Kunst unterrichten: Die Vermittlung von Kunstgeschichte und künstlerischem Arbeiten
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Buchvorschau
Kunst unterrichten - Klaus-Peter Busse
Klaus-Peter Busse
Kunst unterrichten
Die Vermittlung von Kunstgeschichte
und künstlerischem Arbeiten
ATHENA
Dortmunder Schriften zur Kunst | Studien zur Kunstdidaktik
Band 14
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
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sind im Internet über
E-Book-Ausgabe 2015
Copyright der Printausgabe © 2014 by ATHENA-Verlag,
Copyright der E-Book-Ausgabe © 2015 by ATHENA-Verlag,
Mellinghofer Straße 126, 46047 Oberhausen
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Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Frank Georgy, kopfsprung.de
Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (Print) 978-3-89896-578-1
ISBN (ePUB) 978-3-89896-869-0
Abb01.jpg1Bildumgangsspiele: revisited
»Nun, früher war es in der Tat nicht nötig, Kunsterziehung im heutigen Sinn zu treiben, denn man wuchs auf in einer geschlossenen Kultur, die Richtung zu geben vermochte. War aber ehemals die Kunst eine selbstverständliche Lebensäußerung, so sind wir in unserer heutigen Lebenssituation gezwungen, uns bewusst an die verschiedenen Kunstdialekte heranzupirschen. […] Die Rolle, die gegenwärtig die Kunst im Unterricht spielt, ist sehr gering. Die Philologie herrscht vor infolge der wissenschaftlichen Orientierung, und auch die Künste selbst werden hauptsächlich in geschichtlicher Hinsicht behandelt. Wie kann diesem Zustand zugunsten einer richtigen Kunsterziehung abgeholfen werden? […] Nur vom schöpferischen Moment aus kann Kunsterziehung geleistet werden. Kunst ist wesentlich ein schöpferisches Verhalten zum Leben; das Eindringen in das Schöpferische hat daher bei der Kunsterfassung voranzustehen.«[1] Was für eine Stellungnahme von Siegfried Kracauer im Frankfurter Stadt-Blatt am 27. Februar 1925 anlässlich der »Kunstpädagogischen Woche« im Frühjahr dieses Jahres (die unseren heutigen kunstpädagogischen Kongressen vergleichbar ist)! Der Feuilletonist, Schriftsteller und (man würde heute sagen) der Kulturwissenschaftler Siegfried Kracauer beklagt ein Übergewicht der Philologie im unterrichtlichen Umgang mit Kunst und fordert eine deutliche Gewichtung des künstlerischen Arbeitens als »schöpferisches Verhalten zum Leben«. All das, was heute in den Debatten über den Kunstunterricht und über die Inhalte der Kulturellen Bildung verhandelt wird, hat also schon einmal stattgefunden: Man diskutiert den Stellenwert von Wissenschaft und Kunstpraxis, und es ist in einer historischen Perspektive ganz offensichtlich: Diese Debatte belegt eine wichtige, wenn nicht gar die entscheidende Frage der Didaktik des Kunstunterrichts. Welchen Stellenwert haben dort Kunst und Wissenschaft? Der Verlauf dieser Debatte bis heute erklärt die vielen Meinungsbilder in der Kunstpädagogik und eingenistete Normen, obwohl der Kunstunterricht und seine Curricula sehr gut funktionieren. Denn längst hat man sich daran gewöhnt, beide Säulen des Faches vereint zu sehen und so zu unterrichten. Es gibt kunstpädagogische Handlungsmodelle, die beide Säulen verbinden und ausgesprochen erfolgreich sind; dennoch stehen im Hintergrund Ansprüche der Fachwissenschaft und der Kunstpraxis, ihre Inhalte deutlicher berücksichtigt zu sehen. Dies können auch Ansprüche von Lehrerinnen und Lehrern sein, der Kunstgeschichte einen erheblichen Stellenwert im Kunstunterricht einzuräumen oder das künstlerische Arbeiten deutlicher zu gewichten. Sie sehen das Fach dabei im Zusammenhang allgemeiner Bildungsansprüche und propädeutisch: Was muss der Kunstunterricht bildungstheoretisch und in Hinblick auf berufliche Perspektiven von Jugendlichen leisten? Wie gehen der Kunstunterricht und seine Didaktik mit diesen Ansprüchen um? Wie lässt sich dies nicht nur in der Theorie, sondern in der konkreten Unterrichtsarbeit verwirklichen?
