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...den Gestank der Welt vertreiben: ...banishing the Stench of the World
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eBook168 Seiten2 Stunden

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Über dieses E-Book

Das Buch stellt eine zweisprachige (deutsch/engl.) Sammlung von Aufzeichnungen dar, die der deutsche Stimmlehrer Alfred Wolfsohn in mehreren Manuskripten hinterlassen hat. Darin formuliert er seine Erinnerungen an Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus seiner Sicht eines deutschen Juden. Die Erinnerungen betreffen seine Erfahrungen mit dem Antisemitismus, als Soldat im 1. Weltkrieg und die Zeit im Nationalsozialismus. Wolfsohn emigrierte kurz nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 nach London, wo er bis zu seinem Tod 1962 lebte. Außerdem beschäftigen sich Wolfsohn´s Aufzeichnungen mit Leben und Werk der deutschen Künstlerin Charlotte Salomon, für die Wolfsohn in Berlin für einige Zeit eine Art Mentor war. Charlotte Salomon wurde mit 26 Jahren von den Nazis in Auschwitz ermordet.
Das Buch ist ein Zeitzeugnis von hohem Rang, geschrieben von einem Autor, der in der Lage ist, seine schlimmsten Erfahrungen nicht nur zu beschreiben, sondern auch in einem größeren Zusammenhang zu analysieren. Wolfsohn verbindet einen klaren Blick mit einer durch und durch menschlichen Haltung. Die kommt auch in seinem Ansatz zur Stimmentwicklung zur Geltung, die in diesen Erinnerungen immer wieder aufscheint.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum18. Nov. 2022
ISBN9783347765115
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    Buchvorschau

    ...den Gestank der Welt vertreiben - Alfred Wolfsohn

    Ich sehe mich, wie ich mit meinem Freunde zusammen vor einem Briefkasten stehe. Wir sind uns, die wir von Anfang an Schulkameraden waren, erst in der Untersekunda näher gekommen. Wozu wir bestimmt sind, wissen wir nicht. Wir träumen nur zusammen von einer Zukunft, in deren Mittelpunkt die Kunst steht. Er malt, und ich bin der Musik verfallen. Wir befinden uns beide im ersten Semester des juristischen Studiums, aber beide besuchen wir nur Kollegs über die Kunst.

    Wir begegnen in den Pausen immer einer Studentin, und beide verlieben wir uns gleichzeitig in sie. Beide wagen wir nicht daran zu denken, jemals mit ihr ins Gespräch zu kommen, viel wichtiger ist, dass er ein Meerbild malt und ich ein Gedicht dazu vertone. Es ist uns gelungen, ihre Adresse in Erfahrung zu bringen, und nun stehen wir vor dem Briefkasten und entledigen uns unseres gemeinsamen Kunstproduktes. Als wir das nächste Mal an ihr vorübergingen, rührte sich nichts in ihrem Gesicht. Dennoch schritten wir mit neuem Mut an unsere nächste künstlerische Tat. Wir waren so jung, wir dachten, wenn wir unsere Seele hingäben, so könnte dem nichts widerstehen.

    Ich sehe mich im letzten Jahre des Krieges in der Kantine des Kriegsgefangenenlagers, in das ich wegen Frontdienstuntauglichkeit versetzt war. Die Luft riecht übel nach dem Mittagessen. Ich sitze in der Nähe des Klaviers, an dem Unteroffizier L. eine Chopinsonate spielt. Die Tür geht auf, die Post wird verteilt, auch für mich ist ein Brief da. Aus einem bestimmten Gefühl heraus zögere ich, ihn in Empfang zu nehmen. Schließlich öffne ich ihn. Die Mutter meines Freundes macht mir die Mitteilung, dass ihr Sohn in Frankreich gefallen sei. Für Sekunden bleibt mein Herz stehen. Mein Freund war viel später zum Militär eingezogen worden als ich. Wir blieben in Korrespondenz und eines Tages hörte ich, dass er mit unserer heimlichen Liebe ins Gespräch gekommen sei. Ich war neidlos, froh für ihn. Ich war so weit weg von diesen Dingen, ich hatte ja meine ganze Aufmerksamkeit darauf richten müssen, mich auf den Erdboden zu werfen, um nicht einer Kugel oder einem Granatsplitter zum Opfer zu fallen. Was ich erlebt hatte, legte mir als Selbstverständlichkeit nahe, dass ich jedem anderen wünschen musste, es möge ihm mein Schicksal erspart bleiben.

