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Priesterweg: Ein Auftrag des HERRN
Priesterweg: Ein Auftrag des HERRN
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eBook363 Seiten4 Stunden

Priesterweg: Ein Auftrag des HERRN

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Über dieses E-Book

"Da weiß ja die eine Hand Gottes nicht, was die andere tut!" Der Berliner Anwalt-Richard Anton Punzel verzweifelt an der Kirche, die er aus guten Gründen eigentlich zum Teufel wünscht. Aber sie zahlt gut, damit er den wieder auferstandenen Geistlichen Memo in Italien findet. Doch Punzels "Eilige Investigation" droht zu scheitern, denn nicht nur der Bischof, sogar der Vatikan schein mit ihm Böses im Sinn zu haben. Einige An- und Niederschläge machen die Verfolgungsjagd Punzels und seiner Freunde zu einem riskanten Kreuzzug - gegen Rom.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum13. Juli 2022
ISBN9783347654310
Priesterweg: Ein Auftrag des HERRN

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    Buchvorschau

    Priesterweg - Tom Gear

    1

    „… doch da war der Tote verschwunden. Eine ältere Dame sagte gegenüber der Polizei, Gott sei ihr Zeuge, dass sie nur wenige Minuten vorher die Leiche eines Geistlichen gesehen habe. Mit einem Loch in der Stirn. Die Polizisten vor Ort suchten die Gegend vergeblich nach einem Toten ab."

    Ja, ist denn heute schon Ostern?, fragte sich RichardAnton Punzel unwillkürlich, als der Radiosprecher zur nächsten Nachricht überging. Wiederauferstehung? Bei allen Heiligen, wer glaubt denn an sowas! Ungern fühlte er sich erinnert an seine letzte, ganz persönliche Konfrontation mit dem Klerus vor ein paar Wochen. Da hatte er Besuch von höchster Stelle bekommen, konnte mit juristischem Rat in einem Fall schnell helfen, in einem anderen, den ihm der Bischof und seine Gefolgsleute vortrugen, jedoch nicht. Punzel hatte nicht einmal ganz verstanden, worum es ging, die Sache schien erst in der Entwicklung begriffen. So wimmelte er die versammelten Talare erst einmal ab. Nach seiner Begegnung mit der Welt des Adels und jener der Geldaristokratie wollte er nichts mehr mit sich außergewöhnlich dünkenden Gentlemen zu tun haben.

    Statt also einem Bischof und seinen Schafen zu dienen, widmete sich Punzel dem Kleinvieh. Das macht bekanntlich auch allerhand Mist – im Sinne von Geld. Trotz seiner großen Erfolge in zwei Mordsachen wollte er sich niemals vorwerfen lassen müssen, er sei abgehoben.

    Zwar konnte er es sich inzwischen leisten, nicht mehr jeden Mist – jetzt im Sinne von Bullshitjob – anzunehmen, wie noch in jenen trüben Tagen, als er kurz vor der Verabschiedung aus der Sozietät mit Kühne und Dr. Schult stand. Aber dem einen oder anderen reizvollen oder zumindest lukrativen Mandat stand er immer aufgeschlossen gegenüber.

    Als sowohl reizvoll wie auch lukrativ hatte sich die Sache Kremer gegen Kremer dargestellt. Eigentlich hatte-Punzel ja jegliche Ambitionen hinsichtlich der Überprüfung ehelicher Treue und ähnlicher delikater Delikte für allezeit entsagt, doch kam die Mandantin so einnehmend daher, dass er sich den Aussichten auf ansehnliche Einnahmen seinerseits einfach nicht verschließen konnte.

    Die betrogene Ehefrau hieß in diesem Fall Beatrix Kremer geb. Rodenbach. Hintergangen fühlte sie sich aber keineswegs wegen der Fremdschnackselaffären ihres Ehemannes, sondern wegen des von ihr dringlich vermuteten Verheimlichens großer Kapitalreserven, die er aus der Konkursmasse ihrer Ehe hatte heraushalten wollen.

