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Klassische Musik erleben: Handbuch für Konzertfreunde
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eBook141 Seiten1 Stunde

Klassische Musik erleben: Handbuch für Konzertfreunde

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Über dieses E-Book

Das Buch wendet sich an Musikliebhaber, welche die klassische Musik als inneres Erlebnis begreifen und sich vertiefend mit den spezifischen Fragestellungen auseinandersetzen möchten. Der Autor verarbeitet für fachlich Interessierte theoretische Grundlagen und persönliche Erfahrungen als Pädagoge und Interpret. Dabei werden einerseits Themen wie Hörgewohnheiten und Möglichkeiten einer intuitiven Musikerlebniswirkung beleuchtet, Aufgaben und Grenzen der Interpretation beschrieben sowie andererseits die Entwicklung der klassischen Instrumentalmusik umrissen, wobei anhand von Beispielen verschiedene Werkgattungen behandelt werden.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum21. Sept. 2021
ISBN9783347382411
Klassische Musik erleben: Handbuch für Konzertfreunde

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    Buchvorschau

    Klassische Musik erleben - Gottfried Hemetsberger

    1 Einführung

    Wir leben heute an einer Zeitenwende von noch nicht absehbarer Bedeutung. Äußere Umstände beschleunigen dabei Prozesse, welche ohne diese in ganz anderen Dimensionen verlaufen wären. Das Jahr 2021 bringt dabei für die Kunstszene und in besonderer Weise für die Musik, was die Vermittlung anlangt, einen rasanten Zuwachs der digitalen Übertragungsmöglichkeiten, wie etwa durch Spotify, YouTube oder auch in Podcasts, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuen. So sind heute auch Livestream-Produktionen von Konzerten und Opernaufführungen für viele Klassikliebhaber einerseits eine neue Erfahrung, andererseits eine Chance, Aufführungen live und meist auch per Videoübertragung beizuwohnen. Vieles ist dabei noch kostenfrei, was sich jedoch wahrscheinlich aus verschiedenen Gründen ändern wird oder teils schon geändert hat. Diese Entwicklung wird von Interpreten mit gutem Grund auch mit einer gewissen Sorge beobachtet. So stellt sich die Frage, ob sich wie in anderen Lebensbereichen, wie etwa beim Online-Einkauf oder beim vermehrt praktizierten Homeoffice, allmählich auch die Musikvermittlung immer mehr in Richtung des digitalen Bereichs verschieben wird. Zum einen bringt dies zwar Vorteile, wie etwa die große Auswahl an Möglichkeiten und den jedenfalls günstigeren Preis oder eine sogar kostenlose Bereitstellung. Für die Interpreten ist dies zum anderen, für Orchester wie auch Solisten, was die finanzielle Vergütung betrifft, allerdings heute noch mehr als eine offene Frage. Das essentiellere Problem ist aber ein künstlerisches, wenn man davon ausgeht, dass ein Live-Erlebnis mehr beinhaltet als die Summe der akustischen und optischen Sinneseindrücke, wenn wir also von der Aura eines Kunstwerkes und der Aura einer Aufführung ausgehen, die in ihrer Wirkung weit darüber hinausgehen sollte. Dies ist auch die generelle Fragestellung nach der Aura der Kunst in der Zeit ihrer technischen Reproduzierbarkeit und Vermittlung.

    Davon ganz abgesehen ist es ein Phänomen, dass allein die Datenmenge des vermittelten Objekts durch Aufnahme und Speicherung aus praktischen Gründen im Lauf der Jahre immer mehr reduziert wurde: von der analogen Schallplatte zur CD, von der CD zu den Möglichkeiten wie Spotify oder YouTube, welche in akustisch reduzierter Form natürlich beispielsweise auch am Mobiltelefon verfügbar sind. Eine Entwicklung, die in ihrem künstlerischen Reduktionismus möglicherweise noch nicht am Ende angelangt ist und schon bei der Digitalisierung von Musik begann. Bei einer analogen Aufnahme, etwa für eine klassische Schallplatte, wurden die gesamten Schallereignisse direkt in elektrische Spannung verwandelt und dann auf dem Tonband proportional die magnetische Beschichtung verändert. Beim digitalen Verfahren wird das Signal in binäre Informationen, also Nullen und Einsen, umgewandelt. Der Computer misst dabei die elektrische Spannung jeweils nur in sehr kurzen Zeitabständen und quantifiziert sie in Zahlenwerte. Diese Reduzierung und Transformation der Informationen führt auch zum real hörbaren Unterschied, etwa zwischen einer Schallplattenaufnahme und der zu vergleichenden CD-Aufnahme, die auf einer ursprünglich identen Einspielung beruht. Mit einfachen Worten wurde dieser Unterschied und nunmehrige Verlust an Information etwa in Umrissen mit der unterschiedlichen Klangwärme der Wiedergaben umschrieben, wobei allerdings die immer modernere Technologie dieses Defizit zu minimieren versucht.