Mein Buch über die »Bildumgangsspiele«, das 2003 erschien und ein erster Versuch der Annäherung von Kunstgeschichte und Kunstpraxis war, verdankt seinen Erfolg sicherlich der Anlage einer offenen Unterrichtsplanung, die auf der Grundlage eines klar formulierten Handlungsmodells viele unterschiedliche Handlungschoreografien möglich macht. Den Kunstunterricht bezeichnete ich vor zehn Jahren als Raum des Umgangs mit Bildern in situativen Kontexten, also den Bedingungen des Unterrichts vor Ort. Den Begriff »Bildumgangsspiel« entlehnte ich dem sprachwissenschaftlichen Konzept des »kommunikativen Handlungsspiels«, das die situativen Bedingungen der Kommunikation zur Erzeugung von Bedeutungen erfasst. So verstand ich den Kunstunterricht: als einen Ort, an dem Kunst und Bilder so verhandelt werden, dass sie für alle beteiligten Personen »Sinn« machen. An dieser Sicht hat sich bis heute nichts geändert, und ich will die vielen theoretischen Hintergründe dieser Annahme nicht wiederholen: Sie sind vielfach formuliert worden. Heute würde man dieses Modell vielleicht »performativ« nennen, und jede »Performanz« benötigt ein »Proposal«: Unterricht setzt Planung voraus. So funktioniert das Modell der Bildumgangsspiele. Auch hat mit diesem Buch eine Diskussion stattgefunden, welche Inhalte und Methoden im Kunstunterricht möglich sind. Viele dieser Gedanken, vor denen diese Diskussionen stattfanden, haben sich weiterentwickelt und deutlich an Kontur gewonnen. Deshalb beschäftigte mich die Frage, an welchen konkreten Inhalten sich Bildumgangsspiele entwickeln können. Bis heute haben sich diese Inhalte vermehrt, und mit ihnen die Debatte über ihre Relevanz in Schule, Unterricht und Bildung. In der Auseinandersetzung mit diesen Fragen prüfte ich in nachfolgenden Projekten die Methode des Mappings und die Kartografie von Bildern als Beispiele für das künstlerische und kunstwissenschaftliche Arbeiten. Beide Methoden sind nach wie vor in der Kunstpraxis sehr aktuell, und im Kunstunterricht haben sie inzwischen Eingang gefunden.[2] Sie stellen allerdings kein didaktisches Konzept dar (wie beispielsweise die »Ästhetische Forschung« oder das Modell der »Bildkompetenzen«), sondern beschreiben nur Ausschnitte aus den vielen Handlungsmöglichkeiten im Kunstunterricht. Es lag nahe, nach weiteren Methoden zu suchen, die das künstlerische Handeln ausmachen. Dabei fiel auf, dass heute die aktuelle Kunst auffällig oft durch die Bezeichnung ihrer Verfahrensweisen im Umgang mit Kultur beschrieben wird. Im Mittelpunkt von Untersuchungen stehen nicht mehr nur mediale Umgänge (z. B. dass ein Künstler zeichnet), sondern vor allem Methoden des künstlerischen Arbeitens (wie z. B. das Mapping als Umgang mit Räumen).
