Bildung im digitalen Wandel: Soziologische Perspektiven
Von Elke Hemminger
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Buchvorschau
Bildung im digitalen Wandel - Elke Hemminger
Inhalt
Cover
Titelei
Persönliches Vorwort
1 Einführung: Von schwierigen Begriffen und falschen Vorannahmen
2 Mensch, Technik und Gesellschaft
2.1 Technik als Begriff
2.2 Technik und Gesellschaft
2.3 Technik, gesellschaftlicher Wandel und soziale Ungleichheit
2.3.1 Genome Editing im Kontext sozialer Ungleichheit
3 Bildung: Ein schillernder Begriff
3.1 Bildung als ökonomische Ressource
3.2 Der kritische Blick auf den Bildungsbegriff
3.3 Der Bildungsbegriff der Aufklärer
4 Digitalisierung, Digitalität und Digitale Transformation: Begriffsbestimmungen
4.1 Doppelte Herausforderung
4.2 Veränderte Kommunikation
4.3 Digitalisierung: Annäherung an einen systematisch undefinierten Begriff
4.4 Digitale Transformation
4.5 Kultur der Digitalität
4.6 Herausforderungen für Gesellschaft und Bildung der Zukunft
5 Lehren und Lernen im Wandel: Zukunftsperspektiven auf Bildung im Kontext von Digitalität
5.1 New Learning
5.2 Bildungstrends nach Corona
5.3 Zwingende Veränderungen für die Zukunft?
5.4 21st Century Skills
6 Medienbildung aktuell: Das Beispiel Baden-Württemberg
6.1 Mögliche Maßnahmen in Schulen und Lehrer:innenbildung
6.2 Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze für die (Lehrer:innen-)Bildung
7 Science and Technology Awareness in der Hochschulbildung
7.1 Die Herausforderung der inter- und transdisziplinären Zusammenarbeit
7.2 STA in der Praxis der Hochschullehre
8 Bildung im digitalen Wandel: Lehr- und Lernräume als Lebensräume
8.1 Mut zur Tradition: Was wir haben
8.2 Mut zur Investition: Was wir brauchen
8.3 Mut zur Innovation: Wohin wir wollen
8.4 Bildungs-Oasen als Lebens- und Erfahrungsräume in der Mitte der Gesellschaft
8.4.1 Wo entstehen Bildungs-Oasen und wie sehen diese aus?
8.4.2 Welche Akteur:innen gestalten die Bildungsprozesse in den Bildungs-Oasen?
8.4.3 Wie verlaufen die Bildungsprozesse in den Bildungs-Oasen und welche Rolle spielen weiterhin die traditionellen Bildungsinstitutionen?
9 Schlussbemerkungen
Literatur
Verzeichnis der Onlinequellen ohne Autor:innen (in der Reihenfolge ihres Vorkommens im Text)
emptyDie Autorin
emptyProf. Dr. Elke Hemminger lehrt seit 2017 Soziologie im Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Diakonie an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe (Standort Bochum). Ihre Arbeit fokussiert sich auf Themen der Techniksoziologie, Digitalität und Bildung, Soziale Netzwerkforschung sowie Methoden der empirischen Sozialforschung. Vor ihrer interdisziplinären Promotion im Bereich der Game Studies an der PH Schwäbisch Gmünd und der University of Waikato in Hamilton (NZ) im Jahr 2009 war sie mehrere Jahre als Lehrerin im Schuldienst tätig. Ihre besondere Leidenschaft gilt der Wissenschaftskommunikation und dem Storytelling – beides bringt sie gerne in ihre Forschung und Lehre ein.
Elke Hemminger
Bildung im digitalen Wandel
Soziologische Perspektiven
Verlag W. Kohlhammer
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1. Auflage 2023
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-039560-2
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-039561-9
epub: ISBN 978-3-17-039562-6
Persönliches Vorwort
Dieses Buch zu Ende zu bringen, war ungleich viel schwieriger als gedacht. Ein Buch zu schreiben über Bildung im digitalen Wandel, ist im Prinzip keine schlechte Idee. Allerdings sollte keine Pandemie in die Quere kommen.
