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Adolf Hitler entlarvt!: Die Südtirolfrage im öffentlichen Diskurs 1920 bis 1939
Adolf Hitler entlarvt!: Die Südtirolfrage im öffentlichen Diskurs 1920 bis 1939
Adolf Hitler entlarvt!: Die Südtirolfrage im öffentlichen Diskurs 1920 bis 1939
eBook346 Seiten3 Stunden

Adolf Hitler entlarvt!: Die Südtirolfrage im öffentlichen Diskurs 1920 bis 1939

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Über dieses E-Book

Hitlers Südtirol-Politik
"Adolf Hitler entlarvt!", so der Titel eines Plakats zur Reichstagswahl im Mai 1928. Der Vorwurf: Hitler stehe unter der Kontrolle Mussolinis und opfere Südtirol zugunsten der Bündnispolitik mit Italien. Südtirol wird zur Zerreißprobe innerhalb der NSDAP. Die Autorin zeichnet die Debatten der 1920er-Jahre nach und macht so Hitlers Aussagen und Originaltexte erstmals einem breiten Publikum zugänglich.
» Sven Felix Kellerhoff: "Wer sich künftig mit der Geschichte Südtirols in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts befassen will, wird an diesem Buch nicht vorbeikommen."
» erste umfassende Analyse der Schriften und Plakatkampagnen zur NS-Südtirolpolitik
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Raetia
Erscheinungsdatum13. Jan. 2023
ISBN9788872838709
Adolf Hitler entlarvt!: Die Südtirolfrage im öffentlichen Diskurs 1920 bis 1939

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    Buchvorschau

    Adolf Hitler entlarvt! - Sabine Viktoria Kofler

    Sabine Viktoria Kofler

    Adolf Hitler entlarvt

    Die Südtirolfrage im öffentlichen Diskurs 1920 bis 1928

    Mit einem Vorwort von Sven Felix Kellerhoff

    Gedruckt mit Unterstützung der Südtiroler Landesregierung, Abteilung Deutsche Kultur

    Die Autorin dankt allen Mitarbeiter:innen der Archive und Bibliotheken für ihre äußerst wertvolle und freundliche Hilfe beim Suchen und Bereitstellen der benötigten Quellen und Dokumente.

    © Edition Raetia, Bozen 2023

    Projektleitung: Thomas Kager

    Korrektur: Helene Dorner, Gertrud Matzneller

    Umschlaggestaltung: Philipp Putzer, www.farbfabrik.it

    Umschlagfoto: Adolf Hitler auf Staatsbesuch bei Benito Mussolini, Flughafen Centocelli, Rom, 3. Mai 1938 – Foto Wilhelm / Interfoto / picturedesk.com

    Druckvorstufe: Typoplus, Frangart

    Printed in Europe

    ISBN 978-88-7283-659-0

    ISBN E-Book 978-88-7283-870-9

    Unseren Gesamtkatalog finden Sie unter www.raetia.com.

    Bei Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an info@raetia.com.

    Inhalt

    Vorwort von Sven Felix Kellerhoff

    „Adolf Hitler entlarvt!"

    Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg

    Der Zusammenbruch der alten Ordnung

    Hoffnung auf Autonomie

    Der Weg in den Faschismus

    Hitler, die NSDAP und „Mein Kampf"

    Gescheiterte Jugendjahre

    Nachkriegszeit und politische Anfänge

    Hitler als Volksredner in München

    Hitlers Weltbild und Programmschrift „Mein Kampf"

    Hitlers frühe außenpolitische Konzepte

    Südtirol im Blickpunkt der deutschen Rechten

    Italien, Südtirol und die Simons-Affäre

    Mussolini, Bayern und Hitlers erste Verzichtserklärungen

    Der Held-Mussolini-Stresemann-Konflikt 1926

    Auseinandersetzungen um Hitlers Südtirolposition

    Die Südtirolbroschüre im Februar 1926

    Kritik an Hitlers Südtirolpolitik aus dem völkischen Lager

    Hitlers Kampf gegen die „Gazettenschmierfinken"

    Das Wahljahr 1928 und Hitlers „Zweites Buch"

