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Die Spur des Jungbrunnens
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eBook183 Seiten2 Stunden

Die Spur des Jungbrunnens

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Über dieses E-Book

Wenn das Böse mit dem Guten wirbt und lockt. Die fiktive Handlung spielt vor dem Hintergrund der Siebziger und Achtziger des 20. Jahrhunderts vor allem in Luxemburg und Deutschland. In ihrem jungen Leben folgen Hanna und Alex jeweils ihren Idealen und Träumen. Ohne es zu ahnen, geraten sie dabei in ein verbrecherisches Geflecht.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum10. Aug. 2022
ISBN9783347581456
Die Spur des Jungbrunnens

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    Buchvorschau

    Die Spur des Jungbrunnens - Henri Joachim Becker

    Erster Teil

    1

    Als ich in Mülheim die Brücke über die Mosel auf meinem Fahrrad zügig überquerte, schwebte noch leichter Nebel über dem Fluss und im Tal. Hinter mir lag die Kindheit, die Jugend vor mir. Am frühen Morgen war ich von Veldenz aus durch verträumte Wiesen losgefahren. Der Ort liegt landeinwärts etwa zwei Kilometer südlich von der Mosel, idyllisch am Fuße der ersten Bergzüge und Wälder des Hunsrück. In dem kleinen Dorf hatte ich bei meiner Oma mütterlicherseits gerade drei Wochen meiner diesjährigen Sommerferien genossen. Der Fünfzehnjährige freute sich über die bestandene mittlere Reife. Ich war wissbegierig, ja geradezu von einer philosophischen Neugier, die Welt zu begreifen und zu verstehen. Auch deshalb sah ich dem kommenden Schuljahr mit ausgeprägtem Interesse entgegen, gewillt, meine Lernaufgabe an unserem Gymnasium sorgfältig anzugehen. In der Welt herrschten trotz aller Spannungen und Konflikte Aufbruchstimmung und Optimismus. Menschen waren voriges Jahr erstmals auf dem Mond gelandet, nicht wenige sahen die Fahrzeuge in unseren Städten schon in naher Zukunft auf Magnetbahnen dahinschweben und viele glaubten, dass man manch schwere Formen von Krankheit schon in wenigen Jahren besiegen würde. Noch befeuert von einem solchen Zeitgeist, sah ich mich aber ohnehin in meinem zukünftigen Leben auf der Seite derer, die für die Menschen ein besseres Leben anstrebten. Am verabscheuungswürdigsten erschien mir ein Lebensentwurf als Verbrecherlaufbahn. Die Jugend, in mir, ließ mich mit Idealismus und Tatendrang erwartungsvoll in die Weite einer Welt voller Erlebnisse, Abenteuer und zu erringender Siege blicken, zu erringender Siege über Krankheit und Alter, über verbrecherische Gewalt, über Naturkatastrophen, über wirtschaftliche Not. Ich radelte an dem prachtvollen Schloss Lieser vorbei und folgte – immer der Mosel entlang -- dem Weg nach dem kleinen romantischen Moselstädtchen Bernkastel-Kues. Eine vollkommene Ruhe umgab mich. Vor mir niemand, der mir entgegenkam, hinter mir nichts, das sich näherte. Immer mal wieder lenkte ich in meiner Fahrspur in lang geschwungener Linie mein Rad spielerisch von einer Seite auf die jeweils andere, genoss Bewegung, Freiraum, wohltuende Freiheit. Im Stadtteil Kues glitt ich am Nikolausufer und in der Saarallee an schmuckem Fachwerk und aus Schieferstein erbauten repräsentativ-herrschaftlichen, bewundernswert schönen Häusern entlang , drehte an der Mündungskreuzung der Moselbrücke nach links und erreichte etwa hundert Meter weiter mein Ziel: den Bahnhof Kues. Er fungierte damals als Kopfbahnhof der Abbiegerstrecke Wengerohr- Platten - Siebenborn - Maring - Lieser - Bernkastel-Kues, die diese Ortschaften an die Hauptzuglinie Koblenz-Trier anschloss. Ende der 80er-Jahre wurde der Schienenverkehr auf der Zweigstrecke Wengerohr- Kues ganz eingestellt. Die Leute nutzten mehr und mehr Pkw und Lastkraftwagen und selbst manche von denen, die mit dem kleinen Bahnverkehr aufgewachsen waren und heimlich Bedauern über das Schließen dieser Bahnverbindung empfanden oder gefühlsbetont zum Ausdruck brachten, mussten einräumen, dass sie selber immer weniger die Bahn als Verkehrsmittel in Anspruch nahmen. Die Trasse ist heute Teil des Maare-Mosel-Radweges. Das im frühen 20. Jahrhundert aus Schieferbruchstein errichtete Bahnhofsgebäude beherbergte nach der Stilllegung der Strecke später unter anderem auch ein Restaurant mit eigenem gebrauten Bier, ein angrenzendes Gütergebäude wurde restauriert und multifunktional genutzt. Hier am Bahnhof Kues wollte ich mein vorletzte Woche in Mülheim neu gekauftes Fahrrad aufgeben, um es mit der Bahn nach Luxemburg transportieren zu lassen. Meine eigene Abreise war für den nächsten Tag angesetzt.