    Tatsächlich waren von dem ohnehin vermögenden Ehegatten mehr als eine Million in ETFs und Anleihen versteckt worden. Mit tatkräftiger Unterstützung des Finanzgenies in ihrem Anwaltsterzett, also Dr. Schult, waren sie dem Kapitalstock auf die Spur gekommen. Laut Ehevertrag bekam Frau Kremer, bzw. inzwischen wieder Rodenbach, die Hälfte davon, und auch Punzels Kompagnon hielt sich am ebenfalls hälftigen Anwaltshonorar schadlos. Wobei es sich bei diesem im Vergleich zu den Sphären, in denen er normalerweise finanziell schwebte, um Peanuts handelte. Die Summen, die aufgerufen wurden, nahmen sich für Punzels Verhältnisse hingegen ganz anders aus.

    Natürlich waren dem immer noch untersetzt wirkenden, inzwischen aber durch leichtes, aber regelmäßiges Training schon etwas drahtigeren Schöneberger Anwalt seine großen Fälle lieber gewesen. Schon deshalb, weil er sie gemeinsam mit seinem gemischten Team aus Entrepreneurs, Zahnärzten, ReNo-Angestellten und Geliebten gelöst hatte. Abgesehen davon – man sollte von so etwas eigentlich niemals absehen –, dass es dabei um Mord- und Totschlag ging, war das gemeinsame Ermitteln ein Heidenspaß gewesen, erinnerte sich Punzel. Jedenfalls im Nachhinein. Warum aber, reflektierte er sprachkritisch weiter, es immer eine Freude der Ungläubigen sein muss und niemals eine von Gottesfürchtigen, erschloss sich dem Anwalt nicht. Möglich, dass es damit zusammenhing, dass Spaß und religiöser Eifer ganz einfach nicht zusammenkommen.

    Das tat ja auch gar nichts zur Sache, solange auf diese Weise ein Frauenmörder und ein Trio geld- und machtgeiler Betrüger- und Mörder: innen ding- sowie gerichtsfest gemacht den anschließend endlich ermittelnden und am Ende auch urteilenden Instanzen übergeben werden konnten. In seinen beiden Fällen hatte sich Punzel voll und ganz auf die besonderen Qualitäten seiner Kompagnons in der Kanzlei am Südwestkorso verlassen können. Der eine, der besagte Dr. Schult, war ein äußerst ertragreicher Spezialist für alles, was am Gelde hängt oder wenigstens danach drängt, der andere hieß Gustav Kühne und war in seinem Fachgebiet zwar anerkannt, aber nicht annähernd so wohlhabend geworden. Warum es ihn zu seinem Unglück ins Arbeitsrecht verschlagen hatte, konnte er selbst nicht mehr nachvollziehen.

    Es war eben dieser Gustav, den Punzel bei einem offenbar munteren Gespräch mit ihrer gemeinsamen Sekretärin Romy antraf. Die beiden verstanden sich richtig gut, so wie er selbst sich eines außergewöhnlich intensiven Chef-Angestellten-Verhältnisses zu Romy geradezu rühmen durfte. Die blonde Endzwanzigerin war Punzel ans Herz gewachsen, gar eine Freundin geworden, und darüber hinaus ein unersetzliches Mitglied seines Ermittlerteams, wenn es mal wieder ernst wurde. Wie ernst es in den nächsten Wochen tatsächlich werden würde, davon ahnten alle drei in diesen Momenten noch nichts. Die Vorhersehung aber war schon im Anmarsch.

    Der Freund und Kompagnon mit dem wie eh und je immer noch kleinsten Zimmer in der Kanzlei, also Punzel, löste das traute tête-a-tête von Gustav und Romy mit seinem Hinzutreten umgehend auf.

    „Gustav, hier wird von Zeit zu Zeit gearbeitet!, raunzte er den über diesen ungewohnt harschen Ton verdutzten Kollegen an. „Du weißt selbst am besten, wie schnell man vor die Tür gesetzt werden kann.

    „Mach mal halb-, besser noch viertellang, du Erfolgsanwalt, fasste sich Gustav, nachdem er die aufkommende Verärgerung heruntergeschluckt hatte. „Arbeit ist nicht das Leben, und ob einer vor der Tür bleibt, da habe ich immer noch ein Wörtchen mitzureden. Und zwar in jeder Hinsicht.

    „Ab aufs Arbeitsgericht!", insistierte Punzel.

    „Da komme ich gerade her."

    „So früh? Ist euch die Arbeit ausgegangen?"