Diese Suche zeigte neben dem Stellenwert solcher Methoden in der aktuellen Kunst ihre Tiefenschichten in der Geschichte der Kunst, und ich entdeckte Konzepte des künstlerischen Handelns, die sehr präzise aufgebaut und vor allem methodisch orientiert sind, wenn man in ihre Kontexte blickt. Prüft man diese Vorstellung des künstlerischen Handelns näher, erkennt man ihre historische Relevanz, denn nicht nur zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler arbeiten so. Die Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte wurde für mich immer wichtiger, und ich sah, dass die Geschichte der Kunst einen viel höheren Stellenwert im Kunstunterricht haben müsste. Zwar war auch ich immer von der Selbstverständlichkeit ihrer Relevanz ausgegangen, dennoch erscheint mir bis heute der kunstdidaktische Umgang mit der Kunstgeschichte als sehr unbefriedigend. In der Kunstgeschichte/Bildwissenschaft hatte sich inzwischen eine rege und wichtige Diskussion über den Stellenwert der Geschichte der Kunst in der Kunstpädagogik entwickelt. Als ich nach den Gründen dieser Diskussionen und meiner eigenen Unzufriedenheit suchte, fiel mir das unklare Verhältnis zwischen Kunstdidaktik und ihrer wissenschaftlichen Referenzdisziplin auf, das fachgeschichtliche und institutionelle Hintergründe hat (über die das Buch berichten wird).
Der genaue Blick in die Kunstgeschichte als akademische Disziplin zeigte mir, dass man den unterrichtlichen Umgang mit der Geschichte der Kunst noch viel leichter für die Planung von Kunstunterricht aufbereiten kann, als dies im Bereich des künstlerischen Arbeitens möglich ist. Vor allem aber wurde erkennbar, wie einleuchtend und stringent man den gesamten Kunstunterricht planen und begründen kann, wenn man in der Didaktik ein klares Referenzsystem hat. In den ersten Prüfungen dieser Annahmen stellte sich auch heraus, dass die Vermittlung des künstlerischen Arbeitens unter diesen Annahmen nicht leidet. Das Gegenteil ist der Fall, zumal diese Annahmen nichts an den Prämissen des künstlerischen Arbeitens ändern: Die Kunstdidaktik macht künstlerische Prozesse nicht unmöglich, sondern öffnet sie. Aus diesen Gründen bin ich nicht mehr hinter einige grundlegende Voraussetzungen des Kunstunterrichts zurückgefallen: Inhalt von Kunstunterricht sind Kunstgeschichte und das künstlerische Arbeiten; die Kunstdidaktik verhindert künstlerisches Arbeiten nicht (weil sie rational sei oder künstlerisches Denken in unfreie Bahnen lenke), sondern setzt sie im Unterricht in Gang; im Kunstunterricht ist wissenschaftsorientiertes Lernen möglich; die Kunstdidaktik benötigt klare Referenzen, weil sie selbst die Referenzen nicht erzeugt, denn sie betreibt als wissenschaftliche Disziplin keine Kunst und keine Kunstgeschichte, sondern ausschließlich didaktische Forschung. Allein diese Aussage genügt, um aus diesem Buch eine Streitschrift über die Inhalte und Institutionen der Kunstpädagogik zu machen.
Eine weitere Frage war, wie sich die Vermittlung des künstlerischen Arbeitens und die Vermittlung der Geschichte der Kunst didaktisch aufbauen. Zur Beantwortung dieser Frage kann man auf gesichertes Wissen der Fachdidaktik zurückgreifen: Man benötigt Methoden, die die Vermittlung in Gang setzen, Medien, auf die sich eine Vermittlung bezieht, und Themen, die in dieser Form vermittelt werden. Lerninhalte des Kunstunterrichts sind alle Bereiche: inhaltliches, mediales und methodisches Lernen, die in diesem Buch als Skripte bezeichnet werden. Diese Skripte sind Handlungsroutinen von Künstlern, Kunstwissenschaftlern und Kunstlehrern und beschreiben gesichertes Grundlagenwissen über Kunst, Wissenschaft und Didaktik. Schülerinnen, Schüler und Studierende können dieses Grundlagenwissen lernen, auch um neues Wissen im Zusammenhang von Universität und Seminar, Schule und Unterricht zu entwickeln, denn Skripte sind im besten Sinn Diskursformen zum Umgang mit Vorhandenem und zur Erzeugung