    2

    Sie gefiel mir, sehr sogar. Das blonde Mädchen hatte ihr Gespräch mit dem Mann in der Gepäckannahme unterbrochen, als sie bemerkte, dass ich näher trat, und war mit einladender Geste und einem kleinen Lächeln, bei einem «Danke schön» meinerseits, zwei drei Schritte zur Seite getreten. Der kurze Blick, den ich beim Herannahen auf sie hatte werfen können, schien eine makellos reine Haut zu offenbaren, auf die der Sommer eine leichte, angenehme Bräune gebracht hatte. Unter ihrer Bluse und dem eng anliegenden, bis kurz oberhalb der Knie reichenden Rock hatte sich ein wohlproportionierter Körper abgezeichnet, der kräftig, weiblich üppig, aber ohne jeden Anflug von Übergewicht war. Die Begegnung hatte mich überrascht und ich fühlte mich innerlich abgelenkt bei der Abwicklung der Formalitäten für mein Fahrrad. Ich verspürte den Drang, irgendetwas zu ihr zu sagen, aber etwas Passendes wollte mir auf die Schnelle partout nicht einfallen. Schließlich war mein Rad abgewogen und alle Papiere ausgefüllt. Beim Abgang schickte ich noch einen kurzen freundlichen Blick zu ihr hinüber. Ich sah in ein kluges Gesicht. Ihre Augenfarbe war blau. Im Vorbeigehen fiel mir eine kleine Narbe an ihrer linken Wange auf, nichts Verunstaltendes, aber gerade sichtbar.

    Draußen empfand ich mich als Versager. Wie konnte es sein, dass ich nichts zu ihr gesagt hatte? Sie war ungefähr gleichaltrig mit mir. Routiniert im Ansprechen von Mädchen, mit denen ich nicht bekannt war, war ich nicht. Aber ich war auch nicht schüchtern, zurückhaltend schon. Vor allem aber – wie ich nicht zum allerersten Male an mir bemerkt hatte ‒ hemmte mich gerade dann, wenn ein Mädchen mir besonders gefiel, die Vorstellung, ich müsse etwas besonders Kluges sagen, etwas der Bedeutung der Person Angemessenes äußern, um die Bekanntschaft zu beginnen, kein Smalltalk, keine Belanglosigkeiten. Damit ging mir die für solche Situationen nötige Leichtigkeit und Lockerheit verloren. Das eventuell noch Gesagte wirkte verkrampft, nicht mehr unbefangen. Auch sind ja Anfänge besondere Momente. Man erinnert sich besonders gut an sie: der erste Schultag, der erste Arbeitstag, der Lehrer an seine erste Klasse, der Arzt an seinen ersten Patienten, der Geschäftsmann an seine ersten Kunden, der Anwalt an seinen ersten Prozess, der Richter an seinen ersten Fall. Und es gibt eine ganze philosophische Literatur über das Phänomen des Anfangs. Aber all das konnte jetzt kein Trost für mich sein, entschuldigte meine Schwäche nicht. Und auch nicht der Gedanke, dass ich bei ihr bei näherem Kennenlernen eventuell auf unangenehme Überraschungen stoßen könnte. Ich steuerte auf die Moselbrücke zu. Der Diensthabende, mit dem sie sich unterhalten hatte, mochte ein Bekannter gewesen sein, vielleicht hatte sie einen Ferienjob am Bahnhof, vielleicht war der Mann sogar verwandt mit ihr. Ich hatte den Fluss fast ganz überquert, als auf der Brückenstraße ein Fahrrad an mir vorbeisauste. Seine Fahrerin betätigte an der Brückenmündung die Rücktrittbremse, drosselte ihre Geschwindigkeit ein wenig und verschwand dann geradewegs in der Altstadt von Bernkastel. Es war das Mädchen.