    L. spielt weiter. Ich höre hin und denke: Ich habe schon so viele sterben sehen müssen, vielleicht bin ich auch schon längst tot. Nur wenn ich diese Musik höre, spüre ich, dass in einem völlig verkrusteten Kern ganz innen noch etwas lebt. Ich kann nicht einmal mehr weinen; denn ich weiß, wenn ich um ihn weine, würde ich nur um mich weinen. Er war der einzige, zu dem ich von mir sprach. Ich wies ihn auf die Musik hin, wie er mich auf die Malerei. Wenn wir wieder in vielen Stunden über die Kunst sprachen, er von seinem, ich von meinem Wege aus, flossen zwei Ströme zu einem großen Wasser zusammen.

    L. hört auf. Ich gehe zu ihm hin und sage: »Spielen Sie bitte weiter.« Er musste gefühlt haben, dass ich bewegt war und spielte die Appassionata.

    Ich sehe mich in der Sprechstunde eines Psychoanalytikers. Ich war dorthin geschickt worden, weil man glaubte, auf diesem Wege mich endlich von den Nachwirkungen der Verschüttung heilen zu können, die ich im Kriege erlebt habe und die jede Durchführung der Berufe, die ich in Angriff genommen, aussichtslos machte. Ich sagte zum Arzt: »Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen mitteile, woran ich zu leiden glaube,« und erzählte ihm mein Kriegserlebnis.

    In der zweiten Sitzung erwiderte ich auf einige Bemerkungen seinerseits ungefähr folgendes:

    »Ich habe in meiner Jugend sehr viel gelesen. Manchmal bin ich sehr froh, dass ich alles wieder vergessen habe. Aber eines habe ich nicht vergessen, es ist das Motto zum Hungerpastor von Raabe¹⁰, das sich mir als Knaben mit der ganzen Wucht der großen Wahrheit in die Seele eingeprägt hat und das lautet: »Wenn du wüsstest, was ich weiß, würdest Du wenig lachen und viel weinen.«

    Ich habe von Ihrem Kollegen, der mich zu ihnen geschickt hat, den wissenschaftlichen Fachausdruck für meine Krankheit gehört, der Kriegsneurose heißt. Mir fehlt jede Möglichkeit, gegen die Richtigkeit dieses Fachausdruckes anzugehen. Ich habe von mir aus diesen Einwand entgegenzuhalten: Ist das eine Krankheit, wenn ein Mensch der seelisch und körperlich im Übermaß gequält wird, nicht eine Zeit lang, sondern vier Jahre, schreit, tobt und in Krämpfe verfällt? Ich erinnere mich an den Mann Hiob, den Gott mit allen Verfolgungen schlug, mit denen ein Mensch geschlagen werden kann, und der daraufhin schrie, jammerte und tobte. Würde man dieses Toben und Schreien auch mit Neurose bezeichnen?

    Ich liege im Bett. Es klopft an der Tür. Ich wache auf. Meine Mutter tritt ins Zimmer. Sie hält einen Brief in der Hand, den der Postbote gebracht hat. Der Briefträger hat eine Uniform an. Vielleicht heißt er Schulze. Er existiert im Grunde genommen ja nur für mich durch sein Klingeln, dessen Geräusch mir die Vorstellung von ihm gibt. Diesmal hat er einen Brief mitgebracht, der mein Leben nicht nur in ungewisse Bahn lenken wird, sondern sogar die Möglichkeit in sich trägt, den Anfang vom Ende dieses Lebens zu bedeuten. Der Brief enthält meine Einberufungsorder. Ich soll Soldat werden, in den Krieg ziehen. Irgendein hoher Offizier hat seinen Namen unter die Einberufung gesetzt und ich muss seinem Befehl gehorchen. Der Offizier muss gleichfalls gehorchen, dem Kaiser, der mir unbekannt in einem großen Schloss als Herr über Leben und Tod von 60 Millionen Menschen regiert.

    Ich sage zu meiner Mutter: »Bitte mach mir doch eine recht schöne Tasse Kakao.« Wenn Sie dieses Bild geträumt hätten, würden Sie lange nachgedacht haben, was denn dieses scheinbar sinnlose Bild zu bedeuten gehabt hätte. So viel habe ich von der Zeit vor vier Jahren vergessen, dieses Bild aber haftet heute noch unvergesslich in mir. Da ich darüber nachgedacht habe, weiß ich, dass in dieser kleinen Begebenheit das Symbol für alles enthalten war, was ich unter dem Begriff behütetes Leben empfinden konnte.

