Der Pakt: Ein Thriller
Von Marc Weiherhof
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Buchvorschau
Der Pakt - Marc Weiherhof
Prolog
„Wir müssen die Strukturen des PAWS, das Ansehen unserer geschätzten Mitfunktionäre sowie die Integrität der Menschen in diesem Land vor dieser niederträchtigen Verschwörung schützen. Es kann nicht sein, dass wir in der breiten Öffentlichkeit an den Pranger gestellt und gedemütigt werden! Die Stabilität unseres Politsystems, des Aktienindizes und unserer Währung hängt von dieser einen Entscheidung ab. Daher bitte ich Sie alle, dass Sie den nächsten Schritten unseres Plans zur Eindämmung der Gefahr zustimmen werden!", adressiert der Vorsitzende des geheimen Paktes der Wirtschaftsschattenmächte – kurz PAWS – die versammelte Delegation. Der Mann mittleren Alters mit markanten Gesichtszügen tritt sowohl in der Öffentlichkeit als auch innerhalb des PAWS als charismatischer und begeisterungsfähiger Leader auf.
Aufflackernde Streitgespräche unter anwesenden Vorstehern stören die trügerische, vermeintliche Ruhe an diesem illustren Runden Tisch und zeugen von Uneinigkeit unter den hochkarätigen Entscheidungsträgern.
„Bitte. Bitte, meine Herren. Lassen Sie uns Ruhe bewahren. Jede Wortmeldung soll vom Kollektiv gehört und bewertet werden. Also bitte: Wer will als nächstes sprechen?", wirft ein ranghoher Vorsteher ein.
Ein älterer Mann mit graumelierten Haaren steht auf und richtet sich an die versammelte Gemeinschaft: „Natürlich verstehe ich die unmittelbar große Gefahr, die von dieser Entdeckung ausgeht. Dennoch kann ich es nicht gutheißen, dass wir ein geschätztes Mitglied unserer Wirtschafts-Elite, wenn auch nicht Mitglied des PAWS, auf eine solch grausame Art und Weise aus der Welt schaffen. Ich würde Diplomatie dem Krieg vorziehen. Es gibt doch sicher noch andere Mittel und Wege …"
Einige Anwesende stimmen diesem Votum lautstark zu, andere schütteln vehement den Kopf. Es herrscht eine starke Uneinigkeit unter den Entscheidungsträgern.
Die Lager sind tief gespalten …
„Mit diesem Mann kann man nicht verhandeln, nicht, wenn es um dieses Thema geht. Er ist so von seinen starren, moralischen Ideologien überzeugt, dass Nichts ihn umstimmen könnte …", wirft ein weiterer Mann ein.
„Das wichtigste Detail übersehen wir wohl alle, meine geschätzten Herren. Sollten diese Beweise, diese schändlichen Informationen, jemals den Weg an die Öffentlichkeit finden, wäre dies das definitive Aus für unsere Gruppierung sowie ein schwerer, wenn nicht sogar tödlicher Stoß in das Herz unseres Politsystems. Wir können und dürfen nicht riskieren, dass unser geliebtes Land seine Beständigkeit verliert, nur wegen eines unbelehrbaren Saboteurs … Hier zählt das große Ganze mehr als ein einziger unkooperativer Querdenker und Aufwiegler", wirft der Vorsitzende mit bestimmter Stimme ein.
Grummeln in der Gemeinschaft.
Die harzigen Verhandlungen, mit teils ausufernden Wortmeldungen, ziehen sich bis spät in die Nacht hinein. Vor- und Nachteile werden gegeneinander aufgewogen, denn dies ist die bislang schwerste und wichtigste Entscheidung, die das PAWS-Kollektiv jemals treffen musste. Es geht um die Zukunft der Vereinigten Staaten, aber vor allem geht es um die Köpfe der PAWS-Delegierten.
„Ich denke, dass wir nun alle Wortmeldungen gehört haben. Lassen Sie uns nun abstimmen … Wer dafür ist, dass wir diese Gefahr eindämmen, der hebt jetzt die Hand", schreitet der Vorsitzende zur Wahl.
Unzählige Hände gehen nach oben. Der Stimmzähler zählt die erhobenen Hände und notiert die genaue Anzahl auf einem Dokument.
