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Artes - Pro und Kontra IV: Untersuchungen zum gesellschaftlichen Diskurs zu Kunst, Wissenschaft und Technik - Kapitel 5 und 6
Artes - Pro und Kontra IV: Untersuchungen zum gesellschaftlichen Diskurs zu Kunst, Wissenschaft und Technik - Kapitel 5 und 6
Artes - Pro und Kontra IV: Untersuchungen zum gesellschaftlichen Diskurs zu Kunst, Wissenschaft und Technik - Kapitel 5 und 6
eBook978 Seiten11 Stunden

Artes - Pro und Kontra IV: Untersuchungen zum gesellschaftlichen Diskurs zu Kunst, Wissenschaft und Technik - Kapitel 5 und 6

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Über dieses E-Book

Aus der geistigen Erbmasse der römischen Spätantike entstanden zwei Religionssysteme: das kaiserzeitliche Christentum und der Islam. Beide haben ihre spezifischen Probleme mit der Rezeption des vorgefundenen "Wissens der Alten" und mit den weltlich umtriebigen τέχναί/artes. Beide Religionssysteme bilden spezifische atechnische Attraktionsbereiche:
Diese könnten wir in der christlichen Tradition mit dem augustinischen Terminus "civitas dei" charakterisieren (Kapitel V).
Die aktuelle Diskussion zeigt, dass die wichtigsten Ereignisse und Daten der muslimischen Geschichte selbst unter den Gebildeten offensichtlich wenig bekannt sind. So brauchen wir, bevor wir die "Einstellungen zu den artes" untersuchen, einen differenzierenden Blick für die bedeutendsten Normen und Strömungen in der muslimischen Geisteswelt. Die Auseinandersetzung mit der geistigen Erbmasse der Antike hat von den drei Zweigen der artes die Wissenschaften und die Philosophie ganz anders erfasst als die produktiven Techniken und die künstlerische Gestaltung. Leitend war das Bild von der Urgemeinde.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum10. Dez. 2014
ISBN9783732315673
Artes - Pro und Kontra IV: Untersuchungen zum gesellschaftlichen Diskurs zu Kunst, Wissenschaft und Technik - Kapitel 5 und 6

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    Buchvorschau

    Artes - Pro und Kontra IV - Vilmos Dr Czikkely

    1 Die Christliche Vita Contemplativa Und Die Doctrina Christiana

    Aus der geistigen Erbmasse der römischen Spätantike (4.5.1.) entstand nicht nur das kaiserzeitliche Christentum (5.1.), sondern, in den östlichen Randgebieten, auch der Islam (6.1.). Beide haben ihre spezifischen Probleme mit der Rezeption des vorgefundenen „Wissens der Alten und mit den weltlich umtriebigen τέχναί/artes. Beide Religionssysteme bilden spezifische atechnische Attraktionsbereiche. Diese könnten wir in der christlichen Tradition mit dem augustinischen Terminus „civitas dei charakterisieren.

    Bevor wir die Gedankenwelt des Christentums auf atechnische Attraktoren untersuchen, wollen wir zunächst seine Ausgangsposition betrachten (5.1.1.), um dann seine innere Entwicklung auf eventuelle Konvergenz auf vorhandene Attraktionsbereiche zu verfolgen. Diese Entwicklung verlief, unter dem Gesichtspunkt dieser Untersuchung, in drei unterschiedlichen Phasen:

    …. Die früheste, die apostolische Phase war von einer Endzeiterwartung geprägt.

    …. Auf diese folgte eine Phase der Verteidigung gegen die Vorwürfe der heidnischen Umwelt (5.1.2.-4.).

    …. Die dritte Phase in diesem Abschnitt war die Zeit nach der Anerkennung und die Etablierung als Reichskirche.5.1.6.).

    Diese drei Phasen sind durch verschiedene, spezifische spieltheoretische Situation geprägt:

    …. In der ersten Phase wurden die Christen von den Heiden und von der „Obrigkeit" kaum wahrgenommen (5.1.2.), ihre Auseinandersetzungen waren nach innen gerichtet.

    …. Die zweite Phase war eine Zeit der kritischen Auseinandersetzung zwischen Christen und Heiden (5.1.3.).

    …. In der dritten Phase war das Christentum zunächst toleriert und dann als Staatsreligion etabliert. In diesen drei Phasen wurde eine doctrina christiana formuliert (5.2.). Die Einstellungen zu den artes wurde dabei jeweils neu justiert (5.3.).

    * In der Erwartung des Endes der Welt und des Hereinbrechens eines neuen Äons waren die artes insgesamt für die frühen Christen kein Thema (5.1.). In der Zeit der Verteidigung gegen die Vorwürfe der Heiden haben die Apologeten die Mittel der antiken Rhetorik und Philosophie forensisch gebraucht (5.1.3.). Doch die Verwendung dieser Mittel war auch umstritten. Bereits in der zweiten und auch in der dritten Phase mussten sie sich mit den drei Zweigen der artes differenziert auseinandersetzen (5.2. und 5.3.). Ganz speziell in der dritten Phase haben christliche Schriftsteller, die in hohe Ämter aufstiegen, Boethius (5.2.1.12.), Cassiodor (5.2.1.14) und Papst Gregor der Große (5.2.1.15), das Wissen der Alten unter einem „staatstragenden" Blickwinkel betrachtet. Wir müssen in dieser Untersuchung in allen der drei Entwicklungsphasen auf eventuell vorhandene innere Spannungen, Inkonsistenzen und Inhomogenitäten achten und dazu müssen wir eine Reihe markanter Positionen beachten.

    In der ersten und zweiten Phase schwankte der Eingriff der Politiker, Kaiser oder deren lokaler Vertreter, zwischen Toleranz und Verfolgung. In der dritten Phase, nach der Anerkennung und nach der Etablierung einer „Reichskirche" wurde Situation spieltheoretisch komplexer. Der Kaiser oder regionale Könige konnten vorhandene innerkirchliche Inhomogenitäten nutzen und sich mit der einen oder anderen der in kirchlichen Kreisen vorhandenen Fraktionen verbinden.

    Auch im weiteren Verlauf, insbesondere nach den Einbrüchen der Völkerwanderung, wurde die Rezeption des „Wissens der Alten" immer wieder aktuell und Gegenstand politischer Ambitionen und Maßnahmen (7.). Damit mussten auch die Auseinandersetzungen um Vernunft und Glaube (8.) jeweils neu ausgetragen und Lösungsmöglichkeiten neu formuliert werden. Anschließend wird eine besondere Betrachtung den Wissenschaften (9.1.) und der Technik (9.2.) im lateinischen Mittelalter gewidmet.

    1.1 Die formative Phase des Christentums

    Für unsere Betrachtung über die Einstellungen zu den artes sind, als eine Arbeitshypothese, vier Aspekte aus der Theologie- bzw. Kirchengeschichte wichtig:

    …. der jüdischen Erbschaft: die Erzählung aus der Genesis über die Schöpfung, das Leben im Paradies, den Sündenfall und seine Folgen (Einleitung zu Kapitel 2);

    …. das Neue Testament, die Traditionen des Matthäus, des Johannes und des Paulus, insbesondere im ersten und zweiten Korintherbrief des Paulus,

    …. die heidnische Erbschaft an Lehren einer Kosmologie und …. die internen Mechanismen zur Reinhaltung der Lehre.

    Diese letzteren bilden sich parallel zur Entstehung der katholischen Lehre und der kirchlichen Institutionen aus, deshalb müssen wir auf beide Prozesse einen Blick werfen. Neben den Einstellungen zu den artes müssen wir noch die Auseinandersetzung mit der heidnischen Philosophie heranziehen, weil auch darin Einstellungen artikuliert werden, die mit den ersteren korrelieren könnten oder diesen sogar vorangehen.

    In einem langen und verschlungenen Prozess der Entwicklung versteht sich die entstehende christliche Theologie nicht nur als eine Erbin der antiken Philosophie (4.2.), sondern als der einzige Zugang zur Wahrheit, die einzig „wahre Philosophie"¹ und zugleich als der einzige wahre Glaube. Doch sie hat im Laufe der Auseinandersetzungen eine ganze Fülle antiker, d.h. auch paganer, Vorstellungen in sich aufgenommen.

    Es ist nicht das Ziel dieser Untersuchung eine Geschichte der Theologie zu schreiben oder einzelne Theologen als Theologen umfassend zu würdigen, Diese Geschichte verläuft in einem atechnischen Bereich. Doch einige markante Merkmale des frühen theologischen Denkens müssen hier in Erinnerung gerufen werden, um spezifische Einstellungen zu den artes zu verstehen, besonders weil die sich ausbildende Theologie später als die „wahre Philosophie" zur dominierenden wird.

    1.1.1 Die Anfänge

    * Bevor wir die frühchristlichen Einstellungen zu unserem Thema betrachten, wollen wir den jüdischen Hintergrund, d.h. einige Stellen aus dem Alten Testament in Erinnerung rufen. Im Alten Testament war der „herrschaftlichen Garten" des alten Orients (2.1.2.4.) ein Teil des Schöpfungsaktes: Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen Morgen und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte². Doch wir finden chargierende Einstellungen:

    …. Im ersten Buch Mose gebot Gott den Menschen: Du sollst essen von allerlei Bäumen im Garten (2.1.2.4.); aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst Du nicht essen, denn welchen Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben³. Doch, da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet mitnichten des Todes sterben; sondern Gott weiß, dass, welches Tages ihr davon eßt, so werden eure Augen aufgetan, und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist⁴.

    In diesem Buch ist nicht nur das Wissen wollen, sondern auch der Bau der Stadt Babel und eines Turmes (2.1.2.4.) als ein Zeichen der Überheblichkeit bewertet, die von Gott bestraft wird: Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Da sie nun zogen gen Morgen, fanden sie ein ebenes Land im Lande Sinear, und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lass uns Ziegel streichen und brennen! und nahmen Ziegel zu Stein und Erdharz zu Kalk und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen! Denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und haben das angefangen zu tun; sie werden nicht ablassen von allem, was sie sich vor genommen haben zu tun. Wohlauf, lasst uns herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, dass keiner der anderen Sprache verstehe! Also zerstreute sie der HERR von dort alle Länder, dass sie mussten aufhören die Stadt zu bauen. Daher heißt ihr Name Babel, dass der HERR daselbst verwirrt hatte aller Länder Sprache und sie zerstreut in alle Länder⁵.