    Ich fahre in einem Transportzuge in eine fremde Stadt. Ich habe plötzlich eine Uniform an. Ich gehe viele Minuten wie ein Automat, die linke Hand an der Hosennaht, die rechte an der Kopfbedeckung und grüße eine andere Uniform, von der mir bewusst ist, dass sie einen höheren Rang bekleidet. Oder ich nehme ein Gewehr in den Arm, man hat mir gesagt, das wäre meine Braut, mit diesem Gewehr würde ich später Menschen totschießen. Ich denke plötzlich an Gott, der mir verboten hat, zu töten, ich denke darüber nach, wer ist Gott? Er thront hinter den Wolken, er ist Herr über alle Menschen, aber es scheint, dass er nicht so mächtig ist wie der Kaiser.

    Es geht in ein fremdes Land. Dort sind Gräben und wieder Gräben. In diesen lebe ich. Ab und zu erhellen das Dunkel der Nacht die Raketen, seltsame von Menschen hergestellte Sterne. Granaten schlagen rechts und links ein. Ich werfe mich hin und kralle meine Hände in die Erde. Oft wird einer neben mir getroffen. Ich bin jedes Mal verwundert, warum ich nicht getroffen werde. Einmal versinke ich in einen Graben, in den Schlamm. Meine Kameraden in der Dunkelheit, gespenstische Schemen, gehen an mir vorbei und helfen mir nicht. Ich stecke im Morast und bin allein. Es kommt alles auf die Schaftstiefel an, die meine größten Feinde geworden sind, weil sie mich an jeder Bewegung hindern. Ich zertrenne die Schäfte mit dem Seitengewehr und krieche auf allen vieren vorwärts. Rings um mich schlagen die Granaten ein. An den Geschützen, aus deren Schlünden sie abgefeuert werden, hocken vier oder fünf Franzosen. Ich weiß nicht, wo sie herkommen, wer sie sind. Sie wissen noch nicht einmal, dass sie mich töten könnten. Sie haben ein Stück Erde unter Feuer zu nehmen. Es hat keinen Sinn zu schreien: »Jean Baptiste, Maurice oder Pierre, ich habe Euch nichts getan, was wollt Ihr von mir?« Ich krieche noch immer, die Stunden vergehen. Das Feuer wird immer stärker und meine Not größer. Ich bete zu Gott, aber er hilft mir nicht. Von irgendwo kommt eine Stimme und schreit: »Kamerad, Kamerad!« Ich schließe die Augen und denke voll Entsetzen: »Wie kann eine Stimme so das Letzte des Menschen verkörpern?« Granaten pfeifen, eine Stimme bettelt, ich verfluche Gott, dessen höhnisches Lachen ich in einem unendlichen Raum vernehme, die Erde ist aufgerissen, der Himmel eine kaum existierende Kulisse, Raum zwischen dem Nochdasein und Sterben. Was noch in mir lebt, sind die maschinellen Bewegungen meines Körpers mit der unaufhörlichen Frage: Wozu, warum?

    10 Der Roman Der Hungerpastor von Wilhelm Raabe ist 1864 erstmals erschienen. Das von Wolfsohn angesprochene Motto war in den Ausgaben, die ich gesehen habe, nicht zu finden.