    „Keineswegs, im Gegenteil. Massenentlassungen sind an der Tagesordnung, wie du wiederum wissen solltest. Nein, ich nehme mir einfach dich als Vorbild."

    „Immerhin, daran kann ich nichts Falsches finden."

    „Ich trödle herum, genieße auch mal das Leben und warte auf den nächsten großen Fall, bei dem alle wieder an Bord sind."

    „Ob ich dich noch mal mit auf die Brücke lasse, das weiß ich nicht. Du hast mich zu sehr genervt mit deinem penetranten Würfelglück beim Malefiz-Spiel. Aber a propos hohe See: Deshalb bin ich überhaupt gekommen. Ich plane etwas Neues, etwas, was dieses Unternehmen noch nie gesehen hat: einen Betriebsausflug!"

    „Eine, zugegeben, besonders schlechte Idee von dir", seufzte Gustav in Erinnerung an Besäufnisse und rituelle Fremdgehereien bei solchen Anlässen in seiner kurzen Zeit als Sozius einer mittelständischen Firma. Einer dieser beiden Verlockungen hatte er immerhin tapfer widerstanden.

    „Wieso nicht eine Schifffahrt? Die kann lustig sein, gesetzt den Fall, wir nehmen noch einige weniger lahme Gäste dazu, und überhaupt: Sowas stärkt den Zusammenhalt in der Firma."

    „Noch mehr Zusammenhalt geht ja gar nicht, seit unser lieber Kollege hier immer öfter mal den Boss markiert, wandte sich Gustav an Romy, „jedenfalls solange Dr. Schult nicht da ist und jedem den Marsch bläst.

    „Musik!, rief Romy dazwischen und notierte sich gleich diesen Einfall. „Ohne fetten Livesound keine Party auf Deck.

    „Unter Deck, liebe Romy, obenrum würde es ja jeden Ton wegwehen, gab Gustav zu bedenken. „Im Mai über den Wannsee zu juckeln, kann gefährlich sein. Da hat es manchmal noch Minustemperaturen. Ich muss aber noch lange Unterhosen vom Skiurlaub anno '99 haben.

    „Ich sehe da nicht so schwarz, eher weiß, warf Punzel ein. „Letztes Jahr haben wir sogar Mitte Dezember doch noch auf den Terrassen der Eisbars um die Wette geschwitzt. Winter gibt's nicht mehr, der Klimawende sei Dank.

    „In Gottes Namen", willigte Gustav seufzend ein.

    „Der bleibt aus dem Spiel." Punzel reagierte leicht über.

    „Das kann er gar nicht, auch das solltest du wissen, du atheistischer Rechtsgelehrter: Vor Gericht und auf hoher See sind wir alle in des HERRN Hand."

    „Zum Teufel damit, ich vertraue dem Strafgesetzbuch und dem Käpt'n", wies Punzel jeden Aberglauben zurück.

    „Ich schließe mich meinem Anwalt an, sagte die gute Seele der Kanzlei und ergänzte: „Um die Einzelheiten kümmere ich mich. Ist das okay?

    Romys Chefs nickten, dankbar, von der Last solchen Organisationskrams befreit zu sein.

    „Noch etwas anderes, Romy: Hat sich Gina hier in meiner Abwesenheit gemeldet?, wollte Punzel wissen. „Eigentlich müsste ihre Italien-Tour sich dem Ende zuneigen, und dann wollten wir uns ja in der bewussten Lagunenstadt treffen.

    „Nein, hier hat sie nicht angerufen, beschied Romy ihn. „Aber es kann sich wirklich nur um wenige Tage …

    Sie brach den Satz ab, weil ihr Chef einen Anruf auf seinem Handy entgegennahm.

    „Wenn man vom Deubel spricht", flüsterte Punzel Romy zu.

    „Das habe ich gehört", tönte es unwirsch aus seinem mobilen Computer. „Nenn mich Traumfrau, nenn mich Furie, aber lass den Quatsch mit diesen christlichen Mythen. Bin, zugegeben, auch keine Heilige, wenn auch verdammt, verdammt nah dran."

    „Hör auf zu fluchen, mahnte der Anwalt seinerseits seine intensivste Freundin, „das macht hässlich. Lass uns lieber Pläne machen. Ich freue mich, von dir zu hören. Bleibt es bei unserer Verabredung? Und wo bist du jetzt?