    Die Warnung vor Hochmut, Überheblichkeit, superbia gehört zu den Grundlagen der jüdisch-christlichen Kultur. Im Buch Jesaja wird vom Hochmut des „Königs von Babel" berichtet, der in den Himmel steigen und (… seinen) Stuhl über die Sterne Gottes erhöhen wollte, über die hohen Wolken fahren und gleich sein dem Allerhöchsten. Statt dessen fuhr er aber „hinunter zu den Toten (…), zur tiefsten Grube, wurde von Gott „hingeworfen ohne Grab wie ein verachteter Zweig

    Überheblichkeit, Superbia hat in der alttestamentlichen Tradition eine chargierende Bedeutung: Erkenntnistrieb, Gestaltungswille auf der einen Seite, überheblicher Verstoß gegen eine gottgegebene Sozialordnung auf der anderen.

    Diese Überheblichkeit ist zwar nicht gleichzusetzen mit dem griechischen Begriff von Hybris (2.3. und 2.4.), doch die beiden Vorstellungen konnten leicht miteinander verbunden werden, wo das eine gemeint war konnte das andere verstanden werden.

    Auch der griechische „Hybris ist chargierend: Der Verstoß gegen Dike, die göttliche Ordnung, hat nicht nur einen „technischen, sondern auch eine politische Dimension (2.3.1.6., 3.3.2. und 3.4.1.).

    Als eine Abweichung von einer gottgegebenen Norm waren Hybris und superbia nicht nur von „theoretischem" Interesse. Hybris und superbia betrafen das Berufsleben allgemein (5.3.1.), insbesondere alle „Intellektuellen Berufe (7.5.1.), sie gingen auch in die monastische Regel (5.1.4.1. und 5.2.1.15.) und Lasterkataloge (5.4.), bis in die mittelalterlichen Bußordnungen (7.1.2.) ein.

    Nach dem Sündenfall wurde Adam die Strafe verkündet: Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen⁷. Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, dass er das Feld baute, davon er genommen ist⁸. Das Bild vom Garten Eden, der am Beginn der Geschichte stand, wurde Verheißung: Du vnd deine Kinder vnd deine Kindskinder / alle ewr lebtage / Auff das jr lange lebet. Jsrael du solt hören vnd behalten / das du es thust / Das dirs wolgehe vnd seer vermehret werdest / Wie der HERR deiner veter Gott dir geredt hat / ein Land da milch vnd honig innen fleusst⁹.

    Auch hier gilt: Der Garten Eden ist zwar nicht gleichzusetzen mit den griechischen (2.3.2.2.) oder römischen (4.2.1.1. und 4.1.2.2.4.) Vorstellungen vom Goldenen Zeitalter, doch auch diese konnten leicht miteinander verbunden werden

    Der Prediger Salomo akzeptierte die Ansicht, dass Gott dem Menschen das Streben nach Erkenntnis gegeben hat: Ich, der Prediger, war König über Israel zu Jerusalem und richtete mein Herz, zu suchen und zu forschen weislich alles, was man unter dem Himmel tut. Solche unselige Mühe hat Gott den Menschenkindern gegeben, dass sie sich darin müssen Quälen¹⁰. Doch der Prediger Salomo warnte auch vor Eitelkeit des Reichtums¹¹ und mahnte zur Einfachheit¹². Unter den Berufen war einzig der Arzt hoch angesehen: Ehre den Arzt mit gebührender Verehrung, dass du ihn habest zur Not; denn der Herr hat ihn geschaffen, und die Arznei kommt von dem Höchsten, und Könige ehren ihn¹³. Im Mittelalter spielten jüdische Ärzte sowohl in der muslimischen (6.2.4.2.7. und 6.2.2.12.) als auch in der lateinischen Welt (7.2.) eine wichtige Rolle.

    Doch die alttestamentlich tradierte Einstellung zu den Ärzten war ambivalent:

    …. Zeichen zu deuten wird mit ärztlichen Diagnosen verglichen: Denn jr deutets felschlich / vnd seid alle vnnütze Ertzte¹⁴.

    …. Im Nachexilischen Buch der Chroniken finden wir eine ablehnende Haltung: Vnd Assa ward kranck an seinen Füssen im neun vnd dreissigsten jar seines Königreichs / vnd seine kranckheit nam seer zu / Vnd sucht auch in seiner kranckheit den HERRN nicht / sondern die Ertzte. Also entschlieff Assa mit seinen Vetern / vnd starb im ein vnd vierzigsten jar seines Königreichs¹⁵.

    Von Moses wurde ein Bilderverbot formuliert: Du sollst der kein Bildnis machen, keinerlei Gleichnis, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, noch des, das im Wasser unter der Erde ist. Du sollst sie nicht anbeten noch ihnen dienen. Denn ich, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der die Missetat der Väter heimsucht über die Kinder ins dritte und vierte Glied, die mich hassen¹⁶.

    …. Im Buch der Weisheit erscheinen Maß, Zahl und Gewicht als ordnende Prinzipien der Schöpfung: Aber du hast alles geordenet mit mas / zal vnd gewicht¹⁷. Eine vergleichbare Einstellung zu den mathematischen Disziplinen des Quadriviums (4.1.1.9. und 4.1.2.4.) finden wir auch bei, Augustinus (5.2.1.8.) Boethius (5.2.1.12.) und Cassiodor Senator (5.2.1.14). Diese Stelle konnte leicht mit platonisch-pythagoreischen Vorstellungen verbunden werden. Diese Verbindung prägte auch die Einstellung zu den „mathematischen Disziplinen" im Mittelalter (7.1.2.3. und 9.1.1.).

    * Jesus wuchs in der Familie eines Zimmermannes auf, seine Jünger waren einfache Leute: Hirten, Bauern, Fischer, Tagelöhner, Soldaten, Zöllner¹⁸. Nur Künstler und Wissenschaftler finden wir nicht unter ihnen. Jesus entnahm seine Gleichnisse aus der Erfahrungswelt seiner Zuhörer.

    Seine Jünger verblieben zunächst als eine Reformbewegung innerhalb des Judentums und der Synagoge¹⁹, das für sich schon aus verschiedenen Parteiungen bestand²⁰,²¹.

    * Im Zentrum des gesellschaftlichen Diskurses der Juden standen: das Mosaische Gesetz, das Verhältnis zur römischen Besatzungsmacht und apokalyptische Prognosen und Zukunftserwartungen. Gegensätzliche Bewegungen, Hoffnungen und Erwartungen bestimmten das religiöse und politische Klima:

    ….Da waren die Zeloten, die in einem Aufstand gegen die Römer versuchten die Freiheit Israels wiederherzustellen²².

    …. Da waren die Pharisäer, die mit genauer Beachtung nach den Weisungen der Thora lebten um der Anpassung an die römisch-hellenistische „Einheitskultur" zu entgehen²³.

    …. Da waren die Sadduzäer, die versuchten ein aufgeklärtes, dem geistigen Standard der Zeit gemäßen Judentum zu leben und sich auch mit der römischen Herrschaft arrangieren²⁴.

    …. Da waren die Essener, die sich vom Tempelkult abwandten und in Erwartung des baldigen Weltendes eine religiöse Gemeinschaft gebildet haben²⁵. Sie hatten ab etwa 100 v.u.Z. in Qumran, am Nordwestende des Toten Meeres, das Zentrum der Handschriften - Herstellung²⁶. Unter diesen Schriften gab es eine religiöse Weisheits-Literatur altorientalisch-jüdischer Prägung²⁷.

    …. Eine Markante Gestalt im gesellschaftlichen Diskurs um apokalyptische Erwartungen war Johannes der Täufer, der zum radikalen Umkehr aufrief²⁸.

    Es gibt in den Berichten über das Wirken Jesu eine Auseinandersetzung mit den Pharisäern²⁹, vielfältige Berührung mit Johannes dem Täufer und den Schriften von Qumran³⁰: z.B. Die apokalyptische Erwartung, das baldige Ende der Welt und das Kommen des Messias³¹. Diese Berichte sind Teil eines gesellschaftlichen Diskurses. In diesem Diskurs wurden vier als authentisch Anerkannt³² (s. weiter unten).

    An der Zeitwende hatten die Juden nicht die gleiche „jüdische Vergangenheit: Es gab den Unterschied zwischen Juden in der hellenistischen Diaspora und den einheimischen Juden im Stammland („Griechen und „Hebräer" in der Apostelgeschichte³³), doch diese letzteren waren selbst nicht einheitlich, wie das Neue Testament berichtet. Diejenigen, die sich entschlossen Jesus zu folgen, brachten diese Vorprägung mit³⁴, und so lassen schon die Berichte über die Urgemeinde neben Gemeinsamkeiten auch eine Heterogenität erkennen³⁵. Sie nahmen mit der Zeit den Charakter von Strömungen an und die Frage nach der richtigen Lehre wurde immer dringender (5.1.5.).

    * Josephus Flavius (5.1.2.) nannte Jesus schlicht einen „Weisen Menschen, wenn man ihn überhaupt einen Menschen nennen darf", einen „Lehrer aller Menschen" und „Vollbringerganz unglaublicher Taten"³⁶,³⁷. Doch weder Jesus noch seine unmittelbaren Schüler und Anhänger haben eine schriftlich verfasste Lehre hinterlassen. Sie waren „illiterarii". Die Schüler folgten ihrem Lehrer auf das gesprochene Wort.

    Am Anfang des Urchristentums³⁸ standen kein einheitliches Glaubensbekenntnis³⁹, keine geschlossene Theologie und keine „reine Lehre, sondern nur eine Reihe deutbarer Überlieferungen von Worten, Gleichnissen, Taten, dem Schicksal, dem Tod Jesu sowie das Leben und die Lehren der Apostel. Im 2. Jahrhundert gab es eine Vielzahl von Überlieferungen, Spruchsammlungen, Berichten und Evangelien und einen Diskurs über ihre Authentizität⁴⁰. Ein Herzstück der Verkündung Jesu bilden die Gleichnisse⁴¹. Die „Bibliothek von Nag Hammadi (5.1.4.1.) enthielt 58 verschiedene Evangelien, Spruchsammlungen, Kindheitsberichte von und über Jesus und gnostische Texte.

    Es gab Versuche, das überlieferte Material der Evangelien und anderer Schriften zu harmonisieren (5.1.3.10.). Der früheste Versuch war das Diatessaron von Tatian (5.1.3.2.). Das vermutlich älteste Verzeichnis entstand in den Jahren 170-200, es ist als „Kanon Muratori" in einer Übersetzung aus dem 8. Jahrhundert erhalten⁴² (5.1.3.10.).

