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Wenn ich dich brauche, um mich selbst zu lieben: Narzisstische und co-abhängige Beziehungsmuster lösen
Wenn ich dich brauche, um mich selbst zu lieben: Narzisstische und co-abhängige Beziehungsmuster lösen
Wenn ich dich brauche, um mich selbst zu lieben: Narzisstische und co-abhängige Beziehungsmuster lösen
eBook271 Seiten9 Stunden

Wenn ich dich brauche, um mich selbst zu lieben: Narzisstische und co-abhängige Beziehungsmuster lösen

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Über dieses E-Book

Viele Menschen fühlen sich in ihren Beziehungen nicht lebendig. Eifersucht, Gefühlsausbrüche und Angst vor Intimität bedingen Frust, Trennungen und das Bedürfnis, den Partner auf Abstand zu halten.

Dieses Buch ergründet die Ursachen und zeigt Lösungen auf, mit denen Betroffene sich selbst von emotionalen Abhängigkeiten befreien können. Wer in der Partnerschaft feststellt, dass zunehmende Verbindlichkeit Fluchtreflexe auslöst und zeitweilige Abwesenheit Verlustangst erzeugt, sollte dieses Buch lesen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum23. Aug. 2023
ISBN9783384007476
Wenn ich dich brauche, um mich selbst zu lieben: Narzisstische und co-abhängige Beziehungsmuster lösen
Autor

Kati Körner

Seit 2004 begleite ich als ganzheitliche Heilpraktikerin Patienten bei der Lösung ihrer körperlichen und seelischen Probleme. Meine eigentliche Berufung hat sich dabei im Laufe der Zeit herauskristallisiert. Die Therapie von unsicheren Bindungsmustern ist mir immer mehr zur Herzensangelegenheit geworden. Entwicklungs- und Bindungstraumata manifestieren sich in Bindungsangst, Verlustangst, stark ausgeprägten Ambivalenzen im Beziehungskontext, in Coabhängigkeiten, in emotionaler Instabilität, narzisstischen Tendenzen und verschiedensten Formen von Suchtverhalten. Warum ich das als meine Berufung sehe möchte ich gern mit dir teilen. Es wird dir sicher Mut machen.

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    Buchvorschau

    Wenn ich dich brauche, um mich selbst zu lieben - Kati Körner

    KAPITEL 1

    EINFÜHRUNG

    »Schatz? Wo bist du?«

    Linda werden die täglichen Kontrollanrufe ihres Freundes zu viel. Am Anfang der Beziehung war alles fein, aber nach ein paar Monaten fing Elias an, sie ständig zu kontaktieren. Sie kann förmlich darauf warten, dass er sie anruft, wenn sie nicht ganz pünktlich ist und sich um ein paar wenige Minuten verspätet.

    Darauf angesprochen beteuert er, dass er sich nur Sorgen um ihre Sicherheit mache. Aber mit der Zeit wird ihr klar, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Sie spürt, dass Ängste hinter Elias’ Anrufen stecken. Er macht sich nicht primär Sorgen um sie, sondern kämpft mit seinen inneren Dämonen, die ihm einflüstern, dass Linda Geheimnisse vor ihm hat, sich vielleicht mit anderen Männern trifft oder ihn auf andere Weise hintergeht. Sie bemerkt, dass er sie oft aus den Augenwinkeln beobachtet, wenn sie gerade eine Nachricht auf ihrem Handy empfängt.

    In einer anders gelagerten unangenehmen Situation befindet sich Matthias, der von seiner Freundin Alina dazu angehalten wird, »an sich zu arbeiten«. Am Anfang ihrer Beziehung hat sie ihn total angehimmelt. Jetzt fühlt er sich in ihrer Nähe zunehmend unwohl, weil er immer öfter den Eindruck hat, in ihren Augen ein Versager zu sein. Sie scheint sich massiv verändert zu haben.

    Das Leben mit ihr wird jedenfalls anstrengend, weil er diese stetig wachsende Unzufriedenheit spürt. Inzwischen ist es schon so, dass er Erleichterung verspürt, wenn sie nicht da ist.

