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Jahrestage-Buch: 77 mal anders gedenken
Jahrestage-Buch: 77 mal anders gedenken
Jahrestage-Buch: 77 mal anders gedenken
eBook499 Seiten3 Stunden

Jahrestage-Buch: 77 mal anders gedenken

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Über dieses E-Book

Das Jahrestage-Buch ist eine Unabhängigkeitserklärung von dem Ri­tual, uns an denkwürdige Daten nur dann zu erinnern, wenn sie ex­akt zehn, fünfundzwanzig, hun­dert oder tausend Jahre her sind.
Gedacht wird im­mer. Und sehen wir Jahres-, Ge­denk- und Aktionstage doch ein­mal mit anderen Augen: den Welt-Tourismus-Tag, den natio­nalen Hut-Tag, den Kampf- und Feiertag der Ar­beitslosen, die D-Days, den in­ternationalen Witze-, den Pi-, den BDSM-Tag, den Welttag des Lä­chelns oder den des Faulenzens.
Erin­nert wird aber auch an die Erstbe­steigung des K2 und an die Großen der Ge­schichte: an den To­destag Ro­bert Gernhardts und den des Dio­genes von Sinope, den Geburts­tag Fritz Ben­schers.
Das Jahrestagebuch gedenkt aus Anlässen:
Dichterju­risten und Nonkonfor­misten,
Linkshändern und Rechts­gelehrten,
Hörgenuss und Konzer­tantem,
der Diet­rich und dem Präsiden­ten,
Digital- und Barem,
Übersetzern, Über­wegen, Over­kill,
Fanta­sie, Fesseln und Hö­hepunkten.
Und noch vielem mehr.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum25. Aug. 2020
ISBN9783347100565
Jahrestage-Buch: 77 mal anders gedenken
Autor

Siegfried Reinecke

Dr. Siegfried Reinecke ist Literatur- und Medienwissenschafter und lebt seit 1987 in Berlin. Wissenschaftliche Tätigkeit an Hochschulen in Bochum und Berlin, Dozent und Lektor sowie Autor kultur- und politikwissenschaftlicher Publikationen. Von 2020 bis 2023 erschienen / erscheinen drei Romane, ein Essayband, ein Venedigportrait und eine wissenschaftliche Studie.

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    Buchvorschau

    Jahrestage-Buch - Siegfried Reinecke

    Stadt eines Vorworts

    Bad Mergentheim

    Jahrestage-Buch: eine Tour d'Horizon mit nicht weniger, aber auch nicht mehr als als 77 Stationen. Auf den Spuren eines Flaneurs des Wissens erleben Sie ganz unaufgeregt eine äußerst seriöse Auswahl all dessen, was man weiß, was man wissen sollte, was man zu wissen meinte.

    Guten Gewissens entstand gewissermaßen eine Art ewiger Kalender. Nutzen Sie ihn, solange Sie können. Es ist nicht nur für jeden etwas dabei, vielmehr wird er gerade jedem Journalisten sehr zupass kommen, ein Kompendium an die Hand zu bekommen, dass ihm seine Frage „Worüber berichten wir heute? im Sinne von „Was für ein Gedenktag ist heute? beantwortet. Damit traktiert er dann Sie, seine Zuschauer, Hörer und Leser. Nur dass runde Jahrestage maßlos überschätzt sind.

    Es ist ja auch ein fragwürdiges Ritual, an denkwürdige Daten nur zu erinnern, wenn sie exakt zehn, fünfundzwanzig, hundert oder tausend Jahre her sind. Da muss man manchmal ganz schön lange warten, obwohl man doch auch einmal spontan gedenken will. Das Jahrestage-Buch befreit von Gedenkzwang und lädt ein, jederzeit und an jedem Ort seinen Erinnerungen nachzuhängen.

    Sooo: Man sollte z.B. verdienstvollen Menschen auch einmal zu Lebzeiten gedenken. Dann haben sie auch mehr davon. Diesem Herrn aus Tauberbischofsheim vor allem anlässlich des 9. Dezember – des Internationalen Anti-Korruptions-Tags.