    Jedes der kanonischen Evangelien wählt aus den tradierten Berichten aus, setzt durch die Auswahl, Anordnung und die Einbindung in das Leben Jesu eigene Akzente. Bereits die frühen synoptischen Evangelien (Markus, Matthäus, Lukas) ergänzen sich und interpretieren die einzelnen Jesusaussagen gegenseitig. Wir besitzen nicht ein einziges Jesuswort, das uns nicht durch die Gemeinde überliefert, also irgendwie durch das Medium des Gemeindeglaubens hindurchgegangen wäre⁴³. Die Evangelien bilden die erste Stufe einer sich entwickelnden Ordnung der Tradition, einer ersten Stufe theologischen Denkens⁴⁴: Die zentrale Gestalt ist Jesus von Nazareth⁴⁵, den Bezugsrahmen bildeten die prophetischen Schriften des Alten Testaments und die mosaischen Gesetze und deren „Relecture", Neuinterpretation⁴⁶.

    In den Berichten über sein Wirken gibt es Weisheitssprüche und Wunderheilungen, über die es einen gesellschaftlichen Diskurs gab:

    …. Die Schriftgelehrten haben sich entrüstet: Und es gingen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel, und er heilte sie. Da aber die Hohen-priester und Schriftgelehrten sahen die Wunder, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien und sagten: Hosianna dem Sohn Davids! wurden sie entrüstet⁴⁷.

    …. Doch nach Markus und auch nach Johannes hat Jesus selbst Wundererwartungen kritisiert: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubet ihr nicht⁴⁸ Wahrlich, ich sage euch: Es wird diesem Geschlecht kein Zeichen gegeben⁴⁹. Markus warnte: es werden sich erheben falsche Christi und falsche Propheten, die Zeichen und Wunder tun, daß sie auch die Auserwählten verführen, so es möglich wäre⁵⁰. Auch Paulus hat die Korinther gewarnt: Denn solche falsche Apostel und trügliche Arbeiter verstellen sich zu Christi Aposteln⁵¹.

    …. Auch der Mittelplatoniker Celsus konnte an solche Berichte anknüpfen (4.2.1.2. und 5.1.2.).

    Nach den Überlieferungen, ob kanonisch oder nicht, hat Jesus kein Interesse für die weltlichen artes gezeigt. Seine Umgebung bestand aus ungelehrten Leuten und Laien⁵², Der Gott von dem er kündete, der die Welt gemacht hat und alles, was darinnen ist, er, der ein HERR ist Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln mit Händen gemacht.⁵³ Der zentrale Inhalt der Verkündigung Jesu war das baldige Kommen des Reiches Gottes⁵⁴: Wahrlich ich sage euch / Es stehen etliche hier / die werden den Tod nicht schmecken / Bis das sie sehen das Reich Gottes mit Krafft kommen⁵⁵. Vor dieser Erwartung des baldigen Ende dieser Welt war selbst die Herrlichkeit Tempels des Salomon irrelevant: Und da etliche sagten von dem Tempel, dass er geschmückt wäre mit feinen Steinen und Kleinoden, sprach er: Es wird die Zeit kommen, in welcher von dem allem, was ihr sehet, nicht ein Stein auf dem andern gelassen wird, der nicht zerbrochen werde⁵⁶.

    Doch das Christentum war bereits in den Evangelien im Gewande einer Philosophie an die Griechen herangetreten: Lukas ließ den Apostel Paulus in Athen als philosophischen Wanderprediger (4.2.4.) auftreten, der die Lehre Christi unter den Heiden verkündet hat⁵⁷. Er zeichnete in der Areopagrede einen Missionarstyp, den es zweifellos damals schon gab. Dieser hat dazu die Möglichkeiten genutzt, die das neue Medium Buch im neuen Codexformat bot (4.1.2.5.).

    N.b: Auch an der Schwelle zur Neuzeit spielte eine mediale Neuerung (der Buchdruck) eine wichtige Rolle (10.1.6.).

    Es dauerte noch einige Menschenalter, bis es wirklich zur Auseinandersetzung des Christentums mit der griechischen Philosophie kam. Den Anfang haben die Apologeten des 2. Jahrhunderts gemacht (5.1.3.). Das sind ursprünglich Vertreter der griechischen Popularphilosophie, die aber Christen geworden sind und die nun das Christentum als eine neue, „wahre Philosophie" gegen die herkömmliche verteidigten. Sie bedienten sich dazu bereits vorliegender Hilfsmittel, nämlich der Handbücher und Florilegien, die für die gegenseitige Polemik der Schulen geschrieben worden waren, wie sich an der Wiederkehr der Argumente und Topoi zeigen lässt⁵⁸.

    Schon sehr früh standen eine Vielzahl theologischer Ansätze nebeneinander⁵⁹ (5.1.5.) Origenes (5.2.1.1.) gab es zu, dass von Anfang an unter den Gläubigen verschiedene Meinungen über den Sinn der heiligen Bücher bestanden⁶⁰. Doch bei allen regionalen Unterschieden, ihnen allen war die Vorstellung vom apostolischen Leben wichtig. Dies war nach der Tradition ein einfaches und bedürfnisloses. Die Christen verstanden sich in den frühen Schriften als Fremdlinge in dieser Welt oder als Durchreisende. Sie halten sich auf Erden auf, doch sie leben als Bürger des Himmels. In den Schriften wurde immer die Armut gepriesen und das Streben nach Reichtum abgelehnt. Reichtum galt als ein Hindernis in der Nachfolge Christi und der Apostel⁶¹.

    Nach Matthäus verließen die Jünger, als erste Simon-Petrus, sein Bruder Andreas, dann Jakobus und Johannes, ihre weltlichen Berufe als Jesus sie aufforderte ihm zu folgen⁶².

    Noch einprägsamer sind die Seligpreisungen der Bergpredigt: Selig sind die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr⁶³ Jesus ermahnte sie: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für eueren Leib, was ihr anziehen werdet. Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in ihre Scheunen; und euer himmlischer Vater nähret sie doch. Schauet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht⁶⁴. Die Mahnung ähnelt den Einstellungen der Kyniker (4.2.4.) und konnte sich mit diesen verbinden. Kaiser Julianus, der Apostata, sprach in einer Rede das Gleichnis an⁶⁵.

    * Wir sollten auch in der weiteren Entwicklung auf Inhomogenitäten achten:

    …. Jede Mission verändert auch den Missionierenden⁶⁶: Die Erfolge der Missionierung in der Diaspora und unter den Heiden in einer hellenistischen Umwelt führten zunächst zu einer Zweiteilung des Urchristentums in „Hellenisten und „Hebräer (um Paulus und Johannes auf der einen Seite und Petrus und der Herrenbruder Jakobus auf der anderen; 5.1.5.)⁶⁷.

    Paulus hatte nach seiner Bekehrung, als „Verfolger des neuen Weges, durch seine Mission unter den Heiden entscheidend zur Stärkung der „Hellenisten⁶⁸ beigetragen und diese Gruppe auf dem „Apostelkonzil von der Bindung an die Synagoge und an das Gesetz befreit⁶⁹. Während für die Juden die Gemeinsamkeit im Land der Verheißung, in der Abstammung vom Stamm Juda, an den diese Verheißung gegeben wurde und im für alle verbindlichen mosaischen Gesetz bestand, war es für die „Hellenisten der Glaube an der Verkündigung Jesu.

    Die erste „hellenistische christliche Gemeinde entstand in Antiochia, wo das jüdische Gesetz vom Anfang an nicht galt. Die Jünger wurden am frühesten zu Antiochia „Christen genannt⁷⁰. In Alexandria haben Judenchristen und „Hellenisten" miteinander und mit der Synagoge konkurriert, in Antiochia dagegen strömten sie trotz kirchlicher Verbote zu den Festen der Juden⁷¹. Johannes Chrisostomos (5.3.1. und 5.3.2.1.) hat als Diakon in Antiochia in seinen Predigten die Synagogen als Lasterhöhlen und Brutstätten seelenzerstörerischer Dämonen, die Juden als Gotteslästerer und Christusmörder bezeichnet und zu Gewalttätigkeiten aufgerufen⁷².

    Für die weitere Geschichte des Christentums hat die hellenistische Schule eine überragende Bedeutung und damit auch die Betonung des Glaubens, die noch heute fortwirkt. Die zunächst in Jerusalem verbliebenen Judenchristen mussten nach dem Zweiten Jüdischen Krieg das Land verlassen und traten zu den „Hellenisten" in Konkurrenz. Gegen die offensichtlich noch vorhandenen judenchristlichen Bräuche haben noch in konstantinischer Zeit Synoden Stellung genommen. Auch Hieronymus kannte sie⁷³. Doch sie verschwanden allmählich⁷⁴: Die Predigten des Johannes Chrysostomos gegenüber den „judaisierenden Christen" fanden schon in der Antike weite Verbreitung und wurden immer wieder abgeschrieben⁷⁵.

    * Die weitere Deutung dieser Überlieferungen war (und ist) an das Weltbild der jeweils eigenen Zeit und Umwelt gebunden, denn für alle Bekehrte blieben der geistige Ursprung und die vorchristliche Vergangenheit zur Verständnis und Deutung der neu empfangenen Lehre wirksam. Bilder der heidnischen Mythologie konnten auf Jesus Projiziert werden: des Dionysos, des Asklepios. Seine Worte konnten in der Terminologie der Stoa, der Kyniker und des mittleren Platonismus interpretiert werden. Clemens von Alexandria stellte Jesus als einen stoischen Philosophen dar (5.1.3.3.). Sein Prozess konnte mit dem des Sokrates parallel gesetzt werden. Dadurch sind auch regionale Unterschiede in der Entwicklung der Lehre vorgeprägt⁷⁶.

    …. Schon die Schriften des (erst später kanonisierten) Neuen Testaments sind nicht homogen, sie enthalten neben Gemeinsamkeiten auch spezifische Blickwinkel und Deutungen, --- und neben diesen gab es noch die später so genannten apokryphen Schriften⁷⁷ (5.1.5.). Doch auch die kanonisierten, die synoptischen Evangelien, Markus, Matthäus, und Lukas, die paulinische und johanneische Theologien stehen neben einander und tragen die Spuren einer Auseinandersetzung verschiedener „Schulen".

