Erfolg in Sicht: Selbstcoaching Frau und Karriere
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Buchvorschau
Erfolg in Sicht - Bärbel und Sebastian Rockstroh
Gedanken zum Einstimmen
Noch nie war das Thema Frau und Karriere so präsent wie heute. Der deutsche Arbeitsmarkt nähert sich der Vollbeschäftigung, in einigen Branchen und Regionen ist der Fachkräftemangel längst Realität. Grund genug, sich der Ressource Frau zu erinnern. Gesetzesänderungen, Diversity Management Projekte, Quoten: Politik und Wirtschaft scheinen in Sachen Frauenförderung nichts unversucht zu lassen, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Karrierewillige Frauen müssen nur noch zugreifen und die ihnen angebotenen Chancen nutzen. Zumindest theoretisch.
Praktisch sprechen die Zahlen eine andere Sprache: Frauen mit hohem Bildungsniveau hüten ihre Kinder und schaffen die Rückkehr in den Beruf nur zu einem erschreckend geringen Prozentsatz. Deutschlands Frauen verdienen im Schnitt 20 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen und sind nach wie vor in allen Führungsebenen unterrepräsentiert.
Was läuft da schief? Und vor allem, was ist zu tun?
Zur ersten Frage wurde in den letzten Jahren viel publiziert. Je nach Intention der Verfasserin bzw. des Verfassers sind mal die bösen Männer schuld, die den Frauen Steine in den Karriereweg lege. Mal sind es die unfähigen Frauen, die nur deshalb in den unteren Hierarchieebenen stecken bleiben, weil sie sich nicht intensiv genug für ihr Fortkommen einsetzen. Oder der Gesetzgeber, der nicht die erforderliche Infrastruktur zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf schafft und wenn gar keine andere Erklärung mehr herhält, dann sind es halt die Gene, die eine wirkliche Gleichberechtigung aufgrund der unterschiedlichen biologischen Konstitution der Geschlechter von vornherein ausschließen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse dienen vor allem dazu, in einem Denken von Opfer-Täter-Dimensionen die Verantwortung der oder dem vermeintlich Schuldigen zuzuschieben.
Für uns als Coachs erscheint die zweite Frage wesentlich interessanter: Was kann jede einzelne Frau, was können Sie, liebe Leserin, tun, um den beruflichen Erfolg zu erzielen, den Sie sich wünschen?
Viele Frauen agieren wie im Nebel. Sie lassen ihr Karriereschiff hier oder dort an Land treiben und sind mehr oder weniger zufrieden mit dem, was sie dort vorfinden. Meistens weniger. Andere steuern hektisch von Ufer zu Ufer und rennen sich von früh bis spät die Hacken ab, ohne jemals wirklich dort anzukommen, wohin sie wollen. So unterschiedlich diese Vorgehensweisen erscheinen mögen, beide sind Ausdruck desselben Defizits: Es fehlt an Klarheit über die wesentlichen Parameter der Reise, wie das eigene Potenzial, das konkrete Ziel, die Spielregeln, die Mitreisenden und die unterwegs lauernden Hindernisse. „Erfolg in Sicht" will Sie dabei unterstützen, diese Klarheit zu erlangen.
Dieses Buch meint es gut mit Ihnen. Deshalb bietet es Ihnen viele Anregungen zur Selbstanalyse und begleitet Sie dabei, aus dem Ozean der Möglichkeiten die für Sie passenden Lösungen herauszufischen. Neben vielen Informationen enthält es eine Vielzahl von Übungen, die Sie dazu anregen, die Perspektive zu wechseln, Ihre Standpunkte und Verhaltensweisen zu hinterfragen und unnötigen Ballast abzuwerfen. So erlangen Sie Schritt für Schritt das erforderliche Handwerkszeug, um in der männlich geprägten Geschäftswelt Ihre Position einzunehmen und zu behaupten. Ziel dieses Selbstcoaching-Prozesses ist es, dass Sie Ihre Segel setzen und Ihren individuellen Kurs in Richtung Erfolg einschlagen.
Warum ist uns das so wichtig?