„Wer dagegen ist, der möge jetzt seine Hand heben, lässt der Vorsitzende verlauten. Erneut werden die Anzahl Voten gezählt und das Ergebnis auf einem Papier notiert. Der Stimmenzähler wertet das Resultat aus und zeigt dem Vorsitzenden das Dokument mit dem finalen Entscheid. Dieser nickt zufrieden und schickt den anwesenden Personen ein süffisantes Lächeln. „Die Entscheidung ist gefallen. Operation „Eindämmung
wurde mit über 60 Prozent der Stimmen angenommen. Die Demokratie hat gesiegt. Ich werde den Auftrag an den – für diese Aufgabe verpflichteten – Planungsverantwortlichen weiterleiten. Ich danke Ihnen, geschätzte Vorsteher, dass Sie heute hierhergekommen sind, um über dieses äußerst dringliche Problem zu entscheiden", richtet sich der Vorsitzende ein letztes Mal an das versammelte Wirtschaftskollektiv.
Es ist schon sehr spät. Der Morgen dämmert bereits schwach am Horizont und die ausgepowerten Entscheidungsträger sind erleichtert und froh, dass sie sich nun in den beruhigenden Qualm teurer Zigarren zurückziehen können, um sich ein wohltuendes Schlückchen Hochprozentiges zu gönnen. Jetzt beginnt der gesellschaftliche Teil des Abends, beziehungsweise des Morgens. Jetzt können neue Pakte geschlossen, Verträge unterzeichnet und Kontakte geknüpft werden … Entspanntes Gelächter dringt aus den ehrwürdigen Räumen, wo vorhin so lautstark über das Leben eines Menschen debattiert wurde.
--- ein Tag später ---
Dem gefangenen Mann ist eine schwarze Kapuze über das Gesicht gezogen worden, um ihn weiter zu verängstigen und in vollkommene Dunkelheit zu hüllen. Der brutale Entführer ist ein Profi, was grausame Folter und unvorstellbare Qualen anbelangt. Doch sein Gegenüber – ein Mann Mitte Vierzig mit dunklen Haaren – lässt sich davon nur wenig beeindrucken. Er will partout nicht mit der Sprache rausrücken, wo er dieses Beweismaterial versteckt hat. Der Ausführungsbeauftragte hat ihn bereits mit glühend heißen Eisenstangen und scharfen Messern bearbeitet.
Nichts.
Der nächste Schritt in der Informationsbeschaffung steht an.
„Bitte sag mir endlich, wo wir dieses Beweismaterial finden", sagt der Entführer, beinahe flehend, bevor er eine Zange aus seinem Folterkasten nimmt. Dann zieht er dem Gefangenen die Kapuze vom Kopf. Erschrockene Augen starren ihn flehend an. Der Entführer lässt sich davon aber nicht beeindrucken.
Auftrag ist schließlich Auftrag.
Dieser Mann, der geknebelt und gefesselt vor ihm sitzt, wird kein Morgen mehr erleben, das ist sicher. Sein einst so gepflegtes, markantes Gesicht hat sich verändert. Großflächige Blutergüsse, aufgeplatzte Haut, Abschürfungen und jede Menge getrocknetes Blut zieren nun das Antlitz des mächtigen Mannes. Aber bevor ihn der Entführer von seinen Qualen erlösen wird, muss er wissen, wo die Informationen und Beweise versteckt sind, um dies seinem Auftraggeber mitzuteilen. Er zeigt dem gefangenen Mann die spitze Zange und setzt sie sogleich an seinen rechten Zeigefingernagel an.
„Letzte Chance", haucht er.
Der Gefangene schüttelt den Kopf. Er hat seine Entscheidung getroffen. Mit einem heftigen Ruck reißt der Ausführungsbeauftragte den ersten Fingernagel vom Nagelbett.
Der Gefangene schreit und keucht in den Stofffetzen, der ihm das Sprechen verunmöglicht. Tränen fließen über sein Gesicht. Er windet sich auf dem Stuhl und zittert vor Schmerz. Unentwegt versucht er sich zu befreien, sich loszureißen! Immer wieder wird der Mann kurz bewusstlos, bevor er den nächsten, verzweifelten Schrei in den Stofflappen entlässt. Die nagellose Fingerkuppe sieht zerfetzt aus und blutet unaufhörlich und stark.
„Neuer Versuch", sagt der Beauftragte, bevor er mit der Zange nach dem nächsten Fingernagel greift.