    »Man sollte sein Leben doch nicht mit Pizza und Bier auf der Couch verbringen«, rechtfertigt Alina ihre Nörgelei. Bei genauerem Hinschauen ist zu erkennen, dass sie der Fokus auf die Mängel ihres Partners emotional stabilisiert. Sie schützt sich auf diese Weise vor ihrer inneren Leere, weil sie so hart und perfektionistisch im Umgang mit sich selbst ist. Das, was sie sich untersagt, wird ihr auf unerträgliche Weise von Matthias immer wieder vor Augen gehalten.

    Auch Bruno und Verena befinden sich seit Jahren in einem Spannungsfeld, in dem sie sich vom anderen nicht gesehen und gehört fühlen. Sie tragen ihren emotionalen Schmerz an der Oberfläche aus, brechen oft einen Streit über Kleinigkeiten vom Zaun und knallen sich Vorwürfe und Unterstellungen an den Kopf. Sie schaffen es einfach nicht, sich gegenseitig Raum zu geben und zuzuhören, die Gefühle des anderen zunächst mal zu validieren, ihre wahren Beweggründe zu zeigen und nach gemeinsamen Lösungen zu suchen.

    Auch wenn diese drei Situationen so wirken, als hätten sie nichts miteinander zu tun, könnten sie sich ›unter der Haube‹ nicht ähnlicher sein. In intimen Beziehungen neigen wir in der ersten Phase des Kennenlernens dazu, unser Gegenüber zu idealisieren, doch sobald Verbindlichkeit und Nähe zunehmen, werden verdrängte kindliche Verletzungen, dysfunktionale Bindungsmuster, emotionale Flashbacks und Traumata aktiviert: In den obigen Beispielen haben alle Protagonisten Angst davor, sich ihrem Partner authentisch zu zeigen. Sie sind in sich selbst unsicher und machen ihr momentanes Befinden davon abhängig, wie sich ihr Gegenüber gerade verhält.

    Es ist nicht der Partner, sondern die Nähe einer intimen Beziehung, die sie schwer tolerieren. Ihr tief sitzender Glaube, nicht zu genügen, ist es, der ihnen schlechte Gefühle macht. Und um den tatsächlichen Ursachen – der Angst, erkannt zu werden und sich selbst oder den Partner zu verlieren – nicht begegnen zu müssen, haben sie verschiedene Schutzstrategien entwickelt. Wahrscheinlich sind sie ihnen noch nicht bewusst. Sie ahnen nicht, dass sie unverarbeitete schmerzhafte Erfahrungen in sich tragen, die sich wie ein Schleier über ihre Wahrnehmung der Realität legen. In diesem Buch wirst du mehr darüber erfahren, wie diese Schleier entstehen, wie sie sich konkret äußern und wie du sie wieder loswerden kannst, um dein Gegenüber klar zu sehen.

    Neben der Betrachtung unsicherer Bindungsstile werfen wir einen Blick auf zwei destruktive Beziehungsstrategien, die aus ihnen erwachsen können und häufig vorkommen: Narzissmus und Co-Abhängigkeit. Die medialen klischeehaften Bilder von Gut und Böse unterschlagen oft, dass dem Narzissmus und der Co-Abhängigkeit, wie allen dysfunktionalen Beziehungsstrategien, unsichere Bindungsmuster zugrunde liegen, die die Folge anhaltender Frustration kindlicher Grundbedürfnisse und unverarbeiteter schmerzhafter Erfahrungen sind.

    Egal ob wir ein Verhalten als pathologisch (krankhaft) einordnen oder nicht – ein Mensch mit stark narzisstischen Schutzstrategien braucht ein Gegenüber, an dem er sie ausleben kann, und im Grunde macht ihn das selbst zutiefst co-abhängig. Er ist auf Gedeih und Verderb auf einen in seinen Grenzen schwachen Partner angewiesen, der bereit ist, mit ihm zu verschmelzen, und sich von ihm vereinnahmen zu lassen. Umgekehrt ist ein unterlegener co-abhängiger Partner gezwungen, auf manipulative (egozentrisch narzisstische) Weise für seine Bedürfnisbefriedigung zu sorgen.