von Neuem und Anderem. Auch hinter diesen Standard kann man nicht zurückfallen. Meine weiteren Suchbewegungen bezogen sich deshalb auf genaue Bezeichnungen dieser Inhalte, Medien und Methoden der Vermittlung des künstlerischen Arbeitens und der Geschichte der Kunst. Während es für die Methoden und Medien des Kunstunterrichts sicherlich einen Konsens gibt (denn niemand wird bestreiten, dass beispielsweise das »Wahrnehmen« eine unverzichtbare Kompetenz darstellt), ist die Bestimmung von Inhalten oder Themen schwierig. Doch auch zu ihrer Bestimmung gibt es heute deutliche wissenschaftliche Aussagen. Man kann versuchen, solche »Konstituenten« des Umgangs mit Kunst aus einer didaktischen Perspektive unter Einbeziehung ihrer Referenzen zu bezeichnen. Das Ergebnis dieser Suchbewegung ist ein Handlungsgerüst für die Planung des Kunstunterrichts und eine dynamische Systematik, die vielleicht viele für einen technokratischen Umgang mit Kunst halten, den man vor allem im Bereich des künstlerischen Arbeitens nicht gutheißen will und aufgrund eigener Vorstellungen von Kunst nicht billigen kann. Kunstunterricht ist aber eine institutionelle Veranstaltung in einem demokratisch entwickelten Bildungssystem, das mit Lehrplänen und Curricula arbeitet. Will dort der Kunstunterricht einen Stellenwert haben, muss er sich in diesen Rahmen eingliedern. Aus meiner Sicht gibt es hierzu keine ernst zu nehmende bildungspolitische Alternative, um Kunstvermittlung zu sichern. Andererseits haben Rahmenbedingungen, Lehrpläne und Systematiken wirklich guten Kunstunterricht noch nie verhindert. Offensichtlich ist es möglich, im Kontext dieser Systematiken künstlerisches Arbeiten und die Vermittlung von Kunstgeschichte zu verwirklichen. Je präziser die Vorstellungen davon sind, desto effizienter wird der Unterricht. Auch hinter diese Gegebenheiten sollte man nicht zurückfallen.
Deswegen bin ich mutig, eine solche Systematik für den Kunstunterricht zu entwerfen, und ich bin mir auch der Folgen bewusst, die eine solche Systematik auslösen kann. Denn sie bietet eine Folie zur Begründung von »Unterricht im Kontext fachlicher Standards«. Die Bezeichnung der Merkmale dieses Unterrichts ist eine sehr wichtige Grundlage für die Beurteilung von Studierenden, Lehrerinnen und Lehren, wenn sie ihn planen, durchführen und diskutieren. Man darf sich diesbezüglich nichts vormachen: Es gibt diese Normen, und sie bestimmen Studien- und Berufsbiografien wesentlich. Nur muss man sie klar und auf allen Seiten klar bezeichnen: in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern, in den Prüfungsphasen zu staatlichen Examen und in den Begutachtungen innerhalb ihrer beruflichen Tätigkeit. Regionale Ausbildungsbehörden beispielsweise in Nordrhein-Westfalen haben begonnen, diese Erwartungen an »gelingenden Unterricht« zu bezeichnen. Dort wird eine wichtige Grundvoraussetzung der Unterrichtsplanung deutlich: Unterrichtliches Handeln ist an Lehrpläne, Schulcurricula, konkreten Förderbedarf von Schülerinnen und Schülern und vor allem an fachwissenschaftliche Wissensbestände gebunden. Auch andere Zielvorstellungen, die in solchen Papieren genannt werden, beruhen auf einem Konsens über die Grundlagen von Unterricht: Lernfortschritte und Lernzuwachs werden im Wissen, Können, Urteilen, Anwenden und Verknüpfen erreicht; Schülerinnen und Schüler sind Partizipanten von Unterricht; die Diagnose von Lernvoraussetzungen entscheidet über den Erfolg von Unterricht; seine Zieltransparenz und Methodenorientierung machen Unterrichtsprozesse anschaulich und nachvollziehbar; Medien und Unterrichtsmaterialien verlangen eine besondere Planungsanstrengung; Unterricht bedarf einer dynamischen Evaluation. Die Fachdidaktiken tragen in diesem Prozess eine wichtige Verantwortung. Die Kunstdidaktik muss beispielsweise deutlich klarstellen, wie sich der Kunstunterricht an die geforderten fachwissenschaftlichen Standards anbinden kann.