Die braunen Augen des Opfers verraten es: Dieser Mann wird ihm Nichts offenbaren, das wird dem Entführer immer klarer. Beinahe gleichgültig zuckt er mit der Schulter und reißt den Mittelfingernagel heraus. Der Ausführungsbeauftragte ist ein Profi. Er zuckt nicht einmal mit der Wimper, wenn seine Opfer toben und schreien. Ganz im Gegenteil: Das dumpfe Gejaule des Mannes – sein schmerzerfülltes Gesicht – spornen den Beauftragten zu neuen Ideen an. Er wird den unbezwingbaren Willen dieses Mannes brechen, koste es, was es wolle … Für ihn ist das beinahe wie ein Spiel. Ein krankes, perfides Spiel, das zu seinem Lebensmittelpunkt, seiner Berufung geworden ist.
Am Boden liegen die beiden blutigen Fingernägel, die von frechen Nagern bereits in ihre Verstecke gezerrt werden. Der Folterknecht legt die rostige Zange zur Seite und taucht einen Stofflappen in kaltes Wasser, sodass er klatschnass ist. Dann legt er diesen vollgesogenen Lappen auf das Gesicht des Gefangenen und drückt fest zu.
Bange Sekunden beginnen.
Der Entführer weiß genau, dass der Gefangene jetzt Höllenqualen leidet. Er bekommt zwar Luft, aber zu wenig, um den Organismus am Leben zu erhalten. Zudem dringt Wasser in die Luftröhre ein, was den unerbittlichen Todeskampf nochmals massiv anheizt. Der Gefangene zappelt auf seinem Hocker, versucht sich vom tropfendnassen Lappen zu befreien.
Er keucht und stöhnt.
Diese Foltermethode lernte der Entführer einst am eigenen Leib kennen, als er sich in Gefangenschaft befand. Der Todeskampf kann beinahe ins Unendliche verlängert werden und die Gefangenen müssen Ängste durchstehen, die unvorstellbar grausam sind. Tagelang können die Opfer immer wieder an den Rand des Todes geführt und später wieder zurückgeholt werden.
Das bricht sogar den stärksten Mann.
Einige Sekunden später entfernt der Entführer den Lappen und hört sich an, wie der Gefangene panisch Luft in seinen ausgehungerten Körper zieht, um seine Lungen zu füllen und dem Organismus sein lebensnotwendiges Elixier zu verabreichen. Lange kann sich der Mann jedoch nicht erholen, denn erneut wird ihm das nasse Tuch aufs Gesicht gedrückt.
Der Todeskampf beginnt erneut.
„Gib endlich auf und sag mir, was ich wissen muss. Wo hast du diese Fotografien, Beweisdokumente und Tonaufnahmen? Wo?!", schreit der Entführer, während der Gefangene wiederum um sein Überleben kämpfen muss.
Lange, bange Sekunden vergehen. Der geknebelte Mann wird immer ruhiger auf seinem Stuhl, als das Leben langsam aus seinem Körper weicht. Seine Zuckungen werden weniger, seine Atmung reduzierter.
Es wird ruhig auf dem Stuhl.
Der Kidnapper hat den Mann in eine verlassene Lagerhalle außerhalb New Yorks gebracht. Hier hört niemand die Schreie und das Flehen dieses Mannes. Hier kann er mit ihm machen, was nötig ist, um an die Informationen zu kommen. Die Lagerhalle zeugt von früheren Folterungen, die der Ausführungsbeauftragte durchgeführt hat, um seinen Auftraggebern dringend benötigte Informationen zu beschaffen. Rund um den Holzstuhl – auf dem der Gefangene sitzt – verschmiert frisches Blut den Boden. Ratten, Mäuse und sonstige Schädlinge tummeln sich in Scharen in dieser alten Lagerhalle und laben sich genüsslich an den herunterfallenden Fleischstücken und heruntertropfenden Körpersäften …
Bevor der Gefangene sein letztes Fünkchen Leben aushaucht, wird der nasse Lappen wieder von seinem Gesicht gezogen. Einige Sekunden passiert nichts, der Mann scheint tot. Er rührt sich nicht und atmet auch nicht. Er sieht friedlich aus.
Schlafend.
Doch plötzlich reißt er seine Augen auf und zieht wiederum panisch Luft in seine Lungen. Da er nur durch die Nase einatmen kann, verlängert sich sein Kampf nochmals um einige Sekunden. Wasser vermengt mit dunkelrotem Blut und grünlichem Schleim drängt sich aus seinen aufgeblähten Nasenlöchern. Jetzt nimmt ihm der Entführer den Knebel aus dem Mund.
