Mord in der 3. Etage: Ein Retro-Krimi
Von Andreas Panicke, Janet Braun und Janine Panicke
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Buchvorschau
Mord in der 3. Etage - Andreas Panicke
I. Die Tote
Ziellos trottete ich durch die flirrende Hitze der fast menschenleeren Straßen.
Ein Blick zur Sonne sagte mir, dass die Stunde Gary Coopers schon länger verstrichen war. Die Miller-Bande war von der Straße geräumt und wurde vom örtlichen Leichenbestatter vermessen; Gary fuhr, meilenweit von Hadleyville entfernt, einer ungewissen Zukunft als Pantoffelheld entgegen. Vielleicht saß er aber auch schon wieder im Saloon, er konnte sich ja so schlecht von dem Städtchen trennen.
Ich wusste es nicht, denn hier war nicht Hadleyville, hier gab es keine finsteren Schurken und keine Leichen dachte ich.
Das heißt, eigentlich dachte ich gar nichts, es war einfach zu heiß. Die Vision eines größeren Glases Bier, richtig temperiert und ordentlich gezapft, erschien mir ganz von selbst. Ebenso automatisch befand ich mich plötzlich auf dem Weg zu meiner Stammkneipe. Meine Füße fanden den Weg auch allein, wie ein Pferd, das man laufen lässt, immer den heimatlichen Stall findet.
Ungefähr 20 Meter vor mir bog sie um die Ecke und kam geradewegs auf mich zu.
Ich dachte immer noch an nichts.
Es war eines dieser Mädchen mit dem traurigen Gesicht, eines bei dem man befürchtet, dass es in Tränen ausbricht, wenn es sich eine Bahnfahrkarte kauft. Beim Anblick dieser Wesen muss man mit dem Schlimmsten rechnen: Mord und Totschlag, Weltuntergang oder der Verkündung einer neuen Prohibition. Meist wollen sie dann nur eine Zigarette oder wissen wo der Bahnhof ist.
So ein Katastrophen-Girl steuerte also auf mich zu und ließ mir, wie ein gut trainierter Torwart, keine Chance rechts oder links vorbeizukommen.
Ich hielt an und wollte ihr gerade sagen, wo der Bahnhof ist, als sie mit fast verendender Stimme fragte: Kannst du mir einen Gefallen tun?
Sie war ungefähr 18 Jahre alt, hatte langes, mittelblondes, leicht strähniges Haar und blaue, verzweifelt dreinblickende Augen. Ein kariertes Männerhemd flatterte lose über den hautengen Jeans. Alles in allem machte sie einen einigermaßen gepflegten Eindruck und sah eigentlich gar nicht so übel aus.
In diesem Moment hielt neben uns ein Taxi, eine Tür ging auf, und heraus purzelte ein haariges Etwas, einem Wollknäuel nicht ganz unähnlich. Das kleine Geschöpf sortierte sich, kam irgendwie auf seinen vier Pfoten zu stehen und strebte eiligst dem nächsten Laternenpfahl entgegen.
Frauchen, eine gewichtige Dame mittleren Alters im schreiend bunten Sommerkleid, entlöhnte den Fahrer und wuchtete dann ihre Pfunde hinaus in den hellen Sonnenschein.
Das war ein Wink des Schicksals, doch ich verstand ihn leider nicht: Ich hätte mich in das Taxi werfen und 100, besser 500 Kilometer, geradeaus fahren müssen.
So aber blieb ich einfach stehen, wendete den Blick wieder meiner überraschend aufgetauchten Gesprächspartnerin zu und meinte: Ich rauche leider nicht.
Einen Augenblick war sie verwirrt, dann kam: Nein, nein, ich will keine Zigarette. Es ist etwas anderes…
Ihre Stimme erstarb.
Na, nun mal raus mit der Sprache
, forderte ich sie auf. Wenn ich allerdings einen Tresor knacken oder jemanden umbringen soll, brauche ich erst einen Schluck Bier; am frühen Morgen bin ich immer etwas wackelig auf den Beinen.
Sie hörte wohl gar nicht richtig hin, sondern setzte zu einem neuen Versuch an: Meine Freundin, sie ist…
… tot
, ergänzte ich fröhlich. So schlimm konnte es ja nun schließlich nicht sein.