    Die Reichstagswahlen im Mai 1928

    Hitlers „Zweites Buch"

    Ausblick auf nachfolgende Konflikte

    Anhang

    Schlussbemerkung

    Anmerkungen

    Quellenverzeichnis

    Literaturverzeichnis

    Abkürzungsverzeichnis

    Bildnachweis

    Vorwort

    Niemand lässt sich gern von Konkurrenten vorführen. Schon gar nicht öffentlich. Mitten im Wahlkampf für die Reichstagswahl am 20. Mai 1928 schrieb der „Oberbayerische Generalanzeiger nach einer NSDAP-Großveranstaltung in Landsberg süffisant: „Ein Thema fanden wir nicht erwähnt – was ist mit den Auslandsdeutschen, was ist vor allem mit Südtirol? Diese brennende Frage berührte Herr Hitler mit keinem Worte. Die Lokalzeitung aus der traditionsreichen Kreisstadt am Lech war nur eines von vielen Blättern aller politischen Schattierungen von der Sozialdemokratie bis zur deutschnationalen Reaktion, die sich Ende der 1920er-Jahre sehr kritisch mit der nationalsozialistischen Position zu Südtirol befassten.

    „Der Sozialdemokrat zum Beispiel, als Blatt des gemäßigt linken Teils der deutschsprachigen Minderheit in der Tschechoslowakei naturgemäß sensibel für ethnische Spannungen, urteilte 1927: „In einem sind die Hakenkreuzler ihrem Programm über alle periodischen Gesinnungswechsel hinaus treu geblieben – in der ständigen Bereitschaft zum nationalen Verrat, wenn sich dafür ein Gewinn der faschistischen Reaktion eintauschen lässt. Der „Vorwärts aus Berlin, das Leitmedium der Arbeiterbewegung, zitierte am 12. April 1927 genüsslich aus den „Innsbrucker Blättern einen offenen Brief der Deutschvölkischen Arbeitsgemeinschaft für Südtirol, der „in scharfer Weise gegen eine Hitler-Rede in München Stellung bezog. Unter der Überschrift „Hitler der nationale Verräter hieß es, das Vorgehen des NSDAP-Chefs gegenüber den Deutschen in Südtirol sei „entweder bodenloser Leichtsinn oder Verrat".

    Im März 1928 attackierte sogar „Der Hammer, das Organ des mit der deutschen NSDAP zerstrittenen Flügels der österreichischen Nationalsozialisten, den „Führer scharf: „Das Verhalten Hitlers zur Südtiroler Frage ist geradezu als deutsche Kulturschande zu bezeichnen. Gewiss, unsere Volksgenossen in der Tschechischen Republik, in Polen, im Elsass haben sehr zu leiden, aber so bestialisch scheint uns die Bedrückung nicht zu sein wie jene in Südtirol, hieß es, und weiter: „Abgesehen davon bleibt es eine völkische Gemeinheit, das Leid der Südtiroler etwa als gottergeben hinstellen zu wollen, weil andere deutsche Stämme ebenfalls drangsaliert werden. Die seinerzeit in Deutschösterreichs völkisch-rechtsextremem Lager wohl stärkste Fraktion nutzte das Thema für einen Generalangriff: „Im politischen Leben gibt es für jeden Führer einen Prüfstein. Für Hitler ist derselbe Südtirol und in späterer Zeit wird sich beweisen, dass Adolf Hitler daran zerschellt ist."