    Ich eilte, hastete hinterher. Vielleicht lieβ sich das Verpasste nachholen oder ein Anhaltspunkt gewinnen, um es schon bald nachzuholen. Vorbei an dem nahe der Brücke sich eindrucksvoll erhebenden, aus unverputztem Bruchstein erbauten und an einen Wehrturm erinnernden hohen Turm der St. Michaeliskirche eilte ich hinterher. Für die herrliche Stadtkulisse mit ihren größtenteils aus dem 16. und 17. Jahrhundert stammenden Fachwerkhäusern, dem Marktplatz mit dem zauberhaften Michaelisbrunnen, dem noch im Mittelalter erbauten schiefen, zerbrechlich wirkenden Spitzhäuschen, das auf einem viel zu kleinen Sockel um Gleichgewicht zu ringen schien, dem Renaissance-Rathaus , den malerischen Gassen und Plätzen, die sich an die Altstadtmitte anschlossen, für all das hatte ich diesmal nur wenig Aufmerksamkeit. Überall hielt ich Ausschau nach einem Fahrrad mit blauem Rahmen, wagte mich manchmal in Eingangsbereiche, blickte sogar dreimal mit Herzklopfen hinter halb geöffnete Scheunen- und Haustüren. Vergeblich! Schließlich gelangte ich wieder an die Mosel. Die Bauten aus Stein und von repräsentativer Schönheit, die hier auf den Fluss blickten und dem märchenhaften Charme der Altstadt ein mondänes Flair hinzufügten, sahen mich ratlos an. Abgespannt, desillusioniert, enttäuscht, müde beschloss ich abzubrechen. Vielleicht hatte sie Bernkastel bereits wieder verlassen. Vielleicht war sie zu einer Freundin in Bernkastel geradelt und beide waren zu einer Fahrradtour aufgebrochen. Vielleicht … Einen Augenblick überlegte ich dann noch, zum Bahnhof zurückzukehren und dem Herrn in der Gepäckannahme bei irgendeiner fingierten Suche um Auskunft, Informationen über seine Gesprächspartnerin zu entlocken. Aber es erschien mir sinnlos: Der Mann konnte sich denken, warum ich mehr wissen wollte und Fremden gegenüber gibt man keine sehr persönlichen Dinge preis. Ich hätte noch nicht einmal vortäuschen können, sie hätte Geld verloren, hatte ich doch selber nur noch ein paar Groschen dabei.

    Ich trottete Richtung Stadtrand. Gegen Ende der Ausfallstraße nach Andel probierte ich, mitfahren zu dürfen per Anhalter. Das war damals insbesondere bei jungen Leuten nichts Ungewöhnliches. Längst nicht alle Haushalte besaßen ein Auto oder gar mehrere, eventuelle Busverbindungen waren über den Tag spärlich verteilt. Ein fünfzehnjähriger Junge, der am Straßenrand Autofahrer um Mitfahrt bat, erweckte wenig Misstrauen. In den Dörfern steckte der Tourismus, der Fremdenverkehr, noch in den Anfängen. Manche Bewohner der Moselgegend fühlten sich so sicher, dass sie immer noch nicht einmal nachts ihre Haustür zusperrten. Und die Anhalter selber, meist jüngere Leute, sahen im Allgemeinen in dieser Art des Sichbefördernlassens ein hinnehmbares Risiko.

    Anfang der Siebziger gab es in dieser Gegend noch wenig Fahrzeugverkehr. Einige Autos fuhren an mir vorbei. Aber nach einer Weile steuerte jemand an mich heran. Ich öffnete die Beifahrertür. Es war ein Herr in mittleren Jahren.

    „Fahren Sie vielleicht nach Mülheim?", erkundigte ich mich höflich.

    ‒ „ Das liegt auf meinem Weg, steig ein Junge!", erwiderte der Mann.

    Es war, wie sich im Gespräch herausstellte, ein Winzer aus Piesport. In Mülheim konnte ich bei dem kleinen Spielzeug- und Zeitungsladen neben der Apotheke aussteigen. Ich bedankte mich fürs Mitnehmen und sagte „Auf Wiedersehn".

    Über die Veldenzer Straße verließ ich Mülheim. Der eher schmale Weg nach Veldenz zog sich durch ein breites malerisches von Weinbau, Wiesen Obstbäumen und Feldern geprägtes Tal, durch das der, von Bäumen und Büschen umsäumt, Veldenzer Bach floss. Die Straße wurde später breit ausgebaut und verlockt seither immer wieder Leute hier zu schnell zu fahren, besonders im Bereich einer bestimmten Kurve. An ihr kommt der Bach nahe an die Straße heran und wenn die Pflanzen an ihm hoch genug sind, ist diese Kurve nur mehr wenig einsehbar. Ich legte den restlichen Weg nach Hause zu Fuß zurück. Nicht zum ersten Mal. Wenn wir auf unserer Reise zu meinen Großeltern in Lieser den Schienenbus verlassen hatten , brachte uns die nicht weit entfernte Fähre über den Fluss und von da an ging es samt Gepäck meist zu Fuß weiter. Abgesehen davon, dass eine Taxifahrt für einen Arbeitergeldbeutel auch schon ein bisschen Luxus war, gab es in den Dörfern nur selten Taxifahrer und wenn, dann nebenberuflich und daher auch nicht unbedingt sofort fahrbereit. Zudem konnte die Erreichbarkeit schwierig sein. Viele Telefonanschlüsse gab es in einer Ortschaft nicht. Wer telefonieren wollte, musste normalerweise erst mal zum Postamt, und wer eine Nachricht per Anruf erhielt, bekam diese mitgeteilt von einem guten Nachbarn, der den Anruf mit seinem Fernsprecher überhaupt hatte entgegennehmen können. Nach dem Bau der Moselbrücke war der Fährverkehr im April 1968 eingestellt worden. Viele Male hatten meine Eltern und ich, ab und zu ausruhend,

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