Die auf männlichen Wertesystemen basierende globalisierte Welt schreit nach Veränderung. Die täglichen Nachrichten zeigen uns die Schieflage und jede/r Einzelne spürt, dass wir den Forderungen unserer Hochleistungsgesellschaft nach schneller-besserweiter auf Dauer nicht gewachsen sind. Althergebrachte Konzepte haben ausgedient. Unsere Welt braucht in vielerlei Hinsicht mehr Gleichgewicht, auch im Zusammenspiel weiblicher und männlicher Kräfte. Verbesserung im Großen erfordert Veränderung im Kleinen.
Wenn mehr Frauen wie Sie Karriere machen, dann wird sich das weit über Ihr eigenes Leben hinaus auswirken. Marianne Williamson hat dies in die wunderbaren Worte gekleidet, die Nelson Mandela bei seiner Antrittsrede als südafrikanischer Präsident 1994 übernahm: „Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, das uns erschreckt. … Dich selbst klein zu halten, dient nicht der Welt. …Und wenn wir unser eigenes Licht erscheinen lassen, geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun."¹
Jede Frau, die erhobenen Hauptes selbstbestimmt durchs Berufsleben geht, dient anderen Frauen als Rollenvorbild, das Mut macht und Orientierung, Hoffnung und Inspiration bietet. Unser Wunsch an Sie, liebe Leserin: Trauen Sie sich, Ihr Licht leuchten zu lassen!
An dieser Stelle stellen wir Ihnen Elli vor:
Auf Ihrer spannenden Reise übernimmt sie die Rolle Ihrer Mentorin. Als gestandene Seglerin ist sie es gewohnt, mit grenzenloser Leidenschaft und eisernem Willen allen Widrigkeiten zum Trotz ihr Boot auf Kurs zu halten. Immer wenn Sie dieses Bild sehen, schöpft Elli für Sie aus dem Vollen der Lebens- und Berufspraxis und steht Ihnen mit vielen wertvollen Tipps zur Seite. Sie verwendet dabei die Du-Form, denn Elli findet, mit dieser vertraulichen Anrede spricht es sich an Bord leichter von Frau zu Frau.
Wenn wir gerade bei Sprache sind, noch ein kleiner Hinweis:
Als Hypnosetherapeut/in wissen wir sehr genau um die Wirkung von Worten auf das Unbewusste. Wenn Frauen in der Alltagssprache unterschlagen werden, dann kommen sie auch in den Köpfen der Menschen nicht vor. Deshalb befürworten wir ausdrücklich eine geschlechtergerechte Sprache und bemühen uns, sie konsequent zu verwenden. Da sich dieses Selbstcoaching-Buch in erster Linie an Frauen richtet, haben wir es zum Teil in der weiblichen Form geschrieben und dabei männliche Lesende mit gemeint.
Wir freuen uns, dass dieses Buch Sie gefunden hat und wünschen Ihnen viel Freude damit. Lassen Sie sich auf den Selbstcoaching-Prozess ein und Sie werden feststellen: Auch für Sie ist der
Erfolg in Sicht!
Welche Regeln gelten an Bord?
In diesem Kapitel stellen wir Ihnen die Spielregeln patriarchal geprägter Hierarchien in Unternehmen vor. Sie entwickeln ein Bewusstsein für Risiken und Chancen und entscheiden, wie Sie karrierefördernd damit umgehen wollen.
Lassen Sie uns dieses Kapitel zur Einstimmung mit einer kleinen, zugegebener Maßen frei erfundenen, Geschichte beginnen:
Sandra will etwas für ihre Fitness tun und meldet sich bei einem Fußballverein an. Frohen Mutes geht sie zum ersten Training. Nach einer freundlichen Begrüßung erklärt ihr die Trainerin, es gehe heute sofort mit einem Freundschaftsspiel los. „Du hast doch schon mal gespielt, oder? Sandra will einen guten Eindruck machen und sagt: „Na klar.