    …. Auch die Deutung der disparaten Überlieferungen um Jesu und der messianischen Erwartungen, die Wiederkehr Jesu, die „Vollendung der Zeit", die Erwartung des nahen Weltendes und der Auferstehung und die Deutung der liturgischen Praktiken war eine Transformation in neue Kulturräume hinein. Die alten Texte wurden in neuer Situation neu aufgenommen, neu verstanden, neu gelesen⁷⁸. Das Gottesbild, Tauf- und Eucharistieverständnis, Christologie, Logos- und Geistvorstellung wurden nicht mehr in ausschließlich jüdischen Bildern sondern in Termini vermittelt, die Einflüsse des mittleren Platonismus und der „Gnostiker tragen. Es ist nicht einfach in den ersten beiden Jahrhunderten Platoniker, „Gnostiker und Christengegeneinander abzugrenzen⁷⁹. Paulus selbst kannte und verwendete die heidnischen Gegensätze Geist und Fleisch, Licht und Finsternis. Christus ist bei ihm ein lichtes Gotteswesen, der den Himmel verlässt, zur Erde hinabsteigt und wieder erhöht wird, und die „gnostischen Geistesmenschen haben an der neuen Schöpfung teil – wie in heidnisch „gnostischen Vorstellungen auch (4.2.1.2.). In diesen Vorstellungen und Formulierungen sind nicht nur jüdische, sondern auch profane antike Elemente mit christlichen verflochten.

    …. Im gesellschaftlichen Diskurs mit den Heiden wurde Jesus mit Apollonios von Tyana (4.1.2.1.1., 4.1.2.3. und 5.1.2.) verglichen: Die Heiden haben für Apollonios göttliche Attribute beansprucht, die Christen für Jesus.

    …. Auch einzelne Elemente der Mysterienkulte (4.1.2.) wurden in die Theologie, aber auch in die Liturgie mit übernommen und zugleich umgedeutet (5.1.3.), die wir hier nicht weiterverfolgen können⁸⁰.

    …. Die ethische Normen der heidnischen Umwelt, ganz speziell die stoischen, wurden vereinnahmt⁸¹, siehe Clemens von Alexandria (5.1.3.3.) und Tertullian (5.1.3.4.). Augustinus (5.2.1.8.) hielt das Leben Mark Aurels auch für Christen nachahmenswert. Die frühchristlichen Trostschriften knüpfen ebenfalls an stoische Vorbilder an („Konsolationsliteratur").

    …. Die Kunde vom einfachen, sorglosen apostolischen Leben und auch die Einstellung zu den Wissenschaften, konnten sich leicht mit kynischen Vorstellungen verbinden, so Z.B. das oben erwähnte Gleichnis von den Lilien⁸². Christliche wie kynische Wanderlehrer (4.2.4.) konkurrierten miteinander um das gleiche Publikum. Dion Cocceianus von Prusa (4.2.4.) verwies auf die Tierwelt: Siehst du nicht die Vögel und die anderen Tiere? Wie viel sorgloser und fröhlicher leben sie als die Menschen, sie sind dabei gesünder und stärker, und jedes lebt so lange, als es überhaupt möglich ist⁸³. Auch in der Ablehnung der heidnischen Mythen und Orakel fanden sich Gemeinsamkeiten, die von den Apologeten auch benutzt wurden. Auch ihr Image in der Öffentlichkeit war zum Verwechseln ähnlich (5.1.2.). Doch die Apologeten haben sich von den Kynikern auch distanziert⁸⁴.

    …. Die Verwendung von Bildern und Formeln muss nicht in jedem Fall eine direkte Abhängigkeit bedeuten⁸⁵. Im Diskurs mit den zu bekehrenden, aber auch mit den bereits Bekehrten, können gängige Topoi verwendet werden ohne dass dies ein Zitat wäre.

    …. Die Unterweisung in den Gegenständen des Glaubens erfolgte durch Predigt und Lehrvortrag. Sie wurde zunächst in den Gemeindeversammlungen erteilt⁸⁶. Erst im zweiten Jahrhundert können wir in Alexandrien zwei Arten von Unterweisung unterscheiden: Den Unterricht in privaten Zirkeln und die Katechetenschulen⁸⁷. Die letztere war wohl ein Versuch zu einem geordneten Unterricht. Die Katechetenschule unterstand dem Bischof. Doch einen systematischen oder gar über die Grenzen des Bistums hinaus einheitlichen Lehrplan kennen wir aus dieser Zeit nicht.

    …. Der Platoniker Celsus hielt den Christen vor (5.1.2.)⁸⁸, aber auch Origenes beklagte im ersten Buch von den Prinzipien: Viele, die sich zum Glauben ab Christus bekennen, sind nicht nur über kleine und kleinste Dinge uneins, sondern sogar über große und die größte, nämlich über Gott, über den Herren Jesus Christus selbst und den heiligen Geist, und nicht nur darüber, sondern auch über die Geschöpfe, nämlich die Herrschaften und heiligen Mächte: deshalb scheint es notwendig, zuerst in diesen einzelnen Fragen eine klare Linie und deutliche Richtschnur festzulegen und dann erst nach den übrigen Dingen zu forschen⁸⁹. Origenes unternahm mit diesem Buch den ersten Versuch eine christliche Weltsicht oder genauer Glaubenslehre mit den Denkformen der antiken Philosophie, insbesondere mit der Terminologie des Neuplatonismus, zu formulieren, ja zu normieren (5.1.3.). Doch die organisierte „Großkirche" mit einem einheitlichen, normierten Glaubensbekenntnis entstand erst nach der Anerkennung durch Konstantin dem Großen (5.1.6.).

    * Bereits die frühe christliche Tradition ist also in ihrem Kernbereich keine „Lehre aus einem Guss", sondern zeigt eine gewisse Inhomogenität. Sie enthält neben jüdischen Vorstellungen und der Lehre Jesu auch heidnische, insbesondere platonische und stoische Einflüsse. Sie ist also eklektisch und synkretistisch⁹⁰ und: eine synkretistische Lehre ist naturgemäß „unrein".

    Umso dringlicher war für die frühen Christen die Frage nach der Normierung des Zueinander der verschiedenen tradierten Komponenten. Diese Frage war verbunden mit der Frage: Was kann man an Denkstrukturen aus ihrer Umwelt gebrauchen? Praktisch alles, was nicht materialistisch oder polytheistisch kontaminiert und korrumpiert war. Weitere Frage war: wie die Termini zu justieren sind und wie diese einzelnen Komponenten richtig zusammengefügt werden müssen⁹¹. Erst in diesem gesellschaftlichen Diskurs, „innerkirchlich⁹² und in der Auseinandersetzung mit der nichtchristlichen Umwelt, bildete sich ein Kanon der anerkannten Schriften (5.1.5.) und eine „doctrina christiana heraus (5.2.). Dieser Diskurs hat auch die Einstellungen zu den artes geprägt.

    Ausblick: Weitere prägende Diskurse waren: Der Diskurs um „Vernunft und Glaube (Kapitel 8) und die frühe Aufklärung an der Schwelle einer „Neuen Zeit (Kapitel 10).

    * Wie in dieser Skizze schon angedeutet, startete „das Christentum" in einem atechnischen Attraktionsbereich. Keiner, der für Gott kämpft, gibt sich mit weltlichen Geschäften ab⁹³. Die ersten Nachfolger Christi lebten zunächst in verschiedenen nahen Erwartungen, dann, als diese ausblieben, in einer apokalyptischen Erwartung des Weltendes und der Erlösung vom diesseitigen Jammer. Sie waren an den diesseitigen Künsten und Wissenschaften wenig interessiert denn sie waren gemahnt ja nicht vom „Baum der Erkenntnis" zu essen. Das Streben nach Erkenntnis war für sie Anmaßung, Hybris. Als Erbsünde war es der Grund für die Vertreibung aus dem Paradies und die Quelle allen Übels dieser Welt.

    Der Apostel Paulus hat vier Ebenen der Weisheit unterschieden: Die Weisheit der Vollkommenen, die Weisheit dieser Welt und die Weisheit der Obersten dieser Welt, Diese drei vergehen. Die vierte, eigentliche Weisheit ist die verborgene Weisheit Gottes. Wir haben nicht die Weisheit dieser Welt empfangen, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist⁹⁴. Denn: wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig⁹⁵.

    Paulus grenzte sich von den heidnischen Philosophien und Heilslehren ab (deren Denkstrukturen er doch verwendet hat) und erklärte die Weisheit dieser Welt für Torheit.

    Aber auch mittelplatonisches (4.2.1.2.) kam hinzu: Der Mensch ist gar nicht in dieser Welt beheimatet, sein Bürgerrecht ist in der geistigen Lichtwelt des Himmels. Es steht geschrieben: Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen. Dazu kommen auch noch kynische Paradoxien (4.2.4.): Was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er die Weisen zuschanden mache. Und eben deswegen müsse der Bischof imstande sein, um die Widersprechenden zu widerlegen, damit er die eitlen Schwätzer und Seelenverführer zum Schweigen bringe⁹⁶.

    Der chargierende Gegensatz zwischen „Weisheit dieser Welt", der docti und litterati auf der einen Seite und Idiotae, illitterati hat die apostolische Bewegung geprägt. Noch Tertullian formulierte die christliche Einstellung zum weltlichen Wissen (5.1.3.2.): Es ist nach Jesus Christus nicht unsere Aufgabe neugierig zu sein, noch zu forschen, nachdem das Evangelium verkündet ward. Diese ist eine Position, die nicht nur der apostolischen, sondern auch der heidnisch-stoischen nahe steht. Vergleichbare Positionen, Mahnungen und Warnungen finden wir auch bei Prudentius (5.1.6. und 5.3.2.4.), Augustinus (5.2.1.8.); in der Scholastik bei Thomas von Aquino (8.3.2.5. und 8.3.3.6.), in der mittelalterlichen Erzählliteratur⁹⁷; bei Humanisten der Renaissance, z.B. Petrarca (7.5.1.4.), Nicolaus Cusanus (9.1.7.3.3.), Erasmus (7.6.7.), Sebastian Brant und in der Narrenliteratur, so wie in der Geschichte von Doktor Faustus (10.3.4.7.).