    Wie man weiß, kam es anders – zum Schaden aller. Doch das ändert nichts daran, dass die Südtirolfrage (eine angesichts paralleler Begriffsbildungen wie „Judenfrage durchaus unglückliche Formulierung, was aber für denkbare sprachliche Alternativen wie „Südtirolproblem kaum weniger gilt) für die Hitler-Bewegung zeit ihrer Existenz eine besondere Herausforderung war. Daher begrüße ich, dass die Südtiroler Historikerin Sabine Viktoria Kofler eine systematische Darstellung zum Thema Südtirol in Hitlers Äußerungen aus der Phase seines Aufstiegs zur Macht, der „Kampfzeit, vorlegt. Bisher waren Hinweise auf dieses für die Kritik am NSDAP-Chef vor seinem Durchbruch bei den Septemberwahlen 1930 zentrale Thema meist nur verstreut zu finden. Ich selbst habe – mit starker Konzentration auf „Mein Kampf und Hitlers weitaus weniger bekanntes, erstmals 1961 veröffentlichtes „Zweites Buch – 2015 dieses Thema in meinem Band „‚Mein Kampf‘. Die Karriere eines deutschen Buches aufgegriffen, jedoch nur auf gut sechs Seiten und daher naturgemäß mit weit geringerer Quellendiskussion als Sabine Viktoria Kofler in ihrer nun vorliegenden Studie.

    Ihr gelingt es, aus der Fülle des verfügbaren Materials, das durch die zunehmende Digitalisierung historischer Zeitungsbestände gegenwärtig stark anwächst und in naher Zukunft weiter zunehmen wird, wesentliche Argumentationsmuster zu destillieren und in überzeugender Form aufzubereiten. Wer sich künftig mit der Geschichte Südtirols in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts befassen will, wird an ihrem Buch nicht vorbeikommen.

    Wie aber fügt sich die Südtirolfrage in Hitlers Denken insgesamt? Grob betrachtet, drehte sich seine „Weltanschauung (das Wort „Ideologie benutzt Hitler nur sehr selten und so gut wie nie für das eigene Denken) um zwei Fixpunkte: einen pathologischen Judenhass, der auf radikal völkischen Ansichten beruhte, und den unbedingten Willen zunächst zum Revanche-, ab Mitte der 1920er-Jahre zum Eroberungskrieg. Alle anderen eventuell politisch relevanten Themen waren für ihn volatil – man denke etwa an die im 25-Punkte-Programm der NSDAP von Februar 1920 noch stark sozialistisch geprägten wirtschaftspolitischen Ziele, die ab 1925/26 deutlich in den Hintergrund traten, um dann erst im Zuge des Aufbaus einer „Volksgemeinschaft" vor dem und im Zweiten Weltkrieg wieder an Gewicht zu gewinnen.

    Aber selbst bei seinen beiden weltanschaulichen Fixpunkten war Hitler zu – freilich rein taktisch bedingten – Zugeständnissen bereit. Das bekannteste Beispiel dafür ist natürlich der Hitler-Stalin-Pakt, der fast auf den Tag genau 22 Monate lang, vom 23. August 1939 bis zum 22. Juni 1941, die erklärten Todfeinde Kommunismus und Nationalsozialismus aneinanderband. In Hitlers Weltsicht, die mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Überkompensation seiner eigenen schwankenden Haltung in München im Frühjahr 1919 resultierte, galt der Bolschewismus als grundlegend „jüdisch. Obwohl er stets den „granitenen Charakter seines Programms für die NS-Bewegung betonte, war er flexibel genug, ein Bündnis mit seinem „jüdisch-bolschewistischen" Hauptfeind einzugehen.

    Das andere Beispiel ist Südtirol. Mit der gleich auf der ersten Textseite von „Mein Kampf gesperrt gesetzten These „Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich war seine Haltung zur italienisch annektierten Südalpenprovinz unvereinbar. Ironisch zugespitzt formulierte es der pseudonyme Kritiker von „Mein Kampf Tacitus Redivivus, der im Herbst 1930 das Bekenntnisbuch des NSDAP-Chefs einer für die Zeit bemerkenswert hellsichtigen Fundamentalkritik unterzog: „Hitlers Betrachtungen über die ‚abgetrennten Splitter‘ des deutschen Volkstums bringen in dieser Beziehung außerordentliche Belehrung. Was ist nach dem Kriege vom deutschen Volkstum abgesplittert? Natürlich vor allem das deutsche Südtirol. Soll Hitler sich darum grämen? Nein, solche Herzensbeschwerde weist er weit von sich ab. Sabine Viktoria Kofler zeichnet plastisch nach, in welche Paradoxe gerade die Südtirolfrage die NSDAP führte.