    „Und ob es bei unserem Date in der schönsten Stadt der Welt bleibt. Ich bin bis morgen noch in Mantova, der Modellstadt der Renaissance, wie man so leichthin sagt. Also: Übermorgen um sechs, Turm der San Giorgio Maggiore, ganz oben. Pünktlich!"

    Naturelmente, Signora Gina, ische werdä … Pronto!?"

    Punzel glotzte Romy an, verdutzt über das unerwartete Ende des Ferngesprächs.

    Finito, basta. Eingehängt, abgehängt!"

    „Sie überrascht Sie immer wieder, Signor Scheffe, meinte Romy. „Gewöhnen Sie sich besser endlich dran. Vor allem, wenn Sie ein paar Tage mit ihr zusammen Venedig unsicher machen.

    „Sie haben ausnahmsweise wie immer recht. Aber jetzt muss ich schnell Flug und Hotel buchen. Hoffentlich krieg' ich so kurzfristig noch was. Soll ja auch ein bisschen zum Wohlfühlen sein. Die Herberge meine ich."

    „Lassen Sie das mal meine Sorge sein, ich buche, und Sie machen Ihre Arbeit."

    „Das ist sehr nett von Ihnen, Romy."

    „Ich leite hier das Sekretariat, da macht man sowas, gewöhnen Sie sich auch daran."

    Ihr freundlich zunickend, trollte sich Punzel in sein Büro. Noch bevor er die Tür hinter sich zugezogen hatte, verlangte sein Handy doppelte Aufmerksamkeit: Zum einen traf eine Nachricht ein, derzufolge eine E-Mail eines auswärtigen Amtsgerichts zugestellt worden sei. Zum anderen rief ihn fast gleichzeitig Dr. Klimt, sein Zahnarzt, an. Das „sein" war insofern das unpassende Pronomen, als der gute Mann mit Punzels elfenbeingleichem Gebiss rein gar nichts, mit seinen seit seinem letzten Fall erwachten politischen Ambitionen dafür um so mehr zu tun hatte. Dr. Klimt war Aktivist in der Transparenz-Initiative Communcity, die sich als Ziel die Begrenzung des überbordenden Lobbyismus auf die Fahnen, auf Wimpel und alle sonstigen Winkelemente geschrieben hatte.

    In seiner Funktion als Vizevorsitzender lud er Punzel zum nächsten, sehr kurzfristig anberaumten Initiativentreffen ein. Der äußerte sein großes Bedauern, nicht dabei sein zu können, weil ihn dringende Geschäftsbesorgungen ins nahe Ausland zögen.

    „Schade, aber du kannst dem guten Zweck ja auch anders als in langweiligen Besprechungen dienlich sein, wenn es stimmt, wovon man in deinem Umfeld spricht."

    „Wovon spricht denn mein Umfeld, und warum kann es nicht ausnahmsweise mal die Klappe halten? Ich werde ihm gleich mal …"

    „Es stimmt also, dass du mit höchsten kirchlichen Würdenträgern verkehrst?"

    „Ach, das ist des Punzels Kern. Willst du mich fragen, wie ich es mit der Religion halte?"

    „Sehr gebildet, Faust Junior! Aber sag an: Will dich der Bischof dingen, in juristischen Fragen?"

    „Er hat angekündigt, auf mich zuzukommen, wenn sich der Fall, um den es geht, zuspitzt. Das könne sehr bald sein. Mehr war da nicht."

    „Dann halte mal die Augen offen, wenn die Zuspitzung da ist. Es würde unserem Anliegen nützen, auch diese Brüder aufs Korn zu nehmen. Du weißt, dass die beiden Kirchen noch immer zu den größten Lobbyorganisationen zählen, mit erheblichen politischen Durchgriffsrechten? Ich erzähle dir mehr über das Reich Gottes auf Erden, wenn du bei denen unter Vertrag stehst."

    So verblieben sie. Nachdem auf diese Weise mein eines Standbein, das politische, angegangen wurde, dachte Punzel bei sich und belustigte sich kurz über seine sprachschöpferischen Fähigkeiten, könnte ich mich doch gleich auch noch dem anderen widmen. Das hat einige Wochen keine Fortschritte gemacht – wie könnte es auch, als Standbein! Es handelte sich dabei um sein literarisches, hatte er doch in den letzten Jahren einige Kriminalkurzgeschichten geschrieben, die seine Umgebung für ganz gelungen hielt. Es war jedoch überraschend Dr. Schult gewesen, der einen Verlag dafür hatte begeistern können; oder wenigstens ein bisschen interessieren.