    * Das Christentum hätte auch in diesem atechnischen Attraktionsbereich verharren können … ja, wenn es weiterhin nur aus ungelehrten Leuten und Laien bestanden wäre. Doch bekehrte Rhetoriker und philosophisch Gebildete haben das ihnen vertraute Bildungsgut in die nachapostolische Kirche eingebracht. Ihr Auftreten markiert einen Wechsel des Paradigma⁹⁸, eine erste Wende in den Einstellungen zur vernunftbezogenen Argumentation und Philosophie: Die Philosophie wurde in einem gesellschaftlichen Diskurs instrumentalisiert. Die Apologeten (5.1.3.) haben die gängigen Vorstellungen ihrer Zeit zu ihrer Verteidigung gegen die Vorwürfe der Heiden (5.1.2.), aber auch zur Bekehrung der gebildeten Heiden gebraucht: Den Platonismus, die Stoa, die Lehren der Pythagoreer und die Einstellungen der Kyniker. Dabei blieb die Aufforderung, dem apostolischen Vorbild zu folgen, auch für sie und für die künftigen Generationen bestehen. Ein Konflikt war unvermeidbar, doch dieser war eingebettet in einen gesellschaftlichen Diskurs und wurde fruchtbar für Entwicklung einer spezifischen christlichen Gelehrsamkeit (5.2.). Diese Einstellung zu den weltlichen Wissenschaften (als Hilfsmittel der Verkündung) wurde im Mittelalter als „ancilla theologiae" pregnant und griffig formuliert (8.3.3.5. und 8.3.3.6.). Doch die Verwendung philosophischer Argumente war nicht nur eine Hilfe, sondern wurde auch als eine mögliche Quelle häretischer Abweichungen betrachtet (5.1.5.).

    Eine Spur des innerkirchlichen Diskurses zur Umgang mit Bildungsgut finden wir bei Clemens von Alexandria (5.1.3.3.): Einige Leute aber, die sich für besonders begabt halten, erklären es für richtig, dass man sich weder mit Philosophie, noch mit Dialektik beschäftigt, ja dass man nicht einmal die Naturwissenschaft erlernt und fordern einzig und allein den Glauben. … Wie aber beim Ackerbau ‚und bei der Heilkunde jener am besten unterrichtet ist, der sich mannigfache Kenntnisse erworben hat, so dass er den Landbau besser betreiben und die Heilkunde besser ausüben kann, so nenne ich auch hier den am besten unterrichtet, der alles mit der Wahrheit in Beziehung setzt, so dass er auch von der Geometrie und der Musik und von der Grammatik und von der Philosophie selbst das Brauchbare entnimmt und damit den Glauben unangreifbar gegen alle Anschläge macht. Verachtet wird auch der Kämpfer, der zum Wettkampf nichts als Körperkraft mitbringt⁹⁹.

    Einen weiteren Paradigmawechsel, eine weitere markante Akzentverschiebung im gesellschaftlichen Diskurs können wir nach dem Toleranzedikt und insbesondere nach der Etablierung der Reichskirche beobachten (5.1.6., 5.2 und 5.3). Auf den Reichskonzilien wurden, unter kaiserlichem Einfluss, die zentralen Punkte der Glaubenslehre in Begriffen der hellenistischen Philosophie, Vorstellungen und Denkmodellen formuliert, die dem Juden Jesus von Nazareth und der Urgemeinde völlig fremd waren¹⁰⁰.

    Für uns gilt es zu untersuchen wieweit dieser Paradigmawechsel auch die Einstellungen zu den anderen Zweigen der artes erfasst hat (5.2. und 5.3.).

    1.1.2 Die Christen und die Heiden

    * Die geoffenbarte Wahrheit sei Fundament und rechte Methodik des Forschens¹⁰¹. Doch vieles entzieht sich unserm Verständnis¹⁰² und von den Dingen dieser Schöpfung kommt nur ein Teil zu unserer Kenntnis¹⁰³. Allein in der Kirche ist wahre Tradition¹⁰⁴

    In den ersten Jahrzehnten des 3. Jahrhunderts warnt ein Bischof im nördlichen Syrien vor heidnischer Bildung: Rühre die heidnischen Bücher überhaupt nicht an! Denn was willst du mit fremden Worten oder Gesetzen oder falschen Propheten, die noch ziemlich ungefestigten Menschen leicht zum Irrglauben verführen können? Was fehlt dir denn am Wort Gottes, dass du dich diesen heidnischen Geschichten zuwendest?¹⁰⁵.

    Die Reden der Philosophen erschienen den frühen Christen leer und läppisch, eine Gaukelei und Irrtum von Schwindlern¹⁰⁶.

    Irenäus von Lyon (um 135 - um 200; 5.1.5. und 5.3.2.3.2.) warnte vor Häretikern, die sich heidnischer Denkmustern und Argumente bedienen: Und doch haben sie nur das sich angeeignet, was überall auf den Schaubühnen von den Komödianten in prunkenden Worten vorgetragen wird, ja tragen das als ihre eigene Lehre vor, obwohl sie nur die Namen geändert haben¹⁰⁷.

    Auch der Polytheismus, der Kaiserkult und speziell die Apotheose der römischen Kaiser waren für die Christen unannehmbar und die Christen gerieten in eine soziale Außenseiterrolle.

    An diesen Punkten konnten Kritik und auch politische Maßnahmen von Kaisern oder deren Statthalter anknüpfen. Doch diese Maßnahmen sind nicht der Gegenstand unserer Untersuchungen, sie bilden nur ihren Hintergrund.

    * Die Christen wurden im 1. Jahrhundert von der Öffentlichkeit nur diffus wahrgenommen¹⁰⁸. Einen Reflex dieses Bildes finden wir bei Paulus: Wir sind Narren um Christi willen, ihr aber seid klug in Christo; wir schwach, ihr aber seid stark; ihr herrlich, wir aber verachtet¹⁰⁹. Die „Heiligkeit" der Christen erschien dieser Welt als Narrheit, sie wurden auf der Bühne und auch von Lukian karikiert (s. weiter unten und 5.1.5.).

    Der Historiker Tacitus (55 - 115 u.Z., 4.1.2.1.1.) berichtet in seinen Annalen, dass Nero denen, welche wegen ihrer Schandtaten verhasst das Volk Christianer nannte, die Schuld an der Brand der Stadt gab. Welche diese „Schandtaten" waren erwähnte er nicht, er sprach nur allgemein über Greuel und Abscheulichkeiten, die in der Hauptstadt zusammenströmten¹¹⁰. Die Verfolgung war wohl auch nicht gegen spezifisch Christliches gerichtet: Seneca wurde zum Selbstmord veranlasst (4.1.2.2.1. und 4.2.7.3.). Philostratos (4.1.2.2.1. und 4.1.2.3.) erwähnte in der Apollonios-Vita eine Verordnung Neros¹¹¹ und die Vertreibung von Philosophen¹¹².

    Von Späteren Autoren (Tertulian, Eusebius von Caesarea und Laktanz) wurde auch Domitian als Verfolger der Christen genannt und mit Nero in einer Reihe genannt (5.1.6.).

    Die „Christianer rückten erst im 2. Jahrhundert ins Blickfeld der heidnischen Öffentlichkeit; erst im 2. Jahrhundert begann ein für uns fassbarer gesellschaftlicher Diskurs über ihr Erscheinungsbild und über ihre Lehren. Dieser kritische Diskurs war vielseitig, und dies macht ihn für unsere Untersuchung interessant. Namhafte Beobachter der „neuen Religion waren: Plinius der Jüngere, der Rhetor Fronto, der Arzt und Philosoph Galenos, die Schriftsteller Lukian und Celsus. Doch sie markieren die Spitze des Eisbergs, an der Basis gab es

    …. Einerseits ein Nebeneinander und einen kritischen Diskurs von Juden, Christen und „Gnostiker" (5.1.5.)

    …. Andererseits eine große Masse an anonymen Vorwürfen und Denunziationen.

    * Noch Ende des 2. Jahrhunderts hat Tertullian (5.1.3.4.), ein Zeitgenosse des Kaiser Septimius Severus (4.1.2.2.1.) beobachtet: Von dem allgemeinen Hasse gegen den Namen Christ vermögen sich die Heiden selbst keinen vernünftigen Grund anzugeben¹¹³:

    Die Vorwürfe der Heiden knüpften am Erscheinungsbild der Christen in der Öffentlichkeit an: Sie galten als ungläubige Außenseiter¹¹⁴, denen man allerlei Laster zutrauen konnte¹¹⁵. Es reicht für unsere Betrachtung die meisten Vorwürfe der Heiden nur summarisch anzudeuten, obwohl diese den Hintergrund für die Verfolgungen bildeten: Schlimme Exzesse; die Christen würden sich üppigem Mahl und reichlichem Weingenuss, selbst dem Inzest hingeben, so der Rhetor Fronto¹¹⁶ (4.2.7.). Der Vorwurf folgte literarischen Gemeinplätzen: Den Vorwürfen die Livius (4.1.2.1.1) gegen die Anhänger des Dionysios/Bacchus¹¹⁷. Diese Art von Vorwürfen ist ein gutes Beispiel dafür, wie Einstellungen literarische Vorbilder verwenden und wie diese Vorbilder als Topoi, Gemeinplätze, zur Verfügung stehen und ohne jegliche Überprüfung rhetorisch-effektiv auch verwendet werden.

    Eine weitere Klasse von Vorwürfen betraf die Christen als Außenseiter: Aberglaube, Religionsfrevel und Majestätsverletzung; Streit über Gottesverehrung und Götzenbilder; das Opfer; ein abgesondertes Leben; politische Verschwörung; Feindschaft gegen die gesellschaftlich akzeptierte Tradition; Schuld am Untergang des Reiches; Sektiererei; Unbildung und Dummheit¹¹⁸. Ein Teil dieser Vorwürfe traf Christen und Kyniker gleicher Weise. Die Auseinandersetzung um die biblischen Geschichten trat zunächst noch nicht in Erscheinung und brauchen uns hier (noch) nicht zu beschäftigen.

    Ein Edikt von Trajan (s.w.u.) konnte von lokalen Beamten unterschiedlich ausgelegt werden¹¹⁹, da Ausführungsbestimmungen fehlten. So konnte es lokal divergierende Maßnahmen geben. Außenseiter können leicht zum Sündenbock und damit das Ziel von Verfolgungen werden. Die Christenverfolgungen kann man in zwei Phasen gliedern:

    …. Bis etwa 250 u.Z. waren sie vereinzelt, zeitlich und räumlich planlos, oft progromartig. Die antichristliche Stimmung kippte in der Situation verschärfter sozialer Spannungen und außenpolitischer Bedrohung: die Christen (soziale Subkultur!) verweigerten geforderte Abgaben (die numera, 4.1.2.3.) und den Wehrdienst¹²⁰. Die Christen wurden so zu politischen Sündenböcken. Der Terminus „pharmakos" (3.1.1.4.) war bereits in der griechischen Antike geläufig.