    Es gibt Zeiten, schreibt der so große wie groß gewachsene Harald Schmidt, „da diktiert sozusagen der Kalender das Thema. Oft nicht das Schlechteste, weil gerade über dieses Thema ja schon alles gesagt ist. Grund genug also, es nochmal zu tun, natürlich aus völlig neuer, epochemachender Perspektive." So reflektiert er in Warum und wohin? Gesammelte Notizen aus dem beschädigten Leben [München 2002, S. 181] Recht hat er, und so geschieht es hier. Möge es gelungen sein.

    Das Spektrum der Gedenk-, Jahres- und Aktionstage ist sehr weit, es reicht vom nationalen Hut-Tag über den Weltwetter-, den Abracker-Tag, den Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen, den internationalen Witze-, den Pi-, den BDSM-Tag bis hin zum Welttag des Lächelns und dem Tag des Faulenzens. Ein besonderes Gedenken gilt der Erinnerung an die Erstbesteigung des K2, an den Todestag Karl Valentins und den des Diogenes von Sinope, an den Geburtstag Fritz Benschers, nicht zu vergessen an den Internationalen Welttag der Toleranz und den Umarme-einen-Schlagzeuger-Tag. All das wird gleichmäßig ernsthaft und seriös behandelt. Mag sein, dass zuweilen dem angemessenen, echten Pathos des Anlasses eine Prise Ironie den Atem nimmt; Spott oder niederträchtige Herabsetzung des gedachten Gegenstands liegen jedoch der Absicht dieser Gedenkblätter fern.

    Ganz im Gegenteil: Unendlich viel an Wissen, Orientierung und Unterhaltung verdanken wir den gefeierten Gegenständen, Sachverhalten und Menschen. Und so gestaltet sich dieses kleine Projekt zu einer ehrerbietigen Verneigung vor dem, was letztlich unser Leben ausmacht oder beeinflusst hat, bei dem einen mehr, dem anderen weniger. Sollte das nicht der Fall sein, so kann man ja immer noch dazulernen aus einer Enzyklopädie, die mit den modernen Wikis wenig, hingegen mit klassischen rein gar nichts zu tun hat. Nichtsdestoweniger lernt man einiges bis vieles über Dichterjuristen und Nonkonformisten, Hörgenuss und Konzertantes, die Dietrich und den Präsidenten, Hopfentrank und Hosenlose, Digital- und Bares, Übersetzer, Überwege und Overkill, Fantasie, Fesseln und Höhepunkte. Und noch viel mehr. Das muss reichen.

    Dank eines großzügigen Stipendiums eines Stralsunder Mäzens konnten die Studien zu diesem Band im ziemlich schönen Taubertal zum Abschluss gebracht werden.

    Berlin, Bad Mergentheim, März 2020

    JANUAR

    Über Neues und Nichtiges, Observation und Staat, Hut Couture, Dichterjuristen und Nonkonformisten

    1. Januar – Neujahrstag

    In the Year 802.701, 802.701

    Der erste Tag bekommt den Namen, den er verdient wie kein anderer. Und nur an diesem Tag werden Vorsätze gefasst – und vielleicht schon wieder verworfen Jeder sollte das tun, also Vorsätze fassen. Der besondere Service für Sie: Nutzen Sie den Raum für Vorsätze am Ende dieses Beitrags!

    Nicht auszurotten ist anscheinend die Ansicht, dass – nur weil wir wieder einmal von vorne zu zählen beginnen – etwas ganz Außergewöhnliches, nie Dagewesenes, Großes, Schönes oder auch Schlechtes, Grausiges, Entsetzliches ins Haus steht. Oder dass wenigstens so viel selbst beeinflusste Veränderung eintritt, dass man sich durch Askese und Läuterung zu einem besseren Menschen entwickelt (siehe „Vorsätze"). Dazu ist es sinnvoll, die Dinge von ihrem Ende her zu betrachten, so wie es unsere langjährige Kanzlerin immer anzuregen pflegte. Wobei sich das Problem zu stellen scheint, dass wir in unserer übergroßen Mehrheit nicht recht wissen, wie das Jahr zu Ende gegangen sein wird, um entsprechend die Konsequenzen zu ziehen, angemessene Vorsätze zu fassen.