    Kurzerhand griff Punzel zum Telefon, um den Lektor anzurufen, den sein Kompagnon von Punzels schriftstellerischer Brillanz hatte überzeugen können. Er wollte wissen, wie viele Storys man in welcher Zeit von ihm erwartete und wie es danach weiterginge. Also wählte er, nicht zum ersten Mal, die Nummer des Dr. Wohlfeil.

    „Trumm", meldete sich unverhofft eine durchsetzungsstarke männliche Stimme am anderen Ende der Leitung.

    Überrascht über den nicht erwarteten Gesprächspartner, stotterte Punzel, dass er eigentlich den Dr. Wohlfeil sprechen wolle.

    „Das ist doch der Hohlvolt-Verlag?"

    „Hohlvolt ist richtig, Wohlfeil ist es nicht, gab der Mann kurz angebunden Auskunft. „Hat uns verlassen, ich führe jetzt die Geschäfte.

    Puh, dachte Punzel, ich rufe die Hochkultur an und werde mit ihrem Budgetverwalter verbunden.

    „Was ist den nun, mit welchem Anliegen strapazieren Sie die Leitung?"

    „Also, mein Name ist Punzel, Richard-Anton Punzel. Herr Dr. Wohlfeil hatte mir angeboten, meine Kurzgeschichten herauszugeben. Meines Wissens …."

    „Was Sie jedenfalls nicht wissen ist, dass daraus nichts wird. Man hat … wir haben … Also ich habe anders entschieden. Tut mir leid, wenn aus Ihren Ambitionen nichts wird. Einen Vertrag hatten Sie ja nicht, nicht wahr?"

    „Nein, das nicht."

    „Sehen Sie. Ich will ehrlich zu Ihnen sein: Was der heutige Kriminalroman braucht, ist der denkbar engste Bezug zu seinem Leser, auch seinen Leserinnen, ja sogar Leserinnen. Der Regionalkrimi ist tot, ohne dass er es wüsste. Wir müssen über ihn hinaus, wir bauen auf den Lokalkrimi. Verstehen Sie? Mord und Totschlag findet bei uns direkt, und ich meine direkt, um die Ecke statt, in der Einkaufspassage, an der Bushaltestelle, im Späti – you name it. Da geben Ihre Sachen nichts, gar nichts her, Herr … Insofern: Wir müssen schließlich alle leben, und der Erfolg eines Buchs ist der Erfolg an der Ladenkasse. Im besagten Kiez vornehmlich."

    „Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, presste Punzel eine Spur gedemütigt heraus. „Dann bleibe ich halt bei meinen Leisten. Mord und Totschlag habe ich jeden Tag hier um die Ecke. Ihr Konzept ist bestechend.

    Er legte auf. Interessante Welt, in der der Mann da lebt, muss ich nicht auch bewohnen, waren des Anwalts Gedanken in der Stille nach dem Schuss, der so abrupt alle Träume literarischen Ruhms zerstört hatte. Wer hätte daran nicht zu knapsen? Aber Punzel machte kurz Inventur: 1. Es gibt noch andere Verlage, 2. Ich bin ein erfolgreicher Anwalt, 3. Ich kann immer noch politische Meriten erwerben, 4. Mein Freundeskreis ist 1a. 5. Was für ein Arschloch! Klagen auf hohem Niveau? Nicht mit Richard-Anton Punzel!

    Gerade wollte er sich auf den Weg machen, um sich entweder von Romy oder Gustav bedauern zu lassen oder aber bei einem Spaziergang herunterzukommen, da fiel ihm die angekündigte E-Mail wieder ein. Die erregte wegen des Absenders seine Neugier, denn er korrespondierte höchst selten mit Juristen außerhalb Berlins. Er öffnete also die Mail. Und las, von Wort zu Wort ungläubiger werdend, den kurzen Text.