Sie erinnert sich vage an das Kicken früher mit den Nachbarjungs und freut sich darüber, auf der Position der erkrankten Verteidigerin mitspielen zu dürfen. Das Spiel wird angepfiffen. Eine Gegenspielerin erobert den Ball und stürmt damit auf das Tor von Sandras Team zu. Das muss sie verhindern! Sandra rennt hin und bringt die Frau mit einem gezielten Tritt in die Kniekehle zu Fall. Sie greift sich den Ball, dreht sich in Erwartung des Jubels siegessicher zu ihren Teamkolleginnen um und … hört den Pfiff der Schiedsrichterin, die sie schon nach dieser ersten Spielminute vom Platz stellt. Frustriert setzt sie sich auf die Bank und fragt ihre Trainerin, was denn da schiefgegangen ist. Diese erklärt genervt, dass es sich weder bei einem Foul im Strafraum, noch beim Berühren des Balls mit den Händen, um wirklich gute Ideen handele und beides mit Platzverweis geahndet würde. Sandra versteht die Welt nicht mehr. Solche spießigen Regeln gab es damals auf dem Bolzplatz nicht. Sie wollten heute doch einfach nur Ihr Bestes geben und vollen Einsatz zeigen. Jetzt erntet Sie dafür Ausgrenzung und Kritik. Verletzt entgegnen Sie der Trainerin: „Das hätte mir ja auch jemand sagen können. Die Trainerin erwidert nur schnippisch „Sagtest du nicht, du kannst Fußball spielen?
Ähnlich wie Sandra geht es vielen Frauen in den Betrieben. Sie verbauen sich Karrierechancen, indem sie gegen Spielregeln verstoßen, die Ihnen oft gar nicht bewusst sind. Sie geben Ihr Bestes und unterstellen, dass die, meist männlichen, Vorgesetzten das dabei an den Tag gelegte Verhalten ebenso passend und angemessen finden wie sie selbst. Weit gefehlt.
In der hierarchisch strukturierten Geschäftswelt herrschen ungeschriebene Gesetze, die Ihnen niemand erklärt. Ihren männlichen Kollegen übrigens auch nicht. Die haben allerdings den Vorteil, dass die Spielregeln patriarchal geprägt sind und damit viel eher der männlichen Sozialisierung entsprechen als der weiblichen. Auch vielen Männern ist das Regelwerk nicht wirklich im Detail bewusst. Sie verhalten sich aber häufig automatisch regelkonform, weil das ganz einfach ihrer Prägung entspricht.
Uns ist wichtig, an dieser Stelle etwas ganz deutlich zu betonen: Hier geht es nicht um Rollenklischees im Verhalten einzelner Personen. Es geht um Strukturen und den sich daraus ergebenden Verhaltenskodex, so wie Sie ihn in vielen Unternehmen vorfinden. Ihn zu kennen gehört ebenso zum Handwerkszeug der beruflich Erfolgreichen wie Fachwissen, Methoden- und Sozialkompetenz.
Gibt es denn tatsächlich so etwas wie allgemeine Regeln, die in allen Firmen gelten? Natürlich hat jedes Unternehmen eine eigene Zielsetzung, ein eigenes Organigramm, eigene Arbeitsabläufe, eine eigene interne Sprache, eine eigene Vorstellung von PC (Political Correctness) und seinen eigenen Ehrenkodex. Aber es gibt einen gemeinsamen Nenner, nämlich die aus der patriarchalen Prägung erwachsene Hierarchiedynamik mit ihren Auswirkungen auf das Zusammenspiel von Alpha- und Beta-Menschen.
Lassen Sie uns diese Typologie kurz erläutern:
Als Alpha-Typen bezeichnen wir Personen, die mit natürlicher Autorität ausgestattet sind. Sie leiten daraus ihren Führungsanspruch ab. Sie wirken zielstrebig, ergebnisorientiert, konfliktbereit, mutig, stark, charismatisch, entscheidungsfreudig und -fähig, inspirierend, selbstbestimmt, kämpferisch und machtbewusst. Im Gegensatz dazu sind Beta-Typen eher Teamplayer, die sich einer
Führungspersönlichkeit unterordnen. Sie wirken gemeinschaftsorientiert und anpassungsfähig und sind eher auf Tradition und Sicherheit bedacht. Das Zusammenspiel und die gegenseitige Abhängigkeit dieser beiden Typen stellt einen der Eckpfeiler betrieblicher Hierarchie dar.
