Manchmal kann Geld auch glücklich machen
Von Karl Pollmann
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Buchvorschau
Manchmal kann Geld auch glücklich machen - Karl Pollmann
I
Die Ampel springt auf Rot und der alte Volvo 745 setzt sich behäbig in Bewegung. Im nächsten Jahr stünde ihm ein H-Kennzeichen zu. Es ist ein Kreuz mit den alten Volvos, jedes Mal gehen sie wieder durch den TÜV, und so hört man nicht auf, immer weiter in so eine Kiste zu investieren, obwohl sie längst auf den Autofriedhof gehört. Heute stottert die Karre sogar, als wollte sie Thorstens letzte Fahrt von seiner Arbeitsstelle im Finanzamt Münster nach Hause ins Reihenhaus in Albachten boykottieren.
Über 45 Jahre hat Thorsten in dem Backsteingebäude in der Münzstraße verbracht, von der Ausbildung bis heute zur Verabschiedung.
Auf dem Rücksitz liegen zwischen leeren Flaschen, dreckigem Geschirr und Besteck zwei Modellautos eines VW T2 Westfalia Campingwagens, mehrere Bücher, darunter auch eins mit dem Titel „Als die Frauen den Himmel eroberten" und eins aus dem Antiquariat „Jetzt helfe ich mir selbst - Volkswagen T2 Transporter". Sicher lohnt die Ausbeute nicht, um damit wie, damals nach seiner Hochzeit mit Anne, zum An- und Verkauf zu fahren, um die Sachen wieder loszuwerden. Thorsten war als Kind ein kleines Rechengenie, bevor er in die Schule kam, konnte er schon Prozente ausrechnen. Außerdem hatte er ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Eine Narbe am Oberarm seiner Schwester zeugt noch heute davon. Hatte sie doch bei einer ungeraden Zahl von Gummibärchen das letzte nicht geteilt, sondern einfach für sich behalten. Vater hatte gemeint, dass ein Junge mit diesen Eigenschaften besonders fürs Finanzamt geeignet wäre. Da sich die Lehrer in der Schule damals häufig über Thorsten beschwerten, weil er mit dem Schellen immer sofort aufhörte zu arbeiten und seine Tasche packte, unterstützte auch die Mutter eine Laufbahn als Beamter.
Steil wurde die Karriere nicht, Thorsten beendet sie heute als Finanzamtsinspektor. Aber immerhin steht ihm nach Ablauf der Altersteilzeit eine Pension in Höhe von fast Zweieinhalbtausend Euro monatlich zu, mehr als doppelt so viel wie die Rente seiner Frau Anne, die auch ihr Leben lang als Sekretärin, zuletzt in einem Autohaus, gearbeitet hat.
So steht den beiden also eine glückliche Restzeit bevor. Da ihr Reihenhäuschen abbezahlt ist und die Tochter das Studium schon lange beendet hat, bleibt bestimmt auch noch genügend Geld für Hobbys. Anne fliegt im Luftsportverein Ultraleichtflugzeuge und Thorsten hat sich die Restauration eines Bulli-Campingwagens aus dem Jahre 1973 vorgenommen.
Mit Thorsten sind heute noch zwei Mitarbeiterinnen in den Ruhestand verabschiedet worden. Das ist erfreulich, so sind die Kosten der Verabschiedung gedrittelt worden und überschreiten nicht die Grenze, über die sie nicht mehr steuerlich absetzbar sind.
Der Amtsleiter hat bei der Verabschiedung in seiner Rede Thorstens Engagement bei der Durchführung der Weihnachtsfeiern hervorgehoben. Auch sein offenes Ohr für die Probleme der Kolleginnen und Kollegen und die Tatsache, dass er nie einen Geburtstag in der Abteilung vergaß, sind positiv erwähnt worden.
Thorsten ist in seiner Abschiedsrede nicht so zimperlich gewesen, er hat akribisch alle Ungeschicklichkeiten des Chefs im Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen aufgezählt.
Besonders hat sich Thorsten aber darüber gefreut, dass seine frühere Kollegin Irmgard zu seiner Verabschiedung extra aus Bielefeld gekommen ist. 15 Jahre saßen die beiden zusammen in einem Büro, bis Irmgard die Fachhochschulreife nachholte und in den gehobenen Dienst wechselte. Anschließend folgte sie ihrem Mann nach Bielefeld.
Alle Probleme, vor allen Dingen die privaten, vertrauten sie sich damals an. Egal ob es finanzielle Schwierigkeiten, Probleme mit dem inkonsequenten Erziehungsstil des Partners oder dessen sexuelle Vorlieben waren, die man nicht mochte. Manchmal hatten sie das Gefühl, dass sie voneinander mehr wussten als ihre Ehepartner.
Betriebsfeiern oder -ausflüge, die es damals noch gab, endeten oft auf dem Rücksitz von Thorstens Auto oder ab und zu auch mal in einem Hotelzimmer. Nicht weil man so unglaublich scharf aufeinander gewesen wäre, sondern einfach, um sich des Vertrauens des anderen zu versichern. Am nächsten Tag war das jeweils weder im Büro noch zuhause ein Thema.
Dieses Vertrauen ist auch nach zwanzig Jahren sofort wieder da. Schnell sind an diesem Nachmittag die Eckpunkte der letzten beiden Jahrzehnte Ehelebens erzählt. Der Rücksitz des alten Volvos ist heute als Vertrauensbeweis nicht mehr nötig gewesen. Thorsten fährt bestens zufrieden in Richtung Albachten.
Zuhause ist alles vorbereitet. Die Girlanden wiegen sich im Luftzug der geöffneten Haustür. Die befreundeten Nachbarn Kerstin und Klaus sind von nebenan herüber gekommen. Tochter Maike mit Enkelkind Pit sitzen schon am festlich gedeckten Tisch. Annes Geschenk, ein Besuch des Museums in der Autostadt Wolfsburg, liegt als Gutschein zwischen den dazu gehörigen Prospekten.
„Ich freue mich so für Euch, dass es so toll geklappt hat", meint Kerstin. „Noch keiner von Euch ist 65 und trotzdem seid Ihr jetzt beide schon im Ruhestand und das, wo Ihr noch so gesund und frisch seid. Da stehen Euch ja rosige Zeiten bevor. Ich bin richtig neidisch. Klaus, der wird doch mindestens bis 80 arbeiten." Klaus schüttelt den Kopf: „So lange nicht."
Maike seufzt und meint, dass es die jetzige Generation ja saugut habe, sie selbst müsse wohl bis 70 arbeiten und Pit sicher bis über 75. Nachdem noch lange über die Möglichkeiten, die es heutzutage im Ruhestand gibt, geredet wird und Anne immer wieder ungeduldig auf ihre nachgemachte Rolex aus dem Türkeiurlaub von vor fünf Jahren sieht, geht endlich die Tür auf und Thorsten kommt mit dem Korb voll dreckigem Geschirr durch die Haustür. Anne läuft ihm entgegen, nimmt ihm den Korb ab und und umarmt ihn.
„Na, Du Pensionär, wie fühlst Du dich? Alles gut gelaufen?"
Thorsten erzählt zufrieden von seiner Verabschiedung und vor allem auch, dass sich seine alte Kollegin Irmgard extra einen halben Tag Urlaub genommen hat und von Bielefeld gekommen ist.
„Da konntet