    „Sehr geehrter Herr Punzel, nach unseren Unterlagen kommen Sie als Erbe eines hierselbst kürzlich Verstorbenen infrage. Bevor wir Ihnen weitere Auskünfte geben und Ihre ggf. Ansprüche prüfen können, bitten wir Sie, Kontakt mit der hiesigen Behörde aufzunehmen. Mit freundlichen Grüßen"

    Irritierend war neben der Nachricht als solcher der Ort, von dem die Kunde seines künftigen Reichtums ausging: Es handelte sich um Langeoog. Nun war Punzel geografisch recht beschlagen, was seinen Heimatbezirk und die an ihn angrenzenden Kieze betraf, große Teile Deutschlands waren ihm dagegen im wahrsten Sinne terra incognita. Nur so viel meinte er sich zu erinnern: Langeoog war eine Insel. Oder doch gar nur eine Hallig? Das herauszukriegen war aufgeschoben zugunsten der Frage: Wer um Gottes Willen hatte Anlass gehabt, ihn zu seinem Erben einzusetzen?

    2

    Punzel griff nach seinem Hut und suchte erst einmal das Weite. Dafür hatte er sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder einmal den Friedhof an der Stubenrauchstraße ausgesucht, gleich schräg gegenüber der Kanzlei. Durch die Haustür tretend setzte er sich den guten, inzwischen schon mittelalten und etwas abgetragenen Trilby auf, sein treuer Begleiter seit dem Triumph in seinem ersten großen Fall und insofern auch sein Talisman.

    Die Grabsteinparade des Steinmetzes im Vorgarten nahm er an diesem Tag ab, ohne sich ihr näher zu widmen. Auch derjenigen auf dem Friedhof galt sein Interesse nicht, wie so oft führten ihn seine Schritte direktemang – wie längst kein Berliner mehr sagt – zu den Gräbern der hiesigen Prominenz. Aber seine stille Einkehr vor den letzten Ruhestätten der Marlene Dietrich und des Helmut Newton führten weder dazu, dass er sich von den Aufregungen des Vormittags erholte, noch verschaffte sie ihm Klarheit darüber, wer der geheimnisvolle Erblasser sein mochte.

    Nur sein literarisches Engagement wollte er sich nicht so leicht von einem windigen Buchhalter zerstören lassen. Schließlich hatte nicht er sich als mehr oder weniger grandioser Texthersteller empfunden, vielmehr hatten ihm seine Freundinnen, Freunde und Kollegen empfohlen, angesichts der Qualität seiner Geschichten die Öffentlichkeit zu suchen. Dies sich Gedächtnis rufend, schlenderte er auf dem Friedhof noch ein wenig herum und war schon auf dem Weg zum Ausgang, als er ein Grab passierte, das etwas mehr Blumenschmuck als andere zierte und vor dem sich drei Männer versammelt hatten.

    Er trat näher und entzifferte auf dem nicht sehr alten hellen Grabstein die Worte: „Prof. Dr. Horst Bosetzky *1.2.1938 †16.9.2018 Schriftsteller aus Leidenschaft". Der Name sagte ihm nichts, was nicht Wunder nahm, schließlich war Punzel in der deutschen Literatur nicht sonderlich gut bewandert. Als zwei der Männer sich zum Gehen wandten, wagte er es, neugierig geworden ob der großen Aufmerksamkeit, die diesem Verblichenen zuteil wurde, sich an den Zurückgebliebenen zu wenden.

    „Verzeihen Sie, es ist sicher eine Bildungslücke, aber was für Werke hat dieser Herr Bosetzky denn geschaffen?"

    „Nun, eröffnete der alte Mann bedächtig seine Antwort, „in die Geschichte der Weltliteratur wird er ganz sicher nicht eingehen. Punzel musterte fasziniert das Haupt seines Gesprächspartners, ein in Ehren gealterter Charakterkopf, das Gesicht mit tiefen Furchen versehen, die sicherlich die Entbehrungen und Herausforderungen eines nicht immer leichten Lebens hineingegraben hatten. Reste einer vielleicht einmal vorhandenen weißen Haarpracht bedeckten diesen Kopf.

    „Ihre Unkenntnis wäre auch ganz und gar entschuldbar, fuhr er fort, „wenn Ihnen der Name, unter dem er bekannt wurde, mehr sagte.

    „Würden Sie mir ihn verraten?"