Vielleicht fragen Sie sich jetzt, was genau das Ziel dieses Kapitels ist. Wollen wir, dass Sie sich den männlich geprägten Regeln unterwerfen und somit dazu beitragen, sie aufrecht zu erhalten und zu festigen? Anders ausgedrückt: Müssen Sie als Frau ein „besserer Mann werden um Karriere zu machen? Wir sind ganz klar der Meinung: Nein, das müssen Sie nicht! Im Gegenteil. Wenn das Ziel lautet „mehr Balance in allen Lebensbereichen
, dann ist es Ihre Aufgabe, Althergebrachtes kritisch zu hinterfragen, Überholtes zu verabschieden und Neues zu gestalten. Die hierarchische Führungsstruktur hat sich überholt und sollte angesichts der anstehenden Themen unserer Zeit dringend durch neue Herangehensweisen ersetzt werden. Als weibliche Führungskraft haben Sie die historische Aufgabe, neue Unternehmenskulturen zu entwickeln. Nur – dazu brauchen Sie zunächst eine Position, die Ihnen diesen Gestaltungsspielraum bietet. Auf dem Weg dorthin wird es für Sie hilfreich sein, die ungeschriebenen Gesetze der Hierarchie zu kennen. Nur wenn Ihnen bewusst ist, was von Ihnen erwartet wird und welche Folgen bei Missachtung der Regeln auf Sie zukommen, können Sie sinnvoll darüber entscheiden, was zu tun ist, statt wie Sandra vom Platz zu fliegen. Weiteres Beispiel gefällig?
Sie fahren mitten in der Nacht mit dem Auto durch eine Kleinstadt. Die Straßen sind menschenleer, die sprichwörtlichen Bürgersteige seit Stunden hochgeklappt. An einer Kreuzung steht eine Ampel auf Rot. Ihr erster Gedanke: „So was Bescheuertes die Ampeln nachts nicht abzuschalten. Es ist doch sowieso niemand mehr unterwegs. Soll ich jetzt wirklich halten?" Und genau an diesem Punkt ist es für Sie enorm wichtig, die für die Situation geltende Regel und die aus der Nichtbeachtung erwachsende Konsequenz zu kennen. Nur wenn Sie wissen, dass Sie bei Rot anhalten müssen und Ihnen ansonsten Führerscheinentzug droht, können Sie abwägen, was zu tun ist: Wie hoch ist das Risiko, erwischt zu werden? Sind die paar Warteminuten an der Ampel das tatsächlich wert? Vorsichtshalber das Licht ausschalten? Diese Überlegungen stellen Sie nur dann an, wenn Ihnen bewusst ist, was hier für Sie auf dem Spiel steht. Anderenfalls machen Sie sich gar keine Gedanken (worüber auch?), verlassen sich blindlings auf Ihre persönliche Einschätzung und handeln nach Ihrem gesunden Menschenverstand, der allerdings von der Einschätzung der in Lauerstellung an der Ecke wartenden Polizist/innen abweichen dürfte.
Genauso wird es Ihnen in der Hierarchie der Geschäftswelt ergehen. Wenn Ihnen die Spielregeln bewusst sind, können Sie Ihren individuellen Weg wählen, weiblich klug und geschickt agieren und Ihren persönlichen Nutzen daraus ziehen.
Reise in die Vergangenheit
Eine Frage treibt die wissenschaftliche Geschlechterforschung seit Jahrzehnten um: Sind die Unterschiede im Verhalten von Frauen und Männern genetisch bedingt, oder entstehen sie durch Sozialisierung? Die Differenztheoretiker/innen belegen glasklar den Einfluss des biologisches Geschlechts (= sex). Ebenso klar weisen die Anhänger/innen der Gleichheitstheorie nach, das soziale beziehungsweise psychologische Geschlecht (= gender) sei der entscheidende Faktor.
Wir wollen uns an dieser Stelle nicht an dieser, häufig ideologisch geführten, Debatte beteiligen. In unserer Arbeit stellen wir lediglich fest, dass geschlechtsspezifische Verhaltensunterschiede tatsächlich existieren. Um diese deutlich zu machen, nehmen wir Sie jetzt mit auf einen Exkurs in die Welt der Urvölker. Es kann hilfreich sein, sich deren Lebensumstände vor Augen zu führen. Sie erklären die Spielregeln des Miteinanders und liefern damit einen Einblick in bis heute erhaltene Muster. Die folgende Schilderung erhebt keinerlei Anspruch auf wissenschaftliche Korrektheit. Die bildliche Beschreibung archetypisch weiblicher und archetypisch männlicher Verhaltensweisen dient lediglich dazu, Ihnen das heutige Agieren der Geschlechter im betrieblichen Kontext zu verdeutlichen und damit letztendlich den Bogen zu den ungeschriebenen Gesetzen der männlich dominierten Geschäftswelt zu spannen. Viel Spaß bei unserer Zeitreise!
