schwarzen Brusthaare zum Vorschein brachte. Unauffällig starrte ich oft dahin, hätte ihn am liebsten mal darüber gestreichelt. Ich hätte ihn auch gerne geküsst … Über meinen selbstgemachten Erdbeerjoghurt, den ich zum Nachtisch gereicht hatte, freute er sich am meisten. „Ich liebe Erdbeerjoghurt, sagte er an Jenny gewandt, obwohl ich das Dessert gemacht hatte. Er war offensichtlich total auf sie fixiert. Ach, warum hatte sie solches Glück? Sie selbst war nicht die Hübscheste mit ihren dunkelblonden langen Haaren und ihrem „Bürokauffrauengesicht
, wie Kai sie oft zu bezeichnen pflegte, um sie zu necken, nicht, um sie abzuwerten.
„Hast du Rotwein im Haus?", fragte Jenny, nachdem wir längst gegessen und mehrere Flaschen Bier getrunken hatten.
„Ja", antwortete ich in dem