Die Systematik dieses Projekts definiert solche Bezugskontexte sehr klar, und es wäre ein Zeugnis ihres Erfolgs, wenn sich die Unterrichtspraxis von vielen Modellen des Kunstunterrichts distanzieren könnte, die heute sein Bild bestimmen. Es ist sicherlich nicht up-to-date, kunstgeschichtlichen Unterricht durch das Umgestalten von Vorlagen zu lehren oder künstlerische Praxis als eine Verwandlung dieser Vorlagen zu verstehen. Dass man auf die Idee kommen konnte, Kunstunterricht so zu verstehen, ist in der Geschichte der Kunstpädagogik begründet. Kein Künstler und keine Künstlerin würden so handeln, und keine Kunsthistorikerin und kein Kunsthistoriker würden sich diesen didaktischen Vorstellungen anschließen. Die Kunstpädagogik entwickelte sich selbst und in voller Absicht als eigenes Bezugssystem, was historische Quellen zeigen. Damit konnten Kunst und Kunstgeschichte nicht zufrieden sein, und diese Fehlentscheidung ist der Grund dafür, dass sich die didaktische Diskussion der letzten Jahre seit dem Streit zwischen Gunter Otto und Gert Selle so verzettelt hat. Heute drängen neue Positionen in den Vordergrund, die diese Vorentscheidungen aufräumen können. Es ist dabei nicht die Aufgabe der Kunstdidaktik, künstlerische und kunsthistorische Positionen zu entwickeln.
Diese Überlegungen waren Anlässe, die Kunstdidaktik weiterzudenken; vor allem aber gründen sie in einem unguten Gefühl gegenüber dem Kunstunterricht, wie er sich heute oft zeigt. Dort haben sich inhaltliche und methodische Handlungskonzepte eingenistet und offensichtlich regelrecht festgesetzt, die sich auf kunstdidaktischen Forschungen beziehen, die dreißig Jahre alt sind. Dies ist in erster Linie das Modell, die Untersuchung von Bildern in einen Zusammenhang mit der ästhetischen Praxis von Schülerinnen und Schülern zu stellen. Rahmenrichtlinien für das Zentralabitur (beispielsweise in NRW) nennen dies »perzeptorientierte« Methoden, und viele Fachdidaktiker formulieren bis heute, dass der gestalterische Umgang mit vorliegender Kunst die angemessene Methode zum Umgang mit ihr, vielleicht sogar mit Kunst überhaupt sei. Diese Methode bestimmt damit nicht nur den Unterricht, sondern auch Prüfungen zur Untersuchung von Kunstwerken. Nun gibt es aber bis heute keinen empirischen Beleg darüber, dass die Annahmen von Gunter Otto stimmen, der diese Methode profilierte. Vor allem muss man sich klar machen, zu welchen Folgen dieses Handlungskonzept geführt hat (das zum Ende der 1970er-Jahre und zum Beginn der 1980er-Jahre bildungspolitisch sehr klug gedacht war): Weit voneinander entfernt Liegendes wird in einen kunstpädagogischen Topf gegossen (z. B. die Kunstpraxis der Gegenwart und vergangene Bildwelten, aktuelles ästhetisches Verhalten von Kindern und historische Erfahrungen von Künstlern). Das, was Kunst eigentlich ist, rührt die Kunstpädagogik zu einem Gemenge-Gelage zusammen. Integrative Methoden scheinen sogar guten Unterricht auszumachen: Die ästhetische Praxis von Kindern und Jugendlichen wird durch kunsthistorische Erklärungsstunden angereichert, statt jedem Inhalt des Kunstunterrichts ein eigenes inhaltliches Recht zu gewähren.
Dass Jahrzehnte lang an den Kunsthochschulen die Kunstpädagogik als ein leidliches Anhängsel gesehen wurde, ist trotz des Umstandes, dass dort Lehrer und Lehrerinnen vorwiegend für das gymnasiale Lehramt ausgebildet werden, kein Geheimnis. Die Kunstgeschichte hat auf der anderen Seite als akademische Disziplin an Universitäten keine eigene Fachdidaktik geschaffen, wie dies in anderen universitären Fächern üblich war