„Komm schon, Trent. Wenn du nicht damit rausrückst, dann holen wir uns deinen Sohn. Willst du zusehen, wie ich mit ihm das Gleiche mache, wie mit dir? Würde dir das gefallen?, droht der Entführer. Mit einem Seufzen fährt er fort: „Die Zange, die Prügel, die glühenden Eisenstäbe, das Ersticken? Willst du das deinem Sohnemann zumuten?
Die Augen des Gefangenen weiten sich vor Entsetzen. Er schüttelt panisch den Kopf, während er verzweifelt versucht, seine Sprache zu finden …
„Sie verdammtes Schwein. Lassen Sie meinen Sohn da raus! Er hat doch gar nichts damit zu tun. Ich sage Ihnen, was Sie wissen müssen, aber lassen Sie meinen Sohn in Ruhe!", fleht er noch immer keuchend und mit rotem Gesicht.
Endlich hat der Entführer den wunden Punkt des Gefangenen gefunden. Alle Folter konnte den Mann nicht brechen, aber die bloße Drohung gegen seinen Sohn zeigt die gewünschte Wirkung.
„Wo. Sind. Die. Infos?, schreit der Entführer dem Gefangenen ins Ohr. „Du hast jetzt genau zehn Sekunden Zeit oder ich hole mir deinen geliebten Sohn. Hast du verstanden? Zehn. Neun. Ach...
„Also gut. Ich sage Ihnen, was Sie wissen müssen, nur tun Sie meinem Sohn nichts! Die Beweise befinden sich auf einem USB-Stick, der die Form und Erscheinung einer Goldmünze hat. Diese Münze befindet sich im Besitz meines Anwalts", bricht es aus dem Gefangenen raus.
Der Entführer setzt ein hämisches Lächeln auf. Endlich ist es vollbracht.
„Gibt es Kopien?", will er wissen.
Der Gefangene schüttelt heftig den Kopf. „Nein. Es gibt keine Kopien. Bitte: Lassen Sie meinen Sohn in Ruhe!", fleht er.
„Wie heißt dein Anwalt?", will der Entführer wissen.
„Gustav H. Nobel, presst der Gefangene gequält hervor. „Er ist aber momentan im Ausland und kommt erst in ein paar Tagen zurück
, ergänzt er rasch.
„Vielen Dank. Das war doch gar nicht so schwer, oder?", will der Entführer wissen, bevor er beginnt, einen rauen Strick zu einer Schlinge zu flechten.
Seelenruhig.
Dann schwingt er den Strick über eine rostende Metallverstrebung im Dachgebälk. Der leidende Gefangene sieht zu, wie über ihm diese grausame Todesapparatur aufgebaut wird, die ihm in Kürze das Leben rauben wird. Er schreit, windet und zappelt nicht mehr. Er sitzt einfach nur da und beobachtet, wie der Ausführungsbeauftragte seine Arbeit – mit kaltblütigem Kalkül – erledigt.
„So wird dich dein Sohn vorfinden. Aufgehängt, gefoltert und vor allem: Tot! Was er wohl sagen wird?", will der Entführer mit einem dreckigen Grinsen wissen.
Der Gefangene geht darauf nicht mehr ein, schüttelt nur den Kopf und sieht den Henker mit einem flehenden Blick an. Er fleht nicht um sein eigenes Leben, denn das ist bereits vorbei. Nein, er fleht um das Dasein seines einzigen Sohnes. Er scheint zu wissen, wie dieser den Tod seines Vaters aufnehmen wird und das versetzt ihm einen tiefen Stich mitten ins Herz.
„Dieser Anblick wird ihn zerstören und du weißt es! Das wird ein Spaß", hüstelt der Beauftragte beinahe erregt.
Trents Mundwinkel zucken vor Wut. Er sammelt Speichel und spuckt dem über ihn gebeugten Entführer mitten ins Gesicht. Dieser weicht angeekelt zurück und wischt sich mit der Hand übers Auge. Davon lässt er sich nicht lange beeindrucken, sondern bastelt weiter an seinem Strick. Als die Schlinge um den Hals des Gefangenen gelegt wird und sich an seiner Kehle zuzieht, weiß dieser, dass es nun nicht mehr lange gehen wird, bis er von dieser Welt scheidet. Er weiß, wie er sterben wird und steht seinem nahen Schicksal mit erhobenem Haupt gegenüber.
„Los. Steh auf und stell dich auf den Stuhl, Trent", fordert der Entführer.