    „Es ist eigentlich gar kein Name, es ist ein Kürzel. Seine ersten Romane wurden mit „-ky in der Autorenzeile veröffentlicht. Vielleicht, weil das Schreiben zunächst nur eine Nebentätigkeit war, eigentlich war er Soziologe. Er schrieb Kriminalromane, eine Gattung, die damals in Deutschland noch geradezu als Schundliteratur angesehen wurde. Von Zeit zu Zeit lese ich sowas gern.

    „Auch diesen Namen, ich bedaure, kenne ich nicht."

    „-ky war einer der Wegbereiter für den, nun, sagen wir literarischen Krimi. Was da heute so alles in dieser Richtung auf den Markt geworfen wird, ist dagegen kaum zu ertragen."

    „Wie recht Sie haben", flüsterte Punzel, so dass es für den Alten unverständlich war. Der bat ihn deshalb, lauter mit ihm zu sprechen.

    „Ich sagte: Wie recht Sie haben. Und beinahe hätte ich mich beim weiteren Aufbau dieser Schwemme mitschuldig gemacht. Aber vor ein paar Minuten hat mein Lektor meine Arbeiten abgelehnt."

    „Ach, das heißt doch nicht, dass Ihre Texte nichts wert sind, tröstete ihn der weise Alte. „Arbeiten Sie an Ihren Werken, suchen Sie sich Unterstützung. Nicht gleich aufgeben! Wollten Sie hauptberuflich Autor sein?

    „Bewahre, nein! Auch ich habe einen richtigen Beruf, bin Anwalt. Und das bin ich auch sehr gerne."

    „Gut, dann haben Sie Kontakt zum Leben und sind nicht so ein Schreibtischtäter, so Sie mir dieses Wort erlauben, wenn wir schon bei Kriminellem sind."

    „Sehr gern sogar, Herr …"

    „Glass, Karl Glass. Eines können Sie einem alten Mann glauben, der ein ganz schönes Oeuvre zusammengebracht hat: Wer schreibt, braucht einen langen Atem. Und viel Selbstbewusstsein. Ich empfehle immer einen kurzen Text des hochgeschätzten Friedrich Nietzsche, erschienen in Ecce Homo. Brillanter Titel: Warum ich so gute Bücher schreibe."

    „Das hört sich wirklich überzeugend an", lachte Punzel. „Das kann ich mir gut merken. Was ist Ihr Metier, wenn ich fragen darf?"

    „Ich habe das Glück, auch mit über 90 Jahren meinen Geist noch so weit beisammen zu haben, dass ich die Studien, die ich publizieren wollte, bisher immer noch zu einem glücklichen Ende gebracht habe. Zuletzt eine Arbeit über das Verhältnis von Christentum und Aufklärung."

    „Das ist ein hochinteressantes Thema, und ich beglückwünsche Sie zu Ihrem wachen Geist! Beschenken Sie die Welt weiterhin damit, ich jedenfalls werde Sie jetzt endlich lesen."

    Den greisen Mann hatte das Gespräch doch etwas mitgenommen. Punzel begleitete ihn bis zum Ausgang und half ihm dort in ein Taxi, das er zwischenzeitlich für ihn bestellt hatte.

    Beeindruckt von seinem Zusammentreffen mit diesem Gelehrten legte Punzel die wenigen Meter bis zur Kanzlei zurück, die Hinweise, Mahnungen und Anregungen des Mannes noch einmal rekapitulierend. Und darauf überprüfend, wie sie ihm hilfreich sein könnten bei der Entscheidung, die er bezüglich der Zukunft seiner Schreiberei zu treffen hatte.

    Als er an den marmornen Steinen vorbeikam, die vor dem Haus als Anregungen für die Grabgestaltung ausgestellt waren, war er sich sicher: Auf seinem Grabstein würde niemals eingraviert werden Schriftsteller aus Leidenschaft wie bei Prof. Bosetzky. Oder Gelehrter aus Hingabe, wie es dem Karl Glass angemessen wäre. Er hatte ja immer tendiert zu dem schlichten Man hat sich bemüht – aber da war ihm ein anderer Großer zuvorgekommen. Und deshalb stand sein Entschluss im Angesicht der Ewigkeit, an die die Grabmale gemahnten, für ihn fest: Die Welt brauchte keine weiteren mediokren Krimiautoren, was sie aber brauchte, waren ehrbare Juristen. Davon gab es nicht so viele.