Ihrer Reaktion nach zu urteilen war es noch schlimmer. Sie riss die Augen entsetzt auf, und ich fürchtete, sie würde mir gleich hintenüber aufs Pflaster schlagen. Es ging aber gerade noch mal gut, sie gab sich einen Ruck und folgende Geschichte zum Besten: "Nein. Meine Freundin, wir waren zusammen im Riverboat, heute Morgen, und da hat sie getrunken, wegen Klaus, und dann ist sie vom Stuhl gefallen und hat sich den Kopf aufgeschlagen, und jetzt ist sie im Krankenhaus, und man will mir nicht sagen, was los ist… "
… sie war ganz weiß im Gesicht!
, schloss sie ihren reichlich wirren Bericht.
Ich meinte Folgendes daraus entnehmen zu können: Zwei junge Damen hatten sich am heiligen Sonntagmorgen in ein Lokal begeben, um ein paar Drinks zu schlürfen. Das Riverboat ist eine Kneipe mit vorwiegend jüngerem Publikum und dröhnend lauter Discomusik. Sonntagmorgens war ich allerdings noch nie dort gewesen. Die eine junge Dame schien also Probleme mit einem Vertreter des männlichen Geschlechts gehabt zu haben und hatte versucht, diese in ein paar Drinks mehr zu ersäufen. Mangels Übung oder Selbsteinschätzung war sie dann vom Hocker gekippt, worauf man sie aus dem Verkehr gezogen hatte - wegen Alkoholvergiftung oder Gehirnerschütterung. Schön und gut, oder auch nicht, aber welche Rolle ich in dem Drama spielen sollte, war mir noch reichlich unklar.
Das Mädchen hatte sich inzwischen etwas gefasst und murmelte: Entschuldige, ich bin ein bisschen durcheinander.
Dann etwas lauter: Könntest du nicht im Krankenhaus anrufen und fragen, wie es ihr geht, als Vater oder so?
Obwohl sich meiner inzwischen ein ziemlicher Durst bemächtigt hatte, wollte ich der Kleinen doch irgendwie helfen, und so ein Telefonanruf war ja auch nicht die Welt.
Also willigte ich ein und stellte auf dem Weg zur Telefonzelle noch ein paar Fragen:
Wie heißt denn deine Freundin?
Irene, Irene Stein.
Und ihr Vater?
Auch Stein.
Vorname?
Rudolf, glaube ich.
Wir betraten die Zelle und ich suchte mir die Nummer des örtlichen Krankenhauses aus dem zerfledderten Telefonbuch. Sie nach Telefonkarte oder Kleingeld zu fragen, erschien mir wenig aussichtsreich, ich versuchte es trotzdem. Ein Kopfschütteln bekam ich zur Antwort, und so musste ich noch 20 Pfennig in ein Ortsgespräch investieren.
Beim Wählen fiel mir auf, dass ich noch nicht mal nach ihrem Namen gefragt hatte. Eigentlich auch egal, dachte ich, du führst ein kurzes Telefonat, sagst einem Mädchen, dass ihre Freundin im Delirium liegt oder eine Gehirnerschütterung hat oder beides, und dann geht jeder seiner Wege, wobei mich meiner direkt vor einen großen Krug frisch gezapftes Pils führen würde.
Es sollte nicht mein letzter Irrtum sein.
Eine ältere, weibliche Stimme meldete sich:
St. Marienkrankenhaus, guten Tag!
Guten Tag, mein Name ist Rudolf Stein. Eben rief mich eine junge Dame an, die behauptete, meine Tochter befände sich jetzt in Ihrem Krankenhaus.
Moment, ich gebe Ihnen die Aufnahme.
Eine Stimme wie der Albtraum eines Gewächshausgärtners: Aufnahme, Schwester Margarete.
Ich leierte meinen Satz, unter den bewundernden Blicken des unbekannten Mädchens, ein zweites Mal herunter und kam mir ziemlich albern vor.
Tja, Herr Stein, Ihre Tochter war hier und ist ambulant behandelt worden, wahrscheinlich eine leichte Gehirnerschütterung. Außerdem hatte sie Alkohol zu sich genommen. Wir haben sie mit einem Taxi nach Hause geschickt.
Na, dann ist ja alles in Ordnung
, rief ich gut gelaunt.
Herr Stein!!
Ihr Telefon musste mit einer besonderen Membrane ausgestattet sein. Eine normale Membrane hätte sich diese Stimme verbeten und wäre einfach geplatzt.
Ja?
Sie sollten sich etwas mehr um Ihre Tochter kümmern!