Als die Fesseln gelöst werden, tut der Gefangene genau das, was ihm befohlen wurde. Er steigt auf den Holzstuhl und überblickt diese traurige Wahrheit, die sein Ende bedeutet. Er denkt an seine verstorbene Frau und an seinen einzigen Sohn. Er denkt an die schönen Momente, die er mit seinen beiden Lieben verlebt hat und wie sehr er die gemeinsame Zeit genossen hat.
„Ich liebe dich, Xaver!", sagt der Gefangene leise, bevor der Stuhl weggezogen wird und er in die Tiefe fällt. Der raue Strick zieht sich immer fester an seinem Hals zusammen und schnürt ihm die Luftzufuhr ab. Verzweifelt keuchend, schnappt er nach Luft.
Ohne Erfolg.
Sein letzter Kampf wird bald zu Ende sein … Er blickt ein letztes Mal in das kalte Gesicht seines Entführers und mustert dessen seelenlose Augen, die kein Leben, keine Freude und keine Liebe ausstrahlen. Inständig hofft er, dass sein Sohn überleben wird und sein Glück, seine Bestimmung, finden kann. Das ist sein einziger Wunsch, sein einziger Daseinszweck.
Der Gefangene wird ruhig.
Das letzte Fünkchen Leben entweicht aus seinem geschändeten Körper …
Tod.
Der Ausführungsbeauftragte sieht belustigt zu, wie Trent seinen letzten Atemzug tut, um dann sein Handy hervorzuholen und eine Nachricht zu verfassen.
„Auftrag ausgeführt. Zielperson tot. Daten befinden sich auf einem USB-Stick, der sich im Besitz des Familienanwalts befindet. Zugriff in ein paar Tagen", liest der Vorsitzende die Nachricht auf seinem Smartphone.
„Gut. Endlich ein Lichtblick", entfährt es dem Mann. Er liest die Nachricht erneut, bevor er sich entspannt zurücklehnt und aus dem Fenster blickt. Um den PAWS zu schützen, würde der Vorsitzende alles tun. Was er nun auch bewiesen hat. Trent war ihm ein guter Freund, ein Vertrauter gewesen. Aber: Er kam dem PAWS zu nahe, wollte den Pakt aufdecken und bloßstellen. Dafür musste er mit seinem Leben bezahlen.
Sein Tod war ein notwendiges Übel.
Der Vorsitzende wird keine Maßnahmen scheuen, um diese Krise in den Griff zu bekommen. PAWS kommuniziert über ein verschlüsseltes Mail- und Benachrichtigungsprogramm, auf das nur auserwählte Personen Zugriff haben. Die Aufträge vergibt der Vorsitzende anonym über diese Plattform und so hat er auch den jungen, aufstrebenden Mann für diese heikle Aufgabe verpflichtet. Er setzt alle Hoffnung in diesen Typen und hofft, dass er nicht enttäuscht wird. In das Mitteilungssystem tippt der Vorsitzende nun den folgenden Text: Lösen Sie das Problem. Nehmen Sie keine Rücksicht auf Verluste …
Kapitel eins
Ich befinde mich in einem gelähmten, versteinerten Zustand. Ich fühle mich verloren, sinke in ein unendlich tiefes, wage verschwommenes Loch voller Nichts. Eine triste Einöde, die mich, so scheint es, nie wieder loslassen will. Wie ein Greifvogel, der seine Beute durch luftige Höhen zum heimischen Nest führt, wo die Jungen bereits gierig auf das nahende Festmahl warten. Nie entwischt das Beutetier den scharfen Krallen des Raubvogels. So fühle ich mich in dieser unendlichen Leere, die mich fest in ihren Fängen hält und immer tiefer ins Dunkel ziehen will.
Ich bin traurig.
Betrübt.
Untröstlich.
Ich stehe auf einem kargen Podium vor der anwesenden Trauergesellschaft, deren Mitglieder mich mit einem mitleidigen Blick mustern. Diese Menschen spenden mir – in diesem Moment – nur wenig Trost. Ich starre in ihre gespielt leeren und traurigen Gesichter und die kalten Augen, die mich fixiert anpeilen, durch mich hindurch sehen und mich damit auffordern, meine unterbrochene Rede fortzusetzen. In diesem Augenblick steht meine Cousine, Zoé, auf und kommt auf mich zu. Sie stellt sich vor das Podium, blickt mich mit echtem Mitleid an und wispert leise:
„Xavi? Möchtest du deine Rede abbrechen? Es gibt sicher noch andere Menschen, die heute Erinnerungen an deinen Vater teilen möchten? Es ist kein Problem, wenn du pausieren möchtest …"
Ich sehe sie liebevoll und dankbar an.