    Aber vielleicht ist es ja auch gar keine so gute Idee die Zukunft zu antizipieren. Das liegt zum Teil daran, dass man nicht weiß, was sie bringt, und zum Teil daran, dass man es nicht wissen will. Nehmen wir nur einige – nicht ganz beliebige – Beispiele.

    Das Rauchen aufgeben, sich gesünder ernähren, mehr Bewegung und ähnliche Banalitäten: Viel zu wenige Menschen nehmen sich zum Jahreswechsel etwas ganz Besonderes vor – etwas wirklich ganz Bedeutendes. Aber wenn schon ein Blick in die Zukunft, dann auch richtig: Warum nicht einmal eine Zeitreise antreten? Zugegeben, Sie wären nicht der erste, der das tut. Vielleicht aber der oder die erste, der/die nicht in der Zukunft verloren geht, wie jenes verkannte Genie am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert. Sie wissen, von wem die Rede ist. Richtig, von George. So heißt jedenfalls der Zeitreisende in der Verfilmung des H.G. Wells-Romans „The Time Machine" aus dem Jahr 1960. In der Vorlage von 1895 ist der Wissenschaftler noch namenlos, verfolgt aber das gleiche Projekt, das er seinen Freunden am Silvesterabend des Jahres 1899 vorstellt. Zumindest zeigt er ihnen ein Modell seiner Zeitmaschine, das im Film ungefähr so aussieht:

    Klassisches Design, robuste Karosserie: TM Wells 1899

    Er lässt es in der Zukunft verschwinden, doch seine Besucher glauben an einen Trick und verlassen ungehalten die Feier zur Verabschiedung des alten Jahrhunderts. George aber macht sich darauf mit dem wirklichen Zeitschiff auf in die Zukunft: In den Jahren 1917 und 1940 erlebt er die Weltkriege, 1966 einen Atomschlag. Er flieht, bevor er selbst vernichtet wird, mit Highspeed und stoppt seine Maschine erst wieder, als er sich sicher vor weiterem Unheil glaubt. Es ist der 12. Oktober 802.701. Er hat somit eine erkleckliche Anzahl von Neujahrs bzw. Neujahren überflogen und ebenso viele Vorsatzlisten versäumt.

    Er findet eine Welt vor, in der glückliche, schöne Menschen leben. Sie werden allerdings von hässlichen, bösen Menschen wie Vieh gehalten. Und dafür soll man in die Zukunft reisen? Will man das wissen?

    Jedoch: Zuhause ist es auch nicht besser. George rettet sich mit Müh' und Not in seine Zeit zurück und trifft unverändert auf Ignoranz. Da beschließt er, zurück in die Zukunft (das wäre mal ein schöner Titel für einen Film gewesen) zu reisen, um die nur ein paar hunderttausend Jahre entfernte Dame seines Herzens wiederzutreffen. Um diesmal aber besser gewappnet zu sein und den schönen Menschen helfen zu können, nimmt er drei Bücher mit.

    Und hier ist eine Empfehlung an Sie, die etwas vorgestrig klingen mag, aber unvergleichlich erfolgversprechender und nachhaltiger sein wird, als jeder noch so krachend scheiternde Vorsatz: Nehmen Sie sich nur etwas Zeit, überlegen Sie gut und entscheiden Sie dann, welche drei Bücher Sie durch das kommende Jahr begleiten sollen (also welche beiden außerdem, außer dem, Sie verstehen?). Es wird Sie am Ende des Jahres nicht gereut haben (Futur II).

    Für diejenigen, die es dennoch nicht lassen können und tatsächlich glauben, sie könnten das, was in den folgenden zwölf Monaten tatsächlich auf sie zukommt, irgendwie durch die Macht ihres Willens beeinflussen, hier der angekündigte

    Raum für Vorsätze

    Tipp des Verlags: Durch Erwerb weiterer Bände erweitert sich der Umfang des Raums für Vorsätze um ein Vielfaches. Bitte bevorraten Sie sich!