Ich bin nicht nur Soziologin und ausgebildete Lehrerin, sondern auch voll berufstätige Mutter von zwei Kindern. Ein wissenschaftliches Buch über Bildung im digitalen Wandel zu schreiben, während die eigenen Kinder im Grundschulalter (und ich selbst natürlich auch) die Folgen der Corona-Pandemie im Bildungssystem am eigenen Leib zur spüren bekamen, dabei den notwendigen Abstand zu wahren und nicht polemisch zu werden, das war nicht immer einfach. Viele gelaufene Kilometer gegen den Frust, unzählige Gespräche mit Freund:innen, zahlreiche Fragen an Kolleg:innen zeugen von meiner Not, ein Thema wissenschaftlich zu bearbeiten, das letztlich fast alle sehr persönlich betrifft. Auch und gerade deshalb ist dieses Buch ein besonders wichtiges Projekt für mich geworden.
Der zweite Grund für meine Schwierigkeiten war der sehr plötzliche und völlig unerwartete Tod meines Vaters im Juni 2022. Das Manuskript war in halbfertigem Rohzustand, nur in meinem Kopf weitgehend fertig. Mit meinem Vater hatte ich viel über das Buch gesprochen und meine Ideen konkretisiert. Plötzlich war er weg, wir konnten keine Gespräche mehr führen. Selbst Wissenschaftler, war er auch der einzige Mensch, der immer ohne Murren und oft kurzfristig jeden meiner Texte Korrektur gelesen hat. Seine kritische, aber stets offene Haltung wird mir unendlich fehlen. Ich habe dieses Buch zu Ende geschrieben, weil es das letzte ist, über das ich mit ihm sprechen konnte. Und weil er nicht gewollt hätte, dass ich es aufgebe.
Das Korrekturlesen hat dankenswerterweise mein jüngster Bruder übernommen, der seinen Urlaub dafür auf dem Altar der Geschwisterliebe geopfert hat. Du darfst dich dafür aus dem Weinkeller bedienen, versprochen!
Elke Hemminger, im Februar 2023
1 Einführung: Von schwierigen Begriffen und falschen Vorannahmen
»Bildung beginnt mit Neugierde. Man töte in jemandem die Neugierde ab, und man stiehlt ihm die Chance, sich zu bilden.«
Peter Bieri (2005, S. 1)
Die vergangenen Jahre, geprägt von der Corona-Pandemie und damit einhergehend auch von politischen und sozialen Unruhen, waren bildungspolitisch von einem Paradoxon bestimmt: Obwohl normalerweise eine gewisse Einigkeit darüber zu herrschen scheint, dass unser Bildungssystem in irgendeiner Form – wie dies auszusehen hat, da gehen die Meinungen dann schnell wieder auseinander – reformbedürftig ist, so war in der Diskussion um Bildung häufig der Wunsch zu spüren, zum vor-pandemischen Zustand zurückzukehren. Nicht immer und überall, aber doch deutlich und teils überschwänglich wurde das Lehren und Lernen in Präsenz, wie es ›damals‹ war, idealisiert. Von der Neugierde als Grundlage und Ausgangspunkt des Bildungsprozesses, wie sie Peter Bieri verlangt, war kaum die Rede. Auch von Aufbruchsstimmung, Zuversicht oder Innovationsschub war und ist in der Praxis insgesamt eher wenig zu spüren. Gleichzeitig kursiert die Digitalisierung als allgegenwärtiges Buzzword, und niemand weiß so Recht, was eigentlich damit gemeint ist. Nicht nur im Bildungskontext, in allen gesellschaftlichen Bereichen spielt die Digitalisierung zumindest als Schlagwort eine herausragende Rolle. Kaum ein Wort zeigt sich prominenter im neuen Koalitionsvertrag der Bundesregierung aus dem Jahr 2021¹. In digitale Infrastruktur und Bürgerrechte gelte es zu investieren, digitale Innovationen müssten gestärkt und IT-Sicherheit gewährleistet werden, am Zusammenhalt der digitalen Gesellschaft müsse gearbeitet werden, so wird dort geschrieben. In Deutschland brauche es einen digitalen Aufbruch (ibid., S. 15 ff.). Nach über zwei Jahren Pandemie, in denen die Schwachstellen der deutschen Digitalisierungspolitik schonungslos offengelegt wurden, ist das nicht verwunderlich.