Wir beginnen, Ladies first, mit der weiblichen Perspektive. Die Eiszeit geht zu Ende, die Menschheit entwickelt sich. Gunhilda lebt in einer Wohngemeinschaft (WG). Diese Lebensform stellt eine bedeutende soziale Errungenschaft dar, die Schutz und Sicherheit bietet. In der WG sind alle Altersgruppen vertreten. Allerdings sind in der schneefreien Jahreszeit die starken und aktiven männlichen Bewohner abwesend. Der Clan beherbergt somit die Frauen, die Kinder, die Alten und die Kranken.
Gunhildas WG
Gunhilda und eine Handvoll Alpha-Frauen sind die Anführerinnen. Als Chefinnen führen sie ein vielbeschäftigtes Leben. Da gibt es zum einen natürlich das ständige Suchen, Sammeln, Zubereiten und Konservieren von Nahrung. Ihre Hauptaufgaben bestehen allerdings vor allem darin, den Bewohner/inne/n ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität zu vermitteln. Der Clan kann nur bestehen, wenn der Großteil sich guter Gesundheit erfreut und eine positive Grundstimmung herrscht.
Nahrungsgewinnung, Kochen, Waschen, Krankenpflege sind einerseits zwar mühsame, anderseits aber relativ sichere Aufgaben. Die Frauen erledigen sie als Team, in dem gegenseitige Unterstützung und kleine Handreichungen üblich sind. Während der Arbeit gibt es für die Frauen keinen Grund, leise zu sein. Sie sind im Gespräch, es wird gelacht und gescherzt. Sie tauschen ihre Eindrücke und Empfindungen ständig rege aus und entwickeln dabei ein gefühlsbetontes, beschreibendes Vokabular. Das Zusammenleben in der Gruppe erfordert die Fähigkeit, mit einem Großteil der Bewohnenden in einer positiven Beziehung leben zu können und das wiederum erfordert die Fähigkeit zur Empathie. Wenn es darum geht, Entscheidungen in der Gruppe zu treffen, ist es für die Frauen normal, die Bedürfnisse und Gefühle der anderen Frauen mitzudenken. Das Wohl der Gemeinschaft steht bei den Überlegungen stets an erster Stelle. Das fördert ein vernetztes Denken und damit auch die Fähigkeit, mehrere Tätigkeiten parallel auszuführen.
Die Kinder werden primär von den Alten erzogen. Zum einen ist die produktive Zeit der jüngeren Frauen viel zu wertvoll und zum anderen sind die Alten so in der Lage, ihre Erfahrung und ihr Wissen an die nächste Generation weiterzureichen. Damit leisten alle ihren Beitrag zum Gemeinwohl. Die Erziehung der Kinder erfolgt geschlechtsspezifisch. Die Jungen erlernen früh die Herstellung von Waffen, die Praktiken der Jagd und das Wissen um das Überleben in der freien Natur. Als Jugendliche erfahren sie ein Initiations-Ritual, das sie vom Kind zum Mann, Jäger und Krieger erhebt. Damit begibt sich der junge Mann bewusst auf das Spielfeld der Hierarchie. Dazu erfahren Sie, liebe Leserin, später mehr. Die Mädchen hingegen betätigen sich von klein auf in den Arbeitsgruppen der Frauen. Der Übergang vom Mädchen zur Frau ist fließend und fördert das Empfinden, Gleiche unter Gleichen zu sein. So entwickelt sich von Anfang an eine prägende, eklatant unterschiedliche Sozialisierung in die klassisch männliche oder klassisch weibliche Rolle.
Nachts bietet die Behausung der WG Schutz vor Raubtieren. Das Leben in relativer Sicherheit erlaubt den Bewohnenden, ihre Tageserlebnisse auszutauschen. Freude und Leid werden gemeinsam erlebt, Jung und Alt lernen voneinander. Jedes Erlebnis ist wichtig, alle Meinungen zählen, es dürfen Mehrere gleichzeitig reden. Das Gespräch als Gruppenerfahrung fördert Nähe und Verbundenheit und damit das Empfinden von Geborgenheit. Erfolge werden als Verdienst der Gruppe betrachtet und gemeinsam gefeiert. Dafür gibt es das abendliche Ritual des Singens und des Tanzens. Die Individualität der Einzelnen verschmilzt dann im kollektiven Bewusstsein der Gruppe.