    Noch ein Nachsatz: Der beliebteste Vorsatz der Deutschen ist auch in diesem Jahr derselbe wie im letzten Jahr. Und in dem davor. Das hat den Vorteil, dass man sich den Vorsatz gut merken kann. Es hat den Nachteil, dass er dann noch nie eingelöst wurde. Man sollte sich also vornehmen, diesem Vorsatz im bevorstehenden Jahr nachzukommen. Vorsicht: „Nach mir die Sintflut!" auch nur zu denken ist keine Option. Denken Sie nach, bevor Sie sich am Ende Vor-würfe machen müssen.

    4. Januar – Tag des Trivialwissens – National Trivia Day (USA)

    Hätten Sie's gewußt?

    Wer weiß denn sowas?

    Der Airbag in Autos fällt in Deutschland unter das Sprengstoffgesetz.

    [https://www.unnützes-wissen.de/site/nutzloses-Wissen.html]

    Säugetiere brauchen allesamt durchschnittlich 21 Sekunden zum Entleeren der Blase.

    [https://www.genialetricks.com/trivialwissen/]

    Bei der größten bekannten Primzahl handelt es sich um 2⁷⁷²³²⁹¹⁷-1, eine Zahl mit 23.249.425 Stellen.

    „Hätten Sie's gewußt?" So lautete der Titel der Mutter aller Ratesendungen im deutschen Fernsehen, in der Quizmeister Heinz Maegerlein zwischen 1958 und 1969 seine meist gut informierten, ja geradezu gebildeten Kandidaten traktierte. Wie gut hätten Sie ausgesehen? Hätten Sie die Sache mit den Airbag/Pipi/Primzahl-Fakten „auf dem Kasten" gehabt? Sicher nicht. Und wenn doch: warum?

    Wer braucht schon so viel Spezialwissen. Im Allgemeinen reicht uns doch eine überschaubare enzyklopädische Übersicht über eine begrenzte Anzahl von Gegenständen und Sachverhalten aus. Auch bei Maegerlein (selbiger, der als Sportreporter mit einem einzigen Hauptsatz, dem vormals witzigen „Sie standen an den Hängen und Pisten", unsterblich wurde) wären Fragen nach Fakten wie die eingangs genannten natürlich nicht gestellt worden, es war schließlich kein Expertenquiz.

    Als die Quizz- und Wissenden noch weggesperrt wurden: Hätten Sie's gewußt?, 1960.

    Hier waren Allrounder gefragt. Die gab es auch in den Fußballspielersammelbildchenheften der Siebziger Jahre noch; Herren, die nicht allein Spezialisten des Toretretens oder des Gegenspielerummähens waren, sondern beides leidlich beherrschten. Von „Allroundwissen spricht heute auch noch ein „Trainingsbuch für Quizmillionäre. Bei Magerlein mussten sich die immerhin oft auf einem Gebiet besonders versierten Damen und Herren Ratefüchse auch aufs Glatteis begeben, in dem sie Fragen aus Rubriken wählen mussten wie „Sport, „Film oder „Operette und – eine Kostbarkeit der Quizkategorien – „ABC der Frau.

    In dieser Rubrik lautete z.B. eine Frage: „Welcher Kontinent exportiert das meiste Gefrierfleisch? Für die souveränen Antworten der Kandidatin „USA? Amerika? und die Replik des Meisters „Richtig! Südamerika" gab es ganze drei Punkte. Ihr männlicher Konkurrent überraschte in dieser Frage durch geographisches Detailwissen.

    Den nachhaltigsten Eindruck machte bzw. macht dem Flaneur des Wissens damals wie heute aber die Abteilung

    Die Paradedisziplin der Kollektivkenntnisse. (Hätten Sie's gewußt?, 1968) Zeichnung: Manfred Schmidt

    Maegerlein hebt also zu fragen an: „Ein italienischer Naturforscher, Mathematiker und Philosoph, der von 1564 bis 1642 lebte, wurde zu einem der Bahnbrecher der modernen Naturwissenschaft. Seine Fallgesetze und seine Parteinahme für Kopernikus haben ihn berühmt gemacht. Legende ist freilich wohl sein berühmter Ausspruch: 'Und sie bewegt sich doch'. Wer war denn das, bitte?" Die Antwort der Kandidatin kam wieder schnell und klar.