    …. Die erste gezielte und systematische Verfolgung setzte unter den Kaisern Decius (249 – 251) und Valerian (253 – 260) ein. Decius verpflichtete in einem Edikt vom 249 alle Bewohner des Römischen Reiches den römischen Staatsgöttern zu opfern¹²¹. Die Verweigerung bedeutete „staatfeindliche Gruppenbildung". Diokletian hat seine Politik der Restauration mit religionspolitischen Maßnahmen gestützt (4.1.2.5.). Seine Edikte von 297, 303 und 304 betraf Manichäer und Christen gleichermaßen¹²²: Er verlangte von allen Untertanen ein Bittopfer für die Götter. Die Edikte sollten eine Demonstration römischer Einigkeit bewirken, die Christen waren im Edikt nicht eigens als eine Zielgruppe der Maßnahme genannt¹²³.

    * Es gab aber auch kritische Beobachter, die sich nicht an den literarischen Gemeinplätzen oder am sozialen Erscheinungsbild der neuen Bewegung orientierten, sondern mit ihren Lehren auseinandergesetzt haben: Plinius der Jüngere, der Arzt Galenos, Lukian, Celsus und Cassius Dio.

    * Die früheste Erwähnung von Christen als ein soziales Phänomen finden wir in den Briefen des Plinius des Jüngeren (4.1.2.2.1. und 4.3.4.11.). Er betrachtete als Statthalter der Provinz Bithynien die Christen als gesellschaftlicher Außenseiter, deren Versammlungen dem römischen Staat als gefährlich erschienen. Ihre Versammlungen wurden eher unter dem Vereinsrecht bewertet, der ja restriktiv behandelt wurde. Trajan (4.1.2.2.1.) hat selbst die Errichtung einer Handwerksgilde für die Feuerwehr abgelehnt, denn es könnte eine Hetärie, ein Geheimbund, daraus werden¹²⁴.

    In seiner Untersuchung fand Plinius nichts anderes als wüsten, maßlosen Aberglauben, der sich nicht nur über Städte aber auch über Dörfer und Felder verbreitet. Er glaubte ihnen Einhalt gebieten zu können. Er wandte die bekannte und auch später praktizierte Prüfung an: Anrufung der heidnischen Götter nach einer vorgesprochenen Formel, Opfer vor dem Bild des Kaisers und Christus fluchen, lauter Dinge zu denen wirkliche Christen nicht zwingen lassen¹²⁵. Die wohl anonymen Gemeinplätze fand er nicht bestätigt, er fand keinen Hinweis auf irgendwelche Verbrechen, sondern die Verpflichtung keinen Diebstahl, Raubüberfall oder Ehebruch zu begehen, ein gegebenes Wort nicht zu brechen, eine angemahnte Schuld nicht abzuleugnen¹²⁶.

    Kaiser Trajan bestätigte das Vorgehen seines Statthalters, doch er schränkte auch ein: Man solle ihnen nicht nach spionieren und anonyme Anzeigen sollte nicht berücksichtigt werden, denn das passt nicht in unsere Zeit¹²⁷.

    Markus Aurelius (4.2.7.6.) nahm im gesellschaftlichen Diskurs um philosophische Fragen (Leib und Seele) die Christen als eine eigenständige Gruppe nur diffus, als „Atheisten", wahr¹²⁸,¹²⁹,¹³⁰ In seiner Regierungszeit wurde in Alexandria von Pantainos (+ um 200) die Kathetenschule gegründet (4.2.7.6.). Nach der gewonnen Schlacht hat der Kaiser (Marcus Aurelius) eine Einheit melitenischer Soldaten durch einen Erlass geehrt – all diese Männer waren Christen¹³¹.

    Unser Zeitzeuge, der Senator und Historiker Cassius Dio (4.1.2.1.1.), berichtet im Kontext mit Hexerei, dass die sogenannten Christen in einer Eliteeinheit mit ihren Gebeten alles und jedes erreichen können und dass sich zufällig eine ganze Legion von Anhängern dieses Glaubens im Heer befinde¹³².

    * Der philosophisch gebildete Arzt Galenos (4.1.2.1.4.), ein Zeitgenosse des oben erwähnten Rhetors Fronto (4.1.2.3.), hat sowohl in seinen medizinischen, wie auch in seinen philosophischen Schriften die Juden und die Christen erwähnt. Er warf Juden und Christen als „(philosophische) Schulen" in einen Topf; der Grund war wahrscheinlich der gemeinsame Schöpfungsbericht, den er kritisierte¹³³.

    Die Bezeichnung „philosophische Schule meint nicht nur „Lehrgebäude sondern auch Lebensart (4.2.1.3.).

    Galenos beklagte die Halsstarrigkeit der Anhänger von Moses und der Christen ebenso, wie der dogmatischen Ärzte und Philosophen seiner Zeit, die an den Lehren des Schulgründers unverrückbar festhielten. Die Christen erschienen ihm dogmatisch und unwillig ihre Lehren einer kritischen Prüfung zu unterziehen¹³⁴: es ist leichter ihnen irgendwelche Märchen zu erzählen, als sie mit sachlichen Argumenten zu überzeugen. Sie lehren ihre Anhänger alles auf Glaubensbasis zu akzeptieren und sie leiten ihre Glaubensinhalte von Wunderberichten und Parabeln ab. Moses erschien ihm als Gesetzgeber, auf den die Beschreibung Platons nicht passt: er war kein Philosoph.

    Galenos hat in einem anatomischen Werk das erste Mal auf den möglichen Konflikt zwischen medizinischer Betrachtung und jüdisch-christlichen Glaubensaussagen hingewiesen¹³⁵ (4.1.2.1.4.).

    Auch Galenos konnte die umlaufenden Gemeinplätze nicht bestätigen, im Gegenteil: Er lobte ihre Disziplin, Selbstbeherrschung bezüglich Essen und Trinken, und ihren Sinn für Gerechtigkeit – als wären sie Philosophen!¹³⁶.

    * Lukian (4.3.3.7.) kritisierte die Marktschreier und Wanderprediger, nicht nur die Kyniker, auch die „Christianer", wegen ihrer Liebe zum Ruhm, aber auch als Sophisten, die einfältige Leute an der Nase führen um auf ihre Kosten ein reicher Mann zu werden. Beide, „Christianer" und Kyniker rückte er nahe zusammen und hat sie mit den Brahmanen und Gymnosophisten Indiens verglichen: sie sind ruhmsüchtige Narren¹³⁷.

    Die Schilderung des Lukian ist frei von Hass gegen die Christen; er sah in ihnen weder eine Gefahr für den Staat noch für den Bestand der öffentlichen Ordnung. Er verschmähte daher das Weitergeben der giftigen Gräuelmärchen, die über sie in Umlauf waren. Ihre religiösen Überzeugungen und ihr praktisches Verhalten im Alltag wertete er als eine der vielen menschlichen Torheiten und Verirrungen, die er gerne anprangerte¹³⁸.

    * Unser Zeitzeuge, der Mittelplatoniker Celsus (2. Hälfte des 2. Jahrhunderts u.Z; 4.2.1.2.) folgte zum Teil den genannten Vorwürfen, doch er kannte das Christentum und seine Lehren, aber auch seine Schwachstellen¹³⁹: Den biblischen Schöpfungsbericht, die Wunderberichte, die Spannung zwischen Monotheismus und Christologie. Aus der Fülle der kritischen Punkte seien hier nur zwei Vorwürfe des Celsus herausgegriffen, die für unsere Untersuchung von Bedeutung sind:

    …. Celsus stellte, als ein „Agent Provokateur", die Christen als Feinde jeglicher Bildung dar. Kein Gebildeter käme heran, kein Weiser, kein Verständiger. Solche Eigenschaften würden übel aufgenommen. Sondern wenn einer ungelehrt, wenn einer unvernünftig, wenn einer ungebildet, wenn einer töricht ist. Der solle getrost kommen¹⁴⁰.

    Der Vorwurf war wohl nicht ganz aus der Luft gegriffen, wenn wir an das Bildungsgefälle zwischen Alexandria und anderen Gemeinden (4.1.1.), oder an die Bildungsvorstellungen des Tatian oder die Vorbehalte des Tertullian und des Augustin denken (5.1.3., 5.2.1.2. und 5.2.1.8.). Origenes (5.1.3.8.) gab in seiner Erwiderung selber zu, dass der Vorwurf stimme¹⁴¹. Tatian (5.1.3.2.) stellte die Frage, ob ein Philosoph überhaupt Christ sein kann¹⁴². Vorwurf und Vorbehalt sind wohl die beiden Seiten derselben Medaille, unabhängig davon, ob der Vorwurf von Galenos und Celsus das Erscheinungsbild der Christen in der Öffentlichkeit zutreffend beschreibt oder nur extreme Positionen karikiert. Immerhin Eusebius von Caesarea in Palästina (260 – 340; 5.1.6.2.) erwähnte in seiner Kirchengeschichte Häretiker, deren Gelehrsamkeit er recht allgemein geißelte (5.1.5.).

    Wichtiger als die Vorwürfe selbst ist für unsere Betrachtung die Verteidigung durch die Apologeten (5.1.3.), denn darin wurden einerseits bekannte Topoi aus der antiken Philosophie wiederholt und andererseits neue und spezifische Einstellungen der Christen zur philosophischen Erbschaft und zur Bildung der Antike formuliert, die über den tagesaktuellen Anlass hinaus auch für die Zukunft wirksam wurden.

    …. Ein weiterer, für unsere Untersuchung wichtiger Vorwurf des Celsus war die Sektenbildung im Christentum (5.1.1.): Im Anfang bildeten sie ein kleines Häuflein und waren eines Sinnes¹⁴³; seit sie aber zu einer Menge angewachsen sind, entstehen wiederum unter ihnen Parteien und Spaltungen, und ein jeder will sich einen eigenen Anhang schaffen. Und sie trennen sich wieder voneinander und verdammen sich dann gegenseitig; so dass sie sozusagen nur noch eins gemeinsam haben, nämlich den bloßen Namen. Den Vorwurf kannte auch Clemens (5.1.3.3.): Zuerst nun führen sie gegen uns an, man solle nicht gläubig werden wegen der Verschiedenheiten der Häresien¹⁴⁴.

    Auf diesen Vorwurf antworteten Clemens wie auch Origenes zunächst direkt mit dem Hinweis, dass die verschieden Schulen in den Wissenschaften, in der Medizin, in der Philosophie der Wahrheitsfindung förderlich seien¹⁴⁵. Man dürfe das Christentum ebenso wenig verwerfen, wie die verschieden Schulen der Medizin, nur weil verschiedene Gelehrte verschieden tief darin eingedrungen sind.