    Ziemlich davon überzeugt, dass das nicht immer ein Widerspruch sein muss, trat er seit langer Zeit wieder einmal vor die Messingtafel, die kundtat, dass die Kanzlei Dr. Schult, Kühne und Punzel hier ihre Dienste anbot, um mit einem sauberen Taschentuch darüber zu wischen und auf diese Weise für neuen Glanz zu sorgen. Und er vergaß dabei dieses Mal auch die Namen seiner Kompagnons nicht.

    Entspannt grinsend betrat er das Büro, empfangen vom wie immer noch viel warmherzigeren Lächeln, das Romy zu vergeben hatte.

    „Sie sehen sehr zufrieden aus, Herr Punzel", stellte sie völlig zutreffend fest.

    „Wenn Sie da nicht mal recht haben", gab er zurück und setzte sie kurz über seine Begegnung wie auch über seinen Verzicht auf den zum Greifen nahen Nobelpreis für Literatur ins Bild.

    „Der gute Mann scheint einen guten Einfluss auszuüben, sagte Romy, nachdem Punzel seine Berichterstattung abgeschlossen hatte. „Ich denke, Sie wurden gut beraten.

    Ihr Chef nickte bestätigend und zog sich dann zurück, um in Sachen Erbe etwas in Erfahrung zu bringen.

    Das war schnell erledigt, nachdem ihm nur ein einziges Mitglied der weiteren Familie eingefallen war, von dem einmal gesagt worden war, er sei auf eine einsame Insel gezogen. Er meinte, sich an ein -hoog am Ende ihres Namens zu erinnern. Konnte natürlich auch kürzer -oog gewesen sein, überlegte Punzel. Das weltweite Netz fand tatsächlich die Spur eines Abkömmlings der Kerr-Linie, also der seiner Mutter. Ronald Kerr, sein Großonkel, hatte tatsächlich seinen letzten Atemzug auf Langeoog getan. Jedenfalls tat dies eine Todesanzeige kund.

    Merkwürdig, dass der ihn als Erbe einsetzen sollte. Punzels Erinnerungen an ihn beschränkten sich auf seine früheste Kindheit, als der Onkel die Punzels einige Male in Berlin besucht hatte. Sein Lebensmittelpunkt war damals, wie der des ganzen Kerr-Clans, in Bad Godesberg. Hatte Punzel als Winzling bei ihm einen so überwältigenden Eindruck hinterlassen, dass er ihn dreißig Jahre später reich machen wollte?

    Was das Erbe am Ende genau umfasste, war natürlich abzuwarten. Punzel schickt noch eine Mail an die Nachlassstelle, worin er sich vorläufig autorisierte und darum bat, ihn über die weitere Vorgehensweise zu informieren.

    Damit war der Arbeit und der Aufregungen genug an diesem Tag. Punzel klopfte deshalb an Gustavs Zimmertür, um ihm ein gemeinsames Abendessen vorzuschlagen. Darauf ging sein Kompagnon gerne ein, denn seine Frau war am Abend aushäusig, sodass er sich selbst etwas hätte kochen müssen.

    „Schade, ich hatte mich schon auf die Dose gefreut, die ich zuzubereiten fest entschlossen war, alberte Gustav, „aber ein Châteaubriand mit einem Fläschchen Château Laffitte tut es auch.

    „Wir nehmen das Wiener Schnitzel", beschied ihn Punzel, „das ist im Miteinander bewährt gut."

    Einwände von Gustavs Seite gab es nicht, vielmehr schritt er, erst einmal auf der Straße, beherzt aus. Punzel musste seiner Eile kurz Einhalt gebieten, als sie an einer Buchhandlung vorüber kamen.

    „Ganz kurz mal eben, sagte er, „ich hole mir hier nur schnell etwas.

    Gustav musste tatsächlich nicht lange warten, dann war sein Geschäftspartner wieder bei ihm. Wie groß aber war seine Überraschung, als er den Namen des Autors auf dem Buchumschlag entziffert hatte.

    „Friedrich Nietzsche. Hm, und du bist sicher, dass es sich bei diesen drei Titeln um Krimis handelt?"

    Er nahm Punzel den voluminösen Band aus der Hand.

    „Ecce Homo? Zur Genealogie der Moral? Was soll das sein? Bildung? Ach nein, destowegen: Jenseits von gut und böse sowie

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