An Hochschulen und Schulen, in Gesundheitsämtern und im Sozialwesen, selbst in der Wirtschaft hinken wir in Sachen Digitalisierung der globalen Entwicklung hinterher. Trotzdem ist der Ruf nach dem digitalen Aufbruch auch mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Nicht aus einer grundsätzlichen Technikskepsis oder gar Angst heraus, sondern vor dem Hintergrund der Erfahrung bisheriger politischer Perspektiven auf die Frage danach, wie mit Digitalisierung umgegangen werden soll. Denn die Thematik hatte es schon früher auf die Wahlplakate geschafft, als die FDP in ihrer Kampagne zur Bundestagswahl 2017 forderte: »Digital First. Bedenken Second.« Deutschland wird in einer Erklärung zur Kampagne auf der Homepage der Partei kurzerhand zur Beta-Republik ausgerufen.² Eine Beta-Version ist eine noch unfertige Version eines Programms (häufig eines Spiels), die zum Testen an die Nutzer:innen ausgegeben wird. Es ist in der Beta-Version spielbar, aber noch nicht endgültig fertig und muss mit Hilfe der Rückmeldung der Testpersonen perfektioniert werden, bevor es endgültig in die Öffentlichkeit geht. Als Beta-Republik wäre Deutschland somit also ein Land, in dem die Testversion eines Computerprogramms in Gebrauch genommen wird, bevor die offensichtlichen Probleme und Fehler abgestellt wurden und die Programmierer:innen nach einer systematischen Testphase gehört haben, was die Nutzer:innen zu dem Programm zurückmelden. Eine einzige große Testrepublik – erst einmal digitalisieren und dann die Folgen bedenken, während wir schon mit ihnen leben müssen. Das ist angesichts der schon jetzt deutlich sichtbaren gesellschaftlichen Disruptionen im Zuge einer Kultur der Digitalität mehr als unklug. Denn darum, und das wird einer der wesentlichen Punkte sein, die in diesem Buch ausgeführt werden, geht es ja eigentlich, wenn die Frage nach einer sinnvollen Bildung der Zukunft gestellt wird: nicht, oder zumindest nicht vorwiegend um Digitalisierung, sondern um die Kultur der Digitalität und den gesellschaftlichen Umgang damit, an dem Bildung selbstverständlich beteiligt sein sollte (Stalder 2019). Stalder bezeichnet als Kultur der Digitalität die Pluralisierung der kulturellen Ausdrucksmöglichkeiten im Zuge der Ausbreitung komplexer Technologien, die zu herausfordernden sozialen Aushandlungs- und Beteiligungsprozessen führen können. Die genaue Unterscheidung grundlegender Begriffe und warum diese trennscharfe Differenzierung so wichtig ist, werden in Kapitel 4 dieses Buches thematisiert.
Digitalisierung ist kein Selbstzweck und weder eine Gesellschaft noch ein Individuum muss jeden technischen Trend mitmachen, den die Digitalkonzerne des Silicon Valley uns anbieten oder aufdrängen wollen. Bedenken sind erlaubt und kritisches Nachfragen sollte erwünscht sein. Aber auch die Verweigerung einer Auseinandersetzung mit technischer Innovation und wissenschaftlichen Erkenntnissen ist keine Lösung.