    Und genau darin liegt die Tragik dieser häufig anzutreffenden Beziehungskonstellation: Zwei Menschen, die ihre kindlich egozentrische Weltsicht nicht ablegen konnten und im negativen Sinne wie Schlüssel und Schloss zusammenpassen, ›unterstützen‹ sich unbewusst gegenseitig dabei, ihre langfristig zerstörerischen Beziehungsmuster auszuleben.

    KAPITEL 2

    UNSICHERE BINDUNGSSTILE UND BEZIEHUNGSSTRATEGIEN

    In diesem Kapitel beleuchten wir nicht nur die drei unsicheren Bindungsstile, sondern auch ein paar besonders destruktive Beziehungsstrategien, die daraus erwachsen können.

    Ins Thema einsteigen möchte ich mit der Beobachtung eines interessanten Phänomens: Nicht wenige Frauen machen beim Dating die frustrierende Erfahrung, dass sie immer wieder nur mit zwei Männer-Typen in Resonanz gehen: Sie treffen auf der einen Seite wiederholt auf die geheimnisvollen, maskulin wirkenden, aber emotional nicht erreichbaren ›Mistkerle‹ (Typ 1), und auf der anderen auf die netten zugewandten Männer mit ›Kumpel-Potenzial‹ (Typ 2). So sieht ihre subjektiv erlebte Dating-Realität aus.

    Der Typ-1-Mann scheint männlich genug zu sein, um Frauen auf charmante Weise zu erobern, doch das Glück hält nicht lange an. Sobald die Beziehung verbindlicher wird, sieht er sich dazu gezwungen, seine Eroberung vom Podest zu holen, dich durch manipulatives Verhalten zu dominieren und im Machtgefälle nach unten zu zwingen. Nur so kann er seine verdrängten Ängste in Schach halten.

    Der Typ-2-Mann braucht den Rausch der verliebten Idealisierung und Eroberung nicht. Er bemüht sich stetig und ernsthaft darum, den Menschen hinter der Frau besser kennenzulernen. Er zeigt sein Interesse mit Ausdauer und Zuverlässigkeit, er kann gut zuhören und ist einfühlsam, auf dem Papier ein wahrer Traum. Praktisch scheint ihm dennoch etwas zu fehlen, denn du fühlst dich zu ihm nicht romantisch hingezogen, sodass er doch nur in der Sparte ›allerbester Freund‹ landen kann. Diesem Typ ist oft gar nicht bewusst, dass ihm der Zugang zu seinen angeborenen männlichen Attributen verloren gegangen ist.

     Anziehung entsteht durch Polarität. Du kannst nicht steuern, was attraktiv auf dich wirkt.

    Frauen, die nur diese zwei Typen Männer zu Gesicht bekommen, geben nur scheinbar zuwider jeder Logik Männern mit ausgeprägt narzisstischen Mustern den Vorrang vor den gefühlvollen, verlässlichen Geschlechtsgenossen. Aber dass du beim Dating nur diese zwei Typen triffst, das ist kein Zufall. Es hat etwas mit dir und deinen unbewussten Konditionierungen zu tun.

    Wir dürfen also zunächst mal einer bitteren Tatsache ins Auge schauen: Narzissmus wird nicht nur im gesellschaftlichen Kontext, sondern auch in unseren privaten Beziehungen, zumindest kurzfristig, belohnt. Später werden wir genauer betrachten, wie wir das ändern können.

    Wenn du die Entscheidung darüber, wer auf dich als Partner anziehend und attraktiv wirkt, nicht bewusst fällst, wer tut es dann? Neben der Polarität zwischen typisch männlichen und weiblichen Attributen gibt es einen weiteren Schlüssel der Anziehung, den deiner unbewussten Schatten. Das sind die Aspekte deiner Persönlichkeit, die du aus einstmals guten Gründen in einer Zeit, in der du von anderen Menschen noch existenziell abhängig warst, unterdrückt, verdrängt oder abgespalten hast.

