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Kisil Ayak: Sie nannten mich Rotstrumpf
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eBook249 Seiten2 Stunden

Kisil Ayak: Sie nannten mich Rotstrumpf

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Über dieses E-Book

Auf den Spuren von Marco Polo, der auf seiner weltberühmten Reise nach China durch dieses Teilstück der Seidenstraße zog, reist die Verfasserin vor einem halben Jahrhundert zweimal in Begleitung eines Filmemachers durch den Wakhan auf die Hochebenen des afghanischen Pamirs zu den dort ansässigen Kirgisen, deren Kinder sie wegen ihrer roten Wollsocken Kisil Ayak - Rotstrumpf - nennen. Mit einem kleinen Wolf, ein Abschiedsgeschenk des Fürsten Rahman Kol Khan, kehrt sie zurück.
Dieser persönliche, spannende, auch ethnologisch interessante Reisebericht entführt den Leser in ein kaum bekanntes Gebiet Afghanistans, gibt auch einen Einblick in das damals noch friedliche, nicht von den Kriegswirren erschütterte Land.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum11. Aug. 2015
ISBN9783732340507
Kisil Ayak: Sie nannten mich Rotstrumpf

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    Buchvorschau

    Kisil Ayak - Uta Mazzei-Karl

    2014

    Auf der Ofenbank schnurrt die Katze, draußen wütet ein Schneesturm, ich sitze in meiner gemütlichen Stube im Pinzgau und sehe zufällig bei 3sat den Film „37 uses for a dead sheep" von Ben Hopkins über die in Ostanatolien angesiedelten ehemaligen Pamirkirgisen. Auf Anhieb erkenne ich Akbar und Malek, die Söhne des Fürsten Rahman Kol, in dessen Yurtenlager wir vor einem halben Jahrhundert waren, als wir die ersten Fernsehfilme über unsere Reise zu den Kirgisen im Afghanischen Pamir drehten. Sofort sind mir alle Erinnerungen an die Vergangenheit präsent. Am Türstock meines alten Bauernhäuschens hängt noch die Peitsche mit dem silberverzierten Griff, die mir der damals knapp zwanzig Jahre alte Akbar, einer der besten Buzkaschispieler seines Clans, zum Abschied geschenkt hat. Und die interessanten Zeichnungen seines malbegabten Bruders Malek von Szenen aus dem Leben der Kirgisen sind in unserem Film verewigt.

    Jetzt bin ich Witwe und habe Zeit, diesen Menschen, deren Schicksal ich bisher nur in der Presse verfolgte, endlich eine Freude zu bereiten. So nehme ich Kontakt zum Filmemacher Ben Hopkins auf, der in der Ost-Türkei diesen neuen Film über sie gemacht hat und der mir verspricht, mein Päckchen mit den DVDs unserer ersten Pamirfilme, einem Fotobuch und einem Brief, aus Sicherheitsgründen über einen türkischen Kurier, an Akbar weiterzuleiten.

    In den frühen sechziger Jahren, als Fernreisen noch riskant, ungewöhnlich und abenteuerlich waren, habe ich den ehemaligen Chefredakteur verschiedener deutscher Illustrierter und späteren Filmemacher, Harald Lechenperg, auf seinen Asienreisen begleitet und bei der Herstellung seiner Dokumentarfilme assistiert. Mit der Sondergenehmigung des Königs durften wir zweimal in das strengste Sperrgebiet Afghanistans, die zum Dach der Welt gehörende Gebirgsregion des afghanischen Pamirs reisen, beziehungsweise reiten. Dort lebten die einzigen Kirgisen, die es geschafft hatten, sich außerhalb des sogenannten Eisernen Vorhanges anzusiedeln. Inoffiziell waren sie in diesem vorher unbewohnten Gebiet auf 4.000 m Höhe die Grenzwächter Afghanistans.

    Unsere Fernsehfilme „Reise auf das Dach der Welt und der drei Jahre später gedrehte „Ritt über das Dach der Welt haben aber nichts mit Tibet zu tun, für das man diesen Begriff heutzutage verwendet. Das Dach der Welt ist im geographischen Sinn der Pamir, der die höchsten Landgebiete Innerasiens umfasst, und von dem die mächtigsten Gebirge – der Tien-Shan, Kun Lun, Karakorum, Hindukusch und Himalaya – ausgehen. Der flächenmäßig größte Teil des Pamirs gehört heute zu Tadschikistan (zur Zeit unserer Reise war es die Sowjetunion), die östlichen und südlichen Randgebiete besitzen China und Afghanistan.