    Ich hoffe, du¹¹ wirst aus dem Vorhergehenden ersehen, dass du eine Antwort aus Höflichkeit oder müder Bereitwilligkeit nicht zu befürchten hast. Das Problem liegt woanders. Es handelt sich um eine persönliche Auseinandersetzung von mir. Dein Brief kommt aus Deutschland. Und mit Deutschland verbinde ich die deutschen Menschen, die dort leben, die Menschen, die mich aus ihrem Land herausgejagt, mich beraubt, mich beinah gemordet und meine Angehörigen und Freunde vergast haben. Wie leicht wäre es, die Frage zu vereinfachen und mit dem so üblichen Begriff des guten und des bösen Deutschen zu operieren. Denn wenn ich bei der Erörterung der Judenfrage als Ausnahme und guter Jude hingestellt wurde, habe ich mir dies immer verbeten, weil ich es zu dumm fand. Es wäre auch kein Ausweg, das christliche Gebot zu erfüllen, seine Feinde zu lieben und ihnen die Hand zu reichen. Da ich gerade noch mit knapper Not dem Morde entgangen bin, sollte es leichter für mich sein, zu vergessen, und mich auf die Höhepunkte menschlicher Gesittung zu besinnen, aber was sagen die Gemarterten, Gekreuzigten, Geschändeten, Ermordeten dazu? Soweit ich mich erinnere, erwähnte Christus, der diese Worte von der Liebe zu den Feinden geprägt hat, nichts davon, als er gekreuzigt wurde. Er schrie laut, er schrie laut, er schrie laut. Meine Ohren sind zu empfindlich, dass sie die lauten und die leisen Schreie unserer Zeit vergessen könnten. Mein Geschmack verbietet mir, die blutbefleckten Hände der SS Peiniger, die meine Schwestern gemordet haben, zu ergreifen und Ihnen zu danken, dass Sie mir Gelegenheit geben, mich als Über-Christus zu fühlen. Nein, was ich an Liebe in mir habe, geht zu den Gemordeten. Lasst die Lebendigen die Toten lebendig machen, das scheint mir die einzige Möglichkeit, um den Geruch der unsichtbaren Giftgaskammer, die jetzt die Welt darstellt, ertragen zu können. Wunderst du dich, dass ich wieder Soldat wurde und gegen Deutschland, den Herd dieser Seuchen, kämpfte?

    Aber das Problem wäre kein Problem ohne seine Gegenseite. Ich habe nicht das Gespräch vergessen, das ich in der Nazizeit mit einem guten Deutschen hatte. Er war Architekt, musikalisch interessiert in hohem Grade, er liebte Goethe, den er jederzeit mit Vorliebe zitierte, er sprach von Humanismus und pries sein Deutschtum als die Zugehörigkeit zum Volk der Dichter und Denker, zum Lande der Musik. Wir hatten lange Gespräche miteinander, er schätzte mich sehr, weil ich zuweilen Antwort wusste auf Fragen, die ihm dunkel erschienen. Diesen Mann bat ich einmal in der Nazizeit um ein Zusammentreffen. Diesmal hätte ich eine Frage an ihn zu richten. Er war anständig genug, meine Bitte zu erfüllen, obwohl es damals schon für einen Arier einen Verrat an seinem Volke bedeutete, mit einem Juden zu sprechen. Wir saßen irgendwo im Freien, und ich fragte ihn, ob er mir, vom Standpunkt des guten, anständigen Deutschen, etwas über seine Auffassung der Rassenlehre sagen könnte. Ein Universitätskursus hatte ihn mit den letzten Ergebnissen dieser Lehre vertraut gemacht. Er sprach lange Zeit, aber es schien mir, die letzten Ergebnisse dieser Rassenlehre unterschieden sich nicht viel von den vorletzten und nicht einmal von den vor-vorletzten, über die ich schon als Knabe gelesen hatte. Nach Beendigung seines Vortrages bat ich ihn, ihm eine Frage vorlegen zu dürfen. Ich sagte zu ihm: »Ich habe Sie verstanden, d.h. ich bin ihren Gedankengängen gefolgt, ohne mich mit Ihnen einverstanden erklären zu können. Darf ich Ihnen eine präzise Frage stellen: Nehmen Sie auf der einen Seite den Massenmörder Haarmann¹². Die Blutgruppenuntersuchung hat ergeben, dass er der Ihrigen zugerechnet wird und als echter Arier anzusehen ist. Auf der anderen Seite stehe ich. Ich weiß nicht, wie meine Zugehörigkeit zu einer Blutgruppe aussieht, aber auf jeden Fall kann ich meinen jüdischen Stammbaum nicht verleugnen. Kein Grund für mich, darüber verzweifelt zu sein, denn ich teile diese Abstammung mit dem Juden Jesus Christus, dessen Jünger darauf Wert gelegt haben, diesen Stammbaum mit einer Exaktheit aufzuzeigen, wie sie nur vom deutschen Rassentheoretiker erreicht werden konnte. Und soweit ich informiert bin, ist Christus weder von Herrn Hitler, noch von Herrn Generalfeldmarschall Göring zum Ehrenarier befördert worden. Dafür haben Sie und ich aber ein gemeinsames Interesse für Musik, Goethe, gotische Dome, humanistische Fragen, menschliche Probleme. Wägen Sie bitte ab, ziehen Sie die Resultate ihrer Kenntnisse der Rassentheorie und sagen Sie mir, wer Ihnen näher steht, zu wem sie Ja sagen, zu Herrn Haarmann oder zu

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