    Wenn man sich die Frage stellt, ob man nun ein Werk auf seiner Stereoanlage, per Internet-Stream anhören möchte oder aber wegen dieses Werks einen Konzertsaal besuchen sollte, so können sehr viele Gründe für die jeweilige Entscheidung ausschlaggebend sein. Einerseits praktische Überlegungen wie Verfügbarkeit oder Zeitaufwand eines Konzertbesuchs, andererseits auch sehr persönliche Vorlieben und Gewohnheiten. Abgesehen von diesen von außermusikalischen Motiven geprägten Entscheidungen erhebt sich die Frage, ob es auch musikimmanente Beweggründe geben kann und weiters auch Gründe, die dem Typus eines Hörers entgegenkommen. Die traditionelle Konzertsituation beinhaltet, was ein künstlerisches Erleben anlangt, einerseits verschiedene Vorteile, andererseits auch Faktoren, die sich je nach Hörgewohnheit negativ auswirken könnten. Demgegenüber kann die Situation, in den privaten Räumen absolut ungestört eine CD oder ein Konzert live mitzuverfolgen, diesbezüglich einen Gewinn darstellen; allerdings in dem Bewusstsein, dass die technische Reproduktion jedenfalls ein Defizit an Vermittlung darstellen wird.

    Um uns eingangs nun dem klassischen Konzerterlebnis zuzuwenden, so bringt es allein, was die Einstellung des Hörers zum Ereignis anlangt, ein Plus an Motivation. Einerseits, was die innerliche Vorbereitung und Spannung durch die Erwartungshaltung betrifft; andererseits bezüglich eines konkreten Vorsatzes, diese zwei Stunden eines Konzerts ausschließlich dem musikalischen Ereignis widmen zu wollen. Im Zentrum der positiven Faktoren steht jedoch der Umstand, dass wir in der Lage sind, dabei ein ganzheitliches Erlebnis wahrnehmen zu können. Dies in der Überzeugung, dass die spontane Aussage einer Live-Aufführung zwar einerseits vielleicht ein gewisses Defizit an Perfektion aufweist, andererseits aber eine jegliche Aspekte beinhaltende künstlerische Botschaft quasi ungefiltert den Hörer erreichen wird. Im Gegensatz dazu stehen Studioaufnahmen, bei denen ein Aufnahmeleiter, was Klangbalance, dynamische Gestaltung sowie Perfektion betrifft, in die ursprüngliche Spielweise und auch im Hinblick auf den Spielfluss, etwa durch Austausch eines Aufnahme -Takes, eingreifen kann, was auch in der Regel geschieht. Dies vor allem, um Defizite des Interpreten zu verdecken und wohl primär aus Sicht der Aufnahmeleitung sowie der jeweiligen an einer Vermarktung interessierten Firma. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Hörer oft bei der CD-Aufnahme eines Interpreten überrascht ist, wenn er denselben vorher im Konzert gehört hat. Ein im Konzert erlebter Mangel an Spontanität, Kreativität, Klangempfinden, ein zu harter Anschlag eines Pianisten beispielsweise oder Defizite, was die persönliche Ausstrahlung betrifft, kommen auf der CD viel weniger zum Tragen. Zum einen, weil klangliche Mängel verbessert wurden; zum anderen, weil Spontanität, künstlerische Aussage und Ausdruck, die jeweilige Gesamtpersönlichkeit mit ihrer spezifischen Aura beim Anhören einer Aufnahme viel weniger realisiert werden können und somit auch weniger ins Gewicht fallen. Hier bieten einerseits das Konzert und die Aufnahme dem Hörer somit je nach Perspektive unterschiedliche Vor- oder Nachteile. Wenn ein Konzert andererseits im Hörfunk live übertragen wird oder falls wir eine CD, resultierend aus einem tatsächlichen Live-Mitschnitt, hören, verringert sich naturgemäß dieser Unterschied um einiges. Wobei einem aber bewusst sein sollte, dass sogenannte Live-Produktionen, die dann in den Rundfunkanstalten oft etwas zeitversetzt gesendet werden, in der Regel schon als Probeversion aufgenommen wurden, um auf