    1979, genau zehn Jahre nach unserer zweiten Pamir-Reise, rollten die sowjetischen Panzer nach Afghanistan. Rahman Kol Khan, das Oberhaupt der dort lebenden dreitausend Kirgisen, ein großartiger Mensch und Gastgeber, der uns auf beiden Filmreisen unendlich viel geholfen hat, konnte sich mit einem Teil seiner Stammesleute nach Pakistan absetzen. Später wurden sie dann in Ostanatolien angesiedelt, wo Ben Hopkins diesen neuen Film über sie drehte.

    Als Antwort auf mein Päckchen trudelt eine EMail ein. Akbars schon im Exil geborener Sohn Fatih spricht englisch, bedankt sich im Namen seines Vaters und erwähnt, dass dieser sich sehr freuen würde, die ‚verlorengegangene Freundin seines Stammes‘ bald wiederzusehen. Dann erwähnt er noch, dass er mit Geschichten über mich aufgewachsen ist und erst durch die zugeschickten Filme gesehen hätte, wie schwierig es war, in den Pamir zu kommen.

    Fatihs Aussage, dass er mit Geschichten über mich aufgewachsen ist, hat mich gerührt. Darüber gewundert habe ich mich nicht, denn abgesehen davon, dass wir nach zwanzig Jahren Pause die ersten Fremden waren, die 1966 und 1969 in den Pamir reisen durften, ergab sich durch die Filmarbeit und unsere Wiederkehr nach drei Jahren eine besonders freundschaftliche Beziehung. Vor allem wegen dem jungen Wolf, den uns sein Großvater Rahmen Kol Khan 1966 als Abschiedsgeschenk auf den Yak binden ließ und den ich bis nach Österreich brachte, blieben wir in Erinnerung. Nur noch wenige Fotografen, Wissenschaftler und Bergsteiger bekamen bis zum sowjetischen Einmarsch 1979 Zugang zu diesem kaum erforschten Stück Afghanistans.

    Dass mein Wiedersehen mit seinem Vater Akbar so bald stattfinden würde, ahnte niemand von uns beiden. Ich hatte zu meinem Geburtstag bei Studiosus eine Türkeireise von Istanbul zu den Ausgrabungsstätten an der Südwestküste gebucht, als ich zufällig von Fatih erfuhr, dass er mit seinem Vater Anfang November anlässlich einer Gedenkfeier zu Ehren des verstorbenen Rahman Kol Khan in Istanbul wäre. Sofort mailte ich zurück: „Auch ich bin um diese Zeit in Istanbul, könnten wir uns dort treffen?" Und Akbar blieb dann extra zwei Tage länger. Fatih, den wir zum Dolmetschen gebraucht hätten, musste leider zurück nach Ercis.

    Ich war etwas nervös. Würde Akbar mich nach einem halben Jahrhundert wiedererkennen? Und wie unterhalten wir uns dann? Um peinliche Verständnisschwierigkeiten zu vermeiden, fuhr ich etwas früher mit dem Aufzug in den siebten Stock zum Restaurant des Hilton Park Hotels, um den deutschsprechenden Kellner zu bitten, ab und zu etwas zu übersetzen. Und wer sitzt da schon am Fenstertisch? Der schnurrbärtige Akbar, der inzwischen unglaublich seinem Vater Rahman Kol Khan ähnelt, eine stämmige Frau und ein mandeläugiger junger Mann. Akbar erkennt mich sofort. Er steht auf, wir fallen uns in die Arme, ein äußert emotionaler Moment. Dass er, ein sunnitischer Mohammedaner, mich öffentlich so freundschaftlich an seine Brust drückt, empfand ich als eine besondere Auszeichnung. Der junge Kirgise fotografiert uns nonstop, und die Frau entpuppt sich als kirgisische Autorin aus Tadschikistan, die mir Geschenke übergibt und fragt, ob sie Teile der an Akbar geschickten Filme weiterverwenden dürfe. Akbar, inzwischen auch schon 65 Jahre alt, macht mir Komplimente. Wahrscheinlich hat er eine gebrechliche Alte erwartet, „it’s incredible, you seem to be still as healthy and strong as in the Pamirs", sagt er. Ab und zu übersetzt der junge Kirgise, ab und zu der Kellner, der uns das Abendessen serviert, ab und zu genügen Gesten und Körpersprache. Zum Schluss nimmt man mir das Versprechen ab, bald in die Osttürkei zu kommen, um den Rest der Familie zu sehen. Ich erlebte die Kirgisen noch als Hirtenvolk, mit tausenden von Schafen und Yaks. Heute ist Akbars Tochter Kardiologin und sein Sohn Fatih Mathematiker.