    Was bedeutet das nun? Wenn Hitler nicht nur in für ihn nebensächlichen Fragen wie der Wirtschaftspolitik volatil agierte, sondern auch in seinen beiden weltanschaulichen Fixpunkten – war er dann möglicherweise doch kein Ideologe? Trifft am Ende etwa doch das Urteil zu, das der erste große Hitlerbiograf Alan Bullock in der ursprünglichen Fassung seines Buches „A Study In Tyranny formuliert hatte? Hitler sei allein vom „Willen zur Macht getrieben worden, und zwar „in seiner robusten und reinsten Form; mit anderen Worten: Bei dem braunen Diktator habe es sich um „einen völlig prinzipienlosen Opportunisten gehandelt. Muss im Lichte der Südtirolfrage der gewachsene Konsens der seriösen Geschichtswissenschaft aufgekündigt werden, nach dem Hitlers Weltanschauung der wesentliche Antrieb seines Handelns gewesen sei?

    Natürlich nicht, denn die Wahrheit liegt in der Mitte zwischen den beiden einseitigen Deutungen. Hitler war weder ausschließlich ein reiner Opportunist, der sich jeder Weltanschauung bedient hätte, um an die Macht zu gelangen, noch ein Programmatiker, der seine einmal, nämlich in „Mein Kampf" formulierte Weltanschauung Schritt für Schritt konsequent umsetzen wollte. Nachvollziehen kann man das eigentliche Erfolgsrezept der NSDAP an ihrem Herauswachsen aus der Fülle ähnlicher völkisch-antisemitischer Gruppen und Grüppchen 1919 bis 1922. Die ursprüngliche DAP, eine wenig bedeutende Splittergruppe des völkischen Spektrums, hatte anderen Politvereinen in München zum Verwechseln geähnelt. Erst der Eintritt Adolf Hitlers gerade in diese Gruppe hob sie heraus – und das lag eben nicht an den Inhalten, die der zum Agitator ausgebildete ehemalige Meldegänger vertrat; diese unterschieden sich nicht von dem, was beispielsweise der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund − Anfang der 1920er-Jahre eine Massenbewegung mit mehr als 120.000 Mitgliedern (zum Vergleich: So viele eingeschriebene Anhänger erreichte die NSDAP erst Anfang 1930) − und andere rechtsextreme Gruppierungen propagierten. Attraktiv machte die NSDAP vielmehr Hitlers grenzenlose Aggressivität; Rücksicht zu nehmen, egal auf wen, kam weder der Führung in München noch ihren Anhängern vor Ort in den Sinn. Gerade dieser Reiz der Radikalität wirkte auf das durch die Umwälzungen seit 1918/19 massiv desorientierte Publikum anziehend. So anziehend, dass zunehmend viele Deutsche selbst so fundamental unlogische Positionen wie die Haltung in der Südtirolfrage zu ignorieren bereit waren.

    Sven Felix Kellerhoff

    „Adolf Hitler entlarvt!"

    So lautete die Überschrift eines Plakats der Sozialdemokratischen Partei München, das kurz vor der Reichstagswahl am 20. Mai 1928 wohl in ganz München zu sehen war. Der Vorwurf: Hitler stehe unter der Kontrolle Mussolinis und habe aus diesem Grund Südtirol verraten.¹

    Tatsächlich widersprach Hitlers Verzicht auf Südtirol der nationalsozialistischen „Heim ins Reich"-Politik, sprich alle deutschen Volksgruppen in einem Großdeutschland zu vereinen. Schon früh wurde ihm diese Inkongruenz in seinem nationalsozialistischen Weltbild vorgeworfen. Die Entwicklungen in Südtirol, das 1919 bei den Friedensverhandlungen von Saint-Germain Italien zugeschlagen wurde, standen in Deutschland und Österreich bereits unter genauer Beobachtung. Die Aufmerksamkeit wurde durch Hitlers Verzicht noch verstärkt, Südtirol wurde besonders während der Reichstagswahlen der 1920er-Jahre zum Thema der politischen und medialen Auseinandersetzung.