    Ist das nun Trivialwissen? Solches scheint nach heutigem Verständnis eher eine Unterkategorie von Allgemeinwissen zu sein. Duden online definiert: „[weniger bedeutsames] Allgemeinwissen; Wissenswertes", was uns nicht viel weiter bringt. Weniger bedeutsam als zu wissen, wie ein Atomkraftwerk funktioniert, wäre es wohl, sämtliche Staatsoberhäupter Ugandas seit seiner Unabhängigkeit zu kennen. Letzteres erscheint nicht einmal wissenswert zu sein und gehört erst recht nicht zum Allgemeinwissen. (Obwohl: Es handelte sich um Mutesa II, Obote, Idi Amin, nochmal Obote sowie Museveni. Gut, nicht wahr?)

    Die denkbar kürzeste Definition könnte lauten: Um Trivialwissen handelt es sich, wenn absolut jeder verständige Mensch einer Aussage zustimmen oder sie zumindest annehmen würde. Beispiel: Die Erde ist eine Kugel. Jeder? Verständige? Wir stehen selbst hier erneut vor einem Problem. Entweder ist dieses Wissenspartikel nicht trivial oder der Mensch, der es bestreitet, ist nicht verständig. Noch einmal also: Was sind denn jetzt Trivia, und warum muss man die mit einem Tag bedenken?

    Nähern wir uns einer Antwort mit einem weiteren Beispiel, es lautet: „Nehmen Sie einen Hamster, der nicht aufhört zu wachsen. Der normale Hamster verdoppelt jede Woche sein Gewicht, bis er etwa zwei Monate alt ist. Wenn er dann nicht aufhört und sein Gewicht weiter verdoppelt, hätten Sie nach einem Jahr einen Hamster von einer Milliarde Tonnen Gewicht, der an einem einzigen Tag die weltweite Maisproduktion eines ganzen Jahres auffressen könnte."

    Man könnte sagen: ein klassisches Beispiel für ein absolut irrelevantes Wissenspartikel, weil es in seiner Extrapolation einer völlig ausgeschlossenen Entwicklung eine reine Spielerei darstellt. Mithin handelt es sich aufgrund der unsinnigen Prämissen um nutzloses Wissen.

    Das gilt aber nur, solange es jenseits jeglichen spezifischen Kontext steht, also etwa in einem Partygespräch, in dem eine solche Aussage als Eisbrecher dient. Gibt man aber Kontext dazu, sieht die Sache ganz anders aus: Das Zitat stammt von Andrew Simms, seines Zeichens Mitarbeiter am Zentrum für globale politische Wirtschaftsforschung der Universität von Sussex und ein Fellow an der New Economics Foundation; also ein Ökonom, ein Experte mit hohen akademischen Weihen. Warum redet er solch einen 'Bullshit'? Klarer wird der Zusammenhang, wenn man weiß, dass seine Worte völlig isoliert in einer Satiresendung des Fernsehens auftauchen [extra 3, NDR-Fernsehen, 30.10.2019], die hier ganz und gar unkommentiert bleiben – also immer noch 'Bullshit' sind und im Grunde allenfalls der Bloßstellung von Expertenwissen dient.

    Tatsächlich entstammt der Ausschnitt einer langen Dokumentation des Senders arte über Sinn und Unsinn grenzenlosen Wachstums. [„Wachstum, was nun?", arte, 10.9.2019] Erfährt man darüber hinaus noch zusätzlich, dass Simms den Earth Overshoot Day (Welterschöpfungstag, Erdüberlastungstag) initiierte, mit dem jedes Jahr das Datum neu bestimmt wird, an dem die Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen die Reproduktionsfähigkeit der Erde zu übersteigen beginnt, dann ist klar, dass der Ökonom zu einem der heftigsten Kritiker der Logik bedingungslosen Wachstums zählt. Außerdem entwickelt er Auswege aus der Klimakrise und unterstützt Extinction Rebellion, die Bewegung, die Kampagnen zu zivilem Ungehorsam in der Klimafrage organisiert. So ahnt man, dass Simms auf den ersten Blick unsinnige Hamster-Aussage zu einem Modell greift, mit dem er die fatalen Folgen von als alternativlos propagierten Reproduktionskreisläufen illustrieren will.