    Treffen der Autorin mit Akbar in Istanbul 2014

    Auf den Reisen gehörte es immer zu meinen Aufgaben, alles was geschieht, zu notieren. Manchmal machte ich dazu auch ein paar Bleistiftzeichnungen. Rahman Kol Khan wollte immer wissen, was ich andauernd schrieb, und wenn von weither ein Besuch angeritten kam, lieh er sich mein Tagebuch sogar aus, um es dem Gast zu zeigen.

    Diese Notizen sind nun die Grundlage zu diesem Reisebericht. Fatih sagt, er sei mit Geschichten über mich aufgewachsen, ich präsentiere hier meine Geschichten über die abenteuerlichen Reisen zu seinen Vorfahren, als diese noch im Afghanischen Pamir lebten.

    Diesen Reisebericht kann ich nur schreiben, weil ich durch Zufall einen Menschen kennenlernte, durch den mein Leben einen völlig ungewöhnlichen Verlauf nahm, und mit dem ich schon zu einer Zeit, als es noch keinen Asientourismus gab, Afghanistan, Pakistan und Indien kennen und lieben lernte.

    1960 The King and I

    Es gibt Begegnungen, bei denen ein Blick genügt, um eine Art Sekundenphänomen auszulösen. In diesem Augenblick springt ein Funke über, man ahnt, dass dieser Mensch eine ähnliche Wellenlänge hat, man spürt gegenseitige Sympathie. Das passierte, als ein Mann mit einem französischen Mannequin, das nach opiumhaltigen Medikamenten süchtig war, in die Praxis meines damaligen Freundes kam. So ergab es sich, dass wir einige Tage später in Kitzbühel von Harald Lechenperg zu einer kleinen Abendgesellschaft eingeladen wurden.

    „Heute wirst du ein paar interessante Leute kennenlernen", sagte mein Begleiter, als er das Auto unter einer Fichte parkte. Den letzten Teil des Weges gingen wir zu Fuß zum Bauernhof, vorbei an einem dampfenden Misthaufen, der einen würzig ländlichen Geruch verbreitete.

    „Hat der auch einen Stall mit Kühen, fragte ich überrascht. „Ja, sein Pächter wohnt in der Nähe und kümmert sich um die Landwirtschaft.

    Das schneebedeckte Haus mit den langen Eiszapfen sah so idyllisch aus wie auf einer Defner Postkarte, und der breite große Flur wirkte wie eine Bühneninszenierung. An einer weißgekalkten Wand war ein lebensgroßer angestrahlter, romanisch wirkender Christus am Kreuz. Daneben hingen Hellebarden. Eine geschnitzte schwarze Perchtenmaske streckte dem Besucher eine rote Zunge entgegen.

    Der Hausherr trug einen handgestrickten Bauernjanker zu Schnürlsamthosen und passte zu diesem Ambiente, glich mit seinem kahlgeschorenen Schädel dem Schauspieler Yul Brynner im Film „The King and I".

    „Was haben Sie für schönes tizianrotes Haar, sagte er zur Begrüßung, „eine echte Rote.

    Rothaarig zu sein hatte mir als Schulmädchen viel Kummer bereitet, den Schlager „I hab rote Haar, feuerrote Haar sogar" pfiffen selbst die Spatzen vom Dach, wenn ich irgendwo auftauchte. Jetzt nahm ich sein Kompliment strahlend zur Kenntnis. Dieser Mann hatte vom ersten Moment der Begegnung eine faszinierende Wirkung auf mich. Und er hatte Geschmack! Er führte uns zu den anderen Gästen in den ersten Stock. Da stand ein heiliger Andreas wie ein Wächter neben einer offenen Tür, die zwei holzgetäfelte Räume miteinander verband. Gedämpfte Beleuchtung, schöne Teppiche, Asiatisches gemischt mit Tiroler Antiquitäten – es war die Domäne eines Kunstsammlers.