    Doch Origenes erkannte auch die Gefahr, welche in den Spaltungen lag, und entwarf zur Normierung des Glaubens eine erste systematische Dogmatik (5.1.3.8.): Die Vorwürfe der Heiden, die Verteidigung gegen diese Vorwürfe und die Herausbildung der Orthodoxie und der Einstellung zur Philosophie und zu den weltlichen Wissenschaften sind Teilaspekte desselben gesellschaftlichen Diskurses und können in einer kulturphilosophischen Betrachtung nicht getrennt werden.

    * Unter dem Namen Hermias wurde eine satirische Schrift zur „Verhöhnung der heidnischen Philosophen" in den Umlauf gebracht. Diese Schrift wird in die Zeit um 200 datiert¹⁴⁶. Darin legt der Verfasser die Widersprüche der philosophischen Lehren der Heiden dar. Der Verfasser der Schrift knüpft an den Apostel Paulus an: Unser Wissen ist Stückwerk und unser Weissagen ist Stückwerk¹⁴⁷. Die Weisheit dieser Welt ist Torheit vor Gott¹⁴⁸. Sie bringen nichts Einstimmiges noch Übereinstimmendes in der Darlegung ihrer Grundsätze hervor. Er geht die Reihe der Philosophen durch, von den Vorsokratikern bis zu den Stoiker und Epikur (4.2.5.), - nur Platon blieb ausgespart. Ihre Erforschung der Dinge verliert sich End- und Raumlos, ihr Resultat ist ohne Begründung und Nutzen, da es sich auf keine feste Tatsache und keinen klaren Grund stützt¹⁴⁹. Diese Formulierungen hätten von einem Skeptiker (4.2.3.) stammen können.

    * Zeitlich die letzten, die sich kritisch mit den Christen auseinandergesetzt haben, waren Porphyrios (4.2.1.3) und Kaiser Julianus Apostata (5.1.6.).

    Porphyrios versuchte die Auslegung der Offenbarungen mit dem Platonismus in Einklang zu bringen. Seine Kritik am Christenrum hat sich an der Historizität der Berichte über Jesus entzündet: Der Kern des Streites war der Konflikt zwischen Geschichte und Glaube¹⁵⁰.

    Porphyrios polemisierte gegen Origenes: In seiner Auffassung von der Welt und von Gott dachte er wie ein Grieche und schob den fremden Mythen griechische Ideen unter¹⁵¹.

    Porphyrius hat sich einerseits den bitteren Hass der Christen zugezogen, andererseits auch die Kirchenväter stark beeinflusst: Eusebius (5.1.6.2.), Hieronymus (5.2.1.7.), Augustinus (5.2.1.8.) und Lactancius (5.2.1.9.).

    Theodosius II und Valentinianus II. haben 448 angeordnet, dass die Schriften des Porphyrius ins Feuer zu werfen sind¹⁵². Aus seinen Werken blieben nur Fragmente in christlichen Widerlegungsschriften erhalten¹⁵³,¹⁵⁴.

    * Im gesellschaftlichen Diskurs wirkte die philosophische Kritik von Celsos bis Porphyrius insgesamt katalytisch auf die Entwicklung einer christlichen Theologie, zunächst auf die Apologeten (5.1.3.8.) und auf die Auseinandersetzung mit der geistigen Erbschaft der Antike, die artes eingeschlossen (5.2.1.).

    * Am Hof des Septimius Severus hat der Sophist Philostratus die Legenden um den Neuphythagoreer Apollonios von Tyana zu einem Roman verarbeitet (4.1.2.3.). Der Autor der „Historia Augusta" erwähnt, dass Kaiser Aurelian (4.1.2.2.1.) dem Apollonios von Tyana ein Tempel und ein Bild gestiftet¹⁵⁵. Maximinus Daia (5.1.6.) war, nach dem Historiker Aurelius Victor, zwar ungebildet, aber er hat gelehrte Leute um sich gesammelt¹⁵⁶. Sein Berater war der Sophist Hierocles¹⁵⁷ (nicht zu verwechseln mit dem Neuplatoniker, 4.2.1.3.), er hat die Legenden um Apollonius von Tyana (4.1.2.3.) zu einer paganen Alternative zu Jesus Christus gestaltet¹⁵⁸,¹⁵⁹. Maximinus Daia hat die Verehrung des Apollonius von Tyana gefördert¹⁶⁰.

    Nach Laktanz (5.1.6. und 5.2.1.9.) hat Hierokles versucht zu zeigen, dass Apollonios von Tyana größere Wunder vollbrachte als Christus¹⁶¹, für ihn war Hierokles ein nicht unbedeutender Menschenschlächter¹⁶². Auch Eusebius von Caesarea (5.1.6.2.) hat sich am Diskurs um den „Wundertäter" beteiligt¹⁶³.

    Als Letzter hat Julianus, der Abtrünnige seine Religionspolitik heidnisch ausgerichtet¹⁶⁴ (5.1.6.2.).

    * Die Auseinandersetzung der Heiden mit den Christen erfolgte nicht nur in rhetorischen Schlachten, philosophischen Anmerkungen, Briefen und Erlassen, sondern auch auf der Bühne:

    Das Theater war seit dem 5. Jahrhundert v.u.Z. eine Plattform von Auseinandersetzungen (3.4.3.5). Die Christen wurden nicht nur von den Rhetoren philosophischweltanschaulich angegriffen, sie wurden auch im Theater karikiert. Es gab den Christen als eine neue komische Figur, es gab Travestien auf Taufzeremonien, ja persiflierte Darstellungen des Martyriums¹⁶⁵. Auch der Streit einzelner Christengruppen untereinander wurde aufgegriffen und persiflierend dargestellt¹⁶⁶. Es war also nicht nur die Nähe des Theaters zur paganen Götterverehrung, was die Apologeten des Christentums gegen das Schauspiel auftreten ließ¹⁶⁷ und das Schauspiel unter den artes besonders kritisch betrachteten (5.3.2.3.3. und 5.3.2.4.).

    1.1.3 Die Apologeten und Kirchenväter

    * Apologie ist ein Teil eines gesellschaftlichen Diskurses: sie ist die literarische Antwort auf Vorwürfe oder Verfolgungen, sie dient der Widerlegung einer Anschuldigung. Die ersten Apologien gehören dem 2. Jahrhundert u.Z. an, die Literaturgattung entfaltet sich Ende des 2. Und im 3. Jahrhundert u.Z. und begleitet den Umwandlungsprozess der Spätantike.

    Die apologetische Literatur spiegelt nicht nur einen theologischen Diskurs, sie ist eine umfassende Auseinandersetzung einer kritischen Außenseiter-Gruppe mit allen kulturellen Aspekten des Lebens¹⁶⁸: auch mit Kunst, Wissenschaft und Technik.

    * Der erste Bericht über Verfolgung aus religiösen Motiven betrifft die Verfolgung von Juden: Sie haben sich gegen eine Anordnung Caligulas (12, 37 – 41) gewehrt, für den Kaiserkult im Tempel seine Statue aufzustellen und diese zu verehren¹⁶⁹. Eine der führenden Gestalten der Judenverfolgungen war der Grammatiker Apion¹⁷⁰.

    …. Der erste der Apologeten, Philon von Alexandria (25 v.u.Z - 40 u.Z.; 4.1.1.6. und 4.2.1.2.), der hellenistisch gebildete Jude, wirkte in dieser Zeit der Polarisierung: Er hat nicht nur Schriften zu ihrer Verteidigung verfasst, sondern auch eine Gesandtschaft nach Rom angeführt¹⁷¹.

    …. Auch Josephus Flavius (37/38 – nach 100 u.Z.; 5.1.1.)¹⁷² hielt es für notwendig Verleumdungen entgegen zu treten¹⁷³. Dazu hat er nichtjüdische Zeugnisse als Beweis für das hohe Alter der jüdischen Kultur herangezogen: Ägyptische¹⁷⁴, phönikische¹⁷⁵, chaldäische¹⁷⁶ und griechische¹⁷⁷. Er hat Quellen verwendet, die sonst verloren sind, wie Z.B. den Historiker Berossos aus Babylon¹⁷⁸ (2.1.2.4. und 4.1.2.2.5.) und Menetho aus Ägypten¹⁷⁹ (4.1.1.).

    * Die christlichen Apologeten kamen zur Verteidigung, aber auch zur Abgrenzung, Definition und Verkündung der eigenen Positionen in einer rhetorisch gebildeten aber kritischen Umwelt, sei es jüdisch oder heidnisch, aber auch gegen Abweichler innerhalb der Kirche, nicht umhin geläufige literarische Formen und Argumentationsmuster der griechisch – römischen Überlieferung anzuwenden. Sie folgten dem Beispiel des Philon von Alexandria (s. oben und 4.2.1.2.). Auch die gebildeten Kirchenväter Eusebius von Caesarea¹⁸⁰ (5.1.6.2.) und Eucherius von Lyon (5.4.1.2.) haben z.T. die gleichen Quellen verwendet, wie die jüdischen Apologeten: Den Historiker Berossos aus Babylon (2.1.2.4. und 4.1.2.2.5.), Menetho aus Ägypten (4.1.1.) und Josephus Flavius¹⁸¹.

    Sie wirkten nach innen (5.1.3.10. und 5.1.5.) wie nach außen, doch ihr Auftreten und Wirken war nicht frei von Konflikten (5.1.5.). Ihre Argumentation markiert ein Wechsel vom urchristlich-apokalyptischen zum altkirchlich-hellenistischen Paradigma und die Anfänge einer „doctrina christiana"¹⁸².

    Der geistige Umfeld der christlichen Apologeten war die „Zweite Sophistik" (4.1.2.3.): Die meisten von den Apologeten waren vor ihrer Bekehrung zum Christentum geschult in der heidnischen Philosophie (4.2.7.) und Rhetorik (4.1.2.3.) und ihren rhetorischen Tricks, „dem Gegner ein Bein unterschlagen und ihn umwerfen" (3.2.2.). Für sie war die ethische Forderung Quintilians (4.1.2.3.) und der, auch bei den Heiden modische, Skeptizismus (4.2.3.), kynische Vorstellungen (4.2.4.), die römische Stoa (4.2.7.), aber auch der Mittel- und Neuplatonismus (4.2.1.2. und 4.2.1.3.) sowie der Neupythagoreismus geläufig und interessant um die neu gewonnenen Glaubenspositionen rhetorisch griffig zu formulieren. Der Glaube an der göttlichen Offenbarung bot gerade den Gebildeten eine sichere Grundlage gegen den im 2. Jahrhundert modern gewordenen Skeptizismus der philosophischen Schulen und eines Sextus Empiricus (4.2.3.).