    Es stellt sich daher die Frage, was Hitler zu seiner Haltung bewog. Weshalb machte sich der Führer der Nationalsozialisten bereits in der Zeit der Weimarer Republik Überlegungen, wie dieses heikle und außenpolitisch schwierige Thema für seine Zwecke eingespannt werden könnte? Und warum wollte gerade Hitler das „deutsche" Südtirol ganz und gar den Faschisten und Mussolini überlassen?

    Für viele Fachhistoriker und jeden, der sich mit Hitler, seiner Außenpolitik und Südtirol bereits eingehend beschäftigt hat, werden die Antworten auf diese Fragen keine allzu großen Überraschungen bergen. Auch dürften politisch Interessierte, die in den 1920er-Jahren Hitlers Reden und Schriften aufmerksam verfolgten, gewusst haben, welche Ansichten er in Bezug auf Südtirol vertrat.

    Ziel dieses Buches ist es daher, besonders die Einstellung Hitlers während seiner frühen politischen Jahre von 1920 bis 1928 zum damals vieldiskutierten Südtirolproblem genauer zu untersuchen. Hitler konnte ziemlich früh durch seine rhetorische Begabung Massen begeistern und die Münchner Bierkeller an seinen vielen Redeabenden bis zum letzten Platz füllen, doch noch war er von jeglicher realen und politischen Macht entfernt, die ihm die Ausführung seiner innen- und außenpolitischen Pläne ermöglicht hätte. Trotzdem erarbeiteten er und seine engsten Gefolgsleute schon sehr früh ein außenpolitisches Konzept für die Partei, das mit einigen geringfügigen Änderungen bis zur Machtergreifung 1933 beibehalten wurde. Südtirol spielte darin eine entscheidende Rolle. Die Kernaussage seiner außenpolitischen Positionierung lautete verkürzt: Verzicht auf die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols, um im Gegenzug ein Bündnis mit Italien zu erreichen, das Deutschland mehr Freiheit und Rückendeckung beim Erreichen der eigentlichen außenpolitischen Ziele ermöglichen sollte, nämlich die Niederschlagung des „Erbfeindes Frankreich im Westen und die Eroberung von „Lebensraum im Osten. Beides sah Hitler als die einzigen Mittel zur Erhaltung und zum Überleben des deutschen Volkes an.

    Ziel des Buches ist es zudem, erstmals in umfassender Form für eine breite Leserschaft Hitlers Aussagen und seine Position zu Südtirol von den Anfängen seiner politischen Karriere bis zur Entstehung seines „Zweiten Buches 1928 darzulegen. Es ist wichtig, diesen Prozess und die politischen Auseinandersetzungen chronologisch und verständlich nachzuzeichnen, die Hitler erst dazu veranlassten, sich nach seinem Hauptwerk „Mein Kampf in einem weiteren Buch fast ausschließlich mit der Südtirolfrage zu befassen. Im Vordergrund der Analyse stehen einerseits die Ursprünge und die Entwicklung von Hitlers Haltung in dieser Frage sowie dessen konsequentes Festhalten an seiner Position, andererseits die vielen Reaktionen und Widerstände, die von Hitlers Gegnern aus dem politisch linken Lager, aber auch von Konkurrenten innerhalb der völkisch-antisemitischen Bewegungen, der Südtiroler selbst und in den eigenen Reihen der NSDAP vorgebracht wurden.

    Einführend soll ein kurzer Überblick über die Situation in Südtirol nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gegeben werden. Mit dem Aufkommen und der Machtergreifung der italienischen Faschisten waren bald alle Hoffnungen zunichtegemacht, die deutsche Sprache, Kultur und Identität unter den neuen Machthabern aufrechtzuerhalten. In Deutschland und Österreich wurden vonseiten verschiedener Vereine und Bewegungen offen revisionistische Pläne zur „Rückholung dieses Gebiets gefordert. Dass gerade ein völkischer Führer es wagte, sich diesem „Mainstream entgegenzustellen, überraschte viele und führte zu Kritik und Unglauben.

    In einem zweiten Abschnitt wird Hitlers Werdegang von frühester Jugend über seinen sozialen Abstieg in Wien bis zum Schlüsselerlebnis des Ersten Weltkrieges und hinein in die politisch rechtsextremen und antisemitischen Gruppen in München nachgezeichnet, um seine Volkstumspolitik und seinen Verzicht auf Südtirol besser verstehen zu können.