    Wir wurden mit den anderen Gästen bekannt gemacht. Ein großer hagerer Mann mit einem sympathischen Wiener Akzent war der Reiseschriftsteller Herbert Tichy, Erstbesteiger des Cho Oyu, von dem ich schon einige Bücher gelesen hatte. Dessen Schwester, eine kettenrauchende Frau, die wie eine Indianersquaw aussah, sollte – so raunte mir später mein Begleiter zu – vor langer Zeit einige Monate (!) mit dem Gastgeber verheiratet gewesen sein. Edda Harrer kam in Begleitung eines bekannten Bergsteigers. Das französische Mannequin mit einer turmartig aufgebauschten Frisur und angeklebten Wimpern trug zu einer schwarzen Seidenhose ein drachenbesticktes chinesisches Kimonojäckchen – sie wirkte exotisch und reichte meinem Begleiter mit dem Ausruf „mon eher docteur" die Hand zum Kuss. Insgesamt waren wir etwa zehn Personen.

    Die Unterhaltung drehte sich um die aktuellen Themen der damaligen Zeit, man redete von Hans Hass, der gerade im Roten Meer Haie fotografierte und den manche persönlich kannten, man sprach vom Dalai Lama, der die Harrers hier in Kitzbühel besucht hatte. Irgendwann kam auch die Rede auf Malapartes Roman „Die Haut" was mir Gelegenheit gab, dessen Haus auf Capri, das er den Chinesen vermacht hatte, zu beschreiben. Ich kannte Capri gut, weil ich dort zum Italienischlernen einen langen Sommer bei einer römischen Familie verbracht hatte.

    Gegen Mitternacht wurde in Reisschalen mit Überlaufglasur eine hervorragend schmeckende Gulaschsuppe gereicht, man aß mit komischen Zinnlöffeln aus der Barockzeit. Lechenperg erzählte dann so nebenbei, dass er gedenke, demnächst seinen Posten – er war Chefredakteur der Neuen Illustrierten – aufzugeben, um mit einem Auto nach Indien zu fahren, noch einmal das Land zu bereisen, in dem er als junger Journalist seine Karriere begonnen hatte. 1930 – um diese Zeit war ich noch nicht einmal geboren – berichtete er schon über Britisch-Indien. Und nun, gute 30 Jahre später, wollte er mit dem Auto in dieses ferne Märchenland reisen – zu einer Zeit, als der Normalbürger höchstens mit Touropa nach Italien fuhr.

    Während Lechenperg sich mit Herbert Tichy über die Hürden dieser geplanten Autoreise unterhielt, war ich nur von einem Wunsch erfüllt – sie mitzumachen. Natürlich ließ ich mir nichts anmerken, ich kannte diesen Mann erst seit ein paar Stunden. Er unterschied sich grundlegend von all den Männern, mit denen ich bisher Kontakt hatte, erschien mir wie das personifizierte ‚Sesam öffne dich‘ zu einer fremden exotischen Welt.

    Kurz vor diesem denkwürdigen Abend hatte ich mich bei der holländischen Fluglinie KLM, um eine Stelle als Stewardess beworben, kam in die engere Auswahl und sollte in Köln einen Eignungstest mitmachen. Vielleicht war das ein Wink des Schicksals? In Köln arbeitete auch Lechenperg. Mein Freund gab mir bereitwillig dessen Telefonnummer und ermunterte mich sogar zur Kontaktaufnahme, falls ich Schwierigkeiten hätte.

    Nach der KLM-Prüfung rief ich ihn an.

    „Was tun Sie denn ausgerechnet am Rosenmontag in Köln?, fragte er überrascht. „Die Stadt spielt heute verrückt, nehmen Sie ein Taxi und lassen Sie sich zu mir in die Breite Straße bringen.