Sie war mir schon immer die liebste Cousine. Sie hat nur einen Monat nach mir Geburtstag. Mangels eigener Geschwister sind wir quasi zusammen aufgewachsen und stehen uns so nahe wie Schwester und Bruder. Sie hat hellbraune, lockige Haare, die sie zu einem geschmackvollen Geflecht hochgesteckt hat. Sie ist dezent geschminkt und stiehlt mit ihrem schwarzen, paillettenbesetzten, engen Kleid allen anderen Damen die Show. Ich blicke sie mit gesenktem Blick an und schüttle den Kopf. Ich fasse neuen Mut, richte mich auf und adressiere die wartende Gesellschaft erneut:
„Bitte entschuldigen Sie meinen … Aussetzer. Mein Vater war ein bemerkenswerter, außergewöhnlicher Mann voller Überraschungen. Sein Wesen war liebenswert und aufopfernd. Zudem war er ein erfolgreicher, geschätzter sowie gewiefter Geschäftsmann, der es verstand, seine Verhandlungspartner – ab und an – über den Tisch zu ziehen."
Ich blicke schelmisch in die Gesellschaft und einige Mundwinkel neigen nach oben. Ich senke meinen Blick auf meine vorgeschriebenen Notizzettel und fahre fort: „Er war der beste Vater, den man sich als Junge, als Einzelkind, wünschen kann. Er hat unsere Familie geformt und mich selbst weit vorangebracht. Als meine Mutter Melinda, leider viel zu früh, verstarb, wuchsen wir noch viel näher zusammen. Er war mein Vater, ein starker Fels in der Brandung, mein Quell der Inspiration und des schier unendlichen Wissens. Nun ist er tot. Gefoltert, verstümmelt, aufgehängt. Was für Menschen tun so etwas? Was für Menschen nehmen einem Sohn seinen Vater, seinen letzten Elternteil? Wieso musste er auf so grausame Art und Weise sterben? Fragen über Fragen, auf die ich keine plausible Antwort weiß. Wie könnte ich auch? Es liegt mir fern zu erahnen, was in den kranken Köpfen solcher Schlächter vorgehen mag."
Ich senke den Blick und wische mir eine Träne von der Wange.
Nachdem ich mich wieder gesammelt habe, fahre ich fort: „Ich möchte mich bei Ihnen allen für Ihr zahlreiches Erscheinen bedanken. Es ehrt meinen verstorbenen Vater und die Familie McJohnson, dass Sie heute hierhergekommen sind, um ihn bei seiner finalen Reise zu begleiten … Seien Sie versichert, dass ich Ihre Anwesenheit sehr zu schätzen weiß. Es erfüllt mich mit unsagbarem Stolz zu sehen, dass so viele wohlverdiente Politiker und einflussreiche Persönlichkeiten zum Bekanntenkreis meines Vaters zählen, wie viele Menschen er während seines Lebens angesprochen und emotional berührt hat. Das macht mich wirklich unheimlich stolz. Viele von Ihnen kenne ich schon mein ganzes Leben lang und hoffe, dass wir diese Bekanntschaften noch viele weitere Jahre pflegen und aufrechterhalten können."
Ich räuspere mich kurz, rücke meine schwarze Krawatte zurecht, blicke erneut in die Menge und beende meine vorbereitete Rede: „Ich glaube fest daran, dass mein Vater nun an einem besseren Ort ist. An einem Ort, wo er keine Schmerzen mehr haben muss, sondern fröhlich, frei und gelöst sein kann. Das wünsche ich mir für ihn … Ich bin sicher, dass es noch andere unter Ihnen gibt, die gerne einige Worte über meinen Vater verlieren möchten. Sie erhalten nun die Gelegenheit dazu. Vielen Dank für Ihre Anteilnahme." Ich trete vom erhöhten Podium weg, bahne mir meinen Weg in die erste Reihe und warte gebannte Minuten, bis sich der nächste mutige Redner traut, nach vorne auf die Bühne zu treten.
Die Kirche wird in betrübtes Schweigen gehüllt.
Ab und an ein peinlich berührtes Hüsteln oder leises Räuspern. Es geht nicht lange, da steht der Bürgermeister von New York auf und steuert durch die ehrwürdigen Hallen der St. Patricks Kathedrale –