Oft wird die Frage gestellt, ob die Schulen nach der Pandemie nicht am besten zum herkömmlichen, altbewährten Unterricht mit Büchern, Stift und Papier zurückkehren sollten.³ Schon allein, um die wertvolle soziale Interaktion zu fördern, die dabei entstehen könne. Das gleiche Argument wird auch für die Präsenzlehre an Hochschulen häufig vorgebracht, weil das angeblich so wunderbar funktioniert hat, fast idyllisch war. Solche Argumentationen werden weder der Komplexität von Lehren und Lernen gerecht noch spiegeln sie die reale Situation an Schulen und Hochschulen wider. Auch bilden sie nicht annähernd die äußerst diversen Lebenslagen von Lehrenden, Studierenden und Schüler:innen ab. In die stark polarisierte Diskussion gilt es zunächst etwas Ordnung zu bringen. Auf der einen Seite steht der Ruf nach schnellen Investitionen in die Digitalisierung, vor allem in Form von mehr technischer Ausstattung und schnellerem Internet an Schulen. Andererseits diktieren Warnungen vor einer Abkehr vom Präsenzunterricht und leidenschaftliche Plädoyers für eine Rückkehr zur Präsenzlehre die Sichtweise.
Wer über die Zukunft von Bildung nachdenkt, muss unweigerlich auch über Technik nachdenken. Meist geschieht dies unter dem Begriff der Digitalisierung und stark verkürzt auf die Frage nach digitalem Lehren und Lernen und der dafür notwendigen Infrastruktur. In diesem Buch wird die Frage nach Zukunft von Bildung in einen weiteren Rahmen gestellt. Die fast schon inflationäre Thematisierung von Digitalisierung und Bildung täuscht darüber hinweg, dass Komplexität und Vielschichtigkeit des Prozesses der Digitalisierung weder wissenschaftlich noch gesellschaftlich bislang ausreichend wahrgenommen und diskutiert werden. Insbesondere im Bereich der Bildung ist die Diskussion um Digitalisierung kontrovers und stark polarisiert. Vielen Initiativen und Diskursen fehlt es nicht nur an einer starken theoretischen Grundlage, die die Entwicklung von sinnvollen Konzepten erst möglich machen würde, sondern auch an Verständnis für die vielschichtigen Potentiale von Bildungsprozessen im Kontext von Digitalität. Gerade die Frage danach, was unter Digitalisierung oder Digitalität grundsätzlich zu verstehen ist und wo daraus resultierend im Bildungsbereich Handlungsbedarf entsteht, ist noch nicht hinreichend wissenschaftlich diskutiert. Einer solchen Diskussion muss eine gründliche Begriffsklärung voraus gehen, die in Kapitel 4 dieses Buches vorgenommen wird.
Trotz aller Diskussionen um die Begrifflichkeit steht die gesellschaftliche Idee im Raum, dass an der Digitalisierung kein Weg vorbei führe und wir ihr ohnehin ausgeliefert seien. Dass wir im Grunde doch jeden Trend mitgehen, Digitalisierung um jeden Preis vorantreiben müssten. In dieser unreflektierten Einfachheit ist das gefährlich, gesellschaftszersetzend und dumm. Aber das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, egal wie viele Bedenken geäußert werden und wie viele Sorgen die Entwicklungen hervorrufen. Deshalb wäre es genauso dumm und gefährlich, die Digitalisierung völlig zu ignorieren und nicht auf sinnvolle Art und Weise mitzugehen. Denn dann überlassen wir auf Dauer die digitalen Räume den Verschwörungsmystiker:innen, den Fundamentalist:innen und den Hater:innen. Digitalisierung – das wird im Verlauf dieses Buches klar werden – ist nur die technische Basis für das eigentliche gesellschaftliche Potential (und damit auch für das Problem, das uns beschäftigt). Es gilt, Digitalisierung sinnvoll voranzutreiben,