Alle Clan-Mitglieder tragen selbstverständlich ihren Teil zum gemeinsamen Leben bei. Die Frauen wissen um die Stärken und Schwächen jeder und jedes Einzelnen und berücksichtigen sie bei der Planung der täglichen Aktivitäten. Die Arbeitsabläufe werden immer wieder analysiert, besprochen und optimiert. Schwere oder lästige Tätigkeiten lockern die Frauen mit Pausen auf oder mit Ablenkungen, wie gemeinsamem Singen. Die Beteiligten freuen sich schon im Voraus auf die spielerischen Elemente und können sich leichten Herzens auf die Arbeit einlassen. Die Ergebnisse sind zwar wichtig, aber zweitrangig, der Fokus liegt auf den Prozessen und deren Planung.
In einer solchen Gemeinschaft kann nur Gleichberechtigung herrschen. Jede Aktion wird besprochen und hinsichtlich der Auswirkungen auf die Sippe geprüft. Dabei werden die Bedürfnisse der Schwächeren beachtet, denn die Umsetzbarkeit ist vom schwächsten Glied abhängig. Im Sozialleben des Clans entwickelt sich dadurch ein Vokabular, das die bedürfnisorientierte Kommunikation fördert. Das Wohl der Gemeinschaft steht als übergeordneter, sinnstiftender Aspekt immer im Vordergrund und Sicherheit nimmt dabei einen hohen Stellenwert ein. Deshalb gehen die Frauen nur selten ein Risiko ein, so dass Entwicklung langsam und bedächtig geschieht.
Verstößt eine Person gegen die ungeschriebenen Gesetze, dann erfolgt die Bestrafung durch den Rat der Gruppe. Ausschluss aus der WG, würde bedeuten, allein und schutzlos der Wildnis ausgeliefert zu sein. Die Angst vor dieser Höchststrafe ist ein tief im weiblichen Unbewussten verankertes Tabu und der größte Motivator für das Einhalten der Spielregeln. Frau will Teil der Gemeinschaft bleiben und bemüht sich, von den anderen gemocht zu werden. Dafür ordnet sie die eigenen Bedürfnisse dem vermeintlichen Wohl der Gemeinschaft unter, opfert sich auf und ist stets für andere da. Das Tabu greift aber auch im umgekehrten Sinn: Wer sich erdreistet, die Gruppe verlassen zu wollen, wird von anderen Frauen davon abgehalten, manchmal körperlich, meist jedoch durch das Agieren mit Schuld, Scham und moralischer Erpressung.
Auch Gunhilda und die anderen Anführerinnen sind dem Gesetz der Gemeinschaft unterworfen. Als Alpha-Frauen genießen sie eine natürliche Autorität und ihren Worten wird große Bedeutung beigemessen. Sie verfügen aber nicht über die Macht, Regeln im Alleingang zu erlassen. Auch Aktionen können nicht einfach bestimmt werden. Vielmehr ist es ihre Aufgabe, in der Gruppe für Balance zu sorgen. Die Anführerinnen vereinen dabei mehrere Rollen: Mentorin, Schlichterin und Impulsgeberin. Abstimmungen mit einfacher Mehrheit würden die Gruppe polarisieren, deshalb haben die Chefinnen die Aufgabe, für neue Ideen und Pläne eine breite Zustimmung zu generieren. Der Prozess der Konsensfindung verläuft langsam, emotional und unvorhersehbar. Alle Meinungen wollen gehört werden, die Gefühle wollen berücksichtigt werden. Dabei bilden sich rasch Koalitionen. Die Anführerinnen arbeiten daher mit den Mitteln der fortgeschrittenen Diplomatie: Sie bemühen sich, die Motivationen der verschiedenen Fraktionen zu verstehen, den unterliegenden Gefühlen Raum zu geben, Konflikte über einen dritten, für alle stimmigen Weg zu lösen. Sie umwerben Unschlüssige so lange, bis der Großteil der Gruppe mit dem Vorhaben einverstanden ist. Gunhilda und die