diesem Weg etwaige mangelhafte Teile der Aufführung austauschen zu können. So berichtete mir ein befreundeter Aufnahmeleiter einer großen Rundfunkanstalt vor Jahren, dass beispielsweise nicht nur eine einzelne Live-Produktion eines damals führenden europäischen Pianisten so praktiziert wurde, dass jener Pianist zuerst die sogenannte Live-Aufnahme noch bezüglich der auszutauschenden Teile abhören wollte. Eine solche Art der Live-Perfektion ist heute weit verbreitet und natürlich alles andere als ehrlich, steigert aber die Erwartungshaltung des Publikums und wird für junge Interpreten zum oft nur schwer zu erreichenden Maßstab, was Perfektion anlangt. Diese muss zwar dann in aller Regel doch erreicht werden, allerdings leider auf Kosten der nunmehr auch bewusst untergeordneten Gestaltung und Spontanität. Die Nachteile des Konzerterlebnisses können für den ungeübten Hörer vor allem in der Gefahr der dauernden Ablenkung durch störende Umstände liegen. Sei es die Unruhe im Publikum, sei es aber auch, dass man sich selbst nur mangelhaft auf das wesentliche akustische Geschehen fokussieren kann. Wenn etwa in Pausengesprächen das Publikum sich primär darüber unterhält, warum der Dirigent, statt wie üblich zu stehen, gesessen ist oder warum diese junge Pianistin immer im Minikleid auftreten muss, dann weiß man, dass die eigentliche Botschaft der Aufführung die Hörer nicht erreicht hat. All diese Ablenkungen gäbe es vor der eigenen Stereoanlage in der privaten Umgebung nicht, wenn nicht auch dort in unserer allzu schnelllebigen Zeit heute kaum jemand mehr imstande wäre, sich einer Sinfonie, die man nun eigentlich hören möchte, in jener Ausschließlichkeit zu widmen, die das Werk verlangt. Naturgemäß gibt es auch klassische Musik, etwa in Form der Serenaden, die vom Komponisten nicht in einer Absicht geschrieben wurden, welche eine solche Ausschließlichkeit des Hörens verlangt oder erwartet. Dies ist aber die Ausnahme von der Regel. Im Regelfall will uns das klassische Instrumentalwerk in eine nicht mehr in Begriffen zu erfassende Wirklichkeit entführen, welche umso mehr unser Inneres ansprechen könnte und dies gleichermaßen von uns fordert.

    Somit gälte es die Chance, in der gewählten Umgebung ein Meisterwerk hören zu dürfen, das uns auf unser Innerstes zurückführen kann, zu nutzen; sich somit in einen Zustand einzulassen, der jegliche Willensimpulse und Gedanken verschwinden lässt und somit unser inneres Ohr erst öffnet. Dies ist eine Haltung der Hingabe, nicht unähnlich einem meditativen Zustand, der geübt werden will. Wenn wir dann einmal jenes Gefühl der musikalischen Versenkung erlebt haben, so wie es auch der Komponist im Akt des Schreibens notwendigerweise hatte und ebenfalls der Interpret haben sollte, dann werden wir diesen Zustand immer wieder suchen und nicht mehr bereit sein, eine solche Fülle von künstlerischer Aussage auf einen Hintergrund und also quasi – horribile dictu – eine Unterhaltung zu reduzieren. Sofern wir von der Aura einer Live-Aufführung sprechen, meinen wir ein Erlebnis, das ganzheitlicher Natur ist und nicht nur die Summe vieler messbarer Einzelphänomene. Der sich philosophisch mit diesem Thema auseinandersetzende Walter Benjamin¹ bezieht sich in seinen Überlegungen gleichermaßen auf die Aura der Natur wie auch der Kunst. Er beschreibt die Einmaligkeit und Echtheit eines Erlebnisses, das durch die Reproduktion Verluste erleidet. So bleibt auch bei einer höchst vollendeten Reproduktion das Defizit von Hier und Jetzt, jener Einmaligkeit des Augenblicks, des Ortes sowie in gleicher Weise der

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