    Einem emotional reifen maskulinen Mann, für den Augenhöhe in einer Beziehung selbstverständlich ist, begegnest du erst, wenn du in dir selbst ruhen kannst und nicht mehr bedürftig bist. Wenn du dich deinen Ängsten gestellt hast, löst sich dein Bedürfnis auf, von einem Mann etwas zu fordern, was er nicht bereit ist, zu geben. Du lernst, Liebe zu empfangen, weil du dich ihrer wert fühlst, und glaubst nicht mehr, um die Erfüllung deiner Wünsche und Bedürfnisse durch Kontrolle und Manipulation kämpfen zu müssen.

     Wenn eine Frau ihre Ängste im Beziehungskontext löst und durch die Integration ihrer bisher vernachlässigten, verletzlichen Aspekte bindungssicher wird, findet sie ihre Weiblichkeit wieder.

    Nicht nur bedürftige Kontrolle, sondern auch emanzipierte Pseudo-Stärke ist für einen Mann mit sicheren Bindungsmustern unattraktiv, denn sie äußert sich direkt oder subtil in Verbitterung, Härte, Intoleranz und Arroganz allem Männlichen gegenüber. Welchen Typ Mann zieht eine betont unabhängige, erfolgreiche Karriere-Frau stattdessen an? Sie wird zum Magnet für in sich selbst verunsicherte, entscheidungsschwache Männer mit einer tiefen Mutterwunde, die in einer Partnerin unbewusst die bedingungslos liebende Mutter suchen, die sie nie hatten. Für sie waren mütterliche Fürsorge und Liebe an konkrete Bedingungen geknüpft.

    Der verdrängte, verletzliche Anteil einer unabhängigen KarriereFrau sehnt sich oft nach einem Mann, der ihr den Schutz und die Sicherheit bietet, die sie sich von ihrem Vater gewünscht, aber nicht bekommen hat. Solange ihr das nicht bewusst ist, wird sie emotional unreife Männer anziehen und nach einer kurzen euphorischen Verliebtheit krasse Enttäuschungen erleben: Ihr lang ersehnter scheinbarer Retter wird sich als Mann entpuppen, der glaubt, in ihr die Frau gefunden zu haben, die ihm endlich die bedingungslose Zuwendung entgegenbringen wird, die ihm seine Mutter verwehrt hat.

    Er übersieht, dass er sich in eine ›Maske‹, den Schutz-Aspekt namens ›starke, unabhängige Frau‹, verliebt hat, nicht in den verletzlichen Schatten-Aspekt, der so sehnlichst in starke Arme genommen und gerettet werden will.

    Das Resultat: Beide fühlen sich vom Gegenüber hinters Licht geführt. Dabei fand kein vorsätzlicher Betrug statt, sie erkennen nur nicht, dass es für eine Beziehung, in der sich zwei bindungstraumatisierte Menschen begegnen, selten ein Happy End gibt, weil sie Schatten-Aspekte in sich tragen, die Bedürfnisse haben, derer sie sich nicht gewahr sind.

    Auch der ›nette Kerl‹, der sich darüber beklagt, dass Frauen auf Machos stehen und fest daran glaubt, ohne triftigen Grund auf Ablehnung zu stoßen, würde sich seiner Lernaufgabe widersetzen: Bei ihm geht es darum, unterdrückte ur-männliche Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen, Geradlinigkeit und Kraft wiederzuentdecken, sie anzunehmen und zu integrieren.

    Dein Bindungsstil beeinflusst die Qualität deiner Beziehungen

    Die Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth hat sich in den 1970er-Jahren intensiv damit beschäftigt, wie kindliche Prägungsbedingungen langfristig unsere Bindungsfähigkeit beeinflussen. Sie entwickelte mit dem sogenannten »Strange Situation Test« ein Setting zur Erforschung kindlicher Bindungsmuster und erforschte das Verhalten von Kindern in der Interaktion mit ihren Müttern, wenn sie ungewohnten Situationen ausgesetzt waren. Die unterschiedlichen Verhaltens- und Reaktionsweisen wurden von ihr dokumentiert und ausgewertet. Nach diesem Konzept spiegeln sie die individuelle Art der Bindung des Kindes zur Mutter.