    Seine Wohnung lag im obersten Stock eines neuen Wohnblocks, war groß und hell. Im Entrée befand sich ein bemaltes hölzernes Ringelspielpferd, über das er meinen Mantel legte. Blickpunkt im Wohnraum war eine Kuan-yin, ein weiblicher Buddha, vor dem Hintergrund eines burgunderroten Seidensamtvorhanges. Er hätte zum Abendessen schon Gäste, doch er würde sich freuen, wenn ich bliebe, sagte er, machte Tee und fragte mich über mein Leben aus. Später bekam ich einen Gin-Tonic, er trank Whisky auf Eis. Dann hatte er in der Küche zu tun, ich durfte nicht helfen, sollte es mir bequem machen, zum Lesen wäre genug da.

    Die Gäste – gutaussehende, etwas brunhildenhafte Zwillinge – schienen über meine Anwesenheit leicht irritiert, doch der Gastgeber war der Situation gewachsen und während wir mit großem Appetit sein köstlich zubereitetes Boeuf Stroganoff verspeisten, lenkte er das Gespräch geschickt über alle Klippen. Später bat ich ihn, ein Taxi zu rufen, das mich zum Bahnhof bringen sollte, wo ich für den Nachtzug schon einen Liegewagenplatz reserviert hatte.

    Der Chauffeur kam inmitten der maskierten Menge langsam voran, am Bahnhof grölten Besoffene. Vielleicht war auch ich an diesem ereignisreichen Tag auch etwas groggy, denn ich verfehlte in der Eile den Bahnsteig, der Zug fuhr mir vor der Nase davon. So rief ich Lechenperg an, dass ich sein früheres Angebot, bei ihm zu übernachten, nun annehmen möchte. Als ich zurückkam, waren die Zwillinge schon weg. Ich nahm ein langes heißes Bad und fühlte mich wunderbar. Die Tür zu seinem Schlafzimmer war offen, er lag schon im Bett und las in einer Zeitschrift, ich wünschte eine gute Nacht und dann passierte, was passieren musste, das Gästebett blieb unbenützt, ich teilte den Alkoven des Hausherrn.

    „Füchslein, sagte der Pascha am nächsten Morgen, „mein liebes Füchslein, wir müssen uns bald wiedersehen! Ich war derselben Meinung, verließ den Medicus und stürzte mich wonniglich in diese Pygmalion-Affäre.

    Es machte ihm Spaß, mich an seinem Leben teilhaben zu lassen. Er zeigte mir seine gotischen Lieblingskirchen, nahm mich zu Ausstellungen und Kunstauktionen mit und bekochte mich göttlich. Oft wies er mich auf Artikel in der Newsweek oder Time hin, die ich unbedingt lesen sollte, er zeigte mir seine Münzsammlung – in Hall geprägte Tiroler Silbertaler – und als ich in Innsbruck bei einem Gespräch mit seinem Münzhändler erriet, dass der bienenkorbähnliche Gegenstempel eines Maria-Theresien-Talers nur von der Insel Malta sein könnte, Malta – Melita – Honig, war er richtig stolz auf mich.

    Im Sommer kam er ein paarmal nach Lugano, wo ich in der Rezeption eines Hotels arbeitete. Wir machten Ausflüge, Picknicks am See, er amüsierte mich mit seinen Zitaten von Wilhelm Busch oder Christian Morgenstern, war ein hinreißender Partner.

    Im Herbst fuhren wir ans Meer und ich mochte seine unglaublich sympathische Art, zu kraulen. Ohne Gespritze und Geplantsche schwamm er wie ein Fisch. Hals über Kopf hatte ich mich in diesen wesentlich älteren Mann verliebt. Was ich besonders an ihm schätzte war, abgesehen von seinem Wissen und guten Geschmack, sein Sinn für schwarzen Humor und eine gewisse Ironie.

    Vor meinen Eltern konnte ich diese Beziehung a la longue nicht geheim halten. Sie waren alles andere als erfreut, denn Hari – ich nenne ihn nun bei seinem abgekürzten Vornamen – war ebenso alt wie mein Vater. Einmal hatte ich eine gute Partie, wie meine Eltern das nannten, kurz vor der Hochzeit – es stand schon das Datum fest – in Panikstimmung fallengelassen. Erst im letzten Moment getraute ich mir zu sagen, dass ich mich nicht lebenslänglich binden will, dass ich nicht das vorgezeichnete Leben einer Hausfrau und

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