    Unterschieden sich die sehr frühen nationalsozialistischen Ansichten zum Erhalt des Deutschtums und der Verurteilung einzelner faschistischer Gewalttaten nicht grundlegend von anderen deutschnationalen Parteien und Bewegungen, änderte sich dies bald mit Hitlers größer werdendem Einfluss in der Partei. Von seinem einmal gefassten Entschluss, Italien als Bündnispartner zu gewinnen, rückte er nie mehr ab. Durch Mussolinis Weigerung, in der Südtirolfrage nachzugeben, formulierte Hitler schließlich seinen Verzicht auf das Gebiet. Anfangs von der größeren Öffentlichkeit noch unbemerkt, bekamen seine Aussagen jedoch mit steigendem Publikum und zunehmender Popularität größere Aufmerksamkeit in Presse und Politik. Es bildeten sich langjährige Feindschaften und heftige öffentliche Schlagabtausche, die Hitler propagandistisch für sich zu nutzen versuchte. Doch viele reagierten unverständlich auf Hitlers Äußerungen, mit den Faschisten, die ihre radikalen Unterdrückungsmaßnahmen jährlich verschärften, sei noch eine Einigung für den Erhalt des „Deutschtums" in Südtirol zu erzielen.

    Einen Einblick in sein Denken gewährte Hitler mit seinem Buch „Mein Kampf. Freunde wie Feinde versuchten nun Weltanschauung und Gedankengänge nachzuvollziehen. Zu Südtirol hatte er sich jedoch schon vor Erscheinen des zweibändigen Werkes festgelegt. Besonders in Wahlkampfzeiten zeigte sich aber, dass die Südtirolfrage für Hitler und die Partei eine verwundbare Stelle des ideologischen und politischen Programms darstellte und Gegner dies gekonnt auszunutzen wussten. Zudem musste sich Hitler gegen Gerüchte und Behauptungen wehren, für seinen ausgesprochenen Verzicht „mit Lire bezahlt² worden zu sein. Nichtsdestotrotz hielt Hitler an seiner Position hartnäckig fest, selbst als viele ihn und die Partei schon abgeschrieben hatten.

    Der Schlusspunkt in dieser Erzählung ist mit dem Ende des Jahres 1928 gesetzt. Nach den enttäuschenden Reichstagswahlen wollte Hitler mit einem „Zweiten Buch" seine Position zu Südtirol ausführlicher darstellen und erklären. Doch bald überschlugen sich Innen- und Weltpolitik und hinderten ihn daran, sich noch einmal ausführlich damit zu beschäftigen und verlorene Anhänger oder seiner Partei nahestehende Sympathisanten mit seiner Argumentation zu überzeugen. So kam es, dass das Manuskript zu Hitlers Zeiten nie gedruckt wurde.

    Wie Hitler sich dennoch nach seinem Wahldebakel erholen konnte und nach seiner Machtergreifung seine rigorosen Pläne für eine Lösung der Südtirolfrage durchzuführen in der Lage war, soll hier nicht genauer behandelt werden. Eine einschneidende Zäsur in der Geschichte Südtirols im 20. Jahrhundert, die Wahl zwischen Option für Hitler-Deutschland oder Bleiben unter faschistischer Herrschaft, wurde bereits ausreichend und in vertiefter Form erarbeitet.³ Wer sich 1939 noch der Illusion hingab, Hitler würde Südtirol doch noch irgendwann „heim ins Reich holen, der hatte die Kontroversen, Diskussionen, sogar Gerichtsverhandlungen ein Jahrzehnt davor entweder nicht mitbekommen, ignoriert, vergessen oder tat sie als unausgereifte Ideen eines politisch noch kaum erfahrenen Führers ab. Doch von frühester Zeit an, spätestens jedoch seit Erscheinen des zweiten Bandes von „Mein Kampf im Dezember 1926 konnte jeder Interessierte Hitlers grundlegende Ansichten zur deutschen Außen- und Bündnispolitik nachlesen und selbst sehen, welche Rolle dabei Südtirol spielen sollte.