    Die Definition und Beschreibung der unsicheren Bindungsstile dient dazu, Ursachen und Zusammenhänge besser verständlich und greifbar zu machen. Letztlich ist natürlich jeder Fall einzigartig und individuell zu betrachten, denn Überschneidungen sind keine Seltenheit.

    Wenn sich intime Beziehungen wiederholt auf ähnliche Weise schwierig gestalten, lohnt es sich in Betracht zu ziehen, dass das Unterbewusstsein unter Umständen verdrängte schmerzhafte Erfahrungen in der Beziehung zu einem Elternteil in Lösung bringen will. Das tut es, indem es den Bindungsverletzten dazu bringt, sie immer wieder neu zu inszenieren. In der Fachliteratur nennt man das Wiederholungszwang (Repetition Compulsion). Er beschreibt den Versuch, die belastete Beziehung zu einer wichtigen kindlichen Bezugsperson in einer erwachsenen intimen Beziehung zu verändern und dieses Mal einen anderen, positiven Ausgang zu erzielen.

    Wenn diese Mechanismen wirken, übernimmt das kleine verletzte Kind in Situationen, die an einen alten Schmerz erinnern, für eine Weile das Steuer. Dieses verletzte innere Kind kämpft um die Erfüllung der Bedürfnisse, die ihm damals verwehrt wurden. Die romantischen Beziehungen werden auf diese Weise zum Spiegel dessen, wie sich der Bindungsverletzte als Kind von einem Elternteil angenommen, gesehen und geliebt gefühlt hat. Unterbewusst sorgt er dafür, dass seine Beziehungen dem verinnerlichten Grundkonzept von Liebe entsprechen.

    Wer aufgrund seiner Erfahrungen Liebe unbewusst mit Schmerz und unangenehmen Emotionen verknüpft, wird immer wieder Partner in sein Leben ziehen, die ihm diese stillschweigende Annahme bestätigen, oder er wird den Impuls verspüren, Dinge zu tun, die seine Beziehungen sabotieren, damit er in seiner Komfortzone bleiben kann.

    Wer sich dagegen in seinen Beziehungen rundum wohl fühlt, weil er sowohl Freiraum als auch Nähe zulassen und genießen kann, wird davon ausgehen, dass er von seinem Partner um seiner selbst willen geliebt wird. Er kann sich glücklich schätzen, weil dieser Zustand die Grundvoraussetzungen für ein erfülltes Leben und langfristige körperliche und seelische Gesundheit markiert.

    Nun hättest du, lieber Leser, dieses Buch aber wahrscheinlich nicht in die Hand genommen, wenn du dich in deinen Beziehungen pudelwohl fühlen würdest. Sei dir sicher, dass es möglich ist, die Voraussetzungen nachträglich zu schaffen.

    Dass es nichts Lohnenswerteres gibt, belegt die ACE-Studie (ACE = Adverse Childhood Experiences), in der über 17.000 Erwachsene der US-amerikanischen Bevölkerung bezüglich Traumatisierungen in der Kindheit und deren Folgewirkungen untersucht wurden. Diese Studie belegt die gravierenden gesundheitlichen Folgen kindlicher Traumata eindrucksvoll. Unsicheres Bindungsverhalten führt zu anhaltendem Beziehungsstress. Es macht nicht nur unzufrieden, sondern raubt dir dauerhaft Energie. Erlebnisse, die die Verarbeitungskapazität der kindlichen Psyche übersteigen, führen zur Verdrängung, Unterdrückung oder Abspaltung von Aspekten der Persönlichkeit. In einem solchen dissoziativen Zustand sind Wahrnehmung und Denken, Handeln und Fühlen nicht mehr kohärent. Je stärker die Ausprägung der Zersplitterung (Fragmentierung) der Psyche eines Menschen, desto problematischer gestalten sich seine zwischenmenschlichen Beziehungen und desto anspruchsvoller ist natürlich auch die Therapie.

    Bindungsstörungen und die destruktiven Beziehungsstrategien, die sie mit sich bringen, bewegen sich also auf einer Skala.