    Bezogen auf die Frage, was nun Trivialwissen von nicht-trivialem, elaboriertem Wissen unterscheidet, legt das letzte Beispiel nahe, dass es vor allem anderen auf die Funktion ankommt. Und die hängt eben vom Kontext ab. Sind Wissenspartikel im Rahmen institutionalisierter, hochspezialisierter Diskurse anzutreffen, so können die gleichen trivial erscheinen, wenn sie in alltagskulturellen Zusammenhängen auftauchen. Sie müssen gar nicht mal in elaborierter Fachsprache, in Formeln und Matrizen o.ä. daherkommen, sondern können durchaus anschaulich sein wie das Hamster-Modell. Das Letztere aber hat den Vorteil, gerade anschließbar an Alltagsdiskurse zu sein, die zu einem überwiegenden Teil aus symbolischen, metaphorischen, kurz: anschaulichen, so genannten interdiskursiven Redeelementen bestehen. Dieses Unspezifische, viele spezialisierte Diskurse zwar integrierende, aber sie auch damit 'überwindend', ermöglicht es uns miteinander zu kommunizieren, die wir in ganz unterschiedlichen Sach- und Fachzusammenhängen unterwegs sind.

    Trivialwissen ist also gewissermaßen grundsätzlich dysfunktionales Wissen; es ist nicht in erster Linie an bedeutendem, wissenschaftlichem oder auch nur alltagspraktischem Erkenntnisgewinn orientiert. Unterstützer des Tages des Trivialwissens heben aber unbeirrt hervor, dass jeder dazu ermutigt sei, sich neues Wissens anzueignen oder vorhandenes einmal unter einem anderem Gesichtspunkt zu betrachten: „Let National Trivia Day be an opportunity to learn something new – gain some knowledge or gain a new perspective. Discovering a new tidbit might be refreshing, enlightening or epically awesome. If you aren't constantly learning, you aren't truly living." [https://nationaltoday. com/national-trivia-day/] Ein Angebot, dass man schwerlich ablehnen kann.

    Machen wir uns also gemein mit dem Mut zum Wissen, zur Not zum Trivialen. Es hat so viele Facetten. Mal ist es funktionales, mal eher dysfunktionales (Trivial-) Wissen. Heute wissen wir ja, dass Wissen in jedem Fall Macht konstituiert, ohne dieses ist ein modernes Subjekt ganz unvorstellbar – um es einmal so holzschnittartig zu formulieren. Wenn man schon über etwas Bescheid weiß, sollte man andere daran teilhaben lassen, so sie denn offen dafür sind. Denn man kann den Umgang mit Trivialwissen als ein Spiel betrachten, bei dem man allerdings mitmachen wollen muss. Wenn man ständig alles anzweifelt und sofort googelt, kommt das Spiel nicht in Gang.

    Manchmal unterlässt man das aber gerade sehr gerne. Dann etwa, wenn das triviale Wissen so schön zupass kommt und man sich von diversen Traumata entlastet fühlt. Nehmen wir doch nur mal die Sache mit Albert Einstein und seinen miserablen Schulnoten in den Naturwissenschaften. Manche wissen, dass er sein Abitur in der Schweiz gemacht hat und ziehen ihre Schlüsse: So also erklären sich die Fünfen und Sechsen seiner Matura. Die anderen müssen googeln – oder sie verkneifen es sich.