    Nachzulesen sind seine südtirolspezifischen Äußerungen in Schriften, Zeitungsartikeln und Reden in gesammelter Form nun erstmals auch im vorliegenden Buch.

    Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg

    Der Zusammenbruch der alten Ordnung

    Nach vier entbehrungsreichen Kriegsjahren standen die Soldaten der österreichisch-ungarischen Armee im Herbst 1918 an der Südfront vor dem endgültigen Aus. Die chronischen Nachschub- und Versorgungsprobleme, die zahlenmäßige und materielle Übermacht der Gegner taten ein Übriges, um die Kriegserschöpfung und Unzufriedenheit nicht nur an der Front, sondern auch in der Heimat auf einen Höhepunkt zu treiben. In der letzten Offensive der Alliierten an der Südfront am 24. Oktober 1918 konnten die ausgezehrten und erschöpften Truppen der Habsburgermonarchie kaum mehr ernsthaften Widerstand leisten. Die Armee und die Front begannen sich aufzulösen. Die Angehörigen der Vielvölkermonarchie wurden in ihre Heimat in die neu gebildeten Nationalstaaten zurückgerufen, denen sie sich zu mehr Loyalität verpflichtet fühlten als dem österreichischen Kaiserhaus. Die Monarchie war nun auch innenpolitisch am Ende. Dem jungen Kaiser Karl blieb nichts anderes mehr übrig, als um Verhandlungen für einen Friedensschluss zu bitten.

    Am 3. November wurde in der Villa Giusti bei Padua der Waffenstillstand zwischen den alliierten Mächten und der k. u. k. Armee unterzeichnet, der einer bedingungslosen Kapitulation Österreichs gleichkam. Die Kampfhandlungen sollten erst 24 Stunden später beendet werden. Stellenweise konnte diese Information durch das sich schon im Auflösungsprozess befindliche Heer den Truppen nicht mitgeteilt werden, sodass Hunderttausende Soldaten, im Glauben, der Waffenstillstand gelte bereits, noch am letzten Kriegstag in italienische Gefangenschaft gerieten.

    Um diesem Schicksal zu entkommen, versuchten viele Soldaten sich noch vor Ablauf der Frist nach Norden über die Brennergrenze und in Sicherheit zu bringen. Für Versorgung und Verpflegung mussten die Truppen auf ihrem Rückzug teils selbst sorgen, und dies geschah dann auch auf Kosten der einheimischen Bevölkerung, die selbst kaum genug zum Leben hatte. Dieses Stimmungsbild gibt der „Der Tiroler Anfang November wieder: „Die Auflösung der Armee zeitigt Folgen der allertraurigsten Art. Seit das große Zurückströmen der Soldaten an der Front begonnen hat und zahlreiche Mannschaften ihre Verbände und damit auch ihre geregelte Verpflegung im Stiche gelassen haben, häufen sich die Fälle von ganz offen verübtem Raub und gewaltsamer Plünderung in grauenerregender Weise. In Salurn plünderten zurückströmende Soldaten einen Eisenbahnzug und in Branzoll wurden durch ungar. Soldaten die mit reichen Mengen von Lebensmitteln belegten Etappenmagazine ausgeraubt und in Brand gesteckt, so daß auch noch der übrig gebliebene Rest von Lebensmitteln zerstört wurde. Mit diesen Lebensmitteln hätte Deutschsüdtirol für lange Zeit verpflegt werden können.

    Zerstörung entlang der Dolomitenfront: Sexten im März 1918

    Die noch vorhandenen Lebensmitteldepots im Hinterland waren allerdings auch vor Plünderungen der Bevölkerung nicht sicher, die seit Jahren unter der Mangelwirtschaft und den Rationierungen litt.⁶ Es kam stellenweise zu chaotischen Zuständen und Toten entlang der Rückzugslinien, vor allem auf der Brennerbahnlinie, wo Hunderte Soldaten in den Tunnels von den überfüllten Zügen fielen und starben.⁷

    Diesen endgültigen Zusammenbruch

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