    Die Apologeten haben die Hellenisierung des Christentums, die bereits mit Paulus begann (5.1.1.), fortgeführt. In diesem Prozess wurden die christlichen Dogmen in Termini der hellenistischen Philosophie (4.2.) formuliert¹⁸³. Dieser Prozess hat sich aber erst nach dem „Sieg" des Christentums vollendet (5.1.6.).

    Die philosophischen Schulen boten viele Anknüpfungspunkte sowohl für eine Apologie als auch für eine forensische Kritik an der heidnischen Götterwelt:

    …. die alte platonische Kritik an den überlieferten Mythen, der polytheistischen Welt der Götter allgemein und an den musischen Künsten (3.6.2.1.5. und 3.6.2.2.1.),

    …. die stoische Lehre von der alles bestimmenden göttlichen Weltvernunft, die stoische Abgrenzung der Philosophie von den Wissenschaften (4.2.7.3.),

    …. sowie der Skeptizismus gegen philosophische Spekulationen und die weltlichen Wissenschaften (4.2.3.), eine wichtige Rolle.

    …. Die mythologischen und philosophischen Schöpfungslehren, die verschiedenen Lehren von der „Seele", platonische Eschatologie (3.6.2.1.5.) konnten christlich interpretiert werden.

    …. Auch der Neuplatonismus (4.2.1.3.) leistete wichtige Hilfestellungen: Allgemein, dass die Wissenschaft von den göttlichen Dingen die eigentliche Wissenschaft sei und höher stehe als alle anderen; speziell in der Formulierung der trinitarischen und der christologischen Dogmen.

    Durch die Argumentation der Apostolischen Väter und der Apologeten gegen die Heiden und gegen die Ketzer bildeten sich im Umgang mit den vorgefundenen Lehren eine spezifisch christliche Gelehrsamkeit und eine christliche Theologie als christliche Wissenschaft („doctrina christiana) aus, die viele typische Denkmuster der heidnischen Philosophie verwendet (5.2.). Es ist daher kein Wunder, dass sie in fast allen Fragen die schon bekannten Denkmuster unterschiedlicher Provenienz verwendet, - soweit sie nicht polytheistisch oder materialistisch kompromittiert waren und nicht gegen biblische Aussagen verstießen. Nur die spezifische Bewertung einzelner Traditionsstränge und der Heros der Verkündung und das Etikett „christlich waren neu, getragen von einer neuen Gruppierung, die gesellschaftlich relevant wurde.

    Die Bedeutung der Apologeten für unsere Untersuchung liegt darin, dass sie die Grundlagen für eine spezifisch christliche Gelehrsamkeit, die doctrina christiana, gelegt haben (5.2.). Und diese Gelehrsamkeit wurde die Leitidee der „karolingischen Renaissance" (7.1.2.) und auch der studia humanitatis (7.5.2.4.). Darüber hinaus haben sie in der Auseinandersetzung mit einer heidnischen Umwelt auch spezifische Einstellungen zu Kunst und Handwerk formuliert (5.3.). Auch hier haben wir auf mögliche Inhomogenitäten und Akzentverschiebungen zu achten.

    Roger Bacon vermerkte im 13. Jahrhundert: Die Kirche war nicht nur auf die Weisheit der Apostel, sondern auch auf die der Philosophen errichtet¹⁸⁴. (Siehe auch 9.1.7.1.6.)

    Die Apostolischen Väter wandten sich noch weitgehend nach „Innen, die Apologeten wandten sich nach außen zur Verteidigung, aber auch nach „Innen, zur Stärkung der Widerstandskraft der Gläubigen, gegen heidnische Angriffe und Abweichler im Inneren (5.1.3.10. und 5.1.5.).

    Von der Fülle der apologetischen Literatur wollen wir hier nur diejenigen Schriftsteller betrachten, die sich auch nach außen wandten und sich mit den artes ihrer Zeit, der heidnischen Philosophie und Wissenschaft auseinandersetzten und zu ihnen eine Stellung bezogen. Unberücksichtigt bleiben hier die rein theologischen Streitfragen und die Auseinandersetzungen mit den Juden, soweit diese nicht auch die artes tangierten.

    Nach Eusebius von Caesarea (5.1.6.2.) hat ein Christ namens Quadratus an Kaiser Hadrian ein apologetisches Bittgesuch für die Christen überreicht¹⁸⁵. Von diesem ist nur ein Fragment erhalten geblieben¹⁸⁶.

    * Die älteste erhaltene Apologie stammt von Quadratus und wurde um 125 u.Z. an Kaiser Hadrian gerichtet. Der Anlass war die Belästigung durch einige böse Menschen¹⁸⁷.

    Eine weitere, etwa gleich alte Apologie, stammt vom Aristeides von Athen und ist an Kaiser Antonius Pius (138-161) gerichtet¹⁸⁸. Es ist das Schreiben eines Philosophen an den Kaiser als Philosophen in dem die Übereinstimmung der christlichen Lehre mit der Philosophie festgestellt wird und es bewegt sich im philosophischen Synkretismus seiner Zeit¹⁸⁹.

    * Ausblick: Im Jahre 409 ließen sich die Vandalen in Spanien als föderati nieder, 410 plünderten die Westgoten Rom. Heidnische Intellektuelle beschuldigten die Christen den Zorn der Götter provoziert zu haben (5.1.6.). Augustinus schrieb ein apologetisches Werk um die Vorwürfe der Heiden zu entkräften: De civitate Dei¹⁹⁰. Das Werk ist zwar Teil eines gesellschaftlichen Diskurses zwischen Heiden und Christen, sprengt aber den Rahmen einer Apologie, --- wir werden ihn im nächsten Abschnitt behandeln (5.2.1.8.).

    Im Mittelalter war die Mission im Osten und unter den Muslimen ein Stimulans im Diskurs „der Kulturen" auch deren Kenntnisse anzueignen (7.1.6.1., 7.3., und 7.4.). Als ein Instrument des Diskurses wurde eine Aussagelogik entwickelt (9.1.2.1.).

    1.1.3.1 Justin der Märtyrer

    * Justin der Märtyrer (ca. 100 - 163-167) gehörte dem mittleren Platonismus an (4.2.1.2.), Eusebius von Caesarea (5.1.6.2.) hob seine Bildung hervor, die ganz auf das Religiöse gerichtet war¹⁹¹. Er wandte sich mit einer Petition an Kaiser Antonius Pius um die Anerkennung des Christentums als eine religio licita zu erreichen¹⁹². Darin verwandte er die griechische Philosophie zur Formulierung und Verteidigung christlicher Dogmen¹⁹³.

    Justin schrieb das erste „Religionsgespräch zwischen einem gebildeten Juden und einem „Philosophen: Die eigentliche Aufgabe der Philosophie ist die Erkenntnis Gottes¹⁹⁴.

    Für Justin waren die heidnischen Philosophien unbefriedigend¹⁹⁵. Doch man kann bei ihnen Körner der Wahrheit finden¹⁹⁶. Er hat die Philosophien für das Christentum in Anspruch genommen: Alles was von ihnen gut gesagt worden ist, gehört uns Christen¹⁹⁷. Die Dichter und Philosophen haben einen Schimmer von der göttlichen Wahrheit erahnt, der göttliche Logos war bei ihnen keimhaft vorhanden¹⁹⁸. Diese Lehre vom Logos spermatikos hat die Akzeptanz der Dichter und Philosophen für die Christen erleichtert. Für ihn war das Christentum einerseits das „Wahre Israel" andererseits die wahre Philosophie, die alle Teilwahrheiten Vollende. Er gründete in Rom eine Schule für christliche Philosophie¹⁹⁹.

    Justin hat für das theologische Denken die Grundlagen gelegt: In der Trinitätslehre, in der Logoslehre, in der Jungfrauengeburt, im Arkandisziplin der Sakramente und der Symbole²⁰⁰. Er hat das Philosophieren nie aufgegeben und wurde deswegen auch angegriffen. In seiner Synthese von Philosophie und christlicher Lehre hat allerdings der Offenbarungscharakter der letzteren das Primat.

    Der Kunst gegenüber zeigte Justin, darin folgte ihm auch sein Schüler Tatian, kein Verständnis. Und das ist in der frühen Kirche bis zur „Anerkennung" (5.1.6.) auch so geblieben²⁰¹.

    Zwei Apologien werden ihm zugeschrieben: Eine an Kaiser Antonius Pius, eine an Kaiser Mark Aurel. Eine weitere antijüdische Apologie an den Juden Typhon erklärt, warum allein der christliche Weg zur Wahrheit richtig ist und erst die christliche Auslegung des Alten Testaments dessen Sinn richtig erfasst. Justin hat den rechten Glauben auch gegen die „Gnostiker" (5.1.5.) verteidigt. Er hat den ersten Ketzerkatalog verfasst, der aber nicht erhalten geblieben ist²⁰².

    1.1.3.2 Tatian

    * Tatian, (2.Jahrhundert) war ein Schüler des Justin. Er hielt aber, anders als sein Lehrer, die griechische Philosophie für eine überwundene Vorstufe zum Christentum. Vielleicht war es der Einfluss des Kynikers Crescens (4.2.4.), dass er die griechische Weisheit und Philosophie, wie auch die gesamte hellenistische Bildung (4.1.2.4. und 5.3.3.), die Künste eingeschlossen, verwarf. In seiner Schrift „An die Hellenen" zeigt er, dass Moses und die Propheten der Hebräer älter sind als alle berühmten Männer der Hellenen²⁰³. Wir brauchen keine bunte Vielfalt der Lehren. Denn von dem allgemein verbreiteten, irdischen Geschwätz unterscheiden wir uns, wir gehorchen den Geboten Gottes und folgen dem Gesetz. Alles, was auf menschlicher Meinung beruht lehnen wir ab. Denn wir wollen nicht nachforschen und untersuchen, was die Ärzte und Zauberer zu tun versprechen oder in welchen Arten von Handlungen ihre ganze Wissenschaft und Erfahrung zu bestehen pflegt²⁰⁴. Die Lehren unserer Wissenschaft stehen höher als das weltliche Begreifen²⁰⁵.

    Tatian unternahm den ersten umfassenden Versuch, planmäßig den Inhalt aller vier Evangelien, unter Aufnahme von apokryphen Stoffen, in eine einzige fortlaufende Erzählung zu verwandeln²⁰⁶. Sein Diatessaron fand im Osten in syrischer, arabischer und persischer Übersetzung (6.1.7.) eine große Verbreitung. Auch im Westen gibt es Spuren von Evangelienharmonien, die

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