    An den äußeren Enden finden wir pathologische Zustände, die auch in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten der WHO (ICD) gelistet sind. Bisher bediente man sich in psychologischen Fachkreisen allgemein des Konzepts der Persönlichkeitsstörung (Klassifikation von Krankheiten der WHO nach ICD-10). Mit der im Januar 2022 in Kraft getretenen 11. Revision (ICD-11) kam es nun zu einem längst fälligen Paradigmenwechsel: In der elften Revision wird bestätigt, dass die unter Cluster B gelisteten psychischen Erkrankungen bei genauer Betrachtung keine Persönlichkeitsstörungen sind, denn sie manifestieren sich ausschließlich im Beziehungskontext. Der chronisch posttraumatische Charakter durch anhaltende frühkindliche körperliche beziehungsweise emotionale Vernachlässigung beziehungsweise körperlichen und/ oder emotionalen Missbrauch wird ebenfalls nicht mehr in Frage gestellt. Favorisiert wird momentan eine Art Achsenmodell, mit dem man eine einzige (chronisch posttraumatische) Grundstörung mit ihren unterschiedlichen Facetten und Merkmalen beschreibt.

     Die Symptome der bisher unter Cluster A, B und C gelisteten psychischen Störungen basieren auf unsicheren Bindungsmustern, aber nur ein kleiner Prozentsatz der Menschen mit unsicherem Bindungsverhalten entwickelt eine pathologische, schwer bis nicht therapierbare psychische Erkrankung. Unsichere Bindungsmuster bilden jedoch den idealen Nährboden dafür.

    Über die Definition eines vierten unsicheren Bindungsstils wird momentan diskutiert (Flacher Bindungsstil / Prof. Sam Vaknin). Da er aber ein Beziehungsverhalten beschreibt, das Bindung aufgrund einer stark fragmentierten Psyche nicht zulässt, ist es fraglich, ob er als Bindungsstil gelten kann. Die mit dem Wort Persönlichkeitsstörung bezeichneten destruktiven Beziehungsstrategien wurden bisher in Cluster eingeteilt:

    Cluster A (Kennzeichen: Affektarmut/Gefühlskälte/Isolation) = ›flacher Bindungsstil‹ / abweisend-vermeidendes Bindungsverhalten.

    Cluster B (Kennzeichen: Ambivalenz/Impulsivität/idealisierendes bzw. abwertendes Verhalten) = ›flacher Bindungsstil‹ / abweisendvermeidendes oder ängstlich-vermeidendes Bindungsverhalten (oft Mischformen).

    Cluster C (Kennzeichen: Trennungsangst/Gewissenhaftigkeit/hilfloses, abhängiges Verhalten) = hauptsächlich ängstlich über involviertes Bindungsverhalten.

    Dass das Bindungsverhalten nicht nur Auswirkungen auf deine Beziehungen, sondern auch auf alle anderen Lebensbereiche hat, überrascht nicht. Ich mache dazu diese Beobachtung:

    Nehmen wir in der Folge die drei unsicheren Bindungsstile unter die Lupe. Es gibt oft Mischformen, jeder Fall ist individuell zu betrachten und im Detail einzigartig. Wer sich nicht 1:1 wiederfindet, sei nicht beunruhigt; es geht um die Tendenz.

    Bindungsstil abweisend-vermeidend: wiederholte mütterliche Ablehnung

    Der abweisend-vermeidende Bindungsstil wird oft mit offenem oder verdecktem Narzissmus in Verbindung gebracht, weil es viele Ähnlichkeiten gibt. Nur die genaue Betrachtung des Einzelfalls kann darüber Klarheit bringen.

    Menschen mit einem abweisend-vermeidenden Bindungsstil fällt es schwer, sich zu reflektieren, ihre Bindungsproblematik anzuerkennen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Sie haben einen schlechten Zugang zu ihrer Gefühlswelt. Da sie gut alleine klarkommen, ist ihr Leidensdruck meist gering. Die Bereitschaft, sich mit den eigenen Traumata und Konditionierungen zu beschäftigen, würde in ihrem Fall erfordern, dass sie sich ›per Beschluss‹ und ohne echte Not den bisher sehr effektiv vermiedenen Ängsten und Gefühlen stellen. Massive Widerstände gegen jegliche Veränderung sind also zu

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