Werde ich tun
, versprach ich etwas erschrocken.
Ein Scheppern und Poltern ließ mich vermuten, dass sie den Hörer vor Wut neben das Telefon geschmissen hatte.
Ich beeilte mich aufzulegen und wandte mich an das Mädchen: Deine Freundin ist unterwegs in die Obhut der Familie, sie hat lediglich eine Platzwunde.
Irgendwie schien sie das überhaupt nicht zu trösten. Da ging es auch schon weiter: Sie wohnt allein. Hoffentlich ist sie auch zu Hause, ich meine wegen Klaus…
Sie sah mich ängstlich an.
Sehen wir doch einfach nach!
, schlug ich vor und hätte mir im nächsten Moment am liebsten die Zunge abgebissen.
Über ihr Gesicht ging ein Leuchten, als seien ihr die himmlischen Heerscharen begegnet und hätten sie zum Abendessen ins Paradies eingeladen.
Das ist aber schrecklich nett von dir
, strahlte sie mich an. Irene wohnt auch gar nicht weit von hier.
Schrecklich fand ich die Geschichte inzwischen auch, aber mir blieb nun nichts weiter übrig, als nachzusehen, ob die Schnapsdrossel wohlbehalten in ihren vier Wänden angekommen war.
Ich heiße übrigens Sibylle
, ließ sie mich wissen.
Ich bin der Thomas und falle gleich um vor Durst!
, verkündete ich, wobei ich mir demonstrativ den Schweiß von der Stirn wischte.
Irene hat bestimmt was zu trinken da
, tröstete sie mich und setzte hinzu: Hoffentlich ist sie zu Hause.
Das hoffte ich allerdings auch. Bis jetzt bildete ich mir immer noch ein, dass ich einem Mädchen, das ein bisschen durcheinander geraten war, einen kleinen Gefallen tat. Wenn ich gewusst hätte, was ich mir da einbrockte, wäre ich laut schreiend weggerannt.
Auch diese Chance vergab ich.
Wir gingen schweigend weiter. Eigentlich hätte ich nun fragen müssen, wie das alles gekommen war, was Klaus der armen Irene angetan hatte usw., aber es interessierte mich absolut nicht, und für höfliche Konversation konnte ich mich bei der Hitze auch nicht begeistern.
So gelangten wir nach kurzer Zeit in eine kleine Straße, die von zwei Reihen bunter, dreistöckiger Mietshäuser gesäumt war.
Vor einem davon blieb Sibylle stehen und betätigte eine Klingel, neben der ein kleines Schild klebte. Darauf stand vermutlich Irene Stein, aber ich sah überhaupt nicht hin; ich wollte die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter mich bringen. Die Haustür stand sowieso offen. Also gingen wir hinein.
Irene wohnte natürlich im dritten Stock, und als wir oben ankamen, war ich schon bereit, einige Monate meines Lebens für einen Schluck Bier zu opfern. Die Hitze war von Etage zu Etage schlimmer geworden, und hier oben kam ich mir vor, als hätte man mich in einen Topf mit kochender Erbsensuppe geworfen.
Während ich noch nach Luft japste, bearbeitete Sibylle einen Klingelknopf. Hinter der Tür schepperte ein Gong los.
Als er sich wieder beruhigt hatte, senkte sich erneut Totenstille über uns und diesen Brutkasten von Haus.
Ich hatte keinerlei Bewegung wahrgenommen, aber plötzlich hielt dieses Wunderkind neben mir einen einzelnen BKS-Schlüssel in der Hand und begann seelenruhig die Tür aufzuschließen.
Du hast einen Schlüssel?
, brachte ich krächzend hervor.
Ich schlafe manchmal hier.
Die Tür öffnete sich. Da mir die Luft drinnen etwas kühler schien, machte ich einen langen Schritt und stand in einem kleinen Flur. Links neben mir befand sich die Küche, und ich konnte mich nur mühsam beherrschen, nicht die angelehnte Tür aufzustoßen, um nach dem Kühlschrank zu suchen.
Ich bemerkte drei weitere Türen: Neben der Küche eine verschlossene, gegenüber eine halboffene, das Wohnzimmer, wie ich richtig vermutete und rechts vorne die des Badezimmers.
Während ich mich noch orientierte, klickte hinter mir die Wohnungstür ins Schloss und Sibylle glitt lautlos an mir vorbei in Richtung der verschlossenen Tür.
Ich machte mich währenddessen auf den Weg ins