    8. Januar – Männerbeobachtungstag

    Watching me, watching you – aha-a

    An plane spotter hat man sich inzwischen gewöhnt, das ist ja auch eine harmlose Spezies. Was um alles in der Welt jemanden dazu bewogen hat – und das auch noch in einschlägigen Jahrestageskalendern zu implementieren –, die indiskrete Praxis der Observation von Männern zu feiern, muss schon sehr befremden. Das zeugt schon von einem besonderen Geschmack, über den man auch in diesem Fall wohl nicht streiten darf. Neben Wal- und Wahlbeobachtern ist das schon ein besonders skurriles Hobby. Was gibt’s denn da zu sehen?

    Ob gewollt oder nicht, man muss als Mann am 8. Januar jeden Jahres damit rechnen, genau fixiert zu werden, wenn sich das Wissen um diesen Aktionstag ausbreitet, was mit diesen Zeilen überhaupt nicht intendiert ist. Da heißt es, sich gut gepflegt und ordentlich gekleidet in die Öffentlichkeit zu begeben, sich zu benehmen, also einen insgesamt guten Eindruck zu machen oder – wenn man keinen großen Wert auf gute Bewertungen legt – sich im Rahmen des Üblichen zu bewegen.

    Stellen Sie die vor allem bei Frauen beliebtesten Charaktereigenschaften heraus, über die jeder Mann geheim im Übermaß verfügt: Zeigen Sie Emotionalität und Humor. Ad 1, Emotionalität: „Gestern Abend haben wir Mensch ärger dich nicht gespielt, da habe ich mal so richtig die Sau 'rausgelassen." So wie der tagein tagaus tief in sich ruhende Ex-Innenminister De Maizière seine im seelischen Untergrund brodelnde Leidenschaft kundzutun einmal willens und in der Lage war, kann das jeder Mann. Ad 2, Humor: Lachen Sie doch ab heute mal über die Witze, die andere und nicht Sie selbst machen. Fällt schwer, klar, kann aber, wenn Sie sich entspannt zusammenreißen, gelingen.

    Wo findet man heute überhaupt noch Männer? Wenn man absolut sicher gehen will, besuchen Sie die Aufsichtsratssitzung eines DAX-Konzerns. Sicherer noch: Schummeln Sie sich mal in eine Klausur der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, möglichst als Mann oder als solcher verkleidet, damit Sie nicht so auffallen. Während des Karnevals ist der Elferrat jeder beliebigen Großen Prunksitzung ein wahrer Augenschmaus.

    Männer-Überhang: Sometimes it’s a long way up for man watching.

    Jüngere Vertreter der male community trifft man im Knabenchor an, nach bevorstehenden höchstrichterlichen Entscheidungen über die zulässige Exklusion von Mädchen in solchen Einrichtungen bald aber nicht mehr exklusiv. Nutzen Sie also die Zeit. Schützenvereine werden dagegen noch eine Weile ihren Nimbus erhalten, jedes Jahr einen Champion zu küren. Er heißt Schützenkönig, und nicht sie, Schützenkönigin. Ja, noch gibt es ein paar Paradiese männlicher Zurschaustellung. Schauen Sie mal vorbei, und gucken Sie hin! In freier Wildbahn wird das über kurz oder lang erfolglos sein.

    Wahrscheinlich verdankt sich die ganze Idee ohnehin einem lauen Witz, denn der amerikanische Male Watcher's Day geht auf die Profession der Whale Watcher zurück, was nun mal überhaupt nichts mit penetrantem Gestarre auf das Beste am Männlichen zu tun hat, sondern eine ehrbare Tätigkeit darstellt, die einen Beitrag dazu leistet, die Riesenmeeressäuger vor dem Aussterben zu retten. Das ist aber im Falle des Mannes gar nicht nötig. Obwohl: Nach Jahrzehnten der berechtigten Förderung des weiblichen Parts der Bevölkerung glaubt manch Psycho- und Soziologe an mittlerweile schwer reparable Schäden am Mythos Mann. Wenn der Männerbeobachtungstag da für einen Moment des Innehaltens sorgte, wäre das ein doch noch löbliches Unterfangen.

    Eher aber ist zu befürchten, dass diese Legitimation für Lausch- und Sichtangriffe auch nicht besser ist als gut gemeinte Stasi-, BND- und NSA-Aktionen. Also sollte sich jedes Mitglied der Gesellschaft (m/w/d) vor

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